Wahlprüfsteine HochschuleWahlen zum Landtag Sachsen: Was BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen
Die Hochschulzulassung ist in der Tat ein hochschulpolitischer Dauerbrenner. Sie beschäftigt Jahr für Jahr hunderttausende Studienbewerber, die sich mit der Freiheit der Studienwahl konfrontiert, in der immer wieder neuen Unübersichtlichkeit hunderter möglicher Studiengänge versuchen zu orientieren; die oft monatelang recherchieren, mit Notenschnitt, Wartezeit und sonstigen Zulassungsfaktoren ihren persönlichen Marktwert taxieren und schließlich seitenlange Bewerbungsformulare für möglichst viele Studiengänge ausfüllen müssen, um überhaupt einen passenden Studienplatz zu ergattern.
Eine Rücknahme der Freiheiten der Hochschulen zugunsten einer einzigen Zwangsinstanz, die Studienplätze zentral vergibt, ist zu Recht nicht durchsetzbar. Die alte Zentralstelle zur Vergabe von Studienplätzen ist eben aus den Vorbehalten gegen dieses Prinzip beerdigt worden. Bis auf die von uns geforderte Festlegung einheitlicher Zugangsvoraussetzungen und Hochschulabschlüsse würde ein Gesetz auf Bundesebene an dem Problem nichts ändern.
Wir unterstützen deshalb die in einem Staatsvertrag zwischen den Ländern beschlossene Einrichtung einer Stiftung für Hochschulzulassung, die bundesweit die Vermittlung von Studienplätzen koordinieren und vereinfachen soll. Neben der Lösung erheblicher technischer Probleme muss dabei gewährleistet werden, dass genügend Hochschulen in das Verfahren integriert werden. Die Länder müssen deshalb über die Zwischenfinanzierung des Bundes hinaus die Teilnahme der Hochschulen garantieren und die anfallenden Kosten übernehmen. Eine funktionierende Service-Agentur kann alle derzeitigen Probleme lösen: Sie ermöglicht es allen Studierenden sich ohne größeren Aufwand auf die für sie interessanten Studiengänge zu bewerben und einen Studienplatz zu erhalten und ermöglicht es, alle Studienplätze zu besetzen. Jenseits dessen ist aber auch klar, dass insgesamt mehr Studienplätze geschaffen werden müssen und deshalb die Aufwendungen für die Hochschulen steigen müssen – in Sachsen und ganz Deutschland.
2. Die gesicherte Studienfinanzierung ist ein entscheidender Punkt, um Menschen aus allen sozialen und gesellschaftlichen Schichten ein Studium zu ermöglichen. In Deutschland spielen hierfür Unterhaltsrecht und BAföG zusammen, nicht immer optimal. Welche Vorstellungen haben Sie in diesen Bereichen für eine Weiterentwicklung?
Das BAföG (BundesAusbildungsförderungsGesetz) ist vor allem für Studentinnen und Studenten aus bildungsfernen, einkommensschwachen Haushalten notwendig, um ein Studium erfolgreich aufnehmen, durchführen und abschließen zu können. Dennoch gibt es viele Probleme: das BAföG ist bürokratisch, wird nur unregelmäßig erhöht und muss als Darlehen zurückgezahlt werden. Viele Studierende fallen zudem durchs Raster und sind auf ihre Eltern angewiesen.
Auch wenn die Bedarfssätze zum 1. Oktober 2008 um 10% gestiegen sind, entspricht diese Erhöhung nicht dem tatsächlichen Anstieg der Lebenshaltungskosten. Der BaföG-Höchstsatz von 643 € liegt weiterhin deutlich unterhalb der Armutsgrenze von 781 € für Alleinlebende. Auch durch das BAföG geförderte Studierende sind so zum Erwerb eines Nebenverdienstes gezwungen. Wir fordern eine Erhöhung der derzeitigen Sätze und Freibeträge um 20%, um eine armutsfeste Förderung von Studierenden im Rahmen des BAföG zu gewährleisten.
Darüber hinaus muss der Kreise der Anspruchsberechtigten ausgeweitet werden. Zukünftig muss das BAföG insbesondere die Förderung von Teilzeitstudierenden ermöglichen, um mehr Studierenden insbesondere die Vereinbarkeit von Studium und Familie zu ermöglichen.
