Wahlprüfsteine HochschuleLandtagswahl Hessen: Was Bündnis 90/DIE GRÜNEN wollen
Durch die Unterfinanzierung der Hochschulen ist sehr verständlich, dass sich Hochschulen um Geld aus der freien Wirtschaft bemühen. Wir halten eine Zunahme von Spenden und Drittmitteln auch für durchaus erstrebenswert. Allerdings darf die Finanzierung durch Unternehmen keinerlei Einflussnahme auf die Inhalte von Forschung und Lehre haben, da dies die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit gefährden würde. Wir sehen hier nämlich tatsächlich in der Wissenschaftspolitik der Hessischen Landesregierung Tendenzen, die wir für sehr bedenklich halten. So haben wir u.a. wegen der möglichen Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit gegen die Privatisierung des Uniklinikums Gießen und Marburg gekämpft. Auch bei der Umwandlung der Uni Frankfurt in eine Stiftungsuniversität haben wir auf eine mögliche Einflussnahme der Stifter auf die Forschungsfreiheit hingewiesen.
Dennoch halten wir eine Praxisnähe der Hochschulen und eine engere Zusammenarbeit für sehr wünschenswert. Unser Rezept lautet hier: Mehr Autonomie für die Hochschulen geht nur in Verbindung mit mehr Demokratie. Wir versprechen uns von der Mitbestimmung aller an den Hochschulen ein ausgewogenes Austarieren der verschiedenen, teilweise widerstreitenden Interessen.
2. Brauchen wir weiter eine Trennung in Fachhochschulen und Universitäten, gerade im Hinblick darauf, dass Bachelor und Master gleichwertig sein sollen, egal wo studiert wurde?
Wir gehen davon aus, dass sich die Grenzen zwischen Fachhochschulen und Universitäten in den nächsten Jahren immer weiter verwischen und sich in ein paar Jahren oder Jahrzehnten historisch überholt haben werden.
3. Nach wie vor kommt es zu vielen Studienabbrüchen oder längeren Orientierungsphasen nach Abschluss des Studiums. Wie kann die Beratung von (zukünftigen) Studierenden, aber auch von Absolventinnen und Absolventen verbessert werden?
Wir halten es für nötig, die Veränderung der Studienstruktur für eine umfassende Studienreform zu nutzen und nicht nur alte Strukturen mit dem neuen Etikett Bachelor oder Master zu versehen. Eine verbesserte Einführungsphase, mehr Betreuung und Beratung sowie mehr Praxisorientierung sind Bausteine unseres Konzepts, um Studierenden die Orientierung zu erleichtern und ein erfolgreiches Studium zu ermöglichen. Hochschulen sollen in Zukunft einen wachsenden Anteil ihrer Studierenden selbst auswählen. Dazu müssen sie Auswahlverfahren entwickeln, die transparent und objektivierbar sind. Wenn gewährleistet ist, dass Zugangskriterien keine diskriminierenden Faktoren enthalten, sind Auswahlverfahren ein Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit, weil nicht mehr nur die Abiturnote, sondern auch praktische Erfahrung, gesellschaftliches Engagement oder andere besondere Potenziale und Talente in die Bewertung eingehen. Durch finanzielle Anreize aus den Innovationsbudgets werden wir die Hochschulen zu solchen Reformen ermuntern. Wichtig ist es auch, im Vorfeld die potenziellen Studierenden anzusprechen. Daher muss die Kooperation mit Schulen und Berufsberaterinnen und -beratern weiter ausgebaut werden. Bei Veranstaltungen und Messen, die der Berufsorientierung dienen, müssen die Hochschulen Präsenz zeigen. Informationen über das Studienangebot der hessischen Hochschulen müssen transparent und leicht zugänglich sein, u.a. im Internet.
4. Der Umbau der Studiengänge in Richtung Bachelor/Master hat zu vielen Irritationen geführt. So ist z.B. der Anteil derer, die ein Auslandssemester einplanen, in Bachelor-Studiengängen im Vergleich zum Diplom zurückgegangen - obwohl doch ein erklärtes Ziel der Reform mehr Internationalität und Mobilität ist. Auch ist noch offen, wie viele Studierende nach dem Bachelor einen Master anstreben werden. Inwieweit wollen Sie hier eingreifen - und dazu bundesweite oder auch europaweite Initiativen ergreifen?
