Zur föderalen Ordnung des Bildungssystems in DeutschlandReiche Bundesländer als Trittbrettfahrer?
Dieser Artikel erschien zuerst in Forum Recht (Heft 1/2009). Wir danken dem Herausgeber Forum Recht e.V. und dem Autoren für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen. |
Die beste Datenquelle, um Bildungsausgaben über einen längeren Zeitraum zu vergleichen, dürften die Daten der inzwischen der Föderalismusreform zum Opfer gefallenen Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung sein. Berechnet man mit den ausgewiesenen Grundmitteln die Bildungsausgaben in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) je eine Million Studierender bzw. SchülerInnen, d.h. es wird sowohl die ökonomische als auch die demografische Entwicklung berücksichtigt, dann wird ein starker Rückgang deutlich. Um heute die Werte des Jahres 1975 zu erreichen müssten jährlich 36,3 Mrd. € mehr für die Hochschulen ausgegeben werden – das entspricht einer Verdreifachung der öffentlichen Ausgaben! Ursächlich sind hier einerseits die rückläufigen öffentlichen Bildungsausgaben, andererseits die gestiegenen Studierendenzahlen. An den allgemeinbildenden Schulen müssten die Ausgaben ›nur‹ um 19,9 Mrd. € jährlich erhöht werden – es gab keinen ›SchülerInnenberg‹ – was einer Steigerung um 40 % entspräche.
Zieht man an Stelle der langfristigen Entwicklung einen Querschnittsvergleich heran, dann sieht es ebenfalls nicht gut aus: Laut Organisation of Economic Co-Operation and Development (OECD) liegt Deutschland auf dem 21. Platz der untersuchten 29 Staaten – und gibt mit 4,6 % des BIP deutlich weniger öffentlich für Bildung aus als der OECD-Schnitt (5,2%). Spitzenreiter ist Dänemark mit 8,4 % des BIP.
Die Erkenntnis, dass die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland ungenügend sind, ist inzwischen eine allgemein anerkannte Tatsache – hierzu hätte es keines Bildungsgipfels bedurft. In der öffentlichen Debatte gibt es einen Streit über die Aufteilung der Kosten zwischen der öffentlichen Hand und den privaten Haushalten – dass das System unterfinanziert ist wird in der Regel nicht bestritten. Da Bildung zudem eine hohe öffentliche Reputation genießt, sind die Voraussetzungen für die politische Durchsetzbarkeit höherer Bildungsausgaben denkbar günstig. Selbst Mainstream-ÖkonomInnen rechtfertigen höhere öffentliche Ausgaben für Bildung. Sie gehen davon aus, dass ›Bildungsinvestitionen‹ eine ›Rendite‹ (höhere Produktivität) abwerfen und sich daher ›lohnen‹. Der ›Bildungsgipfel‹ hat aber erneut deutlich gemacht, dass es dennoch nicht gelingt, verbindlich höhere Bildungsausgaben festzulegen.
Geringe Bildungsausgaben sind rational
Das Wissen um die Wichtigkeit der Bildung führt nicht zu Mehrausgaben. Hierfür gibt es zahlreiche Gründe wie etwa die Ideologie des ›schlanken Staates‹. Rational ist es jedoch, sich als ›Trittbrettfahrer‹ zu verhalten. Bundesländer mit einem funktionierenden Arbeitsmarkt verlassen sich darauf, dass andere Bundesländer ausreichend ausbilden, und holen sich diese ausgebildeten Arbeitskräfte dann mit hohen Löhnen ins Land. Die Option, weniger auszubilden als es anteilsmäßig gesellschaftlich statthaft wäre, kann also rational sein:
Wenn es billiger ist, AkademikerInnen zu ›importieren‹, dann macht es aus Sicht der FinanzministerInnen Sinn, im eigenen Bundesland keine oder zu wenige weiterführende Schul- und Studienplätze bereitzustellen. Dieses Phänomen ist lange bekannt und führt bspw. im Ausbildungsbereich regelmäßig zur Debatte um eine Ausbildungsplatzumlage. In letzter Konsequenz können die Spillover-Effekte der Bildung – der Nutzen der Bildung muss nicht da anfallen, wo die Bildungseinrichtungen bereitgestellt werden – dazu führen, dass die Kosten und der Nutzen der Bildung auseinanderfallen – mit fatalen Konsequenzen. Handeln mehrere (oder alle) Bundesländer nach dieser individuell rationalen Option, bestärkt dies den Mangel an Studien- und Ausbildungsplätzen in Deutschland massiv.
Zumindest innerhalb Deutschlands kann bei hochqualifizierten Arbeitskräften eine gewisse Mobilität unterstellt werden. Sie werden – ob freiwillig oder durch die verschärfte Arbeitsmarktsituation und ›Hartz IV‹ gezwungen – nach dem Studium dorthin gehen, wo sie einen Arbeitsplatz erhalten. Gesuchte Fachkräfte werden dorthin gehen, wo sie hohe Löhne erzielen können, wobei auch andere Faktoren wie soziale Beziehungen eine entscheidende Rolle spielen. Hohe Löhne werden jedoch traditionell nur in bestimmten Ballungs- bzw. relativen Boomregionen bezahlt, aktuell in Deutschland vor allem im Süden und in Hamburg. Andererseits versuchen nachrückende Länder gerade auch durch vereinzelte Bildungsinvestitionen ökonomisch aufzuholen, müssen ›ihre‹ AkademikerInnen dann aber ziehen lassen.