Mit der Umstellung der Studiengänge auf Bachelor- und Master-Abschlüsse ist die Förderung bis zu einem Studienabschluss, der den bisherigen Diplom- und Magisterabschlüssen entspricht, in Frage gestellt. Das BAföG muss klarstellen, dass nicht nur das Erststudium bis zum ersten Bachelor und den konsekutiven Master, sondern auch nicht-konsekutive Masterstudiengänge gefördert werden. Die auch im neuen BAföG aufrechterhaltene Altersgrenze von 30 Lebensjahren für die Förderung entspricht nicht den Erfordernissen des lebenslangen Lernens. Wir wollen diese künstliche Altersgrenze abschaffen und das BAföG für anspruchsberechtigte Empfänger jeden Alters öffnen. Seit der BAföG-Erhöhung im Jahr 2001 hat es sechs Jahre gedauert, bis die Förderbeträge an die allgemeine Preisentwicklung angepasst wurden. Um zukünftig ein weiteres Absinken der Studierendenzahlen infolge sinkender Realförderung durch das BAföG zu vermeiden, müssen die Sätze dauerhaft jährlich an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst werden.
Langfristig wollen wir das in vielerlei Hinsicht bürokratische und ungerechte BAföG durch das Bildungsgeld nach skandinavischem Vorbild ablösen. Diese Bildungsgrundsicherung soll für alle Bildungsteilnehmer eine elternunabhängige und existenzsichernde Unterhaltsfinanzierung gewährleisten - egal ob für Abitur oder Ausbildung, Studium, zweiten Bildungsweg oder Weiterbildung. Das Bildungsgeld soll armutsfest sein und während unterschiedlicher Bildungsphasen innerhalb einer frei einteilbaren Lebensbildungszeit zur Verfügung stehen. Für die Erstausbildung innerhalb der ersten fünf Jahre soll das Bildungsgeld als reiner Zuschuss gewährt werden. Danach wird das Bildungsgeld zu einem steigenden Anteil als Darlehen finanziert. Über das Grundsicherungsniveau hinausgehende Unterhaltsfinanzierungen werden grundsätzlich als Darlehen gewährt.
Zur Gegenfinanzierung des Bildungsgeldes können bisherige Unterhaltsfinanzierungsinstrumente von Kindergeld und BAföG über das Auszubildendenentgelt bis zu diversen Leistungen des Arbeitsamtes herangezogen werden. Die Vorteile des Bildungsgelds liegen auf der Hand: die Wahl des Bildungsweges kann ausschließlich dem Bildungsinteresse folgen, die Bildungsgrundsicherung ist elternunabhängig und sie ermöglicht weitere Bildungsphasen innerhalb des lebenslangen Lernens.
Ein Zwischenschritt hin zur Realisierung dieses Modells stellt das 2-Säulen-Modell der Reform des BAföG der grünen Bundestagsfraktion, das einen elternunabhängigen 200,00-Euro-Zuschuss für alle Studierenden und einen einkommensabhängigen Zuschuss vorsieht.
3. Es gibt die Idee, das Schüler-BAföG auszuweiten und insbesondere für SchülerInnen der Oberstufe auch dann eine Förderung zu ermöglichen, wenn sie noch bei ihren Eltern wohnen können. Unterstützen Sie eine solche Ausweitung oder wie sind Ihre Vorstellungen, mehr Menschen aus finanziell schlechter gestellten Familien zu einer Hochschulzugangsberechtigung zu verhelfen?
Die in der Antwort zu Frage 2 vorgestellte Idee des Bildungsgeldes schließt alle erwachsenen Bildungsteilnehmer ein – dementsprechend wäre auch eine Finanzierung von SchülerInnen der Oberstufe, die bei ihren Eltern wohnen, denkbar. Die Einführung des Bildungsgelds ist die zentrale Strategie, um insbesondere Menschen aus einkommensschwachen Schichten alle Bildungswege zu öffnen. Ein Zwischenschritt dazu wäre die Realisierung des 2-Säulen-Modells zur Reform des BAföG der grünen Bundestagsfraktion, das einen nicht zurückzuzahlenden Vollzuschuss für Studierende aus einkommensschwachen Elternhäusern vorsieht.
