Think Tank für StudiengebührenWie das Centrum für Hochschulentwicklung Politik an Hochschulen macht
Von Kyrosch Alidusti
Wie das CHE Erfolge feiert
Der Leiter des CHE, Detlef Müller-Böling, bilanziert in einer Festschrift zu Ehren von Norbert Szyperski aus dem Jahr 2006, bis zu diesem Zeitpunkt seien »erstaunlich angesichts der Änderungsgeschwindigkeit sozialer Systeme – weite Teile der Reform zumindest in der Grundphilosophie umgesetzt.«1 Was er als Grundphilosophie bezeichnet, hatte er in seinem Buch »Die entfesselte Hochschule« aus dem Jahr 2000 in sieben Leitbilder für die Hochschule der Zukunft konkretisiert. Die Hochschulen sollten
- » - im Wettbewerb ihre Leistungsfähigkeit entwickeln wirtschaftlich den Einsatz ihrer Ressourcen gestalten international an der globalen Wissenschaftsentwicklung teilhaben virtuell die Chancen neuer Medien nutzen profiliert ihre eigene Identität finden autonom ihre Ressourcen, ihr Personal und ihre Organisation entwickeln, damit sie wissenschaftlich ihre Aufgaben in Forschung, Lehre und Weiterentwicklung erfüllen könnten.«2
Dieser Artikel ist eine vom Autor stark gekürzte Fassung des wissenschaftlichen Aufsatzes »Wie das CHE Inhalte stiftet – die "Politikberatung" der Bertelsmann-Tochter«, der Ende Oktober 2007 in der zweiten und überarbeiteten Auflage des Buches »Netzwerk der Macht - Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh« erschenit. Das Buch kann beim BdWi-Verlag vorbestellt werden und wird nach Erscheinen umgehend zugestellt. |
In der Selbstwahrnehmung des CHE ist seine Hochschulpolitik eine Erfolgsgeschichte. Ein Meilenstein für die strukturellen Veränderungen in den Hochschulen war die Debatte um die Änderung des Hochschulrahmengesetzes, das den Rahmen für die Ausgestaltung der Landeshochschulgesetze bildet. Hier wurden der Bachelor- und Masterabschluss ermöglicht und die Gruppe der Juniorprofessoren in die Personalstruktur eingeführt. In NRW folgte 1999 der so genannte Qualitätspakt, der die Hochschulen unter finanziellen Druck setzte, den geplanten 2000 Stellenstreichungen zuzustimmen und eine stärkere Mittelkonzentration und »Profibildung« in Bereichen zu praktizieren, die ihnen als »innovativ« und »wettbewerbsfähig« erschienen.
Nach dem Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen von Rotgrün zu Schwarzgelb im Jahre 2005 radikalisierte das »Hochschulfreiheitsgesetz«5 (HFG) diese Tendenzen. Das HFG kann getrost als juristische Umsetzung des Konzeptes »Entfesselte Hochschule« verstanden werden. Es regelt die Verfasstheit der Hochschule. Sie sind »künftig Arbeitgeber bzw. Dienstherr ihres Personals. [...] Auch bei den Finanzen bekommen die Hochschulen weitgehende Handlungsfreiheit.«6. Das HFG reduziert die traditionellen Selbstverwaltungsorgane auf reine Beratungsfunktionen und verlagert die wesentlichen Entscheidungsbefugnisse an der Spitze der Hochschule (Präsidium), die künftig wie ein Unternehmensmanagement agieren kann. Das Präsidium ist wiederum von einem »Hochschulrat« abhängig, der mehrheitlich aus externen »Experten« besteht. Dieser muss dem »Hochschulentwicklungsplan« und dem »Wirtschaftsplan, zur unternehmerischen Hochschultätigkeit«7 zustimmen und hat damit Lenkungsfunktion.8
Verstärkt wurde die Wettbewerbsorientierung dadurch, dass die Hochschulen die Mittel der Betriebswirtschaft, wie das »ganzheitliche[..] Controlling« und die »Kosten- und Leistungsrechnung«9 anwenden und unternehmerisch handeln sollen.
