Wahlprüfsteine HochschulpolitikLandtagswahl Niedersachsen: Was Bündnis 90/DIE GRÜNEN wollen
Forschung und Lehre sollten sich in der Tat stärker an den gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft, wie zum Beispiel Klimawandel, Geschlechtergerechtigkeit oder demographischem Wandel, orientieren. Das heißt, Praxisorientierung von Forschung und Lehre heißt für uns Grüne in erster Linie Orientierung an praxisrelevanten Fragestellungen. Die unmittelbare Verwertbarkeit für die Wirtschaft muss dieser Zielsetzung immer untergeordnet bleiben. Staatliche Hochschulen müssen der Lösungsorientierung verpflichtet sein, nicht der volkswirtschaftlichen Gewinnorientierung. Solange dieser Grundsatz gewahrt bleibt, ist gegen ein finanzielles Engagement der Wirtschaft an unseren Hochschulen oder gegen Kooperationen von Hochschulen und Unternehmen nichts einzuwenden. Dennoch bleibt der wichtigste Garant für die Freiheit von Lehre und Forschung die finanzielle Absicherung unserer Hochschulen durch öffentliche Mittel.
2. Brauchen wir weiter eine Trennung in Fachhochschulen und Universitäten, gerade im Hinblick darauf, dass Bachelor und Master gleichwertig sein sollen, egal wo studiert wurde?
Es wird vermutlich auch in Zukunft eine Unterscheidung zwischen Fachhochschulen und Universitäten geben. Die einen werden weiterhin stärker anwendungsbezogen, die anderen stärker theoriebezogen lehren und forschen. Aber eine Differenzierung nach der Wertigkeit ihrer Abschlüsse wird abnehmen. Das heißt, es wird keine Unterscheidung mehr geben zwischen höherwertigem Universitätsabschluss und einem "geringerwertigen" Fachhochschulabschluss. Stattdessen wird es eine Spitzengruppe und ein Mittelfeld von Hochschulen geben, in dem sich beide Hochschultypen wieder finden werden. Selbst die Differenzierung zwischen Theorie- und Praxisorientierung wird vermutlich in Einzelfällen nicht mehr erkennbar sein. Wichtig ist aus Grüner Sicht vor allem die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems insgesamt. Deshalb ist es nicht nur wichtig, dass ein Fachhochschul-Bachelor oder ein Fachhochschul-Master an Universitäten anerkannt wird, sondern wir fordern, dass bereits bei der Hochschulzugangsberechtigung die Unterscheidung zwischen Abitur und Fachabitur aufgehoben wird, man also auch mit einer Fachhochschulreife jeden Studiengang an einer Universität studieren kann.
3. Nach wie vor kommt es zu vielen Studienabbrüchen oder längeren Orientierungsphasen nach Abschluss des Studiums. Wie kann die Beratung von (zukünftigen) Studierenden, aber auch von Absolventinnen und Absolventen verbessert werden?
Nur durch eine Verbesserung der Betreuungsrelation von Lehrenden zu Studierenden können unseres Erachtens die allgemeinen Studienbedingungen gravierend verbessert werden. Dafür sind die Lehrkapazitäten zu erhöhen. Auch die soziale Betreuung und Beratung der Studierenden soll verbessert werden. So können die Abbruchquote gesenkt und überlange Studienzeiten vermieden werden. Zusätzlich zu einem quantitativen Ausbau der Hochschulen muss es weitere Investitionen in die Qualität der Lehre und des studentischen Lernens geben. Zukünftig sollen daher nach unseren Plänen die Erlöse aus Vermögensveräußerungen des Landes in einen Bildungsfonds fließen. Aus den Zinserträgen des Fonds sollen zunächst innovative Hochschulprojekte finanziert werden, die als Reformziel die Verbesserung der Leistungsqualität für Studium und Lehre anvisieren und damit die Studiendauer und die Abbrecherquote gleichermaßen absenken. An der Ausgestaltung des Fonds sollen die Hochschulen über die Landeshochschulrektorenkonferenz mitwirken. Außerdem setzen wir uns für eine verbesserte Vernetzung von Schule und Hochschule, bspw. durch Uni-Praxis-Tage und Studienberatung an Gymnasien, sowie für verbesserte Beratung während und nach Beendigung des Studiums, z.B. durch Einrichtung von Praktikavermittlungsbüros und stärkere Einbeziehung von Ehemaligen, ein.
