Wahlprüfsteine HochschuleWahlen zum Bundestag: Was Bündnis 90/DIE GRÜNEN wollen
Hinweis: Dieser Artikel wurde erst am 7.7.2009 veröffentlicht, Eingangsdatum (und daher auch im Artikel als Datum genannt) der Antwort war aber der 17.6. Wegen eines Versehens war diese Mail leider abhanden gekommen.
Die Große Koalition hat durch die Föderalismusreform 1 und den Versuch, das Hochschulrahmengesetz außer Kraft zu setzen, das Zulassungschaos an den Hochschulen verschärft. Statt sich für eine bundeseinheitliche Lösung einzusetzen, die nachhaltig die Interessen der Studierenden an einem zügigen und eindeutigen Verfahren gewahrt hätte, wollte die Bundesregierung vermeintlich das Interesse der Hochschulen an der Auswahl ihrer Studierenden stärken. In der Praxis zeigt sich nun aber, dass das derzeitige Chaos allen Beteiligten schadet. Die Studierenden verlieren viel Zeit, im schlimmsten Fall ein ganzes Semester. Die Hochschulen haben einen riesigen Verwaltungsaufwand mit den Nachrückverfahren, im schlimmsten Fall bleiben trotzdem wertvolle Studienplätze ungenutzt.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich dafür ein, dass das Problem der Mehrfachbewerbungen und dadurch ungenutzt bleibende Studienplatzkapazitäten bundeseinheitlich gelöst wird. Der Bund muss mit den Ländern einen Staatsvertrag aushandeln, der ein Verfahren für eine effiziente, transparente und gerechte Vergabe aller zulassungsbeschränkten Studienplätze sicherstellt.
Ein umfassendes, komplexes und detailliertes Bundesgesetz, dessen Inhalte im offenen Widerspruch zu Positionen einzelner Länder stehen, bringt keine Lösung. Aufgrund des Abweichungsrechts jedes einzelnen Bundeslands provozieren Bundesgesetze geradezu eine abweichende Landesgesetzgebung. Damit würde genau der hochschulrechtliche Flickenteppich befördert, den es zu verhindern bzw. zu verkleinern gilt. Einzig ein für Bund und Länder verbindlicher Staatsvertrag, der unter den kritischen Augen der Öffentlichkeit ausgehandelt wird, bietet Studienberechtigten und Studierenden eine langfristig verbindliche Mobilitätsgarantie und die Lösung der länderspezifischen Probleme vor Ort.
Gleichzeitig verfolgen wir eine Politik, die die Hochschulen dazu bewegt, die Zahl der zulassungsbeschränkten Studiengänge deutlich zu verringern. Es darf nicht sein, dass Studiengänge über Jahre zulassungsbeschränkt bleiben, obwohl wegen des Chaos nicht einmal alle Plätze besetzt werden können.
2. Die gesicherte Studienfinanzierung ist ein entscheidender Punkt, um Menschen aus allen sozialen und gesellschaftlichen Schichten ein Studium zu ermöglichen. In Deutschland spielen hierfür Unterhaltsrecht und BAföG zusammen, nicht immer optimal. Welche Vorstellungen haben Sie in diesen Bereichen für eine Weiterentwicklung?
Das gegenwärtige BAföG ist unzureichend und ungerecht. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen eine Reform, die den Weg zum Campus verbreitert und allen jungen Menschen eine Chance auf akademische Bildung eröffnet: Ziel ist es, an den Hochschulen unterrepräsentierte Gruppen stärker für ein Studium zu gewinnen und deren Teilhabechancen zu erhöhen.
Das neue grüne Modell kombiniert zwei Säulen: den Studierendenzuschuss (Säule 1) und den Bedarfszuschuss (Säule 2).
Mit Säule 1 erhalten alle Studierenden eine Sockelförderung in gleicher Höhe, unabhängig vom Elterneinkommen. Diese ist mit 200 Euro monatlich als Basisabsicherung geplant. Damit geben wir allen Studienberechtigten einen Anreiz, tatsächlich ein Studium aufzunehmen.
