LehrerarbeitsmarktWie ist die Job-Lage für angehende Lehrkräfte?
Frau Schaad, wir haben bisher stets über die aktuellen Entwicklungen am Lehrerarbeitsmarkt berichtet. Seit einiger Zeit werden aber die entsprechenden Zahlen, die zuvor als GEW-Arbeitsmarktprognose zugänglich waren, nicht mehr publiziert. Wie ist es denn aktuell bestellt um Lehrerarbeitsmarkt und -arbeitslosigkeit?
Ilse Schaad, Leiterin des Vorstandsbereichs Angestellten- und Beamtenpolitik bei der GEW
Die GEW-Lehrerarbeitsmarktberichte in der alten Form gibt es in der Tat nicht mehr, sie waren entstanden in der Zeit der Lehrerarbeitslosigkeit und des Stellenabbaus.
Die GEW wollte mit den Arbeitsmarktberichten auch unter Verwendung wissenschaftlicher Expertisen erreichen, dass die Länder ihre Einstellungspolitik etwa auf dem Niveau von 4 % jährlich (bezogen auf den Bestand) verstetigen, um den dauernden Wechsel von Überhang und Mangel endlich zu durchbrechen.
Die Politik war jedoch beratungsresistent. In der Folge haben wir heute – wie in den 60er Jahren – gravierenden Personalmangel. Darüber reden die Länder nicht gerne – bis hin zur Verleugnung der Tatsachen. Deshalb ist es kaum möglich, an ehrliche Zahlen zu kommen.
Die Lage ist aber dennoch in etwa einschätzbar? Wie viele Lehrer werden aktuell denn in welchem Bundesland ausgebildet und wie viele werden Eurer Einschätzung nach in den nächsten Jahren benötigt werden?
Nun, es lassen sich zumindest Trends angeben. Man muss sich nur die Alterszusammensetzung der Lehrerschaft anschauen (siehe Grafiken unten), um vorherzusagen, dass in den Westländern zumindest in den kommenden vier bis fünf Jahren ein extrem hoher Ersatzbedarf besteht. Die Schülerzahlen gehen zwar im Durchschnitt zurück, nicht aber in den süd- und westdeutschen Ballungsräumen. Zudem machen immer mehr SchülerInnen höhere Schulabschlüsse, bleiben also länger im System. Hinzu kommen pädagogische Entwicklungen, die stellenintensiv sind wie der Ausbau der Ganztagsschulen oder Inklusion.
Quelle: Statistisches Bundesamt, GEW-Hauptvorstand
Im Osten sind 20 Jahre lang kaum Lehrkräfte eingestellt worden, die aktuell Beschäftigten haben zwei Jahrzehnte lang überwiegend in Teilzeit gearbeitet, um Entlassungen zu vermeiden. Jetzt erreichen die besonders stark besetzten Lehrerjahrgänge das Rentenalter, zudem steigen die Schülerzahlen nach Jahren des Rückgangs wieder. Schon heute haben manche Länder Probleme, die bislang wenigen Stellen zu besetzen.
Das bedeutet in Bezug auf den konkreten Einstellungsbedarf in den Ländern in etwa was?
Genaue Zahlen für einzelne Bundesländer kann ich an dieser Stelle leider nicht nennen. Das ändert sich auch ständig, da hier – gerade in Zeiten der Schuldenbremse – die Finanzminister leider das entscheidende Wort mitzureden haben. Studierende suchen am besten den Kontakt zu den jeweiligen GEW-Landesverbänden, die die Situation vor Ort am besten kennen.
Kann man trotzdem etwas dazu sagen, mit welchen Studienfächern man in Deutschland die besten Einstellungschancen hat – und mit welchen die schlechtesten?
Generell sind Mathe und Naturwissenschaften besonders gefragt, aber auch Musik, Kunst, Sport, Fremdsprachen sowie generell technische Fächer an Berufsschulen. Regional gibt es aber auf der Liste der Mangelfächer alles: von Religion bis Deutsch ist alles dabei. Auch Deutsch- und Geschi-Lehrer gehen in den kommenden Jahren zu Tausenden in den Ruhestand. In diesen Fächern ist der Mangel nur nicht so offensichtlich wie in den Fächern, mit denen man in der sogenannten freien Wirtschaft richtig Geld verdienen kann.
Wie sieht es mit der Bezahlung von Lehrkräften aus? Was verdient man bspw. in Berlin vs. Bayern an einem Gymnasium und an einer Grundschule als gleichalte Berufsanfängerin? Und wie wird dieser Unterschied gerechtfertigt?
