Wahlprüfsteine HochschuleLandtagswahl Hessen: Was die SPD will
Im Hinblick auf die Forschung ist klar zu trennen zwischen der Grundlagenforschung und der anwendungsorientierten Forschung, die im Idealfall zur Produktreife und damit auch zu ökonomisch verwertbaren Ergebnissen bzw. Produkten führt. Gesellschaftliche Aufgabe ist es, die Grundlagenforschung weitgehend frei von ökonomischen Interessen und deren Ergebnisse für jedermann zugänglich zu halten. Sie bildet das wissenschaftliche Fundament auf der unsere Zivilisation ruht. Es ist Allgemeingut und der Zugang darf nicht von dem Geldbeutel des einzelnen abhängen. Daraus ergibt sich zwingend, dass auch der Zugang zur Lehre nicht vom Geldbeutel des Einzelnen abhängen darf.
2. Brauchen wir weiter eine Trennung in Fachhochschulen und Universitäten, gerade im Hinblick darauf, dass Bachelor und Master gleichwertig sein sollen, egal wo studiert wurde?
In der Tat verschwimmt der Unterschied zwischen Fachhochschulen und Universitäten immer mehr. Die gestuften Studiengänge sind wesentliche Ursache dafür. Wir unterstützen deshalb auch den reibungsloseren Wechsel zwischen den Studiengängen, auch denen zwischen Fachhochschulen und Universitäten. Unser Grundverständnis von Bildungsgängen – auch an Schulen – ist, dass Übergänge erleichtert werden müssen. Der wesentliche Unterschied zwischen Fachhochschulen und Universitäten, also das Promotionsrecht und die stärkere wissenschaftliche, auf Forschung ausgerichtete Arbeit an Universitäten wird auch weiterhin noch Realität bleiben, sich aber zunehmend verwischen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass auch an Fachhochschulen Forschung in größerem Maße möglich wird, als das jetzt noch der Fall ist. In sofern wird die jetzt noch bestehende Trennung abnehmen.
3. Nach wie vor kommt es zu vielen Studienabbrüchen oder längeren Orientierungsphasen nach Abschluss des Studiums. Wie kann die Beratung von (zukünftigen) Studierenden, aber auch von Absolventinnen und Absolventen verbessert werden?
Wir setzen uns dafür ein, dass die Beratung von Studierenden vor und während des Studiums verbessert wird. Schon jetzt lässt das Hessischen Hochschulgesetz zu, dass Studierende in den Studiengängen in von Tutoren begleitet werden. Diese treffen mit den Studierenden Zielvereinbarungen über ihren Studienablauf. Ein Feldversuch an der Universität Kassel hat gezeigt, dass die Studienzeit damit um 20% reduziert werden kann. Dies wäre schon mal ein Erfolg. Weiterhin muss die Phase zwischen der Erlangung der Hochschulzugangsberechtigung und dem Beginn des Studiums verkürzt werden. Diese ist in Deutschland unverhältnismäßig lang, nicht nur bedingt durch den Wehr- oder Zivildienst. Diese Übergänge müssen durch Beratung in den Schulen besser überbrückt werden. Schulen leisten zurzeit zu wenig im Hinblick auf den Übergang von der Schule zur Beruf oder berufsqualifizierenden Ausbildungen (z.B. dem Studium). Schließlich müssen dort, wo es sinnvoll ist, Studieneingangstests gemacht werden. Dies ist zwar eine zusätzliche Prüfung, aber auch eine Orientierung für junge Studierende. Nicht jeder oder jede ist für ein Studium der Psychologie oder Graphikdesign geeignet.
4. Der Umbau der Studiengänge in Richtung Bachelor/Master hat zu vielen Irritationen geführt. So ist z.B. der Anteil derer, die ein Auslandssemester einplanen, in Bachelor-Studiengängen im Vergleich zum Diplom zurückgegangen - obwohl doch ein erklärtes Ziel der Reform mehr Internationalität und Mobilität ist. Auch ist noch offen, wie viele Studierende nach dem Bachelor einen Master anstreben werden. Inwieweit wollen Sie hier eingreifen - und dazu bundesweite oder auch europaweite Initiativen ergreifen?
Wir befinden uns in der Umstellungsphase. Jetzt stehen bundes- oder europaweite Initiativen nicht an. Im Übrigen kann man den Diplomstudiengang nicht mit dem Bachelor vergleichen. Inwieweit die oben ausgeführte These in einigen Jahren im Vergleich Diplom/Master standhalten kann, muss abgewartet werden.
5. Halten Sie am BAföG fest, welche Verbesserungen können Sie sich dabei vorstellen bzw. welche Alternative schwebt Ihrer Partei vor? Oder sehen Sie die Zukunft eher in Studienkrediten? Warum?
BAFÖG ist eine Errungenschaft sozialdemokratischer Bildungspolitik und wir werden dies gegenüber all denen verteidigen, die Bildung zu einer Sache der Besserverdienenden machen wollen. Es ist ein Erfolg, dass auch in der großen Koalition das Bafög ungekürzt erhalten werden konnte, ja sogar mit der CDU die Chance besteht, noch in dieser Legislaturperiode zu einer Erhöhung zu kommen. Wir wollen eine Erhöhung des BAFÖG um 10%, damit man nicht noch neben dem BaFÖG arbeiten muss. Studienkredite sind eine sinnvolle Ergänzung. Auch der Ausbau des Stipendiensystems wäre in Deutschland dringend geboten. In Hessen hat die CDU es bisher versäumt, den angeblichen Löwenfond einzurichten.
