Gebührenbefürworter interpretieren alles andersAuswirkungen von Studiengebühren
Beim Thema Studiengebühren werden Debatten immer besonders emotional. Sowohl Befürworter wie Gegner versuchen fast jede Studie dazu zu ihren Gunsten zu nutzen. Aktuell geht es um zwei Studien, die das Hochschul Informations System (HIS) im Auftrag des Bundesbilungsministeriums (BMBF) erstellt hatte und in denen es ausschließlich oder zu einem Teil um eben das Thema Studiengebühren ging.
Die erste Studie mit dem Titel "Studiengebühren aus der Sicht von Studienberechtigten" (Download beim HIS möglich) lag offenbar schon länger vor (Untersuchungszeitraum war im wesentlichen das Wintersemester 2006/2007), die zweite "Studienanfänger im Wintersemester 2007/08" mit einem Kapitel zu Studiengebühren (Download ebenfalls beim HIS möglich) erst seit kurzem. Obwohl also zumindest die erste Studie fertig war, hatte das BMBF die Veröffentlichung zurückgehalten. Argumentiert wurde damit, dass nur die "Gesamtschau" sinnvolle Interpretationen zuließe (wir berichteten).
Das kann man durchaus bezweifeln, denn letztlich geht es zwar bei beiden Studien (auch) um Studiengebühren, es werden aber unterschiedliche Gruppen befragt (in der ersten Studie Studienberechtigte, in der zweiten StudienanfängerInnen). Da die Befragungen unabhängig voneinander durchgeführt wurden, kann auch nicht nachvollzogen werden, was aus den in der ersten Studie Befragten geworden ist, ob sie also bspw. tatsächlich ihr Vorhaben, zu studieren (oder eben nicht) verwirklicht haben. Bei der zweiten Studie können prinzipbedingt diejenigen, die – warum auch immer – kein Studium begonnen haben, nicht mehr erreicht werden. Kurz: Die Studien haben zwar Überschneidungen, aber lassen so oder so blinde Flecken übrig.
Sprachregelungen – 18.000 vs. 3,6%
Das Zurückhalten der Studien hatte das BMBF jedenfalls in die Defensive gedrängt, denn es drangen doch einige Zahlen in die Öffentlichkeit und diese waren für Studiengebührenbefürworter unangenehm. Demnach (und das lässt sich auch in der nun veröffentlichten Studie nachlesen) sind Studiengebühren für ca. 18.000 Studienberechtigte ein Hinderungsgrund, ein Studium aufzunehmen. Wobei ein Drittel davon (6.000) wegen der Studiengebühren ganz auf ein Studium verzichten will, der größere Teil (9.000) will zunächst nicht studieren, schließt es für die Zukunft aber nicht aus. 3.000 schließlich waren noch unsicher, ob sie das Studium wegen der Studiengebühren sein lassen oder es doch wagen. Da Bundesbildungsministerin Schavan Studiengebühren befürwortet, wundert es nicht, dass in der Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Studie versucht wird, das insgesamt als vernachlässigenswert darzustellen.
Statt die Zahl 18.000 überhaupt zu nennen, wird lieber von 3,6% der Studienberechtigten gesprochen. Das hört sich tatsächlich harmloser an. Zusätzlich wären Studiengebühren erst auf Platz fünf der Gründe, die Studienberechtigte als Gründe für einen Studienverzicht angeben. Immerhin wird noch zugegeben, "Frauen und Studienberechtigte aus hochschulfernen Elternhäusern reagieren sensibler auf Studiengebühren als andere Gruppen".
Der studentische Dachverband fzs merkt dazu mit Recht an, dass diejenigen, die Studiengebühren als Verzichtsgrund angeben, wohl eher überhaupt als Studierende gewonnen werden könnten (und dass mehr Menschen studieren sollen, darüber sind sich angeblich alle einig), als diejenigen, die ein Studium schon grundsätzlich für sich ausschließen, weil sie z.B. eher "etwas praktisches" machen wollen.
"Aus sozialen Gründen darf niemand vom Studium abgehalten werden"
Schavan wiederholt in der aktuellen Pressemitteilung das Mantra (was an sich richtig ist), dass niemand aus sozialen Gründen vom Studium abgehalten werden darf. Genau das scheint aber durch Studiengebühren zumindest teilweise zu passieren, denn beide Studien zeigen ja, dass gerade Menschen aus hochschulfernen (was meist auch eher finanzschwache Haushalte sind) Elternhäusern von Studiengebühren stärker negativ beeinflusst werden.