Bayern als Profiteur des innerdeutschen Brain Drain?
Tatsächlich lässt sich feststellen, dass der Anteil der SchülerInnen, die eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben, in Bayern besonders niedrig ist. Bei den StudienanfängerInnen liegt Bayern im unteren Mittelfeld. Da Bayern wirtschaftlich vergleichsweise erfolgreich ist, liegt der Verdacht Nahe, dass sich hier auf einen innerdeutschen ›Brain Drain‹ verlassen wird. Anhaltspunkte hierfür gibt es, wenngleich Statistiken über den Verbleib der AkademikerInnen kaum vorhanden sind.
Das Phänomen des Trittbrettfahrens ist durch die Föderalismusreform I verschärft worden, da die Zuständigkeit der Länder weiter gestärkt wurde. Damit geht Deutschland international betrachtet einen Sonderweg, da andere föderale Staaten entweder Ausgleichssysteme oder zentralstaatliche Regelungen vorsehen. Demgegenüber hält Deutschland an einem System fest, das auf Bildungsverhinderung, und nicht auf Bildungsermöglichung ausgelegt ist. Der ›Bildungsgipfel‹ ist hier der jüngste von zahlreichen Belegen.
Schadensbegrenzung durch Föderalismusreform II?
Nachdem der »Bildungsgipfel« in Dresden erstaunlich offen gescheitert ist, bleibt die Föderalismusreform II als Möglichkeit, Fehlentwicklungen bei der Bildungsfinanzierung zu korrigieren. Voraussetzung hierfür ist die Bereitschaft, ein System der Bildungsermöglichung zu schaffen. Daher ist es notwendig, sowohl die Bildungsausgaben als auch die Bildungsbeteiligung bundesweit festzulegen. Ländern, die ihren Anforderungen nicht nachkommen, müssen Sanktionen drohen. Dazu müssen verbindliche Quoten beim Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung, des Studienbeginns und des Studienabschlusses sowie qualitative Mindeststandards festgelegt werden. Wie diese Ziele erreicht werden bleibt im Rahmen der föderalen Struktur Sache der Länder. Sie können dann jedenfalls das gegliederte Schulsystem ebenso wenig wie Studiengebühren zu Abschreckung einsetzen, da zu geringe Bildungsquoten Ausgleichszahlungen nach sich zögen. Das Abschrecken oder Selektieren durch Schulsystem und Studiengebühren würde daher zumindest die fiskalische Attraktivität verlieren.
Bei den Bildungsausgaben sind die Anzahl der BildungsteilehmerInnen und die Wirtschaftskraft des Landes zu beachten. Es empfiehlt sich hier die Indexierung der Bildungsausgaben je SchülerIn bzw. StudentIn in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Zudem ist eine zentrale Planung bei den Studienfächern in vielen Punkten unerlässlich. Es darf nicht zu einem nachfragegestützten Wettbewerb mit allen Konsequenzen – stark nachgefragte Massenfächer werden attraktiv, Lehrkräfte werden prekärer beschäftigt usw. – kommen, sondern es geht um die Durchsetzung des Rechts auf Bildung. Hierbei sollen eben nicht nur große Standorte profitieren, sondern die regionalökonomische Bedeutung von Hochschulen ist anzuerkennen.
Mit der Föderalismusreform I wurden Mischfinanzierungstatbestände (Bund und Länder) nach Art 91b Grundgesetz (GG) abgebaut und die Kompetenzen des Bundes bei den Finanzhilfen für Investitionen in Art 104b beschränkt. In Art. 91b ist die gemeinsame Bildungsplanung gestrichen und durch ein unverbindliches Berichtswesen ersetzt worden. Weit schwerwiegendere Auswirkungen hat die Änderung von Art 104b: Finanzhilfen für Investitionen sind demnach für Bereiche, die in ausschließlicher Gesetzgebungskompetenz der Länder liegen, nicht mehr möglich. Das bedeutet, dass Programme wie das »Ganztagsschulprogramm« nicht mehr fortgesetzt werden können. Es muss dem Bund daher im Zuge der Föderalismusreform II (wieder) ermöglicht werden, selbst auch finanziell tätig zu werden. Insbesondere die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Integration sogenannter bildungsferner Schichten ist zentral zu unterstützen. Hier muss sich der Bund an Sonderprogrammen für Schwerpunktkindergärten und Schulen ebenso beteiligen können wie bei Versuchen zur Öffnung des Systems insgesamt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die föderale Ordnung in der derzeitigen Form ein Hindernis für die Umsetzung eines umfassenden Bildungsrechtes ist. Dabei handeln die Länder auch noch rational, wenn sie das Bildungssystem ihres Landes einschränken. Es ist daher zwingend notwendig, die Anreize zur Bildungsverhinderung abzuschaffen. Rational muss es sein Bildung zu ermöglichen.
Der Autor
Klemens Himpele lebt und arbeitet in Wien.