Wir halten die Umstellung auf Bachelor- und Masterabschlüsse und auch den gesamten Bolognaprozess zum einen für richtig und zum anderen ohnehin für unumkehrbar. Allerdings finden wir, dass im Rahmen der Umstellung an den Hochschulen einiges falsch gelaufen ist. So ist in einigen Studiengängen noch nicht einmal mehr der unkomplizierte Hochschulwechsel innerhalb Hessens möglich. Das ist absurd und konterkariert den Bolognaprozess. Wir wollen im Gegensatz zur jetzigen Landesregierung nicht die Umstellung fordern, die Hochschulen aber dann mit den Problemen alleine lassen. Wir wollen an den Hochschulen Bachelor- und Masterbeauftragte installieren, die sich um die Probleme bei der Umstellung kümmern.
Der Bachelor soll als erster wissenschaftlicher Abschluss sowohl den Berufseinstieg als auch ein weiterführendes wissenschaftliches Studium ermöglichen und er muss zudem grundsätzlich den Übergang zur Aufnahme eines Masterstudienganges ermöglichen. Beim Zugang zu konsekutiven Masterstudiengängen dürfen keine rein quantitativen Zulassungsbeschränkungen in Form fester Übergangsquoten aufgestellt werden und Zugangshürden sollten soweit wie möglich minimiert werden. Es darf auf keinen Fall weniger Absolventinnen und Absolventen mit Masterabschluss geben als es zuvor Diplom- oder Magisterabschlüsse gab. Die Anschlussfähigkeit vom Master- an den Bachelor-Studiengang muss also in ausreichender Zahl gewährleistet werden. Bei reinen Quotenvorgaben von 25% oder 33% bestünde die Gefahr, dass zu wenige Möglichkeiten zur Anschlussqualifikation bestehen. So würden Zugangswege verbaut und der Mangel an gut ausgebildeten jungen Menschen sehenden Auges vergrößert.
Zusätzlich treten auch Defizite auf, die nicht auf der Umstellung der Studienabschlüsse beruhen, sondern die Folgen von Fehlern sind, die mit dem Reformprozess nur kaschiert werden sollen. So verschwinden bei der Umstellung ganze Studiengänge. Der Bologna-Prozess wird von Ländern bzw. Hochschulen dazu genutzt, das Studienangebot zu verringern, um bestehende Sparzwänge umzusetzen. Auch die Übergangsquoten, die manche Länder oder Hochschulen für die Aufnahmen eines Master- Studiums ansetzen, werden zwar im Rahmen des Bologna-Prozesses gesetzt, sind aber allein in Sparwünschen begründet. Die Vereinbarungen der Länder zur Bologna-Umsetzung setzen allein qualitative Hürden für den Master-Zugang, keine quantitativen.
Ein weiteres Problem ist, dass junge Frauen noch immer die Tendenz zeigen, bei gleicher oder gar besserer Voraussetzung einen niedrigeren Qualifikationsabschluss anzustreben als Männer. Beim Übergang vom Bachelor- zum Master-Studiengang gibt es nun erste Anzeichen dafür, dass sich auch hier ein Qualifizierungsabschnitt herausbildet, an dessen Ende die Zahl der Frauen, die den nächsten Schritt gehen, abnimmt. Während 46,4% der Studierenden mit dem Abschlussziel Bachelor weiblich sind, sind es beim Master-Abschluss nur noch 40%. Sollte sich hier eine neue Hürde für Frauen herausbilden, so wäre das nicht nur eine zusätzliche Verletzung der Geschlechtergerechtigkeit im Bereich der Wissenschaft, sondern auch ein großer Verlust für Wissenschaft und Wirtschaft, die auf gut qualifizierte Frauen angewiesen sind. Dieser Tendenz wollen wir mit speziellen Anreizen zur Frauenförderung für die Hochschulen entgegenwirken.
5. Halten Sie am BAföG fest, welche Verbesserungen können Sie sich dabei vorstellen bzw. welche Alternative schwebt Ihrer Partei vor? :Oder sehen Sie die Zukunft eher in Studienkrediten? Warum?
Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ist eine tragende Säule der individuellen Bildungsfinanzierung junger Erwachsener. In den letzten 35 Jahren hat es die Chancengerechtigkeit im Bildungssystem entscheidend verbessert. Dabei war und ist das BAföG ein Mittel, um bildungsfernen Schichten den Zugang zu Hochschulreife und Hochschulstudium zu ermöglichen. Ohne diese Form der Bildungsfinanzierung wäre die soziale Selektion im Bildungssystem und beim Hochschulzugang noch gravierender. Gerade für junge Menschen aus einkommensschwachen Familien ist eine umfangreiche Lebensunterhaltsfinanzierung wie durch das BAföG unersetzlich. Allerdings braucht, wer das BAföG einfriert, sich über sinkende Empfängerzahlen nicht zu wundern.