4. Der Umbau der Studiengänge in Richtung Bachelor / Master hat zu vielen Irritationen geführt. So ist z.B. der Anteil derer, die ein Auslandssemester einplanen, in Bachelor-Studiengängen im Vergleich zum Diplom zurückgegangen – obwohl doch ein erklärtes Ziel der Reform mehr Internationalität und Mobilität ist. Auch ist noch offen, wie viele Studierende nach dem Bachelor einen Master anstreben werden. Inwieweit wollen Sie hier eingreifen und dazu bundesweite oder auch europaweite Initiativen ergreifen?
Die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master ist in Niedersachsen rein quantitativ weit fortgeschritten. Die Qualität lässt jedoch zu wünschen übrig, denn insgesamt ergibt sich aus der Umstellung auf Bachelor und Master die Notwendigkeit, das Verhältnis von Studenten und Dozenten zu verbessern und kleinere Seminare mit höherer Qualität und besseren Lehrmethoden anzubieten. Diese notwendige bessere Betreuung ist bisher in Niedersachsen noch nicht in ausreichendem Maße gegeben. Sechssemestrige Bachelorstudiengänge ermöglichen konzeptionell nur schwer die gewünschte internationale Mobilität und die damit verbundene Auslandserfahrung der Studierenden. Bachelorstudiengänge sollen daher unseres Erachtens häufiger als bisher auf sieben oder acht Semester angelegt werden. So kann die Integration von Auslandsaufenthalten und verpflichtenden Praktika in das Studium erleichtert werden. Bezüglich der Masterkapazitäten lassen Prognosen befürchten, dass bereits in einigen Jahren von der Wirtschaft deutlich mehr Masterabsolventen gesucht werden, als auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werden. Daher muss es ein ausreichendes Angebot an Masterstudiengängen geben, welches nicht in größerem Umfang auf drittfinanzierte Weiterbildungsangebote reduziert werden darf. Und daher darf auch weder eine Erhöhung der Studienanfängerzahlen, noch eine Qualitätsoffensive in den Studiengängen zulasten der Masterkapazitäten gehen.
5. Halten Sie am BAföG fest, welche Veränderungen können Sie sich dabei vorstellen bzw. welche Alternative schwebt Ihrer Partei vor? Oder sehen Sie die Zukunft eher in Studienkrediten? Warum?
Wir halten am BAföG fest und können uns eine Verbesserung dahingehend vorstellen, dass die Zahl der Empfänger durch höhere Freibeträge ausgeweitet wird. Außerdem müssen die Bedarfsätze entsprechend der Entwicklung von Lebenshaltungskosten und Einkommen erhöht werden. Gerade im Hinblick auf die Mehrbelastung durch Studiengebühren und der Altersbeschränkung des Kindergelds auf 25 Jahre muss der BAföG-Höchstsatz angehoben werden. Außerdem setzen wir uns für die Erhaltung und Ausweitung der elternunabhängigen BAföG-Förderung von Schul- und Universitätsabschlüssen über den zweiten Bildungsweg (Abendgymnasien, Kollegs) ein, um gerade auch jungen Menschen eher bildungsferner Herkunft die Chance auf sozialen Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen. Wir sehen die Zukunft nicht in Studienkrediten, da die Aussicht auf einen Start ins Berufsleben mit Schuldenberg noch weniger junge Menschen für die Aufnahme eines Studiums motivieren wird.
6. Allgemeine Studiengebühren wurden in Ihrem Bundesland vor kurzem eingeführt. Wollen Sie an den Gebühren festhalten oder sehen Sie Änderungsbedarf und in welcher Art?
Aus Sicht von Bündnis90/DIE GRÜNEN müssen Studiengebühren für das Erststudium abgeschafft werden. Die wegfallenden Mittel müssen durch Aufstockung des Hochschuletats durch Landesmittel kompensiert werden. Es ist nämlich davon auszugehen, dass durch die Einführung der Studiengebühren ab dem ersten Semester immer weniger junge Menschen mit einer Studienberechtigung, insbesondere aus einkommensschwachen Familien, auch tatsächlich ein Studium beginnen werden. Die bisher relativ stabil gebliebene Zahl der BewerberInnen ist aufgrund der zeitgleich angestiegenen Zahl der AbiturientInnen für uns kein Beleg für die Gegenthese.