Es gibt in Deutschland nicht "das" Lehrergehalt. Die Eingruppierung bzw. die Zuordnung wird einseitig vom öffentlichen Arbeitgeber in Abhängigkeit vom Lehramt und von der Schulform festgelegt. Hier gilt seit mehr als 100 Jahren: kleine Kinder - kleines Gehalt, große Kinder - großes Gehalt. Die Regelungen sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Nicht zuletzt hängt das Einkommen natürlich davon ab, ob man als Beamte/r oder Tarifbeschäftigte/r (Angestellte/r) eingestellt wird.
Die unterschiedliche Bezahlung nach Lehrämtern und Schulformen kritisiert die GEW schon seit Jahrzehnten. Spätestens seit der Umstellung auf BA/MA ist die Ungerechtigkeit – m.E. sogar Verfassungswidrigkeit – noch offensichtlicher. Dass Lehrkräfte (außer an Gymnasium und Berufsschule) schlechter bezahlt werden als andere Akademiker im öffentlichen Dienst, ist ein Skandal, der solange bestehen bleibt, wie sich die Lehrkräfte das gefallen lassen. Bildungspolitik wird hierzulande von Finanzpolitikern gemacht, die für die eigene Profession natürlich eine bessere Bezahlung für angemessen und richtig halten, nicht aber für Lehrkräfte. In Besoldungsgesetzen und Richtlinien heißt es dann: In allen akademischen Berufen wird als Einstieg A 13/E 13 gezahlt – eine Ausnahme gilt für die Lehrkräfte!
Nicht mehr ausschlaggebend ist heutzutage das Alter bei Berufseintritt. Im Tarifrecht wurde 2005/2006 von Lebensaltersstufen auf Erfahrungsstufen umgestellt, im Beamtenrecht gelten Dienstaltersstufen, die inzwischen sukzessive auch auf Erfahrungsstufen umgestellt werden, d.h. es zählt nur noch die Berufserfahrung.
Eine relativ neue und rasante Entwicklung ist das Auseinanderlaufen der Besoldung zwischen den Bundesländern. Bis 2006 war die Beamtenbesoldung bundeseinheitlich geregelt. Seit der Reföderalisierung der Besoldung werden die Differenzen zwischen den Bundesländern immer größer (siehe Grafik am Beispiel von A13 (Studienräte)).
Quelle: GEW Hauptvorstand
Auch für Berlin gilt: Neueingestellte i.d.R. Angestellte
Die Entgelttabellen im Tarifbereich, also für Angestellte,gelten hingegen bundesweit. Unterschiede gibt es allerdings in der Eingruppierung, denn die ist für Lehrkräfte bislang nicht tarifvertraglich geregelt, hier können die Arbeitgeber machen, was sie wollen. Die GEW kämpft seit Jahren dafür, dass Lehrkräfte den gleichen tarifvertraglichen Schutz erhalten wie andere Angestellte im öffentlichen Dienst.
Einige Bundesländer beschäftigen Lehrkräfte ausschließlich bzw. überwiegend im Angestelltenverhältnis, in der Mehrzahl der Länder ist für voll ausgebildete Lehrkräfte das Beamtenverhältnis der Regelfall (siehe die folgende Grafik). In der Mehrzahl der Länder liegt das Bruttoeinkommen der Beamten unterhalb dessen der Tarifbeschäftigten, nach Abzug der Sozialabgaben dreht sich das aber um.
Quelle: Statistisches Bundesamt, GEW-Hauptvorstand
Zu berücksichtigen ist aber, dass Beamte sich neben der Beihilfe privat krankenversichern müssen, was individuell unterschiedlich teuer ist. Sie erhalten – nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – weiterhin Zuschläge für Ehegatten und Kinder, die es für Tarifbeschäftigte nicht (mehr) gibt. Die Beschäftigung im Beamtenstatus kann also einige hundert Euro netto mehr bringen (gesund, verheiratet, mehrere Kinder), aber im Extremfall kann das auch ins Gegenteil umschlagen (wenn die PKV einen wegen Vorerkrankungen nicht nimmt).
In Bezug auf die Bezahlung von Berufsanfängern in Berlin vs. Bayern und an einem Gymnasium bzw. einer Grundschule bedeutet das also konkret?
Auch das lässt sich leider nicht mit einer schlichten Zahl beantworten. In der Grundschule bekommt man als Angestellte Entgeltgruppe E11, man startet in Stufe 1 mit brutto 2760.76 € im Monat, netto (nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben) bleiben davon 1692.86 €. Sechs Monate nach dem Referendariat steigt man in E11 Stufe 2 mit brutto 3057.24 €, netto 1829.98 €. In Berlin zahlt der Senat Berufsanfängern außertariflich bereits die letzte Stufe, die man eigentlich erst nach zehn Jahren Berufserfahrung erreichen würde: In E11 Stufe 5 bekommt man monatlich 4097.60 € brutto, das macht 2306.81 € netto. Damit stehen die Angestellten zumindest am Anfang finanziell in etwa so da wie neu eingestellte Beamte. In Sachsen Anhalt werden neuerdings Berufsanfänger verbeamtet, um die Abwanderung zu stoppen, sie bekommen brutto 2977.12 €, das macht 2403.73 € netto, davon muss aber noch die private Krankenversicherung von 80 bis 200 Euro bezahlt werden. In Bayern bekommen die gleichen Personen 3081.23 € brutto, von denen netto (nach Abzug von Steuern, aber vor Abzug der privaten Krankenversicherung) 2471.44 € übrig bleiben.
