Studierendenproteste an deutschen UniversitätenFeuer und Flamme für Bildung
Donnerstag, 5. November 2009: Es rumort an der Freien Universität Berlin. »Bildungsstreik« springt es mir von allen Seiten entgegen. Und tatsächlich ist der Bildungsstreik an der Uni schon sehr präsent. Vor dem Hörsaal 1a sind zwei Zelte aufgebaut. Forderungen wie »Für selbstbestimmtes Lernen«, »Bologna abschaffen« und »Für ein demokratisches Bildungssystem« zieren die zahlreichen Plakate. Studierende sitzen in Stuhlkreisen und diskutieren über mögliche Veränderungen im deutschen Bildungssystem.
Seitdem am 20. Oktober die Studierendenproteste in Österreich begannen, breitet sich in den deutschen Universitäten eine gespannte Stimmung aus.
Samstag, 7. November 2009: Ein kurzfristig angesetzter Demonstrationszug zieht in Berlin von der Humboldt Universität zum Bundesministerium für Bildung und Forschung. »Salzburg, Innsbruck oder Wien – Bildungsstreik auch in Berlin« schallt es immer wieder durch die Straßen. Nur circa 300 Menschen umfasst der Demonstrationszug. Und doch ist sie auch hier spürbar, diese Spannung, dieses »Wann geht es auch hier los?«, dieses »Wann brennt Berlin?«
Mittwoch, 11. November 2009: Ungefähr 600 Studierende haben sich zur Vollversammlung im Raum 1a der Freien Universität eingefunden. Es geht um die Verbesserung der Studienbedingungen an der FU, aber auch um das Beheben von generellen Defiziten im Bildungssystem. In mehreren deutschen Universitäten sind zu diesem Zeitpunkt bereits Hörsäle besetzt: Potsdam, Heidelberg, Greifswald, um nur einige Beispiele zu nennen. Und an diesem Tag fängt auch Berlin zu »brennen« an: Die Vollversammlung endet mit der Besetzung des Hörsaals. Und tatsächlich scheint der 11.11. ein entscheidender Tag für die Bildungsstreik-AktivistInnen zu werden. Auch in der Humboldt Universität, den Universitäten Hamburg, Göttingen, Hildesheim, Würzburg, in der LMU München und zahlreichen weiteren Hochschulen werden Hörsäle besetzt. Seit heute also scheint es nicht mehr vollkommen abwegig, von einem »Flächenbrand« zu sprechen.
Der Autor: Nick Flamang, 1990 in Hamburg geboren, studiert im ersten Semester Nordamerikastudien und Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin.
Zu seiner Schulzeit war er Chefredakteur der Schülerzeitung 'Allees Klar!'. Neben seiner Tätigkeit für 'Studis Online' schreibt er für das studentische Campusmagazin an der FU 'Furios'.
Ich bin nicht unter den BesetzerInnen. Auch, wenn ich viele Forderungen der Bildungsstreik-AktivistInnen unterstütze. Gerade was die Entzerrung von Stundenplänen und besonders die Wahlfreiheit im Studium angeht, sehe ich im Bologna-Prozess einigen Korrekturbedarf. Doch mit einigen Positionen stimme ich schlichtweg nicht überein. So frage ich mich, was nützen Seminare ohne Anwesenheitspflicht? Eine Diskussion zwischen dem Professor und den zwei Studierenden, die sich zufällig in der Uni eingefunden haben, dürfte für die Anwesenden vielleicht sehr ertragreich sein. Aber kann man eine derartige Situation als wünschenswert bezeichnen? Für mich bedeutet Studieren auch Studieren und das heißt nun einmal, dass ich auch zur Uni gehe. Natürlich ist der Nutzen eines Seminars, auf das ich keine Lust habe, aber meinen Schein dafür brauche, gleich null. Aber hier kann die Lösung nur eine Verbesserung der Wahlmöglichkeit und der Seminare selbst sein. Uni bedeutet für mich halt nicht, dass ich arbeite, Party mache und mich zwischendurch, wenn es gerade passt, auch mal in eine Vorlesung setze. Denjenigen, die sich für die Abschaffung der Anwesenheitskontrollen einsetzen, zu unterstellen, sie wären einfach faul, ist natürlich falsch. Schließlich muss es möglich sein, neben dem Studium zu arbeiten oder hochschulpolitisch aktiv zu sein. Seit Bologna ist dies enorm viel schwieriger geworden; an vielen Stellen fehlen Wahlmöglichkeiten und Alternativveranstaltungen; auch gibt es viel zu wenige Masterstudienplätze.
Zahlreichen Studierenden geht es wie mir. Für viele ist der Abschluss in Regelstudienzeit schwierig bis unmöglich, das Arbeitspensum zu hoch und gerade die Aktivität außerhalb des Studiums – von Job über Hochschulpolitik bis hin zu ehrenamtlicher Arbeit – leidet unter den Veränderungen des Hochschulsystems in den letzten Jahren. Mehr Wahlfreiheit, Demokratisierung der Universitäten und eine Entzerrung der Stundenpläne stellen Verbesserungen für alle Studierenden dar. Und genauso sollten alle Studierenden in den aktuellen Diskurs eingebunden werden. Ich werde am Dienstag, den 17. November auf der Straße sein und für eine Reform des Bildungssystems demonstrieren. Und ich wünsche mir, dass das Spektrum der Demonstrierenden so breit wie möglich sein wird. Denn nur wenn er von einer breiten Basis getragen wird, kann der »Flächenbrand« eine solche Tragweite erreichen, dass er auf bildungspolitischer Ebene zu Veränderungen führt. Nötig sind die nämlich in jedem Fall.
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- "Bologna-Konferenz": Klitzekleine Zugeständnisse nach Bildungsstreik (07.07.2009)
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- bildungsstreik.net - bundesweite Seite