Mit Säule 2 sichern wir eine unerlässliche soziale Komponente: Der neue Bedarfszuschuss ist als Vollzuschuss mit 260 Euro monatlich geplant und muss – anders als das jetzige BAföG – nicht zurückgezahlt werden. Denn es sind ja überwiegend finanzielle Gründe, weshalb in den einkommensarmen und bildungsfernen Familien derzeit die meisten Bildungspotenziale brachliegen. Daher begünstigen wir diese Studierenden hiermit ganz gezielt.
Mit den beiden Säulen könnten Studierende, zuzüglich etwaiger Wohngeldansprüche und Ausgaben für die Krankenversicherung, bis rund 800 Euro im Monat erhalten – also 150 Euro mehr als beim derzeitigen BAföG-Höchstsatz.
Neu an unserem Modell ist auch, dass das Geld direkt bei den Studierenden ankommt. Denn die familienbezogenen Leistungen werden nicht mehr an die Eltern der Studierenden ausgezahlt bzw. steuerlich gutgeschrieben. Stattdessen werden das bisherige Kindergeld sowie steuerliche Freibeträge in den neuen Studierendenzuschuss überführt. Wer heute BAföG bekommt, erhält mit den beiden Säulen künftig eine höhere Fördersumme, die obendrein nicht zurückgezahlt werden muss.
3. Es gibt die Idee, das Schüler-BAföG auszuweiten und insbesondere für SchülerInnen der Oberstufe auch dann eine Förderung zu ermöglichen, wenn sie noch bei ihren Eltern wohnen können. Unterstützen Sie eine solche Ausweitung oder wie sind Ihre Vorstellungen, mehr Menschen aus finanziell schlechter gestellten Familien zu einer Hochschulzugangsberechtigung zu verhelfen?
Die Grünen setzen sich für eine grundsätzliche Reform des BAföGs ein (siehe Frage 2). Das gilt auch für das Schüler-BAföG. Auch hier muss eine gezielte Reform greifen, die es für Jugendliche aus einkommensarmen und bildungsfernen Familien attraktiv macht, die Schule bis zur Hochschulreife zu besuchen. Neben einem Zuschuss zum Lebensunterhalt ist es allerdings für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zentral, dass die Schulen weniger aussortieren und abgrenzen.
Derzeit kommen in Deutschland nur 20 Prozent aller Studierenden aus Haushalten mit geringem Einkommen und geringer Bildung der Eltern. Um dem Anteil dieser Gruppe an ihrer Altersgruppe zu entsprechen, müssten 41 Prozent der Studierenden aus dieser Gruppe kommen (Quelle: 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks). Wir wollen gebundene Ganztagsschulen, in denen die Kinder und Jugendlichen länger gemeinsam lernen und individuell gefördert werden. Nur so bekommen auch Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Familien eine echte Chance, ihre Potenziale zu entwickeln und z.B. an einer Hochschule zu studieren.
Für alle Kinder wollen wir die Grüne Kindergrundsicherung. Nach dem von der grünen Bundestagsfraktion ausgearbeiteten Vorschlag beträgt sie 330 € im Monat pro Kind. Die Kindergrundsicherung wird zu Teilen auf das zu versteuernde Einkommen der Eltern angerechnet und verringert sich, wenn die Eltern sehr gut verdienen. Die Leistung wird bedingungslos, also ohne Bedarfsprüfung ausbezahlt – sie ist somit diskriminierungsfrei und daneben wird auch noch der bürokratische Aufwand merklich reduziert. Verdeckte Kinderarmut wird faktisch abgeschafft. Dort wo zusätzliche, spezifische Bedarfe nicht durch die pauschalierte Leistung Kindergrundsicherung gedeckt werden, besteht weiterhin Anspruch auf zusätzliche Hilfen oder Förderung; vgl. Wohngeld, Mehrbedarf Alleinerziehende, Kinder mit Behinderung u. a.
4. Regelungen zu Studiengebühren sind zwar laut Bundesverfassungsgericht Sache der Länder. Trotzdem kann der Bund natürlich Einfluss nehmen. In welcher Weise sollte er das aus ihrer Sicht tun?