Studierenden, Schülerinnen und Schülern wurden seit Jahren BAföG-Nullrunden verordnet. Damit hat die Bundesregierung besonders die Bildungschancen von Jugendlichen aus einkommensarmen Elternhäusern gefährdet. Nun endlich ist die erste BAföG-Erhöhung seit 2002 in Sicht: Das BAföG soll um zehn Prozent erhöht werden. Die Koalition plant für den 16. November den endgültigen Beschluss der Erhöhung im Bundestag. Der Bundesrat muss danach die Erhöhung ebenfalls noch absegnen. Wir kritisieren, dass die geplanten Änderungen erst ab dem Wintersemester 2008/09 umgesetzt werden sollen. In der Zwischenzeit kommen weiter steigende Lebenshaltungskosten hinzu, die wiederum nicht berücksichtigt werden. Die Sicherheit des elternunabhängigen BAföG im Zweiten Bildungsweg war bislang für viele eine entscheidende Motivation, nach Ausbildung oder Arbeit erneut die Schulbank zu drücken und sich höher zu qualifizieren. Beharrt die Bundesregierung weiter auf Einschränkungen bei der elternunabhängigen Förderung, wird vielen der Pfad zum sozialen Aufstieg durch Bildung verbaut.
Generell sind wir der Meinung, dass die Struktur des BAföG nicht mehr zukunftsfähig ist und daher eine grundlegende Strukturreform der Ausbildungsförderung perspektivisch erforderlich ist. Jede und jeder, der dazu befähigt ist, muss die Möglichkeit haben ein Hochschulstudium zu absolvieren. Die Ausbildungsförderung muss hierzu beitragen, soweit den Studierenden andere Leistungen nicht zur Verfügung stehen. Sie muss junge Erwachsene in ihrer Ausbildungsphase als eigenständige Individuen sehen und weitgehend unabhängig von der Finanzkraft ihrer Eltern behandeln. Trotz mittel- und langfristiger Veränderungsnotwendigkeiten sind die jetzt vorgesehenen Verbesserungen des BAföG aber dringend notwendig, um kurzfristig zu mehr Zugangsgerechtigkeit und höherer Bildungsbeteiligung beizutragen.
6. Allgemeine Studiengebühren wurden in ihrem Bundesland vor kurzem eingeführt. Wollen Sie an den Gebühren festhalten oder sehen Sie Änderungsbedarf und in welcher Art?
Studiengebühren lösen die Probleme unserer Hochschulen nicht, im Gegenteil! Studiengebühren drohen die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der Herkunft drastisch zu verschärfen. Schon heute haben Kinder aus so genannten bildungsfernen Schichten trotz gleicher Begabung und Potenziale wesentlich geringere Chancen auf eine Hochschulbildung als Kinder von Akademikerinnen und Akademikern. Die Notwendigkeit, sich für ein Studium weiter zu verschulden als dies bei BAföG-Bezug ohnehin bereits erforderlich ist, schreckt insbesondere Studierwillige aus sozial benachteiligten Schichten von der Aufnahme eines Studiums ab.
Wir wollen nicht, dass Menschen aus sozialen und finanziellen Gründen vom Studium ausgeschlossen werden. Stattdessen sollen mehr junge Menschen unabhängig von ihrer Herkunft die Möglichkeit bekommen zu studieren. Daher werden wir die von der Landesregierung eingeführten Studiengebühren, Langzeitstudiengebühren und Gebühren für ein Zweitstudium umgehend wieder rückgängig machen. Wir wollen und Bildung und Wissenschaft eine höhere Priorität bei der staatlichen Finanzierung einräumen. Mit einer Qualitätsoffensive werden wir insbesondere die Studienbedingungen und die Studienberatung, aber auch die Qualität der Lehre deutlich verbessern. Durch eine ausreichende Finanzierung, die über die im Bund-Länder-Hochschulpakt 2020 vorgesehenen Mittel hinausgeht, wollen wir die Hochschulen in die Lage versetzen, in den kommenden Jahren tatsächlich mehr Studierende aufzunehmen. Nur so können wir die Bildungsbeteiligung und auch die chancengerechte Teilhabe an Bildung erhöhen, einem Mangel an hochqualifizierten Fachkräften entgegenwirken und verhindern, dass sich die angespannte Lage auf dem Ausbildungsmarkt durch Verdrängungseffekte weiter verschärft.
