Notwendige Zusatzfinanzen und anhaltende EnttäuschungDie Auseinandersetzung um den Hochschulpakt
Von Torsten Bultmann und Florian Kappeler
Auch mit dem neuen Hochschulpakt findet die Befristung des Personals für Lehre und Forschung an den Hochschulen kein Ende
Hochschulpakt. Natürlich haben die strukturell unterfinanzierten Hochschulen die Mittel dringend nötig. Dabei sollte jedoch nicht unter den Tisch fallen, dass sie ohne grundlegende personalpolitische Strukturreformen den Studien- und Lehrbetrieb auf dem gegenwärtigen Niveau des Mangels lediglich mehr schlecht als recht fortsetzen können – ohne grundlegende Verbesserungen bei ständig wachsenden Studierendenzahlen.
Was wurde nun genau beschlossen? Der Bund stellt von 2021 bis 2023, d.h. nach dem Auslaufen des gegenwärtigen Hochschulpaktes 2020, jährlich 1,88 Milliarden Euro und ab dem Jahr 2024 dauerhaft jährlich 2,05 Milliarden Euro bereit. Die Länder geben zusätzliche Mittel in derselben Höhe, sodass durch den Zukunftsvertrag bis 2023 jährlich rund 3,8 Milliarden Euro und ab 2024 jährlich insgesamt 4,1 Milliarden Euro zur Förderung von Studium und Lehre zur Verfügung stehen werden.
Ab dem Jahre 2021 wird der Pakt in eine dauerhafte Förderung (mit regelmäßiger Evaluation durch den Wissenschaftsrat) übergeleitet. Die Finanzen werden nach bestimmten Parametern an die Hochschulen weitergegeben: 20 Prozent nach der Zahl der Studienanfänger, 60 Prozent für Studierende in der Regelstudienzeit, 20 Prozent für erfolgreiche Studienabschlüsse. Mit diesem Verteilungsschlüssel haben sich die Länder vollständig durchgesetzt, denn das BMBF hatte zuvor gefordert, 25 Prozent der Mittel für die Einrichtung unbefristeter Wissenschaftsstellen auszugeben, eine Forderung, die auch, zumindest grundsätzlich, vom Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), dem Wissenschaftsrat und dem Deutschen Hochschulverband (DHV) unterstützt wurde.
Das hätte ein Signal sein können, dem Befristungsunwesen innerhalb des sog. akademischen Mittelbaus zumindest eine Grenze zu ziehen: 90 Prozent dessen Angehöriger arbeiten mit Fristverträgen, davon die Hälfte mit einer Dauer von einem Jahr und weniger. Das spottet insofern schon jeder Beschreibung als die von solchen Arbeitsbedingungen Betroffenen, denen so jede Lebensplanung und wissenschaftliche Kontinuität unmöglich gemacht wird, mindestens zwei Drittel der gesetzlichen Hochschulaufgaben in Forschung und Lehre stemmen. Von dem Ziel der Entfristung ist lediglich der Vorschlag übriggeblieben, dass die Länder dafür in Absprache mit dem Bund „Selbstverpflichtungen“ eingehen können.1
Die „Frist ist Frust“ – Kampagne
Der letzte Punkt umschreibt vermutlich die am meisten enttäuschten Erwartungen angesichts politischer Forderungen an die Neuauflage des Hochschulpaktes. Aus den bisherigen Paktmitteln finanzierte Stellen wurden seit 2007 automatisch befristet mit der Begründung, dass diese Mittel immer nur zeitlich begrenzt zur Verfügung stünden. Wenn jetzt die Paktmittel in eine dauerhafte Finanzierung übergeleitet werden, fehlt für diese Rechtfertigung jede sachliche Grundlage.
Es ist also möglich, mindestens aus den zusätzlichen Mitteln des neuen Hochschulpaktes ab 2021 Dauerstellen einzurichten. Diese Forderung war Gegenstand einer (auch vom BdWi unterstützen) Kampagne unter dem Label „Frist ist Frust“ auf Initiative des Netzwerkes für Gute Arbeit in der Wissenschaft gemeinsam mit GEW und ver.di. Ein derartiges politisch breites und aktionsorientiertes Bündnis hat es in der Hochschulpolitik schon lange nicht gegeben.