4.a) In Ihrem Bundesland gibt es bisher keine allgemeinen Studiengebühren, jedoch Gebühren bei einem Zweitstudium. Wollen Sie daran festhalten oder planen Sie Änderungen? Wenn Sie allgemeine Studiengebühren einführen wollen: Wie genau soll die "soziale Abfederung" aussehen, wie die Zweckbindung?
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnen Studiengebühren für das Erststudium ab, Bachelor und Master-Studiengänge und die Promotion müssen studiengebührenfrei bleiben, sofern sie nicht weiterbildend sind. Deshalb fordern wir die gesetzliche Festschreibung der Studiengebührenfreiheit. Die ohnehin nur geringen und kaum verbreiteten Gebühren für das Zweitstudium halten wir dagegen für vertretbar. b) In Ihrem Bundesland gibt es bisher keine allgemeine Rückmeldegebühren. Soll das so bleiben oder nicht? Wieso?
Auch in Sachsen gibt es Semesterbeiträge, die mit der Rückmeldung gezahlt werden, die jedoch keinen Anteil für den allgemeinen Verwaltungshaushalt vorsehen. Das wollen wir beibehalten, da Rückmeldegebühren im Sinne der Fragestellung letztlich versteckte Studiengebühren wären. Gleichzeitig wollen wir die in den letzten Jahren teilweise verdoppelten Semesterbeiträge senken, indem wir die öffentlichen Zuschüsse für die Studentenwerke erhöhen.
5. Ist die Trennung in Fachhochschulen und Universitäten, gerade im Hinblick darauf, dass die inzwischen eingeführten Abschlüsse Bachelor und Master unabhängig von der Hochschulart gleichwertig sein sollen, noch zweckmäßig? Wenn ja, warum; wenn nein, was planen Sie stattdessen?
Die funktionale Trennung von Fachhochschulen mit stärker Anwendungsorientierung und Universitäten mit stärkerer Grundlagenorientierung ist vom Prinzip her richtig. Daraus darf jedoch keine unterschiedliche Wertigkeit der Abschlüsse erfolgen, wie dies derzeit faktisch noch geschieht. Bachelor und Master, die an beiden Hochschultypen erworben wurden, müssen prinzipiell gleichwertig sein, auch und gerade was weitere wissenschaftliche Qualifikation und die Vergütung im Beruf angeht. Darüber hinaus fordern wir eine Angleichung in den Bereichen Forschung und Promotion. Für einzelne Fachbereiche der Hochschulen wollen wir das Promotionsrecht, nachdem eine wissenschaftliche Kommission eine entsprechende Qualität festgestellt hat.
6. "Autonomie" ist ein Schlagwort der Hochschulreformen der letzten Jahre. "Demokratisierung" der Hochschulen dagegen nur noch selten. Wo legen Sie Ihre Schwerpunkte bei möglichen weiteren Änderungen der Hochschulgesetze Ihres Landes?
Ziel einer demokratisch verfassten Gesellschaft muss es sein, den Zugang zu Wissen und den damit verbundenen Institutionen möglichst offen und damit unabhängig von Herkunft oder Geschlecht zu gestalten. Die Frage der Zugangsgerechtigkeit zur Vermittlung, Produktion und Verteilung von Wissen ist nicht nur, aber auch eine Frage der Organisation von Hochschulen und Hochschulsystem sowie der entsprechenden gesetzlichen Rahmenvorgaben.
Deshalb sprechen wir uns für eine Hochschulreform aus, die Autonomie und Mitbestimmung an sächsischen Hochschulen verbindet und weiterentwickelt. Mit der Ausweitung der Selbstverantwortung der Hochschule müssen deshalb die Beteiligungsstrukturen neu justiert werden. Während in akademischen Fragen der Forschung und Lehre weiterhin die Mehrheit der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer sinnvoll und verfassungsrechtlich geboten ist, müssen in allen anderen Fragen die Mitgliedergruppen der Hochschule gleichberechtigt agieren können. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern deshalb Entscheidungen durch die Viertelparität der Mitgliedergruppen in allen grundsätzlichen Angelegenheiten der Hochschule wie Grundordnung, Haushalt, Stellenplanung und Entwicklungsplanung der Hochschule.
