Novelle des WissZeitVGKoalition will Befristungen eindämmen – oder doch nicht?
Mehr oder weniger Befristungen an Hochschulen?
Eigentlich sind sich ja alle einig. Also die, die es braucht, um ein Gesetz zu machen, oder, wie in diesem Fall, zu ändern: Die Bundesregierung, vorne weg die Kanzlerin und ihre zuständige Ministerin, aber auch die Regierungsfraktionen von Union und SPD. Selbst die Opposition aus Linkspartei und Grünen stünde bereit, für eine Novelle des sogenannten Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) im Bundestag den Finger zu heben, freilich nur unter der Bedingung, dass die Reform am Ende auch das bringt, was die Koalition verspricht – nämlich Schluss zu machen mit der Hire-and-Fire-Politik der vergangenen acht Jahre.
Solange, exakt mit Inkrafttreten am 18. April 2007, gibt es das Gesetz, das seither für große Unsicherheit beim wissenschaftlichen Nachwuchs sorgt. Mit dem WissZeitVG wurden öffentlichen Wissenschaftseinrichtungen Befristungsregeln eingeräumt, von denen die Privatwirtschaft nur träumen kann. Folgenschwer waren dabei im Wesentlichen zwei Bestimmungen: Die eine besagt, dass eine Stelle so lange auf Zeit vergeben werden kann, wie sie überwiegend aus Drittmitteln, das heißt über Stiftungen oder Zuwendungen aus der Privatwirtschaft, finanziert wird. Dies gilt auch für Beschäftigte des sogenannten nichtwissenschaftlichen „sonstigen“ Personals, beispielsweise Laboranten oder Bibliothekare. Nach der zweiten Neuregelung kann seit 2007 das gesamte wissenschaftliche und künstlerische Personal sachgrundlos befristet werden, auch auf solchen Stellen, die sich aus dem allgemeinen Hochschuletat speisen.
Prekär ist die Regel
Die chronisch klammen Hochschulen waren ob dieser Möglichkeiten gleich Feuer und Flamme und machten das, was eher als Ausnahme gedacht war, zur Regel: Heute sind zwei Drittel ihres Personals nur auf Zeit und bei entsprechend schlechter Bezahlung tätig. Insbesondere wissenschaftliche Mitarbeiter verdingen sich mittlerweile ganz überwiegend zum Dumpingpreis – nach Angaben der Gewerkschaft und Wissenschaft (GEW) zu nahezu 90 Prozent. Eine Evaluation des Gesetzes im Jahr 2011 ergab, dass mehr als die Hälfte der Doktoranden mit Verträgen mit einer Laufzeit von unter einem Jahr ausgestattet sind. Viele hangeln sich für die Dauer ihrer Promotion von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, ohne Perspektive auf eine dauerhafte Anstellung. Schätzungsweise bis zu 200.000 Nachwuchsforscher sollen von solcherlei prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen sein.
Die GEW prangert die Missstände seit etlichen Jahren an, ohne dass sich die politisch Verantwortlichen ernsthaft dafür interessiert hätten. Erst mit dem Antritt der aktuellen Regierung Ende 2013 wurde das Problem auf höchster Ebene zur Kenntnis genommen. In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und SPD eine Novelle des fraglichen Gesetzes ausdrücklich vereinbart. Trotzdem ging noch viel Zeit ins Land, bis Bewegung in die Sache kam. Ende März kündigte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) dann nicht nur eine Novellierung an, sondern stellte gleich auch noch ein Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Aussicht.
Intervention durch Wissenschaftslobby
Im Mittelpunkt sollen dabei sogenannte Tenure-Track-Stellen stehen. Dabei geht es darum, dass promovierte oder habilitierte Nachwuchsforscher nach einer Bewährungsphase eine Dauerstelle erhalten, im besten Fall eine Lebenszeitprofessur. Weitere Details behielt Wanka aber für sich, zunächst müssten sich die Regierungsfraktionen, „die unterschiedliche Vorstellungen haben, (…) über die Eckpunkte verständigen“. Von der SPD verlautete, man werde „schon im April einen Vorschlag in die Koalitionsfraktionen tragen. Das Gesetz wird spätestens zum 1. Januar 2016 auf den Weg gebracht.“
Dann folgte Anfang Juni der große Dämpfer, als sich die sogenannte Allianz der Wissenschaftsorganisationen in einem Brief an Wanka und die Fraktionen von SPD und CDU/CSU gegen die Pläne positionierte. Dem losen Verbund gehören unter anderem die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), namhafte Forschungsgemeinschaften wie die Max-Planck- sowie die Helmholtz-Gesellschaft und nicht zuletzt der Wissenschaftsrat an, ein Beratergremium, das mit politischen Vertretern von Bund und Ländern bestellt ist. In ihrem Appell forderten sie eine „wissenschaftsfreundliche Ausgestaltung“ der Reform.