Das Netzwerk wurde im Januar 2017 gegründet, als auf Initiative eines kleineren Zirkels prekär Beschäftigter in Leipzig circa 100 Vertreter*innen von Mittelbauinitiativen zusammenkamen. Solche meist lokalen Gruppen, wie sie seit diesem Zeitpunkt in immer größerer Zahl aufgebaut werden, haben sich mit dem Netzwerk einen bundesweiten Zusammenhang geschaffen, der ein- bis zweimal jährlich auf einem Bundestreffen grundsätzliche Fragen diskutiert. Damit wird auch das langjährige Vakuum des Fehlens einer bundesweiten politischen Repräsentation des akademischen Mittelbaus gefüllt, wie es seit der Selbstauflösung der Bundesassistentenkonferenz (BAK) 1974 besteht.
Ein 15-bis 20-köpfiger Koordinierungskreis vom Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) trifft sich zweimal im Monat in Berlin, baut inzwischen eine Geschäftsstelle auf und kommuniziert untereinander sowie mit den Mitgliedsinitiativen zudem stark über digitale Plattformen. Das Bündnis arbeitet sowohl inhaltlich als auch mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Kampagnen. Inhaltlich im Vordergrund stehen derzeit die Entwicklung personalpolitischer Entfristungsmodelle sowie einer Gegen-Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das im wissenschaftlichen Sektor sachgrundlose Befristungen von zwölf und mehr statt wie EU-Richtlinien entsprechend zwei Jahren erlaubt.
Nach einem Go-in anlässlich der Sitzung der HRK im Herbst 2017 in Potsdam hat das Netzwerk mit GEW und ver.di die längerfristige Kampagne „Frist ist Frust“ initiiert, die im Frühjahr 2019 anlässlich der Verhandlungen über die Verstetigung des Hochschulpaktes mit der Forderung nach einem Entfristungspakt 2019 an die Öffentlichkeit trat.
In einem gut besuchten öffentlichen Hearing am 7. März sowie zwei Kundgebungen vor dem BMBF anlässlich der entscheidenden Treffen der GWK am 5. April und am 2. Mai wurde die verbindliche, d.h. kontrollierte und gegebenenfalls sanktionierte Entfristung sämtlicher aus dem Hochschulpakt finanzierten Stellen gefordert. Diese Forderung ist umso dringlicher angesichts heutiger Tendenzen zur massiven Erhöhung von Lehrdeputaten an Universitäten auf 18 oder gar 24 Semesterwochenstunden (SWS); NGAWiss und GEW fordern stattdessen nicht mehr als acht SWS oder eine Höchstgrenze von vier Stunden in Qualifizierungsphasen wie der Promotion.
Nachdem die GWK trotz des zwischenzeitlichen (partiellen und möglicherweise strategischen) Entgegenkommens des BMBF den Ball nun den Ländern zugespielt hat, wird die Kampagne mit Fokus auf diese weitergeführt werden – und im späteren Verlauf aller Wahrscheinlichkeit nach als Auseinandersetzung an den einzelnen Hochschulen stattfinden. „Frist ist Frust“ wird inzwischen von zahlreichen weiteren Akteuren wie etwa akademischen Fachverbänden oder Personal- und Betriebsrät*innen unterstützt. Eine Petition zur umfassenden Stellenentfristung wurde bislang bereits von 15000 Menschen unterschrieben. Das alles ist Anlass zur Hoffnung, dass in der nächsten Phase der Kampagne noch stärkerer Druck für eine Abkehr von oder zumindest Eindämmung des Befristungsunwesens entfaltet werden kann.
Geschichte und Wirkung der bisherigen Pakte
Die Hochschulpakte laufen seit dem Jahre 2007. Sie mussten alle drei Jahre mühsam neu ausgehandelt und bewilligt werden (ein Alibi für Befristungen). Das von Bund und Ländern anteilig getragene Finanzvolumen bis zum Auslaufen im Jahre 2020 beträgt ca. 40 Mrd. Euro insgesamt. Die Gelder wurden bisher orientiert an den Studienanfängerzahlen verteilt. Die Ursache für all dies war ein angesichts der zuvor im europäischen Vergleich unterdurchschnittlichen Zahl von Hochschulabschlüssen in Deutschland politisch gewollter kurzfristiger (und bis heute anhaltender) drastischer Anstieg der Studierendenzahlen, der durch doppelter Abiturjahrgänge und später der „Aussetzung“ der Wehrpflicht verstärkt wurde.