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen in den kommenden fünf Jahren mindestens 500.000 zusätzliche Studienplätze schaffen und so aus dem Hochschulpakt einen echten "Pakt für Studierende" machen. Auch junge Menschen, deren Familien keinen akademischen Hintergrund haben, wollen wir für ein Studium gewinnen. Zugleich wollen wir den Zugang für Nicht-AbiturientInnen und Berufstätige durch bundesweit einheitliche Zulassungskriterien erleichtern. Zusätzliche Hürden schaden hier nur. Daher bleibt es unser Ziel, sämtliche Studiengebühren abzuschaffen beziehungsweise deren Einführung zu verhindern.
In den Ländern setzen sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen Studiengebühren ein, haben sie in Hessen abgeschafft und in Hamburg als kleinerer Koalitionspartner in einem ersten Schritt deutlich abgemildert. Auf Bundesebene haben wir schon einmal versucht, ein Verbot von Studiengebühren durchzusetzen, sind aber an der Kompetenzordnung der Verfassung gescheitert. Durch die Föderalismusreform I der Großen Koalition sind die Handlungsmöglichkeiten nun noch geringer.
Doch selbst die wenigen verbliebenen Möglichkeiten hat die Große Koalition nicht genutzt: Im Herbst 2008 legte die HIS-GmbH eine Studie zur Auswirkung von Studiengebühren vor. Sie zeigte, dass zwischen 6.000 und 18.000 Studienberechtigte des Jahrgangs 2006 aufgrund von Studiengebühren kein Studium aufnehmen wollten. Studienberechtigte, von denen mindestens ein Elternteil ein Studium abgeschlossen hat, lassen sich von Studiengebühren deutlich seltener in ihrer Hochschulwahl beeinflussen als Studienberechtigte anderer sozialer Herkunftsgruppen.
Diese HIS-Untersuchung zur Auswirkung von Studiengebühren von Herbst 2008 wurden von Ministerin Schavan als Befürworterin von Gebühren zurückgehalten und erst auf maßgeblich von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mitorganisierten Druck hin, veröffentlicht und öffentlich diskutiert. Die Ergebnisse der Studie zeigen deutlich, dass die Große Koalition sich bei den Ländern dafür hätte einsetzen müssen, keine Studiengebühren einzuführen bzw. bestehende abzubauen. Auch hätte sie schon 2006 ein Monitoring zur abschreckenden Wirkung des Bezahlstudiums etablieren müssen. Das hat die Bundesregierung abgelehnt mit der Begründung, es sei Länderaufgabe.
Wir setzen uns weiterhin auf Bundesebene dafür ein, dass Bildungsforschung zur Wirkung von Studiengebühren durch den Bund geleistet wird. Je klarer belegt wird, dass Studiengebühren den Zugang zum Studium erschweren und dabei eine zusätzliche sozial selektive Wirkung haben, um so größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Gebühren auch rechtlich auf Dauer keinen Bestand haben werden. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in der einschlägigen Entscheidung darauf hingewiesen, dass Bund und Länder die "Aufgabe zu sozialstaatlicher, auf die Wahrung gleicher Bildungschancen bedachter Regelung" tragen und sie "bei einer Einführung von Studiengebühren den Belangen einkommensschwacher Bevölkerungskreise angemessen Rechnung" zu tragen haben. Dieses Gebot wird derzeit eindeutig verletzt.
5. Ist die Trennung in Fachhochschulen und Universitäten, gerade im Hinblick darauf, dass die inzwischen eingeführten Abschlüsse Bachelor und Master unabhängig von der Hochschulart gleichwertig sein sollen, noch zweckmäßig? Wenn ja, warum; wenn nein, was planen Sie stattdessen?
Gleichwertigkeit setzt keine Gleichartigkeit voraus. Die Unterscheidung zwischen Fachhochschulen und Universitäten macht dann Sinn, wenn sie zu unterschiedlichen Studienangeboten für Studieninteressierte führt. Es geht nicht darum, ein Statusgefälle zwischen verschiedenen Hochschulen zu zementieren. Ein Fachhochschul-BA muss grundsätzlich zum Zugang zu einem Uni-MA berechtigen und umgekehrt. Jede Hochschule sollte ihre Stärken ausbauen, um ein vielfältiges und attraktives Angebot für alle Studieninteressierten zu bieten.
Für beide Hochschultypen gilt aber, dass sie bei der Umstellung auf die Bachelor- und Master-Struktur noch Nachholbedarf haben. Die Betreuung der Studierenden lässt vielerorts noch zu wünschen übrig, die Abbruchquoten sind noch nicht gesunken.
