Grünes Licht für AusländermautStuttgarter Landtag beschließt Studiengebühren
Für die Uni Freiburg ist der Fall klar: „ Der Senat der Albert-Ludwigs-Universität lehnt den Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung ab.“ Die Neuregelung verursache einen „hohen Verwaltungsaufwand“, sorge mit „einiger Wahrscheinlichkeit“ für die Verdrängung von Studieninteressierten in andere Bundesländer, sei nicht sozialverträglich und löse das „Problem der strukturellen Unterfinanzierung unserer Hochschulen“ nicht, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme. Der Beschluss wurde bereits Ende März gefasst, aber erst gestern auf Druck von Studierendenvertretern veröffentlicht. Warum die Unileitung das Papier solange unter Verschluss gehalten hat, ob sie der grün-schwarzen Koalition womöglich den Rücken freihalten wollte oder die Regierung dabei selbst die Finger im Spiel hatte, sei dahingestellt.
Auf alle Fälle hinterlässt es kein gutes Bild, wenn ein Gesetz, das angeblich für die Hochschulen gemacht wurde, von diesen gar nicht gewollt ist. Mitte April hatten 50 Experten aus Wissenschaft und Entwicklungspolitik in einer gemeinsamen Erklärung heftige Kritik an den Plänen geäußert, unter ihnen die Vizedirektorin am Institut für Tropische Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim, Regina Birner. Studiengebühren erschwerten „vielen Menschen aus Entwicklungsländern den Zugang zu einem (…) entwicklungsrelevanten Studium“, monierte sie.
Politisch unbedenklich?
Für Claudia Duppel, Geschäftsführerin des Dachverbandes Entwicklungspolitik Baden-Württemberg, ist es ein „besonders problematisches Signal in einer Zeit, in der immer mehr Staaten eine nach innen gekehrte und auf Ausgrenzung zielende Politik betreiben“. Ähnlich äußerte sich die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): „Diese Form der Hochschulmaut für ausländische Studierende in Zeiten des aufkeimenden Rechtspopulismus ist politisch bedenklich.“
Die Regierung sorgt sich darum offenbar nicht. Gegen die Stimmen von SPD, FDP und AfD (wobei die FDP und AfD Gebühren durchaus befürworten, aber die FDP aber nachlaufend und die AfD mehr, vor allem von den Ausländern – also „nur“ mit der konkreten Form nicht einverstanden waren) votierten Grüne und CDU für die Gesetzesvorlage von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne). Damit müssen künftige Studienanfänger, die nicht aus der Europäischen Union kommen, ab Herbst 1.500 Euro pro Semester hinlegen, um im Ländle studieren zu dürfen. Bauer tut dabei so, als geschehe all dies nur zu deren Bestem. „Wir wollen mehr Internationalisierung, nicht weniger“, meint sie, „aber gleichzeitig brauchen diese Studierenden auch eine bessere Betreuung, um ihr Studium erfolgreich abzuschließen“. Dazu sollen künftig 20 Prozent der Gebühreneinnahmen (300 Euro) direkt bei den Hochschulen verbleiben.
Ausnahmen mit Abstrichen
Wegen der Proteste, die Bauer mit ihrem Vorstoß von Anfang Oktober 2016 provozierte, besserte die Ministerin ihre ursprünglichen Pläne mit ein paar Ausnahmeregelungen nach. Nicht abkassiert werden sollen demnach Studierwillige, „gleich welcher Nation, die in Deutschland ihre Hochschulzugangsberechtigung erworben haben oder einen sogenannten gefestigten Inlandsbezug aufweisen“. Ausnehmen wolle man ferner anerkannte Flüchtlinge, Asylsuchende, „bei denen die Anerkennung nach den jeweiligen Herkunftsländern mit hohem Grad wahrscheinlich ist“, sogenannte Brexit-Briten sowie Menschen „aus den ärmsten Ländern der Welt“. Außerdem sollen die Hochschulen grundsätzlich fünf Prozent der Nicht-EU-Ausländer von der Zahlungspflicht befreien können.
Für die Gegner sind all das nur Trostpflaster. Am Wochenende hatten in Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg, Konstanz und Heidelberg insgesamt rund 2.000 Studierende gegen Bauers Projekt demonstriert. Dem Aufruf des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS) waren auch Vertreter von Gewerkschaften, von SPD und Linkspartei sowie des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg gefolgt. Dessen zweite Vorsitzende, Bärbel Mauch, widersprach in ihrem Redebeitrag in der Landeshauptstadt der Darstellung der Regierung, das Gesetz lasse Geflüchtete gänzlich unberührt. Vielmehr müssten nur solche mit einer gesicherten Bleibeperspektive nicht zahlen. Diejenigen, bei deren Herkunftsländern die Anerkennungsquote von Asylanträgen unter 50 Prozent liege, würden dagegen sehr wohl zur Kasse gebeten.