Das HFG wurde von einer Landtagsmehrheit verabschiedet. Auffällig ist jedoch, dass die Kriterien der »entfesselten Hochschule« erfüllt wurden. Nach der Verabschiedung des HFG wurde das CHE vom Ministerium zudem mit der Begleitung und Auswertung beauftragt, es soll den Hochschulen behilflich sein, »die Möglichkeiten des neuen Hochschulrechts optimal zu nutzen«.10
Bertelsmann Stiftung im Hintergrund
Das CHE ist eine Gründung der Bertelsmann Stiftung, die den größten Teil seines jährlichen Budgets von Zweimillionen Euro bereitstellt. Die Bertelsmann Stiftung wiederum ist als größte Aktieninhaberin, allerdings ohne Stimmrecht, stark mit der Bertelsmann AG verbunden.11 Der Bertelsmann AG gehören unter anderem die Fernsehsender der RTL-Gruppe und mit Gruner und Jahr das stärkste Zeitschriftenhaus Europas, zudem auch der Stern gehört12, in dem lange Zeit das CHE-Hochschulranking erschien.
Mit einem derart hohem Finanzvolumen ausgestattet handelt es sich bei der Bertelsmann Stiftung um die größte operativ handelnde Unternehmensstiftung in Deutschland.13 Das Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung Werner Weidenfeld, gleichzeitig Leiter des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP), ebenfalls eine Gründung der Bertelsmann Stiftung, erläutert das Operative an der Stiftung wie folgt: »Wir ermitteln den Handlungsbedarf, wir entwickeln Lösungskriterien für diese Probleme, Strategien und bemühen uns dann auch, an der Umsetzung dieser Strategien mitzuwirken.«14 Das heißt, dass die Stiftung, und in gleicher Weise ihre Tochter CHE, sich damit die Deutungsmacht nimmt, wo Reformbedarf besteht und Themen setzt. Bezieht man nun die Bertelsmann gehörenden Medien in die Überlegung ein, verfügt die Stiftung über häufig kaum wahrgenommene Möglichkeiten, auf die Öffentlichkeit Einfluss zu nehmen und Modelle für nahezu alle Politikbereiche anzubieten. Andere politische Akteure geraten damit automatisch in Zugzwang.
Thunert nennt als Kommunikationstechnik der Think Thanks jüngeren Typs unter anderem »Produkt-PR, politische Kommunikation oder Strategieberatung«15 In unserem Zusammenhang kann man PR als Pflege und Förderung von Beziehungen definieren, die das Ziel haben, Akzeptanz und Glaubwürdigkeit zu schaffen. Entscheidend ist, dass Politik und Medien Kommunikationsempfänger des eigenen Wirkens sind und als Multiplikatoren wirken sollen.
Die Bertelsmann Stiftung und das CHE verfügen zudem über zahlreiche persönliche Kontakte in der Politik. So schrieb Gerhard Schröder das Geleitwort zur Broschüre »25 Jahre Bertelsmann Stiftung. Reformbilanz«. Darin hebt er hervor, wie gern er sich »an die intensiven und ertragreichen Gespräche« bei den verschiedenen Bertelsmann Foren oder »den Kanzlerdialogen« erinnere.16 Auch Angela Merkel17 besucht die Foren und Jürgen Rüttgers werden ebenfalls enge Kontakte zur Bertelsmann Stiftung nachgesagt. Die Parteizugehörigkeit der Politiker spielt keine Rolle. »Wir haben jeweils immer den unterstützt, von dem wir meinen, dass der also die richtige Auffassung hat«, verriet Müller-Böling in einer Sendung des Deutschlandfunks.18 Die Verfügung über Geld, Medien und persönliche Netzwerke rundet die politischen Beeinflussungsstrategien ab.
Gründung des CHE als joint venture
Das CHE entstand 1994 als gemeinnützige GmbH in gemeinsamer Trägerschaft der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Bertelsmann Stiftung. Die HRK verband mit dieser Gründung die Erwartung, die Strukturen der Hochschule mit Hilfe einer vermeintlich neutralen Experten-Agentur zu modernisieren. Zielsetzung war, dass sich das Hochschulwesen stärker wettbewerblich orientieren müsse. »Sie entschloss sich deshalb zu der Kooperation mit der Bertelsmann-Stiftung, die ihrerseits innovative Lösungen im Bildungsbereich fördern wollte«19, soweit die Darstellung der HRK.
Die joint-venture-Konstruktion des CHE wirkt im Rückblick als gelungener Schachzug. Schließlich gilt die HRK in der Öffentlichkeit als politische Repräsentantin des staatlichen deutschen Hochschulsystems. Dabei war auf dem Tandem das CHE derjenige der Partner, der Tempo und Richtung vorgab. Seit seiner Gründung propagierte es die Einführung von Studiengebühren, die vom HRK-Plenum mehrfach abgelehnt wurden – und erst 2003 eine Mehrheit fanden.