Da es sich um Steuergelder handelt, hätte man mit dem gleichen Finanzvolumen auch die Grundfinanzierung der Hochschulen mit regelmäßigen Zuwächsen orientiert an den Studierendenzahlen erhöhen können. Seit den 1980er Jahren gilt jedoch deren auslastungsorientierte Flächenfinanzierung entsprechend der neoliberalen Doktrin, wie sie auch in die Finanzierung öffentlicher Aufgaben Einzug gehalten hat, als leistungsindifferent („Tonnenideologie“).
Mit Befristungen und ständigen Neuverhandlungen kam daher ein Moment des „Wettbewerbs“ in die Vorgänge, wie er sich auch in der Tatsache ausdrückt, dass mittlerweile ein Drittel des Gesamtbudgets der Hochschulen jährlich aus Drittmitteln (2015 ca. 7,5 Mrd. Euro) besteht (davon 80 Prozent aus öffentlichen Quellen); eine weitere Ursache des Befristungsunwesens. Daher lässt sich der Übergang zu einer Dauerfinanzierung in den aktuellen Beschlüssen zumindest als Teilerfolg werten.
40 Mrd. Euro klingt zweifellos nach viel. Das Beste, was sich über die bisherigen Hochschulpakte sagen lässt, ist jedoch, dass sie schlechte Studienbedingungen zumindest nicht verschlechtert, sondern stabilisiert haben. Andernfalls hätte ein flächendeckender Numerus Clausus eingeführt werden oder das Studium weiter administrativ verkürzt und verschult, kurz: entwissenschaftlicht, werden müssen.
Ungeachtet dessen hält die Unterfinanzierung weiter an. Wie man dem von GEW-Wissenschaftskonferenz im September 2018 entwickelten Budenheimer Memorandum ausführlich entnehmen kann2, wurden auch mit den bisherigen Paktmitteln die realen durchschnittlichen Studienplatzkosten nicht erreicht: Die Hochschulausgaben pro Studentin und Student sind von rund 7.500 Euro im Jahr 2007 auf rund 6.600 Euro im Jahr 2015 (auch nach Angaben auch des Wissenschaftsrates) zurückgegangen.
Die Betreuungsquote (Studierende im Verhältnis zum wissenschaftlichen Personal) hat sich nicht verbessert, an den Universitäten sogar trotz durch die Paktmittel neu eingestellten Personals (überdurchschnittlich viele davon nicht nach Tarifvertrag und teils auch nach gar nicht oder prekär entlohnten semesterweise vergebenen „Lehraufträgen“!) verschlechtert, wie sich auch einer durch das BMBF selbst in Auftrag gegebenen empirischen Untersuchung über die Wirkung der Pakte entnehmen lässt: 2007 lag diese Quote bei 12,8, 2015 bei 14,13.
Da der gesetzliche Pflichtlehrbetrieb trotz alldem aufrecht erhalten werden muss, liegt die Wirkung solcher Umstände auf der Hand: Arbeitsbelastung und Selbstausbeutung des weisungsabhängigen Hochschulpersonals, d.h. vor allem des akademischen Mittelbaus, steigen – und dies unter immer schlechteren Arbeitsbedingungen.
Historische Ursachen zunehmender Prekarität
Im Jahre 1977 fassten die westdeutschen Ministerpräsidenten, Kultus- und Finanzminister gemeinsam den sog. Öffnungsbeschluss. Dieser beinhaltete, dass die Hochschulen weiter für alle Studierwilligen „offen“ gehalten werden, die Finanzierung und der Stellenbestand aber im Wesentlichen auf dem Niveau von 1975 (im Verhältnis zu den Studierendenzahlen) eingefroren bleiben sollte.4 Seitdem wird die finanzielle Unterausstattung durch unentgeltliche Mehrarbeit, Stellenteilungen und Befristungen „bewirtschaftet“.
