Studiengebührenboykott 2007Eine Zwischenbilanz
Versuche, durch Zahlungsverweigerung Rückmelde- oder Studiengebühren zu verhindern bzw. wieder abzuschaffen, gab es in den letzten Jahren immer wieder. Meist wurde dies damit verbunden, dass die Zahlungsverweigerer den jeweiligen Beitrag auf ein Treuhandkonto (verwaltet durch einen Anwalt) einzahlen. Wenn zu einem vorher vereinbarten Stichtag genügend TeilnehmerInnen dabei sind ("Quorum"), wird das Geld einbehalten und schließlich im Erfolgsfall an die Teilnehmenden zurückgezahlt. Kommt die gewünschte Beteiligung nicht zustande, wird das Geld doch an die Stelle gezahlt, die die Gebühr fordert.
Das Quorum wird dabei so gewählt, dass die OrganisatorInnen (und hoffentlich auch genügend TeilnehmerInnen) davon ausgehen, dass die Zahl so groß ist, dass die angedrohten Zwangsmaßnahmen - im Fall der Studiengebühren die Zwangsexmatrikulation - nicht durchgeführt werden und stattdessen Zeit für Verhandlungen entsteht, an deren Ende eine Abschaffung der bekämpften Gebühr steht. Zumindest wird jedoch ein Zeichen gegen die jeweilige Gebühr gesetzt (und man sollte dabei nicht vergessen: auch wenn viele Dinge nicht verhindert wurden - durch Proteste werden sie oft zumindest verzögert oder abgemildert oder Erhöhungen verhindert).
Boykott grundsätzlich möglich
Dass die Idee an sich durchaus genügend UnterstützerInnen finden kann, zeigt sich aktuell daran, dass an drei Hochschulen die gewünschten Quoren tatsächlich zustande gekommen sind. Dabei handelt es sich durch die Bank um kleine Kunst- und Musikhochschulen in Karlsruhe mit jeweils um die 300 Studierenden.
Dass es gerade an diesen Hochschulen klappte, mag daran liegen, dass in Karlsruhe - vor allem an der Universität - eine große Erfahrung bezüglich der Organisation eines Gebührenboykotts besteht. An der Uni (und einigen weiteren Hochschulen) wurde bereits 1997 und 2003 versucht, die Rückmeldegebühren zu boykottieren. Diesmal organisierte der UStA, die Studierendenvertretung der Uni, Treuhandkonten gleich für alle Hochschulen in Karlsruhe.
Die Arbeit, ein Treuhandkonto zu organisieren, war den Studierendenvertretungen an den kleinen Hochschulen somit abgenommen, sie konnten sich um so besser darauf konzentrieren, ihre Studierenden zu erreichen. An kleinen Hochschulen mit wenigen hundert Studierenden ist dies sicher einfacher, als an großen "Massenunis". Trotzdem kam offenbar das Glück hinzu, dass an allen drei Hochschulen genügend motvierte Studierende die Sache ins Rollen brachten. Sind dann rechtzeitig vor Ablauf der Frist relevante Zahlungen auf dem Konto, ziehen eher noch mehr mit, als wenn es wenige Tage vor Fristende noch nicht einmal ein Viertel sind - wie es an den meisten großen Unis war, bei denen das Geld auf den Treuhandkonten schließlich normal an die Hochschulen gezahlt wurde.
Schließlich mag es tatsächlich noch so sein, dass "Künstler" tatsächlich etwas rebellischer als "normale" Studierende sind. Und natürlich mögen sich die drei Hochschulen gegenseitig etwas hochgeschaukelt haben - an der Musikhochschule haben die Aktiven am letzten Tag noch Leute überredet, direkt beim Anwalt einzuzahlen, damit das Quorum noch geschafft wurde, sie wollten nicht als einzige der kleinen Hochschulen wegen drei fehlender Einzahler scheitern.
"Mittlere" Hochschulen haben Quorum teilweise verhältnismäßig knapp verfehlt
Am nächsten "dran" am jeweiligen Quorum waren ansonsten noch einige Pädagogische Hochschulen in Baden-Württemberg. Diese Hochschulen sind zwar schon deutlich größer, als die drei Karlsruher Boykott-Hochschulen, aber mit unter 5000 Studierenden immer noch etwas überschaubarer und durch die Tatsache, dass dort so gut wie alle auf Lehramt studieren, homogener in der Zusammensetzung der Studierenden (was die Ansprache durchaus leichter macht).
Auch hier also ist die Tendenz zu erkennen, dass es an "kleineren" Hochschulen etwas einfacher zu sein scheint. Auch wenn es jeweils nicht ganz gereicht hat.
Trotzdem bleibt immer ein ausreichend großer Kern von überzeugten Aktiven notwendig. Wenn dieser nicht gegeben ist, sieht die Beteiligung auch an ansonsten "aussichtsreichen" Hochschulen nicht so gut aus. So war es z.B. an der PH Karlsruhe, die von ihrem Quorum weit entfernt blieb.