Darauf geht Schavan aber gar nicht mehr ein, sondern spricht lieber davon, dass die Studierenden für Studiengebühren auch mehr Qualität an ihren Hochschul erwarten und dass das ihr gutes Recht sei. Nur hat gerade das Bundesbildungsministerium darauf keinerlei Einfluss, da alles rund um Studiengebühren Ländersache ist. Sie kann leicht schön klingende Forderungen aufstellen, um ihre Erfüllung muss sie sich nicht kümmern.
Über 10% der StudienanfängerInnen werden durch Studiengebühren beeinträchtigt
Die zweite Studie, die die Lage der Studienanfänger im Wintersemester 2007/2008 untersuchte, zeigt übrigens auch, dass die Auswirkung von Studiengebühren gar nicht so klein ist. Denn hier sind ja diejenigen, die erst gar nicht ein Studium begonnen haben, nicht mehr dabei. Trotzdem sind (in Bundesländern mit Studiengebühren) nach der realen Erfahrung mit Studiengebühren offenbar 2% geneigt, ihr Studium abzubrechen, 3% wollen in ein gebührenfreies Land wechseln und weitere 8% hoffen, ihre durch die Studiengebühren erschwerte finanzielle Lage noch in den Griff zu bekommen.
Insgesamt sind diese Zahlen ebenfalls nicht positiv für Studiengebührenbefürworter. Denn nimmt man die oben genannte Aussage "Aus sozialen Gründen darf niemand vom Studium abgehalten werden" (Hervorhebung durch den Verfasser) wirklich ernst, so ist jedes Prozent ein Prozent zu viel.
Mehr Stipendien keine Lösung
Diejenigen, die mit guten Schulnoten und positiven Einschätzungen der Berufsaussichten ins Studium starten, lassen sich von Studiengebühren wenig beeinflussen, ist ein weiteres Ergebnis der Studien. Die gern wiederholte Forderung nach mehr Stipendien (aktuell wieder vor allem durch den Wissenschaftsminister aus Nordrhein-Westfalen) ist somit wahrscheinlich keine Lösung, um mehr Menschen zum Studium zu bewegen. Denn zu einem Großteil würde man damit Menschen fördern, die sowieso studieren würden. Diejenigen, die aber eben nicht ganz so gute Noten in der Schule hatten (aber nichts desto trotz studierfähig wären), erreicht man damit in der Regel nicht.
Statt also wie so oft Subventionen auszuschütten für diejenigen, die sie gar nicht unbedingt brauchen, sollte zusätzliches Geld lieber für ein Ausbau des BAföGs genutzt werden. Wollte man einen wirklich großen Wurf machen, wäre eher zu überlegen, wie man die teilweise unbewusst versickernden Transfers in die Familien (Steuerfreibeträge, Kindergeld) von Studierenden dazu nutzt, wie in den Ländern Skandinaviens in einer elternunabhängigen Studienförderung (Leitbild: Studierende sind eigenverantwortliche BürgerInnen und nicht mehr von ihrer Familie "abhängig") zu verwenden.
Quellen und weitere Stimmen zum Thema
- HIS-Studie "Studiengebühren aus der Sicht von Studienberechtigten"
- HIS-Studie "Studienanfänger im Wintersemester 2007/08" (mit Unterkapitel zum Thema Studiengebühren)
- Studierende erwarten Qualität fürs Geld (Pressemitteilung des BMBF zu den beiden Studien, 31.10.2008)
- Studiengebühren schrecken neben weiteren finanziellen Barrieren vom Studium ab (Pressemitteilung des fzs, 31.10.2008)
- Studiengebühren: Schavan gibt Studie endlich frei und ignoriert weiter deren Ergebnisse (Pressemitteilung von SPD-Bundestagsabgeordneten, 31.10.2008)
- Schavan rückt Studiengebühren-Studie heraus und beschönigt Ergebnis (Pressemitteilung von Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion, 31.10.2008)
- Studiengebühren schrecken ab (Pressemitteilung von Nele Hirsch, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, 31.10.2008)
- Auswirkungen von Studiengebühren "nicht beträchtlich"? (Artikel bei Studis Online zu den ersten aus den Studien nach außen gedrungenen Zahlen, bevor sie offiziell veröffentlicht waren; 21.10.2008)