Wir wollen die Kompetenzen des Rektorats in Grundsatzfragen zugunsten eines gestärkten Senats zurücknehmen und ein verkleinertes Konzil wieder einführen, das über Grundordnung und Hochschulleitung bestimmt. Der Hochschulrat soll sich auf eine Beratungsfunktion konzentrieren. Die Kompetenzen der Fakultäten, insbesondere bei organisatorischen Fragen von Forschung und Lehre wollen wir stärken. Über die konkrete Ausgestaltung der eigenen Organisation der Hochschule, etwa die Zusammensetzung der Organe und die Länge der Wahlperioden und Amtszeiten ihrer Mitglieder, soll jede Hochschule in Anpassung an ihre jeweiligen Gegebenheiten in der Grundordnung selbst entscheiden.
Neben der finanziellen Entscheidungsbefugnis ist die Personalhoheit eine weitere Komponente der Hochschulautonomie. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern, dass die Hochschulen nicht nur die Dienstvorgesetzteneigenschaft übertragen bekommen, sondern auch Umfang und Art der Dienstaufgaben ihres Personals eigenständig regeln können. Dabei soll die Dienstvorgesetzteneigenschaft in der Regel bei den Dekaninnen und Dekanen angesiedelt werden, um die Sicherung von Lehre und Forschung wirkungsvoll gewährleisten zu können.
Die Finanzierung der Hochschulen soll durch Zielvereinbarungen und eine Landeshochschulvereinbarung geregelt werden, die beide der Zustimmung des Landtages bedürfen. Um die Gleichberechtigung von Staat und Hochschule zu wahren, soll im Konfliktfall, ähnlich wie bei Tarifverhandlungen, eine Schlichtungskommission vermitteln und im Zweifel über Zielvorgaben entscheiden.
7. Ohne eine ausreichende finanziellen Ausstattung der Hochschulen ist gute Lehre nicht möglich. Darüber sind sich eigentlich alle einig. Trotzdem scheint es - egal in welchem Bundesland und unter welcher Regierung - nach wie vor nicht zu einem echten Durchbruch zu kommen. Gelder werden lieber für Leuchtturmprojekte ausgegeben (von denen nur wenige profitieren), die Forschung gestärkt (für Studierende ebenfalls kaum ohne Auswirkungen) und für die Lehre bleibt am Ende vielleicht ein kleiner Preis übrig. Was wollen Sie tun, damit es wirklich zu einer nachhaltigen Verbesserung kommt, sowohl was die bauliche, aber auch personelle Ausstattung angeht? Vor allem auch unter dem Aspekt, dass die Hochschulen heute teilweise schon fast sittenwidrige Löhne zahlen (vor allem bei studentischen Hilfskräften, Honorarprofessuren und vielen wissenschaftlichen Mitarbeitern).
Eine der wesentlichen Ursachen für die Unterfinanzierung der Hochschulen liegt in der Länderkompetenz für die Hochschulen. Die derzeitige Situation führt dazu, dass Länder nur wenig Interesse daran haben können, Studienplatzkapazitäten auszubauen. Stattdessen stecken Länder wie Baden-Württemberg ihre Mittel eher in die Forschung statt in Studienplätze. Demgegenüber sind Länder wie Berlin gezwungen, hohe Überkapazitäten abzubauen. Ein Wettlauf nach unten, der seit Jahren anhält. Deshalb fordern wir einen Hochschullastenausgleich (Prinzip: Geld folgt Studierenden) nach dem Vorbild der Schweiz, in der seit 1997 das Modell der Studienplatzfinanzierung erfolgreich praktiziert wird. Hierzu müssten – anders als beim derzeit laufenden Hochschulpakt – die vollen fächerspezifischen Kosten der Studienplätze finanziert werden. Darüber hinaus ist auch klar, das die Gesamtaufwendungen für Hochschulen steigen müssen – für diese politische Prioritätensetzung haben wir uns in den vergangenen Haushaltsverhandlungen immer wieder eingesetzt.
Höhere Gesamtaufwendungen für Hochschulen müssen dabei auch zu einer fairen Vergütung wissenschaftlich Beschäftigter führen. Wir fordern die Einbindung studentischer Hilfskräfte in einen Wissenschaftstarifvertrag mit einer Vergütung von 11 Euro/h und die Vergütung der Vor- und Nachbereitung von Lehrbeauftragten.