Die politische Kommunikation des CHE
Wie bereits dargelegt, bedeutet das NRW-Hochschulfreiheitsgesetz (HFG) die derzeit weitest gehende Umstrukturierung der Hochschulen. Tatsächlich kommen Name und die wesentlichen Inhalte aus Gütersloh.20 Es entfaltete sich im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens ein Austausch zwischen dem Ministerium und dem CHE, das einem Ping-Pong-Spiel glich. Ende 2005 veröffentlichte das CHE seine »Zehn CHE-Anforderungen für ein Hochschulfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen« und stellte mit einer Pressemitteilung sicher, dass die Vorschläge richtig verstanden würden.21 Innovationsminister Pinkwart präsentierte einen Monat später die »Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes«.22 Bereits zwei Tage darauf bewertete das CHE die Eckpunkte, in dem es sie mit seinen Anforderungen verglich. »Die Eckpunkte enthalten insoweit sehr gute Ansätze und Zielaussagen. Jetzt müssen sie in einigen Aspekten ergänzt und dann mutig und umsichtig in Gesetzesform gegossen werden«.23 Das Gesetz ist schließlich am 25. Oktober 2006 verabschiedet worden und trat am 1. Januar 2007 in Kraft. Zwischen dem energischen Meinungsaustausch und dem Kabinettsbeschluss, dem ein Referentenentwurf vorausging, lag eine erstaunlich kurze Zeitspanne. Erstaunlich vor allem, weil ein derartig radikaler Umbau eine ausführliche öffentliche Pro- und Contra-Diskussion erfordert hätte.
Kurz darauf bewertet Müller-Böling das Gesetz zunächst positiv um einen nächsten Schritt zu fordern. »Zur umfassenden Autonomie gehört übrigens auch die Übertragung der Liegenschaften – hier muss [Hervorhebung K.A.] noch nachgebessert werden«24 Die Kommentare, Bewertungen und Empfehlungen des CHE sind als Ausdruck der Beziehung zum Ministerium interessant. Hier zwei Beispiele aus dem wohlklingenden Papier »CHE begrüßt Eckpunkte für NRW-"Hochschulfreiheitsgesetz", sieht aber noch Entwicklungspotenziale«: »Diese Forderung wird erfüllt«, »[d]ieser erhebliche Aspekt fehlt. Das zukünftige Gesetz sollte ihn in jedem Fall berücksichtigen« oder »[e]s bleibt zu wünschen, dass…«25 Diese Art der Kommentierung und Bewertung kann durchaus als Machtkommunikation gewertet werden, die das CHE dominiert. Das bedeutet nicht, dass das Ministerium ein Befehlsempfänger wäre. Vielmehr scheint es so, als ob diese Art der politischen Kommunikation und Politikumsetzung bewusst gewählt würde, um sich lange politische Auseinandersetzungen zu ersparen.
Wie sich das CHE um soziale Gerechtigkeit sorgt
Seit den 1970er Jahren, der Zeit der »Bildungsexpansion« wurde Bildungsteilhabe in der Bundesrepublik von einem größer werdenden Teil der Bevölkerung als Chance des sozialen Aufstiegs, der kulturellen Teilnahme sowie als Möglichkeit der persönlichen und gesellschaftlichen Emanzipation gesehen. »Die Bildungsexpansion hat [..] ein paradoxes Ergebnis produziert: Sie hat die Bildungschancen aller Schichten verbessert, ohne gleichzeitig gravierende schichttypische Ungleichheiten zu beseitigen.«26
Bei seiner Gründung fand das CHE einen stabilen und mehrheitsfähigen politischen Konsens vor, dass nicht nur Bildung unentgeltlich zu sein, sondern dass der Staat auch einen sozialen Bildungsförderauftrag habe. Gleichzeitig wurde in den 90er Jahren die Dominanz gehobener sozialer Schichten an den Hochschulen in der öffentlichen bildungspolitischen Debatte zunehmend als Problem thematisiert. Eine scheinbar schwierige Situation für die Studiengebührenbefürworter. Das Kunststück bestand darin, die Studiengebühren als »sozial« erscheinen zu lassen.