6. Allgemeine Studiengebühren wurden in ihrem Bundesland vor kurzem eingeführt. Wollen Sie an den Gebühren festhalten oder sehen Sie Änderungsbedarf und in welcher Art?
Die SPD hält allgemeine Studiengebühren für unsozial und in Hessen für verfassungswidrig. Daher hat die SPD-Landtagsfraktion auch Klage gegen das Studiengebührengesetz beim hessischen Staatsgerichtshof erhoben mit dem Ziel, das Gesetz für verfassungswidrig erklären zu lassen. In jedem Fall wird die SPD die Studiengebühren nach der Übernahme der Regierungsverantwortung im Frühjahr 2008 wieder abschaffen.
7. Im internationalen Vergleich studieren in Deutschland immer noch verhältnismäßig wenige junge Menschen. Was wollen Sie tun, um diesen Umstand zu ändern?
Wir liegen mit der Studierendenzahl deutlich unter den OECD Durchschnitt. Dies muss verändert werden, weil Deutschland sonst den Anschluss an die Weltspitze verliert. Deshalb müssen mehr Studienplätze geschaffen werden. Der Hochschulpakt 2020 der Bundesregierung ist eine gute Maßnahme, er muss allerdings von den Ländern ausfinanziert werden. In Hessen ist die SPD der Auffassung, dass die 8800 Studienplätze, die damit in den kommenden Jahren mehr geschaffen werden, zu wenigsten 60% im Bereich der Fachhochschulen geschaffen werden sollen.
8. Inwiefern halten Sie unser Bildungssystem für gerecht? Was ist Chancengerechtigkeit für Sie, was bedarf es hierfür?
Das deutsche Bildungssystem – das hat schon PISA gezeigt – ist höchst ungerecht. In keinem anderen Land der OECD ist die Abhängigkeit zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg so groß wie in Deutschland. Diesen Zusammenhang zu durchbrechen wäre ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Schritt zu Chancengleichheit – dies ist übrigens der Terminus, den die SPD verwendet.
9. In den letzten Jahren wurde allgemein verkündet, dass die Hochschulen mehr "Autonomie" erhalten sollen. Faktisch bezog sich das vor allem darauf, dass die Hochschulleitungen und externe Gremien wie ein Hochschulrat mehr Entscheidungsbefugnisse erhalten - auf Kosten von demokratischen Gremien wie dem Hochschulsenat. Auch die Stimme der Studierenden wurde dadurch nicht gestärkt, sondern eher geschwächt. Was halten Sie von Selbstverwaltung und Mitbestimmung an und in Hochschulen? Planen Sie hier Veränderungen?
Die SPD steht zu der demokratischen Gruppenhochschule. Sie wird daher die demokratischen Strukturen wieder stärken und dies bedeutet auch, dass der Hochschulrat umgekehrt geschwächt werden wird. Der Hochschulrat ist ein wichtiges Gremium – sollte aber eine rein beratende Funktion haben.
10. Der Frauenanteil unter Studierenden liegt inzwischen bei fast 50%. Es gibt aber immer noch starke geschlechtsspezifische Unterschiede, welche Fachrichtung studiert wird (z.B. Elektrotechnik und Maschinenbau: nur um die 5% Studentinnen an Universitäten). Welche konkrete Maßnahmen planen Sie daher, um Frauen zu motivieren und zu unterstützen, besonders in den bisher eher "Männerdominierten" Studienfächern ein Studium aufzunehmen?
Hochschulen müssen motiviert werden, den Anteil von Frauen in den beschriebenen Männerdomänen" zu erhöhen. Der wirkungsvollste Hebel dafür ist die staatliche Finanzierung der Hochschulen. Wir werden die Kriterien der leistungsorientierten Mittelzuweisung dahingehend abändern, indem gerade in den Beschriebenen Bereichen die Einstellung von Professorinnen und die Ausbildung von Absolventinnen gefördert werden.
Darüber hinaus sind die Hochschulen gehalten, Frauennetzwerke zu fördern. Wir wollen, dass Hochschulen im Rahmen ihres autonomen Handels die Förderung von Frauen als einen ihrer Schwerpunkte auch begreifen.
11. Im wissenschaftlichen Mittelbau und bei C3- (und noch mehr bei C4-) Professuren ist schließlich ein geringer Frauenanteil offensichtlich - der sogar geringer ist als bspw. in der Türkei. Was wollen Sie unternehmen, damit mehr Frauen eine wissenschaftliche Karriere anstreben, um so letztlich auch zu mehr Professorinnen zu kommen?
Auf die Antwort zu Frage 10 wird verwiesen.
12. Was bedeutet Geschlechtergerechtigkeit für Sie, ganz allgemein und speziell im Kontext der Bildungspolitik?
Chancengleichheit für Jungen und Mädchen, Männer und Frauen.
13. Es entsteht inzwischen oft der Eindruck, dass das Finanzministerium die anderen Ressorts regiert. Sind Sie der Meinung, Bildungsreformen müssten "kostenneutral" umgesetzt werden und warum sehen Sie das so?
Das Finanzministerium hat natürlich eine Schlüsselstellung. Das ist trivial. Dennoch müssen Bildungsreformen nicht kostenneutral sein – in den meisten Fällen geht das gar nicht. Es gibt auch Finanzminister/innen, die das wissen und auch richtig finden.