7. Im internationalen Vergleich studieren in Deutschland immer noch verhältnismäßig wenige junge Menschen. Was wollen Sie tun, um diesen Umstand zu ändern?
Die neusten Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind ein Armutsbericht für die Hochschulpolitik. Wer wie Ministerin Schavan den Fachkräftemangel beklagt, muss deutlich mehr jungen Menschen ein Studium ermöglichen. Stattdessen sinken seit drei Jahren in jedem Semester in Folge die Studienanfängerzahlen (WS 06/07 um 1,6 Prozent). Das Ziel der großen Koalition, eine Studierendenquote von 40 Prozent zu erreichen, rückt in immer weitere Ferne und wird damit immer mehr zur Illusion. Mit Studienplatzmangel, allgemeinen Studiengebühren, steigenden lokalen Numerus Clausi, Bafög-Zickzack-Kurs und Studienkrediten mit Verschuldungsgarantie werden Zugänge zur Hochschule systematisch verbaut statt verbreitert. Die Bundesregierung darf nicht allein auf die Länder zeigen, auch sie hat eine gesamtstaatliche Verantwortung für mehr Studierende. Hürden werden jedoch auch durch das Land Hessen – nicht zuletzt durch die Einführung der Allgemeinen Studiengebühren – errichtet. Dabei wäre es das Gebot der Stunde, gerade jungen Menschen aus den sogenannen bildungsfernen Schichten den Weg zu den Hochschulen zu ebnen – aus sozialen und aber auch aus volkswirtschaftlichen Gründen; denn andernfalls verschärft sich der Fachkräftemangel und die "Nationale Qualifizierungsoffensive" bleibt eine reine Symbolpolitik.
Die Hürden beginnen allerdings aus Sicht der GRÜNEN nicht erst beim Hochschulzugang und der Studienfinanzierung, sondern bereits in der Schule: Zu wenige Schülerinnen und Schüler erreichen die Fachhochschul- oder Hochschulreife. Die Bildungschancen unserer Kinder und Jugendlichen sind immer noch sehr stark an die soziale Herkunft gekoppelt (siehe auch Antwort auf Frage 8). Durch individuelle Förderung statt des frühen Aussortierens müssen die Schulen stärker als bisher dazu beitragen, das Potenzial der nachwachsenden Generation zu entwickeln. Das GRÜNE Konzept der "Neuen Schule" (www.wir-gestalten-schule.de/downloads/schul-info.pdf) weist hierfür einen Weg.
8. Inwiefern halten Sie unser Bildungssystem für gerecht? Was ist Chancengerechtigkeit für Sie, was bedarf es hierfür?
Die Zukunftschancen von Kindern hängen in Deutschland und auch Hessen immer noch in hohem Maße von den sozialen und finanziellen Lebensbedingungen des Elternhauses ab. Über Bildungschancen und Schulerfolg entscheiden oft nicht Talent und Leistung, sondern die soziale Herkunft. Das darf so nicht bleiben. Mit der Einführung Allgemeiner Studiengebühren ab dem Wintersemester 2007/08 ist die CDU-Landesregierung einen weiteren großen Schritt in Richtung Bildungsungerechtigkeit gegangen. Denn Studiengebühren errichten zusätzliche Hürden zu einem Studium und halten vor allem Finanzschwächere vom Studieren ab. Daran ändert auch ein Studiendarlehen nichts. Studiengebühren vergrößern bestehende soziale Ungerechtigkeiten beim Hochschulzugang. Schon ohne Studiengebühren haben Kinder aus so genannten bildungsfernen Schichten trotz gleicher Begabung und Potenziale wesentlich geringere Chancen auf eine Hochschulbildung als Kinder von Akademikerinnen und Akademikern. Das muss sich dringend ändern. Wir wollen nicht, dass die Herkunft von Menschen deren Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten bestimmt.