Mitte der 1990er Jahre wurde vom CHE die Behauptung aufgestellt und systematisch in die Öffentlichkeit gebracht, die Inanspruchnahme eines Studiums, das über Steuern finanziert werde, sei für diejenigen, die selbst nicht studieren oder studiert haben, ungerecht. In der deutschen Öffentlichkeit wirkte dies relativ ungewohnt, ungeachtet dessen, dass diese Argumentation ein Ladenhüter »angebotsorientierter« Wirtschaftstheorie ist.27
Müller-Böling führte die Kernthese unter anderem 1996 in einem Artikel mit dem Titel »Ohne Gebühren geht es nicht«28 ein. Hier heißt es: »Da der Anteil an Studierenden aus höheren Einkommensschichten weiterhin eindeutig dominiert, finanzieren einkommensschwächere Steuerzahler eine Ausbildung, die darüber hinaus zu höherem Einkommen führt. Damit ergibt sich eine Umverteilung von ärmeren auf reichere Schichten. Das ist unsozial.« Diese These wurde nun öffentlich immer öfter wiederholt.
Im Jahr 2000 veröffentlichte das CHE eine eigene Studie29, die Müllers-Bölings Aussagen scheinbar wissenschaftlich stützte. Hiernach wurde die Umverteilungswirkung des gebührenfreien Studiums und die Aussage, Studiengebühren seien sozial gerecht, Bestandteil fast aller CHE Papiere.
Nach der Aufhebung des Verbots von Studiengebühren im Hochschulrahmengesetz 2005 frohlockte die Welt:, »(b)isher war das Verbot von Studiengebühren - wie die Eigenheimzulage - überwiegend eine Subvention für den Mittelstand, dessen Sprösslinge in den Genuss eines Gratisstudiums kamen. Damit ist jetzt Schluss.«30 Und auch in der Begründung des Regierungsentwurfs zum »Gesetz zur Sicherung der Finanzierungsgerechtigkeit im Hochschulwesen« für NRW wird entsprechend argumentiert. Das Gesetz, das die Einführung von Studiengebühren in NRW ermöglichte, schmückte sich mit der Absicht, die ungerechte steuerliche Belastung der einkommensschwachen Familien, die das Studium der Jugendlichen aus einkommensstarken Familien finanzieren, zu beseitigen.31 Als Reaktion auf die Abweisung von Klagen Studierender durch das Verwaltungsgericht Freiburg kommentierte der baden-württembergische Wissenschaftsminister Peter Frankenberg: »Unsere Studiengebühren sind angemessen und gerecht.«32
Der Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags hat sich 2006 mit der Aussage über die Sozialverträglichkeit von Gebühren beschäftigt. Der Autor der Studie, Daniel Lübbert, begründet dies damit, dass diese Argumentation seit Jahren »ebenso vehement vertreten, wie seine Gültigkeit von anderen in Frage gestellt wird.«33 Lübberts Untersuchungsergebnis lautet, dass kein eindeutiges Ergebnis zustande komme, vielmehr bleibe die Antwort »deshalb meist von persönlichen und politischen Überzeugungen mit geprägt« Daher zieht er den Schluss, dass »die These von der regressiven Umverteilung nicht geeignet« sei, »als maßgebliches Argument für die Einführung von Studiengebühren zu fungieren.«35
Doch selbst wenn man der Meinung ist, die öffentliche Finanzierung der Hochschulen bedeuteten eine weitere Privilegierung ohnehin zahlungskräftiger sozialer Schichten, stellt sich die Frage wie man mit Studiengebühren diesen Zustand im Sinne einer sozial ausgewogeneren Bildungsbeteiligung ändern kann. Das Gegenteil kann angenommen werden, nämlich, dass die Gebühren die Teilhabe einkommensschwacher Schichten an der Hochschulbildung noch weiter verringern. Um diesem Dilemma auszuweichen, wurde die ideologische Figur der »sozialverträglichen Studiengebühren« entwickelt. Es handelt sich dabei um eine Begriffskonstruktion, die in den 80er Jahren noch kein Mensch kannte. Dass diese Figur ursächlich auf das CHE zurückzuführen ist, ist schwer zu beweisen.