Große Hochschulen haben es am schwersten
An großen Hochschulen (insbesondere Universitäten) hat es bisher nicht geklappt, das Quorum zu erreichen, einige wenige Unis stehen noch aus (Karlsruhe, Oldenburg, Siegen; später dann noch Hamburg, die erst im Juni die Gebühren zahlen müssen). Was könnten die Gründe dafür sein?
Sicherlich gibt es überall auch Studierende, die Studiengebühren in Ordnung finden. Vermutlich wird das an einigen Hochschulen stärker der Fall sein, als an anderen - man kann jedenfalls je nach Studienfach oft gewisse politische Tendenzen der jeweiligen Studierenden ausmachen. Dies ist allerdings eine Frage, die sich - wenn überhaupt - nur vor Ort klären lässt. Es dürfte davon unbenommen nicht der Hauptgrund dafür sein, dass ein Boykott nicht zustande kommt, auch wenn es sicherlich an Hochschulen mit mehr GebührenbefürworterInnen sicherlich schwerer ist.
Grundsätzlich darf man die Angst der Studierenden, durch den Boykott den Studienplatz zu verlieren, nicht unterschätzen. Alles argumentieren hilft jedoch nur begrenzt und je größer (und damit meist auch anonymer) eine Hochschule ist, desto schwerer lassen sich offenbar die Studierenden erreichen und überzeugen. Dass jemand mit den Geldern auf dem Treuhandkonto verschwindet, ist zwar durch die juristische Konstruktion praktisch nicht möglich - trotzdem dürfte das Misstrauen auch in Bezug darauf an großen Hochschulen größer sein.
Wer auf das Treuhandkonto einzahlt, muss tatsächlich die 500 Euro "da haben". Wer wirklich kein Geld hast, konnte nicht teilnehmen. Zwar hat das an den drei kleinen Hochschulen, die es trotzdem geschafft haben, auch gegolten, aber man darf nicht unterschätzen, dass so auf jeden Fall auch einige potentielle TeilnehmerInnen verloren gegangen sind. Sie haben möglicherweise lieber das Studienbeitragsdarlehen aufgenommen und mussten so zunächst gar nichts zahlen - wenn sie auch später zusätzlich Zinsen aufbringen müssen.
Die wenigen Hochschulen, die dafür eine Alternative geschaffen hatten und denjenigen, die gerade kein Geld haben, die Möglichkeit einräumten, 5 Euro zu überweisen, hatten die Schwierigkeit, diese Unterscheidung zu erklären. Zusätzlich ergibt sich bei Scheitern des Boykotts, dass diese TeilnehmerInnen dann selbst sehen müssen, wie sie doch noch zu einer korrekten Rückmeldung kommen (doch noch 500 Euro überweisen an die Hochschule oder - wenn das so spät überhaupt noch geht - ein Studienbeitragsdarlehen aufnehmen).
Ein Faktor mag auch - gerade an "anonymen Massenunis" - folgender gewesen sein, wir zitieren den Heidelberger AK-Studiengebühren-Sprecher Christian Axtmann: "Gerade diejenigen Studierenden, die von Haus aus finanziell besser gestellt sind, haben anscheinend kein Gefühl mehr für gesellschaftliche Verantwortung."
Schließlich - selbst wenn ein Boykott nicht zustande kommt - ist schon die Organisation eines Treuhandkontos und die Informationskampagnen dafür durchaus ein Erfolg. Denn so wird auf die Problematik von Studiengebühren zumindest hingewiesen.
In Baden-Württemberg geht noch einiges
Für die Boykotteure der kleinen Karlsruher Hochschulen wird die Lage zunehmend ungemütlich. Gegenüber der Landesregierung sind sie dann doch nicht die Masse, die großen Druck ausüben kann. Aber ihre eigenen Hochschulen dürften trotzdem nicht gerade erfreut sein, wenn sie wirklich jeweils mehr als ein Drittel ihrer Studierenden exmatrikulieren müssen und das vielleicht zumindest hinauszögern.
An der Musikhochschule geben die Studierenden ihren Boykott am 19.02. trotzdem auf. An dieser Hochschule war das Quorum nur knapp erreicht worden, was vielleicht ein Grund mehr dafür ist, vielleicht doch nicht zu weit zu gehen. "Da an den meisten anderen Hochschulen und Universitäten das erforderliche Quorum nicht erreicht wurde, sehen wir uns nicht mehr in der Lage, den Boykott länger aufrecht zu erhalten. Die Gefahr, exmatrikuliert zu werden ist ohne deren Beteiligung einfach zu groß", erklärte dazu Dominique Anstett vom AStA der Musikhochschule.
Gleichzeitig betont der AStA der MuHo jedoch, dass von Aufgaben keine Rede sein könne. "Über 2.500 Klagen gegen die Zahlungsbescheide sind in Baden-Württemberg anhängig. Weiterhin werden auch die Studierenden der Hochschule für Musik Karlsruhe ihrem Protest gegen Studiengebühren Ausdruck verleihen und auf die negativen Auswirkungen des Gesetzes aufmerksam machen."