In Stuttgart kam auch eine russische Studentin von der Uni Hohenheim zu Wort, die schon jetzt zwei Jobs als Hilfskraft innehat, um sich zu finanzieren. 1.500 Euro pro Semester bedeuteten das „endgültige Aus“ für ihr Studium, beklagte sie und bekräftigte: „Es geht hier nicht um eine abstrakte Sache, sondern um konkrete Lebenswege von Menschen wie ihr, die man nicht einfach aufs Spiel setzen sollte“.
Eingebildete Haushaltslöcher
Bauer begründet ihr Vorgehen damit, Sparvorgaben zur Erfüllung der sogenannten Schuldenbremse zu erfüllen. Ihr Ressort soll dafür im laufenden Jahr Ausgabenkürzungen in Höhe von knapp 50 Millionen Euro realisieren. Statt beim Hochschuletat zu kürzen, zieht sie es vor, zusätzliche Einnahmen zu generieren und sich das Geld von den internationalen Studierenden zu holen. Die SPD-Landtagsabgeordnete Gabi Roller hält diesen Schritt für nicht nachvollziehbar. So habe das Land im Vorjahr einen Überschuss von 3,5 Mrd. Euro erwirtschaftet, zudem befände sich „eine weitere Milliarde Euro an Überschüssen aus den Vorjahren sowie rund 500 Millionen Euro Rücklagen in der Landesschatulle“, erklärte sie Ende April. „Internationale Studiengebühren sind weder sozialverträglich noch nachhaltig“ und deren Einführung „definitiv der falsche Weg, angebliche Haushaltslöcher im Hochschul- und Kulturressort zu stopfen“.
Zur ganzen Wahrheit gehört auch: Bauer hatte erstmals vor über drei Jahren mit einem Sonderopfer für Nicht-EU-Ausländer geliebäugelt, war damit aber beim damaligen SPD-Regierungspartner abgeblitzt. Vor diesem Hintergrund mutet ihr Argument, allein wegen haushaltspolitischer Zwänge zu agieren, wie eine Schutzbehauptung an.
Salamitaktik?
Auffällig zudem: In der hitzigen Diskussion um die „Ausländermaut“ geht die begleitende Einführung von Studiengebühren für ein Zweitstudium fast unter. Ab Wintersemester 2017/18 werden dafür 650 Euro fällig. Demnächst geraten also nicht nur Studierende aus dem Nicht-EU-Ausland ins Visier von Finanzministerin Edith Sitzmann (ebenfalls von der Grünen-Partei), sondern auch etliche einheimische Studierende.
Steckt dahinter vielleicht die berühmte Salamitaktik? Zur Erinnerung: Die Grünen hatten erst 2012 zusammen mit der SPD die bis dahin geltenden allgemeinen Studiengebühren abgeschafft. Der auch vom ABS befürchtete gebührenpolitische „Rollback“ fällt gewiss dort leichter, wo bereits Vorarbeiten geleistet wurden. Und die Argumentation könnte eines Tages so gehen: Es ist doch nur gerecht, wenn alle zahlen, statt spezielle Studierendengruppen zu benachteiligen. Man darf gespannt sein.
Gegen die Schwachen
Derzeit gibt es rund 24.000 internationale Studierende in Baden-Württemberg, davon stammen laut Birner von der Uni Hohenheim 18.000 aus Entwicklungsländern. Wie sie der Presse sagte, seien die Bewerberzahlen aus den fraglichen Staaten schon jetzt um 30 Prozent eingebrochen. Dabei wies sie auch Bauers Darstellung zurück, die allermeisten Betroffenen kämen aus Ländern, in denen ebenfalls Gebühren erhoben würden. „In China gibt es zwar Gebühren von etwa 550 Euro, allerdings auch sehr weitreichende Ausnahmeregelungen.“ Man solle nicht vergessen, dass China immer noch ein Entwicklungsland sei. Für ihre Mitstreiterin Duppel steht fest: „Hier wird eine Gruppe ins Visier genommen, die keine große Lobby hinter sich hat.“
Die Landesrektorenkonferenz (LRK) Baden-Württemberg heißt den Gebührenbeschluss dagegen gut. Ein kostenpflichtiges Studium sei weltweit der Regelfall und behindere die Internationalisierung der Hochschulen nicht, sagte LRK-Chef Wolfram Ressel. Zudem sei nicht nachvollziehbar, dass die deutschen Steuerzahler die Bildungssysteme anderer Industriestaaten entlasten, die nicht Teil der EU seien und in denen deutsche Studierende Gebühren entrichten müssten.
Protest durch Unimitarbeiter
Widerspruch erntete die Regierung dagegen von Angehörigen der Universität Stuttgart. Sie hatten unmittelbar im Vorfeld der Plenumssitzung in einem Brief und einer von 766 Unterstützern gezeichneten Petition an die Abgeordneten appelliert, gegen die Vorlage zu stimmen. Gebühren stünden in direktem Gegensatz zu den Internationalisierungsbestrebungen der Hochschulen, beanstandeten sie. Sie träfen vor allem weniger wohlhabende Studierende, grenzten eine bestimmte Gruppe aus und markierten einen „bildungspolitischen Rückschlag“.
(rw)