Mit der 3. HRG-Novelle 1985 wurden Befristungen dann zum „Normalfall“ wissenschaftlicher Arbeit unterhalb der Professur. Damit scheiterte zugleich – im Grunde bis heute – eine rationale und professionelle Arbeitsteilung, die sich an einer befriedigenden Erfüllung der Aufgaben der Hochschulen orientiert und funktionale, d.h. aufgabenbezogene, Hierarchien durchaus einschließen könnte. In der kapitalistischen Betriebswirtschaft außerhalb der Hochschulen ist diese Arbeitsauffassung üblich (wenn auch mit einem begrenzten renditeorientierten Horizont). Die Hochschulen hingegen sind demgegenüber noch dysfunktional semi-feudal und autoritär verfasst. Die überwältigende Mehrheit der hauptberuflich wissenschaftlich Tätigen – das sind die Nicht-Professoren – werden durch das Hochschulrecht und die vorherrschenden wissenschaftskulturellen Ideologien – schlichter gesagt: durch die "herrschende" Wissenschaftsauffassung – in einen Qualifikanden- und Bewährungs- bzw. Beobachtungsstatus im Rahmen der akademischen Hierarchien versetzt. Dieser Status entspricht einer Beschäftigung auf Widerruf in Form befristeter Arbeitsverträge oder auslaufender Förderungen (Stipendien).
Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Lehrkräfte für besondere Aufgaben oder Senior Lecturers, bislang im unteren einstelligen prozentualen Anteil an wissenschaftlichen Stellen) ermöglicht die einzige gesicherte hauptberufliche wissenschaftliche Beschäftigung auf Lebenszeit der Professorenstand. In dieser Struktur ist es angelegt, dass sich spätestens ab dem Postdoktorand*innenstatus das Motiv, im System zu bleiben bzw. irgendwie eine Professur zu erlangen gegen das Motiv einer rationalen Aufgabenerfüllung verselbständigen kann. Damit ist folglich nicht nur eine "soziale" bzw. arbeitsrechtliche Problematik benannt, diese Struktur hat auch negative wissenschaftliche Konsequenzen.
Auf der subjektiven Ebene führt sie etwa dazu, dass sich ein hoher Aufwand an persönlichen Absicherungsstrategien – um Aufmerksamkeit zu erlangen, um zu bestimmten Netzwerken zu gehören, um Verträge verlängert zu bekommen etc. – mit einer als unbefriedigend empfundenen wissenschaftlichen Eigenarbeit verbindet.5
Grundlegender Reformbedarf im System
Ein gewisser Erneuerungsbedarf dieser Strukturen wird auch von etablierten Kräften wie dem Wissenschaftsrat durchaus anerkannt. Allerdings blieb dieser immer wieder auf eine verkürzte „Modernisierung“ der Professorenlaufbahn (unter Ausklammerung des Gesamtspektrums wissenschaftlicher Arbeit) beschränkt, die dann auch noch inkonsequent gehandhabt wurde: Die selbständige Juniorprofessur etwa, die im Zuge der „rot-grünen“ Dienstrechtsreform ab 2002 als Alternative zur Habilitation, die in einem Subordinationsverhältnis durchgeführt wird, gedacht war, hat sich als Systembaustein nicht durchgesetzt.
Selbst die punktuelle Anschubfinanzierung des Bundes von Juniorprofessuren mit Entfristungsoption (Tenure Track) bleibt an eine sechsjährige Bewährungsphase mit Evaluationen gebunden, woraus eine – im Erfolgsfall – weiterhin lebenszeitlich späte Perspektive auf Festanstellung resultiert, die zudem allein an die Beamtenprofessur gebunden bleibt.
Die Auseinandersetzung um die Neuordnung wissenschaftlicher Tätigkeit – darum geht es im Kern – werden perspektivisch vor allem diejenigen gewinnen, denen es gelingt, die hochschul- und arbeitsrechtlichen Fragen, die in diesem Thema enthalten sind, mit einem politischen Konzept gesellschaftlich sinnvoller bzw. verantwortlicher Wissenschaft zu verbinden.