Im europäischen Vergleich gibt es in Deutschland und auch in Hessen zu wenige Schülerinnen und Schüler, die das Abitur erreichen. Viele Schülerinnen und Schüler verlassen die Schule sogar ohne Abschluss. In einer wissensbasierten Gesellschaft führt das zu einer doppelt negativen Konsequenz: für die Einzelnen hat eine schlechte Bildung schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und große Hindernisse bei der gesellschaftlichen Teilhabe zur Folge. Die Gesellschaft wiederum muss auf ein nennenswertes Potenzial an Arbeitskräften verzichten - was in Zeiten des demografischen Wandels besonders schwer wiegt. Alle Kinder und Jugendlichen müssen in unseren Schulen individuell gefördert werden, um ihr Potenzial zu entwickeln, anstatt aussortiert zu werden. Wir wollen Schulen in die Lage versetzen, Kinder und Jugendliche durch besondere Angebote so zu fördern, so dass das Aussortieren überflüssig wird. Unser Konzept einer "Neuen Schule" gibt Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, in kleineren Lerngruppen mit individueller Förderung länger gemeinsam zu lernen, um sich optimal zu entwickeln. Dort gibt es keine Querversetzungen und kein Sitzenbleiben mehr. Wir wollen, dass Schulen und Hochschulen mehr Eigenverantwortung bekommen, denn sie wissen am Besten, was sie brauchen, um Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bestmöglich zu fördern. Die Politik muss die nötigen Rahmenbedingungen und die Unterstützung zur Verfügung zu stellen und im Auge behalten, wie sich die Qualität der Bildungseinrichtungen entwickelt. Für uns ist dabei klar, dass mehr Eigenverantwortung nach außen einhergehen muss mit mehr Demokratie und Partizipation nach innen.
Ansatzpunkte für Veränderungen sehen wir GRÜNEN auch in einer besseren frühkindlichen Bildung, einer Verstärkung der Zusammenarbeit der Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, in mehr Ganztagsschulen, einer Vernetzung von Jugendhilfe und Schule, einem deutlich längeren gemeinsamen Lernen aller Kinder und einer besseren individuelle Förderung (siehe darüber hinaus auch die Antworten auf die Fragen 5 und 6).
9. In den letzten Jahren wurde allgemein verkündet, dass die Hochschulen mehr "Autonomie" erhalten sollen. Faktisch bezog sich das vor allem darauf, dass die Hochschulleitungen und externe Gremien wie ein Hochschulrat mehr Entscheidungsbefugnisse erhalten - auf Kosten von demokratischen Gremien wie dem Hochschulsenat. Auch die Stimme der Studierenden wurde dadurch nicht gestärkt, sondern eher geschwächt. Was halten Sie von Selbstverwaltung und Mitbestimmung an und in Hochschulen? Planen Sie hier Veränderungen?
Wir meinen es ernst mit der Autonomie von Hochschulen. Daher werden wir jeder Hochschule ermöglichen, ein individuelles Autonomiekonzept mit allen Beteiligten an der Hochschule auszuhandeln. Autonomie bedeutet allerdings nicht Verantwortungslosigkeit: Das Einhalten der mit dem Land vereinbarten Ziele muss durch eine Evaluation und ein transparentes Berichtswesen überprüfbar sein. Hochschulautonomie heißt bei uns auch nicht, dass die Hochschulen mit ihren Entscheidungen allein gelassen werden. Vielmehr muss das Land bei Entscheidungen, die den gesamten Hochschulraum betreffen, Absprachen und Ausgleiche zwischen den einzelnen Hochschulen forcieren. Selbstständige Hochschulen stehen in gesellschaftlicher Verantwortung.
Mehr Autonomie von Hochschulen ist ein Prozess, der nicht nur zwischen dem Land und den Hochschulpräsidien ausgehandelt werden darf. Zur Autonomie gehört für uns mehr Mitsprache insbesondere der Studierenden in den Hochschulen und eine Ausweitung der Kompetenzen des Senats. Wir wollen, dass die Entwicklungsplanung und die Vergabe der finanziellen Mittel innerhalb der Hochschule in einem demokratischen und transparenten Prozess ausgehandelt werden, bei dem alle hochschulinternen Akteurinnen und Akteure mitentscheiden. Studentische Selbstverwaltung ist für uns ein wichtiger Bestandteil der demokratisch verfassten Hochschule. Die von der CDU eingeführte 25%-Hürde bei Hochschulwahlen wird abgeschafft.
10. Der Frauenanteil unter Studierenden liegt inzwischen bei fast 50%. Es gibt aber immer noch starke geschlechtsspezifische Unterschiede, welche Fachrichtung studiert wird (z.B. Elektrotechnik und Maschinenbau: nur um die 5% Studentinnen an Universitäten). Welche konkreten Maßnahmen planen Sie daher, um Frauen zu motivieren und zu unterstützen, besonders in den bisher eher "männerdominierten" Studienfächern ein Studium aufzunehmen?