Die Argumentation bietet den Gebührenbefürwortern einige Vorteile im Sinne einer Problemverschiebung. Erstens wird die Frage der Wirkung von Studiengebühren auf die gesamtgesellschaftliche Verteilung von Bildungschancen, kurz deren soziale Dimension, komplett ausgeklammert, indem der Fokus der Problemwahrnehmung auf abstrakt-juristische banktechnische Kriterien verengt wird. Zweitens wird verschwiegen, dass sich die Studienkosten für diejenigen, die auf Kredite angewiesen sind, erheblich verteuern und sich in Abhängigkeit von Laufzeit und Zinsen schon mal locker verdoppeln können. Daraus ergibt sich für alle, die Gebühren nicht aus dem Familieneinkommen finanzieren können, eine – keineswegs soziale – Zusatzbelastung.36
Meinungsmache mit Meinungsumfragen
Die massivsten Studierendenproteste gegen die Änderungen des Hochschulrahmengesetzes (HRG) durch den damaligen Bundesbildungsminister Rüttgers fanden im Wintersemester 97/98 und kurz vor dem Bundestagswahlkampf 1998 statt. Die Forderung nach einem Verbot von Studiengebühren in der anstehenden HRG-Novelle wurde zum zentralen Thema in der Wahrnehmung des so genannten »Lucky Streiks«. Genau das Gegenteil wollten das CHE und die HRK, nämlich dass ein Verbot unter keinen Umständen im Gesetz formuliert werde.
Das CHE äußerte in diesem Zusammenhang die Befürchtung, dass der Streit um die Gebühren zwischen der CDU und der SPD die gesamte HRG-Novelle scheitern lassen könnte. Letztlich wurde das Gesetz gegen den Widerstand der SPD verabschiedet und vom damaligen Bundespräsidenten Herzog im August 1998 unterzeichnet. Das CHE präsentierte nach dem Streik und vor der entscheidenden Bundesratsitzung zum HRG eine Umfrage, die Wirkung hatte. Christian Füller, der für Hochschulpolitik zuständige Redakteur der taz griff diese am 5.3.1998 auf.37 Der Befragung zu Folge war ein großer Teil der Bevölkerung und auch der Studierenden bereit, Gebühren zu zahlen, wenn diese statt an das jeweilige Bundesland direkt an die Hochschulen flössen.
Auf Seite eins titelt Füller: »Studiengebühren? Ja, aber...«. Unterüberschrift: »Das Wahlvolk ist intelligenter als die Regierung« Er schreibt von einem »Rüffel für rot-grüne Anti-Gebühren-Fundis und gleichzeitig eine empirisch gut gestützte Absage an die Bundesregierung«38 Auf Seite sechs differenziert er in seinem Artikel: »Unter Umständen wollen StudentInnen zahlen«. Demnach votierten »61 Prozent der potentiellen WählerInnen von SPD und Bündnisgrünen fürs bezahlte Studium. Voraussetzung wäre allerdings, daß das Geld den Hochschulen zugute kommt.«39 Selbst wenn Füller auch Gebührengegner zu Wort kommen lässt, übernimmt er die politischen Aussagen des CHE. Torsten Bultmann, Bundesgeschäftsführer des BdWi, reagierte mit einem Leserbrief. Darin kritisiert er die Umfrage als »demoskopische[..] Inszenierung« und fährt fort, »jeder halbwegs kritische Journalist [könnte] von allein merken, was hier abläuft: keine wissenschaftlich seriöse Meinungsforschung, sondern eine politische Werbekampagne!«40
Die Befragung wurde im Auftrag des CHE vom FORSA-Institut durchgeführt. Dessen präziser Arbeitsauftrag lautete aber, die Befragten drei verschiedene Studiengebührenmodelle bewerten zu lassen. Jeder, der sich an der Befragung beteiligte, wurde automatisch als Gebührenbefürworter verbucht – nicht von FORSA, aber in der medialen Präsentation der Ergebnisse durch das CHE.
In den Augen der Öffentlichkeit wurden durch dieses Verfahren die studentischen Massenproteste gegen Studiengebühren isoliert und als »Minderheitenposition« etikettiert, die Presse sprach gar von »Fundamentalopposition«, die konträre Meinung des CHE wurde legitimiert und drittens konnte der Politik signalisiert werden, solltet ihr euch für Gebühren aussprechen, steht ihr nicht allein, die Bevölkerung ist hinter euch!41
Resumée
Wie gezeigt werden konnte, dominiert das Centrum für Hochschulentwicklung seit Jahren die hochschulpolitische Diskussion. Das CHE nutzt, um Einfluss zu gewinnen und ihn zu erweitern, kampagnenförmige Kommunikation, wie im Fall der »gerechten Studiengebühren«, direkten Einfluss bei der Gesetzgebung, wie im Fall des Hochschulfreiheitsgesetzes oder strategische Kommunikation, wie bei den terminlich günstig publizierten Umfragen. In den Medien kommen dem CHE das Ansehen und die finanziellen Ressourcen der Bertelsmann Stiftung sowie deren politischen Kontakte zu Gute. Inzwischen ist das CHE bekannt und verwendet seinen Namen als Markenzeichen. Sein Bertelsmann-Hintergrund, der ihm Aufmerksamkeit sichert, ist neben dem Zeitgeist ein Faktor, warum das Centrum auf dem hochschulpolitischen Feld, auf dem sich auch viele andere Verbände, Gewerkschaften und Studierendenorganisationen tummeln, so viel erfolgreicher agieren kann. Letztlich führt dies auch dazu, dass die Vertreter anderer inhaltlicher Positionen im Bewusstsein der Öffentlichkeit immer weniger vorkommen.