Das sind folglich keine „kleinen Brötchen“, die hier gebacken werden müssen. Allerdings lassen sich Schritte angeben, die in diese Richtung führen können. Stellenbefristungen müssen künftig etwa einen klaren Sachgrund haben (z.B. Anfertigung einer Dissertation) und dürfen nicht zu Zwecken der Einsparung oder der Disziplinierung im Rahmen von akademischen Hierarchien missbraucht werden. Für Daueraufgaben der Hochschulen sind hingegen entfristete Funktionsstellen einzurichten, die auch eine akademische Laufbahn außerhalb von Professuren ermöglichen.6
Der gemeinsame Nenner künftiger hauptberuflicher akademischer Tätigkeit sollte die Durchsetzung einer reflektierten wissenschaftlichen Arbeitsteilung bei gleichzeitigem Abbau dysfunktionaler Statushierarchien sein. Wissenschaft ist gesellschaftliche Arbeit – und nicht etwa eine individuelle "Schöpfung". Das heißt: wissenschaftliche Ergebnisse kommen wesentlich durch Kooperation zustande.
Dieser Artikel ist eine Vorveröffentlichung und wird Mitte Juni 2019 im Heft Forum Wissenschaft (Heft 2/2019) gedruckt erscheinen, welches vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) herausgegeben wird. Wir danken dem BdWi und den Autoren für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen.
Die grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsfreiheit muss sich daher auch auf wissenschaftliche Institutionen in ihrer Gesamtheit beziehen und kann sich nicht auf das Individualrecht einer privilegierten Gruppe, der Professor*innen, beschränken. Im Zentrum dieser Arbeitsteilung stehen die konkreten Aufgaben etwa in Forschung, Lehre, Beratung, Wissenschaftsmanagement und wissenschaftlichen Dienstleistungen im Interesse einer professionellen Durchführung. In diesem Sinne fordert etwa das NGAWiss die Abschaffung von Habilitation und Lehrstuhlprinzip zugunsten einer längerfristig durchzusetzenden demokratischen Departmentstruktur.7
Damit bewegt sich das NGAWiss politisch auf den Spuren der alten Bundesassistentenkonferenz (BAK), geht über deren Forderungen durch die Orientierung auf einen breiten entfristeten Mittelbau jenseits der Professur – angelehnt an die Personalstrukturen in Schweden oder Großbritannien – hinaus.8.
Trotz aller Enttäuschungen über den neuen Hochschulpakt waren die bisherigen Auseinandersetzungen nicht sinnlos. Die Forderungen von NGAWiss, GEW und ver.di nach gesellschaftlich sinnvollen akademischen Arbeitsbedingungen mit einem unbefristeten Stellensockel – wie in über 90 Prozent der anderen gesellschaftlichen Arbeitsverhältnisse in Deutschland auch – sind in einer wesentlich breiteren Öffentlichkeit als zuvor verankert, um ihnen auch künftig politisch Nachdruck verleihen zu können. Dieser Nachdruck muss sich nun zunächst auf den Alibibeschluss freiwilliger „Selbstverpflichtungen“ der Bundesländer für die Einrichtung unbefristeter Stellen beziehen.
Die Autoren
Torsten Bultmann ist politischer Geschäftsführer des BdWi; Florian Kappeler, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Göttingen und aktiv im Koordinierungskreis des Netzwerkes Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss).
Fußnoten
1 Im Rahmen der GWK-Vereinbarung wurden noch zwei weitere Pakte beschlossen, auf die hier nicht weiter eingegangen wird. Erwähnenswert ist allerdings zumindest der ebenfalls verlängerte Pakt für Forschung und Innovation: Er gilt für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die vier großen Organisationen der außeruniversitären Forschung: Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft und Leibniz-Gemeinschaft. Diesen wird seit 2005 ein automatischer jährlicher Finanzierungszuwachs von drei Prozent garantiert. Darüber hatte sich schon mehrfach der Bundesrechnungshof beschwert, da diese automatisierten Zuwächse bisher mit keinerlei Verwendungsnachweisen verbunden waren und die betreffenden Einrichtungen mittlerweile etwa 1 Mrd. Euro nicht verwendeter Mittel bunkern (vgl. Tagesspiegel 26.6.17). HRK und Wissenschaftsrat fordern seit langem, diese „automatisierten“ Zuwächse in gleicher Höhe auch den öffentlichen Hochschulen zu garantieren (zumal sich das ständige Wachstum der Studierendenzahlen prognostizieren lässt). Daraus wurde allerdings auch diesmal nichts. Garantiert ist lediglich der Zuwachs der durch die DFG verteilten Drittmittel, denen wiederum durch die Förderdauer begrenzte Fristverträge ad infinitum folgen.