Für Studienräte sieht die Sache ähnlich aus, nur jeweils rund 300 bis 400 Euro brutto höher (siehe oben Grafik "Jahresbrutto A13").
Das ist ja alles ganz schön kompliziert. Was rätst Du denn Studieninteressierten: Wovon sollten sie ihre Entscheidung abhängig machen: den prognostizierten Arbeitsmarktchancen oder…?
"Lehrerin oder Lehrer sollte man [...] nicht nur wegen guter Jobchancen oder sicherer Einkommensperspektiven werden."
Ich selbst habe 27 Jahre Englisch und Deutsch an Gesamtschulen in Hessen und Berlin unterrichtet. Ich habe meinen Beruf gerne ausgeübt, auch wenn die Belastungen ständig gestiegen sind. Befragungen wie der DGB-Index "Gute Arbeit" bestätigen, dass Lehrkräfte in besonders hohem Maße vom Sinn ihrer Arbeit überzeugt sind. Lehrerin oder Lehrer sollte man allerdings nicht nur wegen guter Jobchancen oder sicherer Einkommensperspektiven werden, dann hält man den Stress, den der Beruf mit sich bringt, auf Dauer nicht aus. Denn auch das zeigen alle Befragungen: Die Arbeitsbelastung ist so hoch, dass die Zahl der Dauerkranken ständig steigt. Zwischen 1992 und 2005 haben die Länder die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte drastisch verschlechtert. Gleichzeitig verweigern sie ihnen eine angemessene Bezahlung, die für entsprechend akademisch qualifizierte Beschäftigte in allen anderen Bereichen selbstverständlich ist. Lehrerinnen und Lehrer müssen heute genauso viele Stunden unterrichten wie vor 100 Jahren, während überall sonst die Arbeitszeit um ein Drittel oder z.T. um die Hälfte gesunken ist.
Eine Empfehlung will ich den Studierenden noch mit auf den Weg geben: Kümmert euch nicht nur um Pädagogik und Fachwissenschaft, sondern auch darum, unter welchen Bedingungen ihr künftig arbeiten werdet. Viele wissen gar nicht, dass sie keinen tarifvertraglichen Schutz haben werden. Sie vertrauen darauf, dass die öffentlichen Arbeitgeber gute Arbeitgeber sind. Zumindest bezogen auf den Bildungsbereich ist das eine falsche Annahme. Und natürlich empfehle ich allen, dabei auf eine starke Gewerkschaft zu setzen.
Einstellungschancen: Prognosen nach Bundesländern (soweit vorhanden und bekannt)
- Broschüre zum LehrerInnenbedarf der Landesverbände Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein (Stand 2009)
http://www.gew-nds.de/Aktuell/nachwuchs/Broschuere_zum_LehrerInnenbedarf.pdf - Baden-Württemberg (Ministerium)
http://www.bw-cct.de/brcms/pdf/82.pdf - Bayern (Ministerium)
http://www.verwaltung.bayern.de/portal/cl/1058/Gesamtliste.html?cl.document=4023813 - Berlin (GEW)
http://www.gew-berlin.de/1743.htm - Brandenburg (Ministerium)
http://www.mbjs.brandenburg.de/sixcms/detail.php/bb1.c.204461.de - Hamburg (Senat)
http://www.hamburg.de/bewerbungen-online/64710/einstellungschancen.html - Hessen (Ministerium)
http://www.kultusministerium.hessen.de/irj/HKM_Internet?cid=060c4f0005c815960e3b4379e6080174 - Mecklenburg-Vorpommern (Ministerium)
http://www.bildung-mv.de/de/schule/beschaeftigte_schule/lehrerpersonalkonzept - Niedersachsen (Ministerium)
http://www.mk.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=1905&article_id=6374&_psmand=8 - Nordrhein-Westfalen (Ministerium)
http://www.schulministerium.nrw.de/ZBL/Chancen/Prognosen.pdf - Sachsen (Ministerium)
http://www.sachsen-macht-schule.de/schule/13198.htm - Thüringen (Ministerium)
http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tkm/lehrer/personalentwicklung.pdf