Von Taugenichtsen und DurchstarternWidersprüchliche Studien zum Bachelor
Ist der Bachelorabschluss Sprungbrett für eine Karriere – oder eher nicht?
Das hatte gesessen: „Nur 15 Prozent der Betriebe sagen, dass die Bachelor-Absolventen gut auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind.“ In einem Interview mit der Zeitung Die Welt zog der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Eric Schweitzer, unlängst richtig vom Leder. Die vermeintliche „Überakademisierung“ führe dazu, „dass viele studieren, die eigentlich in einer Berufsausbildung besser aufgehoben wären“, konstatierte er und weiter: „Die Zahl der Studienplätze kann nicht grenzenlos steigen. Ich bin sogar dafür, sie wieder zu verknappen.“
Alles schlecht
Der Verbandschef bezog sich auf eine aktuelle Umfrage unter 2.000 Unternehmern, wovon lediglich 47 Prozent ihre Zufriedenheit mit den Berufseinsteigern mit Bachelor-Abschluss geäußert hätten. Aus Sicht von mehr als der Hälfte der Befragten erfüllten die Kandidaten die Anforderungen nicht. Bei der Vorgängererhebung im Jahr 2011 wäre dagegen noch bei 63 Prozent der Befragten der Daumen nach oben gegangen. Den Absturz um 16 Prozentpunkte nannte Schweitzer eine „besorgniserregende Entwicklung“. Sein Mantra: „Die Universitäten müssen in erster Linie dafür sorgen, dass die Bewerber auch für den Arbeitsmarkt gerüstet sind, und können das nicht auf die Wirtschaft abschieben.“
Die besagte DIHK-Untersuchung befindet sich eigentlich noch unter Verschluss. Wie Studis Online von Pressesprecher Thomas Renner erfuhr, soll sie offiziell erst in dieser Woche präsentiert werden. Dass Oberfunktionär Schweitzer vorab so eifrig aus dem Nähkästchen plauderte, war speziellen Umständen geschuldet. Nur wenige Tage nach seinem Vorstoß gelangte nämlich eine zweite Studie zum Thema auf den Medienmarkt, die eine gänzlich andere Sicht der Dinge unters Volk bringen soll. Nämlich die, dass der Bachelor ein echter Renner ist – bei Arbeitgebern beliebt und für Absolventen ein Garant für Geld und Karriere. Weil der Abgesang des DIHK von all dem Jubel hätte übertönt werden können, wollte der Handelskammer-Dachverband wenigstens der erste sein und der Debatte so seinen Stempel aufdrücken.
Alles super
Zumal hinter der frischen, frohen Botschaft ziemlich mächtige Macher stehen. „Karrierewege für Bachelorabsolventen“ ist der Ergebnisbericht einer Befragung von 1.500 Unternehmen, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit Unterstützung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft durchgeführt hat. Gefördert wurde das Projekt überdies vom Bundesbildungsministerium (BMBF), und man stelle sich vor, das Resultat hätte gelautet: Der Bachelor ist Mist.
Zu ihrem Glück blieb dies Ministerin Johanna Wanka (CDU) erspart und so durfte sie am vergangenen Donnerstag ausnahmslos schöne Dingen sagen, etwa das: „Bachelor-Absolventen haben in Unternehmen immer bessere Chancen. Der Bachelor-Abschluss ist etwas wert.“ Oder dies: „Bachelor-Absolventen stehen viele Wege offen, sie haben gute Gehalts- und Karrieremöglichkeiten.“ Und noch mehr: „Allen Unkenrufen zum Trotz: Damit kommt auch zum Ausdruck, dass viele Unternehmen die Kompetenzen schätzen, die Bachelor-Absolventen mitbringen.“
Stattliche Einstiegsgehälter
In der Tat haben die Studienautoren fast nur Gutes zu berichten. Hochschulabgänger mit Bachelor fänden mittlerweile in der privaten Wirtschaft „breite Resonanz“, heißt es. Die Einstiegsgehälter seien fast so hoch wie bei Master-Absolventen. Die meisten (56,6 Prozent) brächten es anfangs auf ein Jahressalär zwischen 30.000 und 40.000 Euro, über 31 Prozent schafften auf Anhieb sogar mehr. Bereits nach fünf Berufsjahren verdienten rund 70 Prozent der Bachelor-Absolventen schon mehr als 40.000 Euro im Jahr. Grundsätzlich böten große Unternehmen und Industriebetriebe häufig höhere Einstiegsgehälter als kleine Firmen oder Betriebe anderer Branchen.
Noch so eine Erfolgsmeldung: „Langsam, aber sicher kommen die Absolventen der gestuften Studiengänge in den Firmen an.“ Wären Bachelor- und Masterabsolventen 2010 erst in 13 Prozent der hiesigen Betriebe präsent gewesen, tummelten sie sich inzwischen in rund 23 Prozent der Unternehmen. Vor allem kleine und mittlere Firmen öffneten sich zunehmend, „gut jeder fünfte Kleinbetrieb und mehr als jedes zweite mittlere Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern beschäftigt heutzutage einen Bachelor“. Betrachte man nur die Betriebe, die auch Akademiker eingestellt haben, fänden sich Bachelors bereits in 35 Prozent und Master-Absolventen in 27 Prozent der Fälle.