Zum Autoren
Kyrosch Alidusti, geb. 1974, studierter Politikwissenschaftler, von 1998–2001 Mitarbeiter und Referent im Hochschulpolitischen Referat des Bonner AStA und aktiv beim fzs und ABS. Er arbeitet er als freier Journalist und Dozent in der Erwachsenenbildung und studiert an der Universität Siegen.
Literatur - Auswahl42
Bökelmann, F., Fischler, H., 2004: Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums, Frankfurt a.M.
Ederer, P., Kopf, C., Schuller, P. u.a., April 2000: Umverteilung von unten nach oben durch gebührenfreie Hochschulausbildung. Materialsammlung, in: CHE – Centrum für Hochschulentwicklung (Hrsg.): Arbeitspapier Nr. 26, http://www.che.de/
Geißler, R., 2006: Bildungschancen und soziale Herkunft S. 43 in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4/2006, S. 34-49.
Honecker, P. (Red.): Die heimlichen Bildungsminister: Lobbyismus in der deutschen Hochschulpolitik, Hintergrund Kultur vom 21.11.2003, http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/
Josczok, D., 2001: Bildung - kein Megathema. Ein Zwischenruf , in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) Aus Politik und Zeitgeschichte (B 36/2001), S. 33-38. Lang, T., 2005: Eine ökonomische Analyse der Auswirkungen von Studiengebühren auf die Zugangsgerechtigkeit in der Hochschulbildung, Reihe: Hochschulplanung Bd. 177, hrsg. von der HIS Hochschul-Informations-System GmbH, Hannover
Lübbert, D.: Zu den Umverteilungswirkungen staatlicher Hochschulfinanzierung. Sind Studiengebühren nötig, um »Umverteilung von unten nach oben« zu verhindern? Literaturüberblick und kritische Diskussion, in: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages vom 20.02.2007, 30 S., http://www.bundestag.de/bic/analysen/2007/
Müller-Böling, D., 1995: Qualitätssicherung in Hochschulen. Grundlage einer wissenschaftlichen Gesellschaft, in: Ders. (Hrsg.): Hochschulen. Forschung - Lehre - Management ; Eröffnungsveranstaltung des CHE, Centrum für Hochschulentwicklung am 25./26. Januar 1995 in der Stadthalle Gütersloh, Gütersloh 1995, S. 27-45.
Müller-Böling D., 2000: Die entfesselte Hochschule. Gütersloh
Struben, M., 2004: Bild dir deine Meinungsumfrage – Demoskopie als Demagogie; in: Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler/freier zusammenschluss der studentInnenschaften (Hrsg.): Studiengebühren, Elitekonzeptionen & Agenda 2010 (Reihe: BdWi-Studienheft 2), Marburg. S. 25-26.
Thunert, M., 2003: Think Tanks in Deutschland – Berater der Politik? In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 51/2003, S. 30–38.
Weidenfeld, W., 1997: Den Wandel möglich machen, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Operative Stiftungsarbeit. Strategien – Instrumente – Perspektiven, Gütersloh, S. 17-23.
Fußnoten
1 Müller-Böling, Detlef, 2006: Nach der Reform ist vor der Reform. Neue Herausforderungen für die entfesselte Hochschule, in: Hans J. Oppelland (Hrsg.): Deutschland und seine Zukunft Innovation und Veränderung in Bildung, Forschung und Wirtschaft (Festschrift zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. h.c. Norbert Szyperski), Lohmar, S. 193-208, S. 195.