Noch nie verfügten hierzulande so viele Frauen über so hohe Bildungsabschlüsse wie heute. Diese positive und erfreuliche Entwicklung ist Ergebnis jahrzehntelanger erfolgreicher Gleichstellungspolitik. Trotz des hohen akademischen Ausbildungsniveaus von Frauen besteht im deutschen Forschungs- und Wissenschaftssystem jedoch eine Reihe diskriminierender Strukturen und auch diskriminierender Verhaltensweisen und Vorurteile fort: Das Geschlechterverhältnis der Studierenden und die Karrierechancen von Frauen sind fachbezogen sehr unterschiedlich. Die Sprach- und Kulturwissenschaften wiesen im Wintersemester 2004/5 mit 69,8 % einen überproportional hohen Studentinnenanteil auf. Demgegenüber wurden Mathematik- und Naturwissenschaften mit 63,7 % und ingenieurwissenschaftliche Disziplinen mit 79,1 % überwiegend von Männern nachgefragt. In den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie in der Humanmedizin waren die Geschlechterverhältnisse hingegen vergleichsweise ausgeglichen. Hohe Studentinnenanteile innerhalb eines Faches sind jedoch noch kein Ausweis für günstige Karrierebedingungen. Im Gegenteil sinkt der Frauenanteil dort mit steigender Qualifikations- und Karrierestufe stark ab. Fächergruppen mit niedrigem Studentinnenanteil wie die Ingenieurswissenschaften hingegen weisen besonders hohe Zugangsbarrieren für Frauen am Beginn des Studiums auf, bieten im weiteren Verlauf jedoch relativ gute Aufstiegschancen. Ein hilfreiches Instrument zur Frauenförderung auch in Studiengängen, die von Männern dominiert sind, ist das Mentoring. Bestehende Programme an Hessischen Hochschulen möchten wir ausweiten und dort, wo es sie bislang noch nicht gibt, möchten wir solche Mentoringprogramme etablieren.
Eine selbstkritische Reflexion in den Organisationen über diskriminierende Strukturen und Mechanismen des Wissenschaftssystems hat bislang viel zu wenig stattgefunden. Dabei besteht für den Wissenschaftsbetrieb vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der Konkurrenzsituation mit anderen gesellschaftlichen Bereichen um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dringender Handlungsbedarf. Im Bereich der ingenieur- und naturwissenschaftlichen Fächer droht perspektivisch ein eklatanter Mangel an Nachwuchswissenschaftlerinnen. Um die Absolventinnenzahlen über das Studierendenhoch der kommenden Jahre hinaus zu steigern, müssen jetzt die bildungs- und hochschulpolitischen Weichenstellungen vorgenommen werden. Auch schon im Vorfeld des Studiums, in der Schule, müssen dringend Veränderungen vorgenommen werden, um mehr Mädchen und junge Frauen für Natur- und Ingenieurswissenschaften zu interessieren und sie zur Aufnahme eines entsprechenden Studiums zu ermutigen. Wichtig ist, dass junge Frauen rechtzeitig vor der Entscheidung, welche Leistungskurse sie in der Oberstufe belegen wollen, zur Auseinandersetzung mit dieser Frage motiviert werden, u.a. auch durch Begegnungen mit der beruflichen Praxis in diesen Bereichen. Ohne zügiges Handeln werden wir das Ziel des Europäischen Rats vom März 2001 in Stockholm verfehlen, die Absolvierendenquote der Natur- und Ingenieurwissenschaften bis 2010 um 15 % zu steigern und das unausgewogene Geschlechterverhältnis der Studierenden auszugleichen. Angesichts der Altersstruktur des Wissenschaftspersonals an den Hochschulen, aber auch mit Blick auf die Entwicklung der Studierendenzahlen, bleibt lediglich ein schmales Zeitfenster für die wirksame Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses. Dieses wollen wir nach der Wahl daher umgehend und nachdrücklich nutzen. 11. Im wissenschaftlichen Mittelbau und bei C3- (und noch mehr bei C4-Professuren) ist schließlich ein geringer Frauenanteil offensichtlich - der sogar geringer ist als bspw. in der Türkei. Was wollen Sie unternehmen, damit mehr Frauen eine wissenschaftliche Karriere anstreben, um so letztlich auch zu mehr Professorinnen zu kommen?