So gut wie ein Master?
Auffallend ist, wie die Autoren den Bachelor als praktisch gleichwertige Alternative zu der Konkurrenz mit Master-Abschluss in Stellung bringen. So sei das Einstiegsgehalt „ungefähr gleich hoch“, beide Gruppen würden in der Regel mit den gleichen Aufgaben betraut, etwa als Projektmanager, und beim Aufstieg hätten Master-Abschluss oder Doktortitel „weiter an Bedeutung verloren“. Wichtigste Auswahlkriterien in rund 70 Prozent der Betriebe seien „vielmehr Leistungsmotivation, Identifikation mit den Unternehmenszielen und Kommunikationsfähigkeit“.
Was sich so toll liest und anhört, lässt sich freilich auch anders interpretieren. „Ungefähr gleich“ ist das Einkommen von Bachelor- und Master-Absolventen bloß in der Hälfte der Fälle (53,3 Prozent). 16 Prozent der Befragten zahlen bis zu fünf Prozent mehr, 21 Prozent zwischen zehn und 15 Prozent mehr und 9,1 Prozent lassen sich den Master zwischen 15 und 20 Prozent mehr kosten. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) schrieb angesichts dieser Zahlen denn auch über eine „sehr Bachelor-freundliche Lesart der Ergebnisse“.
Verkürzte Betrachtung
Dazu passt die Kunde, der Bachelor sei in der Industrie auf dem Vormarsch. Was denn auch sonst? Heute sind rund 90 Prozent aller Studiengänge in Deutschland auf den Bachelor/Master-Modus umgestellt. Den Unternehmen bleibt fast nichts anderes übrig, als auf die „Neuen“ zu setzen. Wenn heute 23 Prozent so verfahren, dann besagt diese Zahl wenig bis gar nichts. Außerdem: Die Studie nimmt sich einzig die Absolventen von technischen und wirtschaftswissenschaftlichen Fachrichtungen vor. Was ist mit denen der Geistes- und Kulturwissenschaften? Sind die auch „so gefragt“ und machen die auch „so viel Geld“? Oder würde bei ihrer Mitberücksichtigung das schöne Bild getrübt und das – dann – „Gesamtbild“ weniger erquicklich anmuten?
So beschränkt sich die Untersuchung nur auf einen Ausschnitt der Wirklichkeit und der Verdacht drängt sich auf, dass hier auf Teufel komm raus die Werbetrommel für den Bachelor gerührt wird. Weil laut Darstellung für die Betroffenen alles bestens bestellt ist auf dem Arbeitsmarkt, müsse man sich nur noch trauen. Das IW-Köln betitelt sein Pressestatement so auch treffend mit „Nur Mut!“, wobei mitschwingt: Vergesst das ganze Gerede über den Abschluss – alles nur Miesmacherei.
„Bologna grandios gescheitert“
Dabei gibt es frühere Studien, die zu völlig anderen Befunden gelangt sind: Dass die Absolventen bei Arbeitgebern nicht hoch im Kurs stehen, dass sie schlechter bezahlt werden als Leute mit Diplom oder Magister, dass sie vergleichsweise seltener in Vollzeit arbeiten und ihre berufliche Tätigkeit häufiger nicht ihrem Qualifikationsniveau entspricht. (vgl. hierzu Country Report on Employability and Mobility of Bachelor Graduates in Germany)
Natürlich mögen sich die Dinge in der Zwischenzeit in Teilen zum Besseren verändert haben. Andererseits gilt jedoch fast unverändert: Bei Studierenden kommt der Bachelor nicht an. Nach wie vor fast zwei Drittel streben nach dem Abschluss ein Master-Studium an. Und bald jeder Dritte bricht sein Studium vorzeitig ab. Beides hat Gründe, die etwa Philipp Bahrt von der Landes-Asten-Konferenz (LAK) Berlin gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zur Sprache bringt. „Bachelor-Studiengänge sind meistens inhaltlich sehr verflacht“ und oftmals falle der Berufseinstieg deshalb nicht leicht, „weil die Unternehmen junge, perfekt ausgebildete und gleichzeitig erfahrene Arbeitskräfte suchen – Arbeitskräfte, wie es sie in aller Regel gar nicht gibt“. Sein Verdikt: „Die Idee des Bologna-Prozesses, bei der Studiengestaltung die Arbeitsmarktorientierung ins Zentrum zu rücken und dafür Persönlichkeitsbildung und Wahlfreiheit aufzugeben, ist grandios gescheitert.“
Wirtschaft verschweigt Mitschuld
