Geschlossene Gesellschaft?Die soziale Selektion an den Hochschulen beschleunigt sich
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst in der Erziehung und Wissenschaft 1/2007 der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Wir danken der GEW und dem Autoren für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen. |
Nun ist gegen frisches Geld für die Forschung nichts einzuwenden. Aber die soziale Lage der rund zwei Millionen Studierenden in Deutschland gerät rasch aus dem Blick, wenn man zu sehr von einer deutschen "Ivy League" träumt.
Fakt ist: Das deutsche Hochschulsystem ist hochgradig selektiv. Die Ressource Hochschulbildung ist in der deutschen Gesellschaft höchst ungleich verteilt. Der gleichberechtigte Zugang zum Studium, unabhängig von der Bildungstradition und vom Geldbeutel der Eltern, ist ein noch immer unerreichtes Ziel.
* Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2003. 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, Datenerhebung Hochschul- |
Der ernüchternde Befund:
Von 100 Kindern aus der Herkunftsgruppe "hoch" – also aus bildungsnahen, einkommensstarken Haushalten – gehen 85 aufs Gymnasium, 81 studieren.
Von 100 Kindern aus der Herkunftsgruppe "niedrig" – also bildungsferne, einkommensschwächere Familien – gehen 36 aufs Gymnasium, lediglich elf schaffen den Sprung an die Hochschulen.
Studieren wird teurer
Vieles deutet darauf hin, dass die soziale Schere in den nächsten Jahren noch weiter auseinander klafft. Die Studierenden sehen sich dramatischen Umbrüchen gegenüber, die verheerende soziale Folgen befürchten lassen.
Die bisherigen Diplom- und Magister-Abschlüsse werden bis zum Jahr 2010 auf die neuen Titel Bachelor und Master umgestellt. Ziel: Das Studium soll kürzer werden, die Studienabbruchquote von heute 25 Prozent soll sinken. Für die Studierenden heißt das: verschultere Strukturen, mehr Zeit- und Prüfungsdruck, unsichere Jobchancen auf dem Arbeitsmarkt.
Studieren wird teurer. Sieben Bundesländer führen Studiengebühren von 500 Euro im Semester ein; davon betroffen sind 1,4 der zwei Millionen Studierenden. Das Kindergeld, ein nicht unerheblicher Bestandteil der Studienfinanzierung, wird nur noch bis zum Alter von 25 Jahren gezahlt. Besonders hart trifft das jenes Viertel der Studierenden, dem monatlich weniger als 600 Euro zur Verfügung stehen. Schon jetzt scheinen Studiengebühren Abiturienten abzuschrecken; sie weichen auf den Lehrstellenmarkt aus – und setzen dort einen Verdrängungswettbewerb gegen Real- und Hauptschüler in Gang.
Das BAföG stagniert. 507 000 Studierende beziehen derzeit BAföG. Seit 2001 gab es keine Korrekturen und die Bundesregierung lässt nicht erkennen, daran etwas ändern zu wollen. Es scheint, als wären ihr Exzellenz und Spitzenförderung Milliarden wert, die Breitenförderung aber wenig.
Der von Bund und Ländern geplante Hochschulpakt zur Finanzierung von 90 000 zusätzlichen Studienplätzen ist ein erster Schritt, dass die Hochschulen in den nächsten Jahren den Andrang von bis zu 700 000 Studierenden zusätzlich verkraften können. Aber weitere Schritte in ganz anderen Größenordnungen werden folgen müssen. Sonst droht den Studierenden, was derzeit die Universität Mainz vorexerziert: Numeri clausi in allen Fächern – eine geschlossene Gesellschaft.
Fazit: Die skandalöse soziale Selektion an deutschen Hochschulen wird sich weiter verschärfen. Es droht die Elite-Uni im negativen Sinne: Studium nur für die Elite.