2 Vgl. Budenheimer Memorandum der Bildungsgewerkschaft GEW, September 2018
3 Vgl. Untersuchung der Auswirkungen des Hochschulpakts 2020, BMBF, Dezember 2017.
Allerdings ist auch diese Quote ein rein statistischer Wert, der keine vergleichbaren Arbeitsbedingungen abbildet. Als wissenschaftliches Personal werden alle Beschäftigten auf Haushaltsstellen erfasst (einschließlich drittmittelfinanzierte). Je mehr davon über Sonderprogramme wie der Exzellenzinitiative oder über Drittmittel geschaffen werden, umso geringer deren Arbeit etwa in der grundständigen Lehre. DrittmittelforscherInnen sind ganz oder teilweise von der Lehre entbunden, die ca. 6000 zusätzlichen Stellen für DoktorandInnen und PostdoktorandInnen aus dem Exzellenzprogramm sogar komplett. Die Lücken im Lehrbetrieb werden dann überwiegend durch prekär beschäftigte (zumeist scheinselbständige) Lehrbeauftragte geschlossen: Deren Anzahl ist daher nicht zufällig von 66 Tsd. (2007) auf 93 Tsd. (2016) gewachsen (nach: Statistisches Bundesamt), was folglich auch ein Ausdruck der Unterfinanzierung der Hochschulen ist.
4 Vgl. dazu: Torsten Bultmann/Rolf Weitkamp, 1999: Hochschule in der Ökonomie – Zwischen Humboldt und Standort Deutschland (2. überberarb. und erw. Auflg.), Marburg, S.13ff
5 So äußerte sich erst kürzlich ein Angehöriger des akademischen Mittelbaus, der seit 20 Jahren mit Fristverträgen an Hochschulen beschäftigt ist, unter einem Pseudonym im FREITAG (02.05.19): „Die Fokussierung auf die Kurzfristigkeit von Stellen und Projekten führt dazu, dass nur die aggressive Selbstvermarktung zum Erfolg führt: persönliches Renommee wird wichtiger als fundierter Erkenntnisgewinn. Die langfristige Qualität von Forschung und Lehre tritt in den Hintergrund, ebenso der Anspruch von Unabhängigkeit und Kontinuität. Kurz gesagt: Die aktuelle Wissenschaftspolitik und viele Universitätsleitungen untergraben durch falsche Anreize das Fundament der Glaubwürdigkeit, das die akademische Arbeit begründet.“ (vgl. freitag.de: Bahrdt: Professorale Oligarchen, prekärer Mittelbau, 02.05.2019).
6 Damit entfiele das Argument, dass nicht „alle“ Professor werden könnten.
7 Vgl. Forderungen des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft
8 Für die Hochschulreform der 70er Jahre prägend war deren Kreuznacher Konzept (1968), womit die Bundesassistentenkonferenz (BAK) bedeutenden Einfluss auch auf die Hochschulgesetzgebung ausübte. Dieses ging von einer Reform des Gesamtspektrums wissenschaftlicher Arbeit aus und schlug ein radikal vereinfachten Zwei-Stufen-Modell zweier Qualifikationsphasen war. Die Promotionsphase sollte bundeseinheitlich über ein Modell der Graduiertenförderung durch staatliche Finanzierung gewährleistet werden. Die Entscheidung für eine Hochschulkarriere nach der Promotion kennt dann nur zwei ineinander laufende Personalkategorien in Gestalt der Assistenzprofessuren, die auf vollen Stellen (aber befristet) selbständig in Forschung und Lehre tätig sind und mit dieser Tätigkeit gleichzeitig den möglichen Qualifikationsnachweis für die Überleitung in eine Voll-Professur auf Lebenszeit erbringen. Beide Professurtypen waren statusrechtlich gleichgestellt. De facto lief dies in Anlehnung an das US-amerikanische System auf eine Abschaffung des traditionellen "Mittelbaus" hinaus. Es sollte der Grundsatz herrschen: "Wer selbständig forscht und lehrt, ist auch Professor!" Sicher spielte bei einigen auch die subversive Motivation eines Hierarchieabbaus durch Inflationierung des Titels eine Rolle. (Quelle: Privatarchiv Bultmann; eine Onlineversion des Kreuznacher Konzeptes konnte bisher nicht gefunden werden)