Hire and Fire für alle
Faktisch geht der Vorstoß noch über das hinaus, was die bestehende Rechtslage den Hochschulen ohnedies schon an Flexibilität in der Personalpolitik zugesteht. Befristungen sollen demnach nicht nur weiterhin für Doktoranden und wissenschaftliche Mitarbeiter gelten, sondern für praktisch alle Berufsgruppen, die im wissenschaftlichen Bereich tätig sind, auch jene im Verwaltungsapparat. „Ein Professor soll im Zweifel auch seine Sekretärin oder den Laborassistenten mit Zeitverträgen abspeisen dürfen“, folgerte SPIEGEL ONLINE. Außerdem wendet sich der Brief gegen das Vorhaben, Zeitverträge an eine „Qualifizierungsvereinbarung“ zu binden, die es etwa Doktoranden ermöglicht, einen Teil der Arbeitszeit für ihre Dissertation zu nutzen. Die Allianz hält dieses Ansinnen für „überflüssig“.
Andreas Keller, Vizechef und Hochschulexperte der GEW, schwante Schlimmes: Die Allianz wolle offenbar „am Hire-and-fire-Prinzip festhalten und es weiter auf Sekretärinnen, Laboranten und Studienberater ausdehnen. „Für die Arbeitgeberseite ist es am bequemsten, wenn bei der Befristung von Arbeitsverträgen das Wildwestgesetz gilt, wenn sie also weder Gesetze und Tarifverträge beachten noch mit Personalräten und Gewerkschaften verhandeln muss.“ Dagegen postulierte er: „Wir brauchen mehr Dauerstellen und Mindestlaufzeiten für Zeitverträge, wo diese begründet sind.“
Union wankelmütig
Die Intervention der Allianz zeigte Wirkung. Seitens der SPD wurden prompt Vorwürfe gegen die Union laut, sie sei vor der mächtigen Wissenschaftslobby eingeknickt und stelle bereits abgesteckte Eckpunkte der Reform wieder zur Disposition. Tatsächlich beklagte etwa der CSU-Abgeordnete, Albert Rupprecht (CSU), die SPD setze zu sehr auf gesetzliche Regelungen. „Die Praxis an den Hochschulen aber ist viel komplizierter als es per Gesetz zu fassen ist.“ Deshalb werde man die Kritikpunkte der Wissenschaftsorganisationen prüfen, halte die Fragen aber für lösbar – für den Fall eines Entgegenkommens des Regierungspartners.
Inzwischen hat sich der Wind wieder gedreht. Wohl auf Druck Wankas und der Sozialdemokraten haben CDU/CSU am Montag ein Papier namens „Grundsätze für gemeinsames Bund-Länder-Programm und Eckpunkte für flankierende Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes“ präsentiert, das sich in den entscheidenden Punkten mit der SPD-Linie deckt. Demnach soll eine Qualifizierungsbefristung nur noch zulässig sein, „wenn eine Qualifizierung ausdrücklich als Teil des Arbeitsverhältnisses vereinbart ist“. Das genau war der originäre Zweck des WissZeitVG, nämlich die Befristung von Arbeitsverträgen zu regeln, die der wissenschaftlichen Qualifizierung dienen. Sonderregelungen für andere Beschäftigte soll es nun nicht mehr geben, indem die Anwendbarkeit der Regelungen auf nichtwissenschaftliches Personal entfällt.