Bahrts Äußerungen sind im Speziellen auf den Zerriss durch DIHK-Chef Schweitzer gemünzt, der mit seinen Aussagen – neben der Gesundbeterei – das andere Extrem der Diskussion abgesteckt hat – die Verunglimpfung von jungen Menschen als Taugenichtse. Sein Lösungsvorschlag klingt nach dieser Maßgabe nur konsequent: Wenn die Bachelor-Absolventen zu großen Teilen auf dem Arbeitsmarkt für nichts gut sind, müssen Studienplätze wieder limitiert und die knappen staatlichen Mittel auf einen kleineren Kreis wirklich Leistungswilliger und -fähiger konzentriert werden. In Schweitzers Diktion: „Der Boom bei den Studentenzahlen geht zulasten der dualen Berufsausbildung. Wir leiden an einer Überakademisierung.“
Dabei verschweigt er freilich, dass die duale Berufsausbildung erst durch maßgebliches Zutun seiner Branche immer stärker in Bedrängnis geraten ist, Jugendliche heute zu Zehntausenden keine Lehrstelle finden und viele nur deshalb ihr Heil an den Hochschulen suchen. Sein Verband ist also mindestens Mitschuldiger eines Missstandes, den er jetzt so lauthals bejammert. Der DIHK tut sich auch nicht damit hervor, für eine stärkere Unternehmensbesteuerung einzutreten, um mit dem Geld beispielsweise eine bessere Ausstattung der Schulen herbeizuführen. Deren Abgänger gelten dem Verband nämlich als ebenso „ausbildungsuntauglich“ wie für ihn die Bachelor-Absolventen „berufsuntauglich“ sind.
Beim „freien Zusammenschluss von studentInnenschaften“ (fzs) stößt diese Haltung bitter auf: „Für Unternehmen muss offensichtlich jeden Tag Weihnachten sein: Sie legen ihre Wunschzettel vor und wollen entsprechende Bachelor-Studierende von den Hochschulen geliefert bekommen“, bezog der studentische Dachverband gegenüber Studis Online Stellung. Das dürfe nicht angehen, „wegen angeblich fehlender Praxisnähe müssen Unternehmen in die Pflicht genommen werden und selbst für eine Weiterqualifizierung der Absolventen sorgen.“
„Hochschulen sind gescheitert“
Dem Studierendenverband geht es auch um Grundsätzliches. „In einer Demokratie darf es nicht die Aufgabe eines Bildungssystems sein, die Menschen in Kategorien der wirtschaftlichen Verwertbarkeit aufzuspalten, heißt es in einer Pressemitteilung. Leider fehle es an einem ganzheitlichen Ansatz, „das Studium kann keine eierlegende Wollmilchsau sein“. Der Zugang zur Hochschulbildung müsse prinzipiell allen offen stehen und nicht nur einem kleinen elitären Kreis. Ein Studium vom Fließband habe für niemanden einen Mehrwert. „Eine zeitgemäße Hochschulreform erfordert mehr Geld an den Hochschulen und nicht weniger Studierende.“
Noch deutlicher wurde fzs-Vorstand Isabella Albert. Nach einer Umfrage ihres Verbandes hätten zwei Drittel der Studierenden, die keinen Master machten, dies damit begründet, dass sie es „satt haben“. Hochschulen wären zu einem „Lern-oder-Stirb-System“ verkommen, bei dem die Leute froh seien, wenn sie raus können. Hochschulen könnten gute Lehre anbieten, wenn sie Zeit und Geld in Lehre stecken würden, genau das passiere aber nicht. Alberts Fazit gegenüber Studis Online: „Wenn, dann sind also die Hochschulen gescheitert – nicht der Bachelor.“
Wirrwarr an Angeboten
Beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) sieht man ein weiteres Problem in der Unübersichtlichkeit angesichts von 8.000 Bachelor-Studiengängen. „Es mangelt an Transparenz, jede Hochschule strickt ihr eigenes Angebot“, erklärte Matthias Anbuhl, DGB-Abteilungsleiter Bildung, auf Anfrage von Studis Online. (vgl. dazu auch Im Hochschulreich der 16.000 Möglichkeiten: Glücksache Studienwahl) Die Frage, welcher Bachelor wirklich berufliche Perspektiven bietet, bleibe offen. Wie bei den Berufsabschlüssen sollte es auch für Studienangebote „fachbezogene bundeseinheitliche Standards“ geben, empfahl er. Außerdem plädierte der Gewerkschafter für einen freien Zugang zum Master. Die Nachfrage danach sei deutlich höher als der im Hochschulpakt 2020 kalkulierte Übergang von 50 Prozent.
Man erinnere sich: Nach den Plänen der Bologna-Reformer sollte der Bachelor eigentlich zum Regelabschluss für zwei Drittel und mehr Studierende werden – und der Master zur elitären Ausnahmeerscheinung. Wenn es sich heute genau umgekehrt verhält – kann der Bachelor da wirklich das Gelbe vom Ei sein? Vielleicht sollten die Herren Wissenschaftler bei Gelegenheit auch mal die Studierenden fragen.
(rw)