"Bildung auf einen Blick 2006"Hintergründe zum OECD-Bildungsbericht
Es ist sicher unbestritten, dass es mit Schulen und Hochschulen und Deutschland nicht zum Besten steht. Verbesserungsbedarf besteht sicherlich - und Bildung kann sowieso nicht statisch sein, sondern muss sich den aktuellen Anforderungen stellen. Doch die Frage, was genau die Anforderungen sind, darüber wird oft zu wenig diskutiert. Größtenteils kritiklos werden die von der OECD (oder auch anderen) vorgegebenen Kriterien als die richtigen hingenommen. Am Beispiel der PISA-Studie finden sich dazu einige Hinweise im Artikel Die "PISA-Studie": Was sich dahinter verbirgt.
Beim vorliegenden OECD-Bericht geht es zunächst "nur" um Statistik. Spannend wird es erst durch die Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden. Und hier wird es dann schon schwierig, weil man genau wissen muss, was eigentlich verglichen wird und ob das überhaupt vergleichbar ist. Der OECD-Bericht befasst sich mit Bildung insgesamt, vom Kindergarten bis zu Weiterbildungen während des Berufslebens nach der eigentlichen ersten Berufsausbildung bzw. dem Studium. Im Folgenden geht es jedoch in der Hauptsache um den Bereich Hochschulen.
Wenig HochschulabsolventInnen, viele mit beruflicher Ausbildung
Deutschland hat traditionell weniger HochschulabsolventInnen als viele andere Industriestaaten, dafür aber das System der dualen Berufsausbildung (Berufsschule und Arbeit im Betrieb), das außer Österreich und der Schweiz (mit ebenfalls niedriger Zahl von Studierenden) in anderen Ländern praktisch nicht bekannt ist. Viele Ausbildungen, die in Deutschland so abgewickelt werden, sind in anderen Ländern ein Hochschulstudium - meist in Form eines Kurzstudiums (Bachelor oder ähnliches).
So kommt es, dass in Deutschland 2004 nur 20,6% (2000 waren es sogar nur 19,3%) eines Altersjahrgangs ein Hochschulstudium abgeschlossen haben - im OECD-Durchschnitt jedoch 34,8%. Auffallend ist hier noch, dass alle Länder größere Steigerungsraten aufwiesen - im Schnitt 7%.
Dafür haben in Deutschland 84 Prozent der 25- bis 64-jährigen mindestens einen Abschluss des Sekundarbereich II (mind. FH-Reife oder abgeschlossene berufliche Ausbildung) - im OECD-Durchschnitt sind es 67% und nur Norwegen übertirfft Deutschland. Allerdings sind es auch bei den 25- bis 34-jährigen nur 1% mehr, also 85%. In dieser Altersgruppe wird Deutschland schon 14 Ländern übertroffen, von 7 sogar um mehr als 5% [Quelle: Abbildung A1.2 in (1), s.u.].
Letzteres zeigt also, dass der Verweis auf das duale Ausbildungssystem nicht mehr greift. Offenbar gelingt es 15% aller Altersjahrgänge auch auf Dauer nicht, einen Berufsabschluss zu erreichen. Viele Studien - auch die von der OECD - deuten darauf hin, dass besonders MigrantInnen und Menschen aus niedrigen sozialen Schichten in Deutschland offenbar keine passenden Bildungsangebote gemacht werden. Es bleibt abzuwarten, ob hier wirklich bessere Angebote geschaffen werden.
Studierquote soll steigen - dank Bachelor?
Einig sind sich mal wieder alle, dass die "Studierqoute" steigen solle (und natürlich auch der Anteil derer, die das Studium schließlich erfolgreich zum Abschluss bringen). Die Umstellung auf Bachelor/Master-Studiengängen kann auch aus diesem Gesichtspunkt gesehen werden. Wenn es nur um die blanke Zahl von Studierten geht, dann reicht es ja auch, viele Bachelor-AbsolventInnen zu "erzeugen".
In einer komplexer werdenden Welt kann man sich aber fragen, ob dieses Niveau ausreicht oder ob nicht gerade ein längeres Studium notwendig wäre. Ganz davon abgesehen, dass man sich über die Art des Lehrens und Lernens an Hochschulen viel zu wenig Gedanken macht. Es geht nur noch um eher quantitative "Leistungspunkte", wirkliches Verständnis des Stoffes wird so nicht unbedingt erreicht.
Von dieser Kritik abgesehen ist es noch vollkommen unsicher, ob überhaupt das Ziel einer steigenden Studierquote erreicht werden kann. Die absoluten Zahlen an AbiturientInnen soll jedenfalls in den nächsten Jahren um einiges steigen, teilweise werden zwei Jahrgänge gleichzeitig Abitur machen (durch die Umstellung auf das 8-jährige Gymnasium in vielen Bundesländern). Wenn von diesen auch prozentual mehr studieren sollen, würde die Zahl der StudienanfängerInnen deutlich steigen.
Die Finanzierungsfrage
Die finanzielle Ausstattung der Hochschulen jedenfalls ist in den letzten Jahren kaum gestiegen, jedenfalls nicht im Ausmaß, wie es die Zahl der Studierenden nahegelegt hätte. Auch die Schwerpunkte der Geldes lagen eher auf Forschung und Eliteförderung, als auf die Ausstattung für alle Studierende. In einigen Bundesländern wurden mit sogenannten "Hochschulpakten" (oder ähnlichem) zwar eine gewisse Garantie für die Finanzlage in den nächsten Jahren gegeben, meist aber ohne Steigerungen oder mit der Einschränkung, dass steigende Personalkosten nur teilwese ausgeglichen werden. Folge: Weniger Personalstellen an vielen Hochschulen.
Der Umbau auf Bachelor/Master-Studiengängen wird vermutlich auch dazu genutzt werden, möglichst viele Studierende direkt nach dem Bachelor aus der Hochschule zu drängen. Nur noch wenige werden einen Master machen können. So ließe sich selbst mit kaum steigenden Mitteln die zu erwartende Zahl von Studierenden einigermaßen schultern lassen. Die andere Methode: Studienbeiträge, die nicht zur Verbesserung eingesetzt werden, sondern dafür, überhaupt das Angebot halten zu können.
Es bleibt also einiges zu tun. Auch die Hochschulangehörigen (und hier auch und gerade der Studierenden!) selbst sollten immer wieder auf Mißstände hinweisen und kreative Wege gehen. Vieles erfordert gar nicht unbedingt Geld, sondern neue Ideen und Engagement. Hier trotz aller Widerstände nicht zu schnell aufzugeben, ist nicht einfach. Aber nur so wird sich etwas verändern lassen.
Quellen / Hintergründe
- (1) Zusammenfassung des OECD-Berichts durch das BMBF (länger, PDF-Datei, 1,43 MB)
- Zusammenfassung des Berichts durch das BMBF (kurz, Webseite)
- Education at a Glance - OECD Indicators - 2006 Edition (Summary in German) [PDF-Datei, 124 kB]
- Zugriff auf die "Education Database" der OECD mit Daten zu allen untersuchten Ländern
- Presseerklärung des Bundesbildungsministeriums zur Veröffentlichung des OECD-Berichts (12.09.2006)
- Die "PISA-Studie": Was sich dahinter verbirgt (Artikel bei Studis Online)
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