2 Ebd. vgl. ausführlich: Müller-Böling, D., 2000: Die entfesselte Hochschule. Gütersloh
3 Müller-Böling, D.: 10 Jahre CHE. Anstoß, Begleitung und Konzepterarbeitung, in: ders. (Hrsg.:) CHEck up 1/ 2004, S. 3.
4 Ebd.
5 Die Namen verschleiern in allen Fällen deutlich die Themenstellungen oder sind, wie im Falle des »Gesetzes zur Sicherung der Finanzierungsgerechtigkeit im Hochschulwesen«, dessen Inhalt die Einführung von Studiengebühren ist, ein politisches Statement. Der Name des Hochschulfreiheitsgesetzes entstammt einem Papier des CHE (s.u.).
6 Pressemeldung des Ministeriums für Innovation Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 2006. http://www.innovation.nrw.de/
7 Hochschulfreiheitsgesetz (HFG), § 21 Abs. 1.2 und 1.3 (http://www.innovation.nrw.de/
8 Vgl. Lieb, W.:»Hochschulfreiheitsgesetz« NRW – Elitehochschulen - Der Einfluss von Lobbyorganisationen auf den Staat vom 20.10.2006 (http://www.nachdenkseiten.de/?p=1806). Zugriff am 1.07.2007
9 Vgl. Hochschulfreiheitsgesetz, a.a.O. § 5 Abs. 2
10 Pressemitteilung des Ministeriums für Innovation Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen vom 13. November 2006 (http://www.innovation.nrw.de/
11 Vgl. die Eigendarstellung des CHE auf ihrer Internetseite http://www.che.de/cms/
12 Vgl. (http://www.bertelsmann.de/)
13 Vgl. Barth, T., 2007: Gütersloher Reformvollstrecker und ihr deutscher Sonderweg in den Neoliberalismus, in : Wernicke, J., Bultmann, T. (Hrsg.): Netzwerk der Macht – Bertelsmann.. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh, Forum Wissenschaft Studien, Bd. 54 , 1. Aufl. Marburg, S. 55-73, S. 56
14 Weidenfeld, W., 1997: Den möglich Wandel möglich machen, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Operative Stiftungsarbeit. Strategien – Instrumente – Perspektiven, Gütersloh, 17-23, S. 18
15 Thunert, M. a.a.O., S. 37
16 Schröder, G., 2002: Zum Geleit. In: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): 25 Jahre Bertelsmann Stiftung. Reformbilanz, Gütersloh, S. 6-7, S. 7. In derselben Jubiläumsbroschüre erscheint als Gratulant auch der damalige Ministerpräsident des Landes NRW,Wolfgang Clement, und die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth wird als Kuratoriumsmitglied der Stiftung vorgestellt.
17 Böckelmann, F., Fischler, H., 2004: Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums, Frankfurt a.M., S. 213-250, zum Kontakt mit Angela Merkel S. 247ff.
18 Honecker, P. (Red.): Die heimlichen Bildungsminister: Lobbyismus in der deutschen Hochschulpolitik, Hintergrund Kultur vom 21.11.2003 (http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/
19 Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) http://www.hrk.de/de/projekte_und_initiativen/117.php. Zugriff am 28. 6.2007
20 Vgl. »Zehn CHE -Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz in NRW«, Ende 2005, S. 1-3, S.1 (http://www.che.de/
21 Vgl. Pressemitteilung vom 20.12.2005: CHE formuliert Anforderungen an das »Hochschulfreiheitsgesetz« in NRW (http://www.che.de/
22 Pinkwart, A.: Sprechzettel zur Landespressekonferenz. »Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes« am Mittwoch, 25. Januar 2006 (http://www.innovation.nrw.de/
23 »CHE begrüßt Eckpunkte für NRW-Hochschulfreiheitsgesetz, sieht aber noch Entwicklungspotenziale«, (http://www.che.de/downloads/Bewertung_NRW_Eckpunkte060127_440.pdf Eine entsprechende Mitteilung von Müller-Böling gleichen Titels trägt das Datum 27.1.2006, dem Tag nach der Landespressekonferenz. Vgl. (http://www.che.de/
24 Kaleidoskop, in: Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Hochschulen auf neuen Wegen, Düsseldorf 2007, S. 4-5, S.