Unseres Erachtens wurden mit der Einführung von Studiengebühren Finanzierungslasten vom Land auf die Studierenden verschoben: Aufgrund der von der niedersächsischen Landesregierung vorgenommenen Kürzungen im Rahmen des sog. "Hochschuloptimierungskonzeptes" verschwinden die Gebühren der Studenten und Studentinnen zum großen Teil zum Stopfen der Haushaltslöcher in den Hochschuletats und kommen mitnichten der Verbesserung der Studienbedingungen zu Gute. Die Abschaffung der Studiengebühren in Niedersachsen ist daher unser Hauptziel. Sollten wir dafür im Landtag keine parlamentarische Mehrheit finden können, fordern wir von der Landesregierung zumindest folgende Notmaßnahmen:
Stipendien für Benachteiligte und Begabte müssen flächendeckend eingeführt werden; Studierende müssen bei allen Fragen der Erhebung und Mittelverwendung der Studiengebühren verbindlich beteiligt werden, d.h. ein gewichtiges und klares Mitspracherecht haben; die Zweckentfremdung von Studiengebühren muss unterbunden werden.
7. Im internationalen Vergleich studieren in Deutschland immer noch verhältnismäßig wenige junge Menschen. Was wollen Sie tun, um diesen Umstand zu ändern?
Reform des Bildungssystems, bereits ab dem Stadium der frühkindlichen Bildung, um mehr Kinder zur Hochschulzugangsberechtigung zu führen; Abschaffung der Studiengebühren; Anpassung, Erhöhung und Ausweitung der BAföG-Förderung; Erhöhung der Studienplatzkapazitäten; Verbesserung der Betreuungsrelation an den Hochschulen; Verbesserung der Studienbedingungen; stärkere Öffnung der Hochschulen für Facharbeiter und Fachangestellte.
8. Inwiefern halten Sie unser Bildungssystem für gerecht? Was ist Chancengerechtigkeit für Sie, was bedarf es hierfür?
Das derzeitige Bildungssystem in Niedersachsen ist alles andere als gerecht. Mit dem dreigliedrigen Schulsystem und der frühzeitigen Selektion nach Klasse vier, werden vor allem Kindern aus bildungsfernen Schichten schon am Anfang ihres Lebens zahlreiche Zukunftschancen verstellt. Diese frühzeitige Chancenungerechtigkeit macht sich auch später an den Hochschulen bemerkbar.
Mit der Einführung einer gemeinsamen Schule setzen wir uns dafür ein, dass jedes Kind unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Behinderung die bestmögliche Förderung bekommt und gleiche Teilhabechancen hat.
9. In den letzten Jahren wurde allgemein verkündet, dass die Hochschulen mehr "Autonomie" erhalten sollen. Faktisch bezog sich das vor allem darauf, dass die Hochschulleitungen und externe Gremien wie ein Hochschulrat mehr Entscheidungsbefugnisse erhalten – auf Kosten von demokratischen Gremien wie dem Hochschulsenat. Auch die Stimme der Studierenden wurde dadurch nicht gestärkt, sondern eher geschwächt. Was halten Sie von Selbstverwaltung und Mitbestimmung an und in Hochschulen? Planen Sie hier Veränderungen?
Wir haben uns bereits im Rahmen der jüngsten NHG-Novelle gegen eine Beschneidung der Mitbestimmungsrechte hochschulinterner Gremien ausgesprochen und würden diese, sofern wir dafür Mehrheiten finden, wieder zurücknehmen. Wir unterstützen als Grüne die Forderung nach mehr Autonomie für die Hochschulen, halten aber dabei klar am demokratischen Prinzip der Selbstverwaltung fest. Vor allem die Studierenden brauchen, sofern Studiengebühren nicht, wie von uns gefordert, abgeschafft werden, ein verbindlich festgelegtes Mitspracherecht bei der Verwendung der Studiengebühren.
10. Der Frauenanteil unter Studierenden liegt inzwischen bei fast 50%. Es gibt aber immer noch starke geschlechtsspezifische Unterschiede, welche Fachrichtung studiert wird (z.B. Elektrotechnik und Maschinenbau: nur um die 5% Studentinnen an Universitäten). Welche konkreten Maßnahmen planen Sie daher, um Frauen zu motivieren und zu unterstützen, besonders in den bisher "Männer-dominierten" Studienfächern ein Studium aufzunehmen?