Lösung in Reichweite
Damit blieben die Begehrlichkeiten der Allianz der Wissenschaftsorganisationen wider Erwarten unberücksichtigt und einer baldigen Lösung steht nach Lage der Dinge nichts mehr im Wege. Damit liefe ein künftiges Gesetz auf folgende Neuerungen hinaus: Wissenschaftliche Mitarbeiter werden so lange beschäftigt, wie Mittel für ein Projekt zur Verfügung stehen. Doktoranden und angehende Professoren erhalten mindestens so lange eine Stelle, wie sie zum Abschluss ihrer Doktorarbeit bzw. Habilitation benötigen. Befristungen für nichtwissenschaftliches Personal sind nicht länger gestattet, getreu dem Motto: „Dauerstellen für Daueraufgaben.“
Neben diesen qualitativen Verbesserungen beim Hochschul- und Forschungspersonal will die Koalition auch bei der Quantität zulegen. Verbesserungen verspricht das geplante Bund-Länder-Programm für den Wissenschaftsnachwuchs. Anders als ursprünglich angedacht, will die Union die dafür veranschlagten Ausgaben von einer Milliarde Euro in zehn Jahren ausschließlich zur „Förderung von Tenure-Track-Professuren“ einsetzen. Die SPD will das Geld dagegen für drei Komponenten verwenden: Neben Tenure-Tracks für die Förderung neuer Karrierewege für wissenschaftliche Mitarbeiter sowie einen Wettbewerb zu Personalentwicklungskonzepten für besonders engagierte Hochschulen. Was aus diesen Vorschlägen wird, muss sich in den weiteren Beratungen zeigen. Von der SPD-Fraktion verlautete heute nur so viel: „Eine Tenure-Track-Option liefert nur eine Möglichkeit, die Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren zu verbessern.“
Zeitspiel?
Unklar ist ferner, wann es etwas wird mit all den schönen Vorhaben. Von der Union heißt es, man sei „bereit, noch vor der Sommerpause zu einer Verständigung mit unserem Koalitionspartner auf ein Gesamtpaket zur Stärkung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu kommen“. Selbst dann wäre aber mit einem fertigen Gesetzentwurf gewiss nicht mehr vor den Ferien rechnen. Bei einer Expertenanhörung im Bundestagsauschuss für Bildung und Forschung verlautetet am Montag, man werde „über die Sommerpause aus den Ideen von Union und SPD einen gemeinsamen Antrag entwickeln“. Das muss nichts bedeuten. Über einer BAföG-Reform hat die Koalition auch lange gebrütet. Und selbst zwischen dem Bundestagsbeschluss im November 2014 bis zum Wirksamwerden der Erhöhungen zum Wintersemester 2016 vergehen noch einmal fast zwei Jahre.
Die SPD-Hochschulexpertin Simone Rath hat das mögliche Inkrafttreten einer WissZeitVG –Novelle auf Anfang 2016 datiert. Der Hochschulexperte der Grünen-Fraktion Kai Gehring hört das zwar gerne, „aber mir fehlt noch der Glaube“. Im Deutschlandfunk sagte er gestern: „Wenn ich mir den Grad der Zerstrittenheit der Koalitionspartner bei der Frage Wissenschaftskarrieren so anschaue, dann mache ich mir da weiter große Sorgen, und es wäre den Hochschulen und dem Wissenschaftssystem jetzt nicht besonders zuträglich, wenn man dann erst im Herbst oder im Winter da eine Novelle vorlegt oder fertigstellt und dann innerhalb von weniger Wochen entsprechend diese gesetzlichen Veränderungen auch umgesetzt werden müssen.“
Merkel laviert
Eine große Unbekannte ist bei all dem noch die Bundeskanzlerin. Angela Merkel (CDU) hatte sich in der Vorwoche erstmals vernehmlich zu den Problemen des „wissenschaftlichen Mittelbaus“ geäußert. Dabei oszillierte sie in gewohnter Manier zwischen dem Für (Arbeitnehmersicht) und Wider (Arbeitgebersicht) einer Neuregelung. Einerseits müsse die Politik „Sorge dafür tragen, dass wir junge Talente in der Forschung halten“. Andererseits sei es an Hochschulen „eine der schwierigeren Aufgaben, die Balance zwischen Dynamik und Sicherheit zu finden“. Einerseits könne eine Gesetzesreform ein Beitrag sein, um „Fehlentwicklungen bei Befristungen“ zu begegnen. Andererseits warnte die CDU-Chefin dann aber wieder vor allzu starren Regelungen. „Denn was einmal fixiert ist, ist in unserer Gesellschaft auch nicht ganz einfach wieder zu entfixieren.“ Mehr Sowohl-als-auch geht nicht, und für die Kanzlerin gilt bekanntermaßen: Im Zweifelsfall für die Arbeitgeber.
(rw)