Die Frauenanteile bei den Professuren und in den wissenschaftlichen und forschenden Leitungspositionen im inner- wie außeruniversitären Wissenschaftsbereich sind im internationalen Vergleich erschreckend gering. Daneben führen strukturelle und kulturelle Hindernisse dazu, dass zu viele Nachwuchswissenschaftlerinnen dem Wissenschaftsbereich beim Durchlaufen der akademischen Qualifikationsstufen verloren gehen. Vor allem an der Schwelle zur Promotion und noch stärker zur Habilitation scheiden Nachwuchswissenschaftlerinnen aus dem Wissenschaftssystem aus. Seit Mitte der 1980er Jahre führen Bund und Länder zahlreiche Programme und Einzelmaßnahmen durch mit dem Ziel, der Unterrepräsentanz von Frauen in Schlüsselfunktionen der Forschung und Wissenschaft entgegenzuwirken. Den bisherigen gleichstellungspolitischen Maßnahmen ist leider ein nur unzulänglicher Erfolg zu bescheinigen. Dies liegt auch an der mangelnden Verbindlichkeit der qualitativen und quantitativen Zielvorgaben, die häufig nicht akzeptiert und implementiert werden. Gleichstellungspolitische Vorgaben sind aus GRÜNER Sicht bislang viel zu wenig an überprüfbare Zielmarken geknüpft, die über positive Anreizmechanismen und finanzielle Steuerungselemente befördert werden und deren Nichteinhaltung negative Sanktionsmaßnahmen nach sich zieht.
In nahezu keinem anderen gesellschaftlichen Bereich sind Frauen so stark unterrepräsentiert und Männerseilschaften so dominant wie in der Wissenschaft. Der Frauenanteil an den Professuren liegt heute in Hessen durchschnittlich bei 13,5 Prozent. Unser nächstes Ziel, bei Neuberufungen für Professuren und bei Postdoc-Stellen mindestens einen Frauenanteil von 40 Prozent zu erreichen, wollen wir durch einen spürbaren finanziellen Anreiz für die Hochschulen realisieren. Dazu werden wir die Mittelzuweisungen an die Hochschulen zukünftig deutlich stärker an Erfolge bei der Frauenförderung knüpfen. Das aufgrund der Föderalismusreform auslaufende Hochschulwissenschaftsprogramm des Bundes zur Chancengleichheit werden wir durch ein hoch dotiertes hessisches Förderprogramm ersetzen, das Mentorinnenprogramme und Best-Practice-Preise zur Frauenförderung vorsieht.
Mentoring ist ein aus unserer Sicht ein Instrument der Personalentwicklung, das gut zur Gewinnung und Qualifizierung von weiblichen Führungskräften geeignet ist. Wir haben bereits 1999 Maßstäbe gesetzt und als erste Partei ein sehr erfolgreiches Frauen-Mentoring-Programm gestartet. Dieses Programm mit dem Ziel, Frauen auf dem Weg zur Übernahme von Führungspositionen zu unterstützen, hat Schule gemacht. Ziel des Mentoringkonzepts für Wissenschaftlerinnen ist es, noch mehr Frauen für eine Karriere im Hochschul- und Forschungsbereich zu gewinnen, sie auf ihrem Weg zu unterstützen und ihnen Mut zu machen, Verantwortung zu übernehmen. Das Mentoringprogramm basiert darauf, dass eine erfahrene Wissenschaftlerin (Mentorin) ihr Wissen, aber auch ihre persönlichen Erfahrungen an eine junge oder neu im Wissenschaftsbereich arbeitende Frau (Mentee) weiter gibt. Von erfolgreichem Mentoring profitieren nicht nur die Teilnehmerinnen selbst. Es stärkt die ganze Organisation, da zum einen Erfahrungswissen weitergegeben wird und erhalten bleibt und zum anderen Netzwerke organisiert werden, die sich positiv auf die Zusammenarbeit der ganzen Hochschule oder Forschungseinrichtung auswirken.
12. Was bedeutet Geschlechtergerechtigkeit für Sie ganz allgemein und speziell im Kontext der Bildungspolitik?
Allen Menschen die gleichen Chancen für den Zugang zu allen Positionen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zu ermöglichen, war schon immer ein zentrales Ziel von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen und auf allen politischen Ebenen zu verwirklichen, steht im Mittelpunkt grüner Politik. Die Gleichstellung bleibt ein zentrales gesellschaftliches Reformprojekt, denn nur eine geschlechtergerechte Politik ermöglicht die Modernisierung der Gesellschaft. Um dies zu erreichen, haben wir bei unseren eigenen Strukturen genauso wie bei der programmatischen Ausrichtung der Partei immer wieder Maßstäbe gesetzt. Wirkliche Gleichstellung ist jedoch noch immer keine gesamtgesellschaftliche Realität. Die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit kann nur gelingen, wenn wir auch weiterhin die real existierenden Gleichstellungsdefizite aufzeigen und Wege finden, diese zu überwinden.