Die HfG Karlsruhe hat ebenfalls schon konkret mit Exmatrikulation gedroht, falls bis 28.02. die Studiengebühren (plus 20 Euro Nachfristgebühr) nicht doch noch gezahlt werden (hier ein Scan der Mahnung, die so offenbar an alle bisherigen Zahlungsverweigerer ging). Aber ob die HfG diese Drohung dann auch wahrmachen würde - das muss man noch abwarten.
Die boykottierenden Studierenden an der HfG jedenfalls wollen es offenbar darauf ankommen lassen und zumindest abwarten, ob nicht die Uni Karlsruhe noch zu den Boykotteuren dazu stoßen kann. An der Uni Karlsruhe endet die First für das Erreichen des Quorums erst am 23.März - also noch viel Zeit. Studierende der kleinen Hochschulen - insbesondere der HfG - haben angekündigt, an der Uni bei der Überzeugungsarbeit mitzuhelfen. Vielleicht geht also doch noch mehr.
Auch in anderen Bundesländern bleibt es spannend - auf dem Klageweg
In Hessen waren die Proteste gegen die Einführung von Studiengebühren besonders groß. Vor allem haben sich hier auch viele Hochschulen gegen Gebühren ausgesprochen. Ein Grund für die Ablehnung ist auch ein Passus in der hessischen Landesverfassung, der Schul- und Studiengebühren eigentlich ausschließt, wenn auch gewisse Ausnahmen möglich sind. SPD und Grüne haben eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, vielleicht wird sie noch Änderungen oder gar den Stopp des Gesetzes bringen.
Sollte die Verfassungsbeschwerde zum Start des Wintersemester 2007/2008 noch nicht entschieden sein, könnte es auch in Hessen den Versuch geben, einen Boykott der Studiengebühren zu versuchen.
In Nordrhein-Westfalen wird ebenfalls die Klageschiene noch einige Zeit beschäftigen - Entscheidungen sind bisher keine bekannnt.
Weitere Boykottversuche denkbar
Wie erwähnt, könnte es vor allem Hessen sein, wo noch Boykotte versucht werden - wenn die Klagen bis dahin noch kein (oder ein aus Sicht der Gebührengegner unerwünschtes) Ergebnis bringen.
Ebenso sind im Saarland Anläufe in diese Richtung denkbar, auch dort soll es zum Wintersemester 2007/2008 erstmals Studiengebühren geben.
Zentral organisierte Treuhandkonten (wie in Karlsruhe, der UStA hat sie koordiniert, wenn auch jede Hochschule eigene Detailbedingungen an den Boykott knüpfen konnte) machen dabei offenbar Sinn. So bleibt mehr Zeit für die eigentliche Arbeit: Das Überzeugen der zweifelnden Studierenden, die zwar Gebühren ablehnen, aber Angst haben, dass das ganze zu riskant ist.
Und je größer die Hochschule ist, desto früher sollte die Vorbereitung und die Informationskampagne beginnen, um die Studierenden zu erreichen. Auf der anderen Seite mag es Sinn machen, kleine Hochschulen bei Boykottversuchen zu unterstützen. Wenn vor Ort genügend Studierende von der Idee überzeugt sind, klappt es an kleinen Hochschulen sicherlich einfacher.
Davon abgesehen, dass Studiengebühren zumindest langfristig dazu führen können, dass der Staat sich mehr und mehr aus der Hochschulfinanzierung zurückzieht (und stattdessen die Gebühren immer mehr erhöht) - schon heute werden die Gebühren oft äußerst zweifelhaft eingesetzt und ersetzt ausgebliebenes Geld aus anderen Quellen. Wie z.B. der Artikel "Verheizte Studiengebühren" im Tagesspiegel vom 21.02. zeigt. Demnach will z.B. die Uni Düsseldorf mit den Studiengebühren Marketingkonzepte erarbeiten, um mehr Studienanfänger zu gewinnen. An der Uni Heidelberg soll das Akademische Auslandsamt einen Zuschuss aus dieses Einnahmen erhalten, weil "Sonderzuweisungen" des Wissenschaftsministeriums wegfalle.
Weitere Artikel zum Thema, weitere externe Seite
- Aktueller Stand der Boykott(versuch)e
- In Hamburg zahlt man später - oder gar nicht? (Artikel vom 17.01.2007)
- Minister drohen Studiengebühren-Boykotteuren (Artikel vom 22.12.2006)
- Studiengebühren boykottieren? (Artikel vom 13.11.2006 mit der Grundidee eines Gebührenboykotts und ein wenig Geschichte, also Erfahrungen von früheren Boykotten)
- boykottinfo.de (Bundesweite Webseite zum Gebührenboykott)
- Stand der Dinge in Sachen Studiengebühren (Übersicht von Studis Online, ständig aktualisiert)