Unseres Erachtens muss die Begeisterung für naturwissenschaftliche Fächer bereits in der Schule anfangen. Nur ein praxisorientierter, interaktiver und motivierender Unterricht in den Fächern Mathematik, Physik, Chemie und Biologie kann Mädchen und junge Frauen für Naturwissenschaften begeistern. Die Rahmenlehrpläne und die pädagogisch / didaktische Lehrerausbildung in den naturwissenschaftlichen Fächern muss dahingehend verbessert werden. Zusätzlich können im Rahmen von Praktika und Projekten, wie z.B. Schnupperstudien oder Kinder-Unis, junge Mädchen verstärkt spielerisch an die naturwissenschaftlichen Fächer herangeführt und so deren Berufswahlspektrum erweitert werden. Außerdem müssen die hohen Studienabbrecherquoten in den Naturwissenschaften gesenkt werden, da auch diese vor der Aufnahme eines naturwissenschaftlich / technischen Studiums abschrecken.
11. Im wissenschaftlichen Mittelbau und bei C3- (und noch mehr bei C4-) Professuren ist schließlich ein geringer Frauenanteil offensichtlich – der sogar geringer ist als bspw. in der Türkei. Was wollen Sie unternehmen, damit mehr Frauen eine wissenschaftliche Karriere anstreben, um so letztlich auch zu mehr Professorinnen zu kommen?
Die strukturelle Benachteiligung von Frauen an Hochschulen muss weiter abgebaut werden. Dazu schlagen wir vor, dass die Vergabe von Landesmitteln an die Hochschulen stärker an verbindliche Kriterien erfolgreicher Frauenförderung gebunden wird und Genderforschung, Genderstudien und genderspezifische Fragestellungen dauerhaft in allen wissenschaftlichen Disziplinen verankert werden.
Als Grundlage für eine gleichstellungsorientierte Personalpolitik in den universitären Institutionen wäre etwa das Kaskadenmodell vorstellbar, wonach auf der jeweils nächst höheren Führungsebene ein jeweils so hoher Frauenanteil erreicht werden soll, wie auf der vorangehenden Ebene beschäftigt ist, d.h. der Anteil der Professorinnen bspw. soll sich am Anteil der abgeschlossenen Promotionen orientieren. Außerdem fordern wir, die Befugnisse der Gleichstellungsbeauftragten an den niedersächsischen Hochschulen wiederherzustellen.
Um zu erreichen, dass mehr Frauen eine wissenschaftliche Karriere anstreben ist es zuletzt auch erforderlich, die Vereinbarkeit von Familie und Studium / Beruf zu fördern. Daher treten wir für einen Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten ein. Diese kann auch direkt an der Uni stattfinden: Hochschuleigene Betreuungseinrichtungen verbessern die Situation von Studierenden, sowie von Lehrenden mit Kindern.
12. Was bedeutet Geschlechtergerechtigkeit für Sie, ganz allgemein und speziell im Kontext der Bildungspolitik?
Geschlechtergerechtigkeit bedeutet für Bündnis90/DIE GRÜNEN gleiche Rechte und gleiche Chancen für Frauen und Männer in allen Lebensbereichen. Im Kontext der Bildungspolitik bedeutet das, dass Jede und Jeder unabhängig von ihrem oder seinem Geschlecht dieselben Chancen haben muss, einen Schulabschluss zu machen, ein Studium aufzunehmen und eine wissenschaftliche Karriere anzustreben. Dies gilt für die junge Frau die Physik studieren, promovieren und Solarflugzeuge bauen will ebenso, wie für den jungen Mann, der Erzieher werden und erst einmal in Elternzeit gehen will.
13. Es entsteht inzwischen oft der Eindruck, dass das Finanzministerium die anderen Ressorts regiert. Sind Sie der Meinung, Bildungsreformen müssten "kostenneutral" umgesetzt werden und warum sehen Sie das so?
Wir sind nicht der Meinung, dass Bildungsreformen mit aller Konsequenz "kostenneutral" umgesetzt werden müssen, denn die Investition in Bildung ist für jede Gesellschaft die wichtigste Investition in die Zukunft.