25 »CHE begrüßt Eckpunkte ......« a.a.O. , S. 2
26 Geißler, R., 2006: Bildungschancen und soziale Herkunft S. 43 in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4/2006, S. 34-49, S. 40
27 Die Denkfigur wird bis auf den Ahnherren eines radikalen Wirtschaftliberalismus, M. Friedman, zurückgeführt. Einen guten Überblick über die Debatte bietet die Dissertation von Lang: Lang, Thorsten , 2005: Eine ökonomische Analyse der Auswirkungen von Studiengebühren auf die Zugangsgerechtigkeit in der Hochschulbildung, Reihe: Hochschulplanung Bd. 177, hrsg. von der HIS Hochschul-Informations-System GmbH, Hannover
28 Müller-Böling; D.: Ohne Gebühren geht es nicht, in: die tageszeitung vom 27.04.1996, S. 14
29 Ederer, P., Kopf, C., Schuller, P. u.a., April 2000: Umverteilung von unten nach oben durch gebührenfreie Hochschulausbildung. Materialsammlung, in: CHE – Centrum für Hochschulentwicklung (Hrsg.):Arbeitspapier Nr. 26 (http://www.che.de/
30 Poschardt, U.: Endlich mehr Gerechtigkeit, in : die Welt vom 30. Januar 2005 (http://www.welt.de/print-wams/
31 Vgl. Regierungsentwurf des HFGG mit Begründung: Gesetz zur Sicherung der Finanzierungsgerechtigkeit im Hochschulwesen. (HFGG), 65 Seiten, S. 2 (http://www.innovation.nrw.de/
32 »Verwaltungsgericht Freiburg weist erste Klagen gegen Studiengebühren in Baden-Württemberg ab« http://mwk.baden-wuerttemberg.de/
33 Lübbert, D.: Zu den Umverteilungswirkungen staatlicher Hochschulfinanzierung. Sind Studiengebühren nötig, um »Umverteilung von unten nach oben« zu verhindern? Literaturüberblick und kritische Diskussion, in: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages vom 20.02.2007, 30 S., S. 5 (http://www.bundestag.de/bic/analysen/2007/
34 Ebd. S. 27
35 Hervorhebungen im Original. Ebd.
36 Die höheren Kosten für einkommensschwächere Herkunftsgruppen mindern zugleich den individuellen ökonomischen Ertrag des Studiums. Dies ist auch – solider analysierenden – Volkswirten aufgefallen: »Durch die Einführung von Studiengebühren in Verbindung mit staatlichen Darlehen öffnet sich die Schere zwischen den Ertragswerten, die von Studienberechtigten aus unterschiedlichen sozialen Herkunftsgruppen erzielt werden können, noch weiter. Studiengebühren in Verbindung mit staatlichen Darlehen dürfen somit aus humankapitaltheoretischer Sicht zu einem niedrigeren Grad der Zugangsgerechtigkeit führen.« (Lang, Thorsten a.a.O. S. 116)
37 Die taz dient hier nur als Beispiel, auch andere Zeitungen griffen die CHE Umfragewerte auf.
38 Füller, Ch.: Studiengebühren? Ja, aber ... in: die tageszeitung vom 5.03.1998, S. 1
39 Füller, Ch.: Unter Umständen wollen StudentInnen zahlen, ebd., S. 6
40 Bultmann, T.: Politische Werbekampagne. betr: Studiengebühren. Ja, aber…, in: die tageszeitung vom 13.03.1998, S. 14
41 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass im Jahre 2003 das CHE noch einmal die gleiche demoskopische Masche mit den gleichen Fragestellungen probierte. Auch dies war vermutlich eine Reaktion auf studentische Massenproteste (gegen die Einführung verschiedener Studiengebührenvarianten), die im Sommersemester 2002 die Hochschulen Nordrhein-Westfalens komplett lahm gelegt hatten. Die rotgrüne Bundesregierung verfolgte darauf hin den Kurs eines gesetzlichen Verbotes von Studiengebühren. Diesmal wurde der Versuch jedoch zum Rohrkrepierer. Aufgrund einer effektiven Gegeninformationskampagne des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren stand das CHE auch in der überregionalen Presse, einschließlich der taz, als blamiert da. Vgl. dazu: Struben, Markus, 2004: Bild dir deine Meinungsumfrage – Demoskopie als Demagogie; in: Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler/freier zusammenschluss der studentInnenschaften (Hrsg.): Studiengebühren, Elitekonzeptionen & Agenda 2010 (Reihe: BdWi-Studienheft 2), Marburg. S. 25-26. Und auch Studis Online berichtete damals: Studierende nur manipuliert für Studiengebühren
42Vollständige Quellenangaben befinden sich in den Fußnoten