Veränderungen im Geschlechterverhältnis prägen unsere Gesellschaft. Benachteiligungen und Machtunterschiede zwischen den Geschlechtern sind jedoch längst noch nicht abgebaut. Ein Leben in Gleichberechtigung für Frauen und Männer in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist immer noch nicht erreicht. Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist die Bewältigung und Verknüpfung von Kindererziehung und Beruf eine Aufgabe von Frauen und Männern. Neue Wege der Familienpolitik, wie die bedarfsgerechte und qualifizierte Betreuung für Kinder unter drei Jahren und die verstärkte Einbeziehung der Väter, mahnen wir schon seit Jahren an. Die Vereinbarkeit von Kindern und Berufsleben ist für uns ein zentraler Aspekt der Familienpolitik und nicht der Frauenpolitik. Wir wollen, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen Wirklichkeit wird. Einiges haben wir erreicht. Solange Frauen aber nicht einen tatsächlich gleichberechtigten Zugang zu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens haben, solange sie weiterhin häufiger von Erwerbslosigkeit und Armut betroffen sind als Männer, solange weiterhin Fraueneinkommen weit unter denen der klassischen Männerberufe liegen und Frauen in ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse gedrängt werden, so lange werden wir aktive Maßnahmen zur Durchsetzung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen fordern. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen für eine starke Frauenpolitik. Für uns ist Frauenpolitik Querschnittsaufgabe. Die Sensibilisierung für und der Kampf gegen sexualisierte und strukturelle Gewalt sind für uns genauso Bestandteil unserer Politik wie die Schaffung qualifizierter Teilzeitarbeit für Frauen und Männer und die Unterstützung von Frauen und Mädchen beim Zugang zu zukunftsträchtigen Berufen. Wir wünschen uns für Frauen und Männer gleiche Chancen für Familie und Erziehung und den Zugang zu Beruf und Karriere.
Frauen werden schlechter bezahlt und machen seltener Karriere. Aber: Jungen schneiden in Schule und Studium deutlich schlechter ab, eine wachsende Minderheit an Jungen wird den Anforderungen des Bildungssystems nicht mehr gerecht. Die männlichen Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft sind brüchig geworden. Es ist nötig, der Frage nachgehen, wie eine Erziehung und Bildung aussehen kann, die beiden Geschlechtern gerecht wird. Fraglich ist, ob die modernen Erkenntnisse zur geschlechtergerechten Bildung und Erziehung tatsächlich auch in der Kindergarten-, Schul- und Hochschulpraxis angekommen sind. Häufig erfolgt noch eine Orientierung an alten Rollenbildern. Die Vermittlung von Geschlechterstereotypen hat tief greifende Auswirkungen. Diejenigen, die mit der nachwachsenden Generation arbeiten, müssen daher in die Lage versetzt werden, die eigene Rollensozialisation zu reflektieren. Und unsere Betreuungs- und Bildungseinrichtungen müssen Spielräume auch für Wildheit, Bewegung, Chaos und Technik bieten. Es ist wichtig und gleichermaßen zum Vorteil von Mädchen und Jungen, wenn dort nicht nur Raum für ruhiges, konzentriertes Arbeiten, sondern auch für Spiel und Spaß, für Ruhe und Entspannung und für Action und Experimente ist. Wir halten es für nötig, in den Betreuungs- und Bildungseinrichtungen den Blick für eine geschlechtergerechte Erziehung und Bildung zu schärfen und die Rahmenbedingungen dafür zu verbessern.
13. Es entsteht inzwischen oft der Eindruck, dass das Finanzministerium die anderen Ressorts regiert. Sind Sie der Meinung, Bildungsreformen müssten "kostenneutral" umgesetzt werden und warum sehen Sie das so?
Nicht alle Probleme unseres Bildungssystems lassen sich mit Geld lösen, aber ohne zusätzliches Geld wird es nicht gehen. Die Bildung der nachwachsenden Generation muss uns etwas wert sein. Deshalb wollen wir die Ausgaben für Bildung spürbar erhöhen. Dazu werden wir Haushaltsmittel aus anderen Bereichen umschichten und der Bildung im Haushalt Priorität einräumen. Die im Zuge des demografischen Wandels in den kommenden Jahren zu erwartende "demographische Rendite" werden wir nicht zu Einsparungen im Bildungsbereich nutzen. Stattdessen werden wir in die Qualität unseres Schul- und Hochschulsystems investieren. Für bessere Bildung sind darüber hinaus weitere Mittel erforderlich. Deshalb treten wir auf Bundesebene für verbesserte steuerpolitische Rahmenbedingungen ein, damit die Bundesländer stärker in Bildung investieren und die Bildungschancen der nachwachsenden Generation verbessern können.