Das Studium muss so reformiert werden, dass es den veränderten, vielfältigen Studienwünschen und –bedürfnissen in einer Gesellschaft Rechnung trägt. Die Mindestanforderung an Modularisierung und Akkreditierung der Studiengänge ist aus unserer Sicht die Sicherung des Hochschulzuganges sowie die Transparenz, Durchlässigkeit und Anerkennung der Studiengänge. Hierfür sind die Beratungs- und Informationsangebote auszuweiten. Der Übergang vom ersten zum zweiten Studienzyklus ist offen und durchlässig für alle Hochschulen zu gestalten.
6. Ohne eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Hochschulen ist gute Lehre nicht möglich. Darüber sind sich eigentlich alle einig. Trotzdem scheint es - egal in welchem Bundesland und unter welcher Regierung - nach wie vor nicht zu einem echten Durchbruch zu kommen. Gelder werden lieber für Leuchtturmprojekte ausgegeben (von denen nur wenige profitieren), die Forschung gestärkt (für Studierende ebenfalls kaum Auswirkungen) und für die Lehre bleibt am Ende vielleicht ein kleiner Preis übrig. Was wollen Sie tun, damit es wirklich zu einer nachhaltigen Verbesserung kommt, sowohl was die bauliche, aber auch personelle Ausstattung angeht? Vor allem auch unter dem Aspekt, dass die Hochschulen heute teilweise schon fast sittenwidrige Löhne zahlen (vor allem bei studentischen Hilfskräften, Honorarprofessuren und vielen wissenschaftlichen Mitarbeitern).
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich seit langem für die Stärkung der Hochschullehre ein. Grundbedingung dafür ist die ausreichende Grundfinanzierung der Hochschulen durch die Länder. Außerdem muss die Aus- und Weiterbildung des wissenschaftlichen Personals stärker auf die Lehre ausgerichtet werden. Der allgemeinen wie der Fachdidaktik muss ein höherer Stellenwert eingeräumt werden. Wichtig ist außerdem, dass die Bewertung der Lehrleistungen durch die Studierenden einen höheren Stellenwert bekommt. Nur durch die Stärkung der Lehre kann die Abbruchrate an den deutschen Hochschulen nachhaltig gesenkt und die Erfolgsquote so gesteigert werden, dass mehr Studienberechtigte an die Hochschulen gehen und dort auch erfolgreich ein Studium absolvieren. Um die Exzellenzinitiative zu einem Gewinn für alle Studierenden zu machen, haben wir uns von Beginn an dafür eingesetzt, dass ein Konzept für gute Lehre eine vierte verbindliche Förderbedingung im Rahmen der Exzellenzinitiative werden muss. Im Rahmen der 2. Förderrunde ab 2011 ist die Lehre nun zwar als Kriterium aufgenommen, allerdings leider nur als weiches Kriterium. Um mehr Bewusstsein für die Bedeutung der Lehre zu schaffen, setzen wir uns weiterhin für übergreifende Hochschul-interne Lehr-Preise ein. Wir fordern v.a. die Hochschulen auf, selbst einen Schwerpunkt bei der Lehre zu setzen. Die Grundfinanzierung der Hochschulen muss einen Betreuungsschlüssel ermöglichen, der genug Lehrkapazitäten finanziert.
Um dies von Bundesseite zu unterstützen, haben wir uns bei den Verhandlungen um den Hochschulpakt 2 für eine deutlich bessere Ausstattung der Studienplätze eingesetzt. Leider haben sich Bund und Länder nun auf eine minimale Steigerung verständigt, die noch nicht einmal den OECD-Durchschnitt bei den Kosten eines Studienplatzes erreicht.
Für uns ist und bleibt Bildung eine öffentliche Aufgabe, die über Steuermittel finanziert werden muss. Die Eigenverantwortung für die Finanzierung der Hochschulen liegt bei der Politik. Jedes Land muss sich klar zu seiner Verantwortung für die Hochschulen bekennen. Nur so werden die Länder der Verantwortung gerecht, die sie durch die Föderalismusreform 1 komplett eigenständig übernommen haben.