HochschulpolitikHessische Landesregierung will Studiengebühren ab Ende 2007
Nachdem vor einiger Zeit das von der Landesregierung in Auftrag gegebene Rechtsgutachten zum Schluss kam, die hessische Landesverfassung würde Studiengebühren nicht grundsätzlich ausschließen (siehe unseren Artikel dazu), will die Regierung nun Ernst machen. Der Wissenschaftsminister hat dazu heute nicht nur einen Beschluss des Landeskabinetts herbeigeführt (siehe Pressemitteilung des Ministeriums), er hat sogar schon eine Broschüre designen lassen, die die Studiengebühren anpreisen soll.
Wie man diesem Material entnehmen kann, sollen ab Winteresemester 2007/2008 allgemeine Studiengebühren - die auch in Hessen von der Regierung als "Studienbeiträge" bezeichnet werden - erhoben werden. Die Höhe soll - wie in den anderen Ländern, die Gebühren beschlossen haben - normalerweise 500 Euro pro Semester betragen, die Bezahlung kann nach dem Studium erfolgen (dazu muss jedoch ein Darlehen aufgenommen werden, das zwar fast allen Studierenden offensteht, aber verzinst ist).
Auf ein Experiment wie in Nordrhein-Westfalen, wo die Hochschulen selbst entscheiden dürfen (vom finanziellen Druck abgesehen ...), ob sie tatsächlich Gebühren einführen einführen wollen, verzichtet Hessen. Die Hochschulen haben keine Wahl (außer vermutlich bei den erhöhten Gebühren) - die Gebühren werden per Gesetz eingeführt.
Bis 2010 gilt zwar noch ein Hochschulpakt, der die Landeszuschüsse garantieren soll. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass die Studierendenzahlen wegen geburtenstärkerer Jahrgänge und den Doppeljahrgängen wegen Verkürzung der Gymnasialzeit auf 8 Jahre steigen werden, wird pro Studienplatz wohl immer weniger Geld zur Verfügung stehen - auf jeden Fall nach 2010.
Höhere Studiengebühren im Master und für AusländerInnen möglich
Dass es zumindest mittelfristig nicht "nur" um 500 Euro Studiengebühren gehen soll, deutet Hessen schon deutlicher als andere Bundesländer an. In der Infobroschüre des Ministeriums heißt es, dass der Gesetzentwurf vorsieht, dass die Hochschulen "in Ausnahmefällen" auch bis zu 1500 Euro Studiengebühren je Semester erheben können.
Mit Beginn der allgemeinen Studiengebühren sollen somit nicht-konsekutive Masterstudiengänge bis zu 1500 Euro im Semester kosten können. Ebenfalls können alle Ausländer, die nicht aus der EU kommen und nicht in Deutschland ihr Abitur gemacht haben, mit diesen erhöhten Studiengebühren belegt werden.
Master ab 2010/2011 für alle teurer?
Schon diese "Ausnahmen" sind wenig erfreulich. Dass aber ab Wintersemester 2010/2011 alle Masterstudiengänge 1500 Euro im Semester kosten können, ist beim besten Willen nicht mehr als "Ausnahme" zu bezeichnen. Damit würde erstmals auch in Sachen Gebühren eine deutliche Abgrenzung zwischen Bachelor und Master vorgenommen. Von Noten und anderen Hürden gar nicht gesprochen. Es ist klar, was passieren wird: "Elitestudiengänge" für mehr Geld, "einfache" Studiengänge für den Rest.
Und promovieren soll auch (mehr) Geld kosten können: Auch hier sollen die Hochschulen entscheiden dürfen, ob sie bis zu 1500 Euro Studiengebühren nehmen. Da die meisten Promovierenden gleichzeitig Angestellte der Hochschulen sind und Aufgaben in der Lehre übernehmen, werden die Hochschulen davon zwar wohl selten Gebrauch machen - aber möglich wird es eben sein.
Unfreundliche Darlehensregelungen
Das Studiengebühren-Darlehen (wenn es denn in Anspruch genommen wird) muss ab zwei Jahre nach Studienende zurückgezahlt werden. Bei geringem Einkommen wird die Rückzahlung ausgesetzt. Wer auch noch BAföG erhalten hat, für den gilt eine Kappungsgrenze von 17.000 Euro für die Schulden aus BAföG und Studiengebühren. Da die BAföG-Schulden (sofern man BAföG nur in der Regelstudienzeit bezieht - auf andere BAföG-Schulden dürfte sich die Kappungsgrenze aber auch gar nicht beziehen) auf 10.000 Euro beschränkt sind, dürfte es sehr schwer sein, die Kappungsgrenze überhaupt zu überschreiten.
Somit wäre Hessen - neben Hamburg, das gar keine Kappungsgrenze plant - mit das "unfreundlichste" Land, was die Schuldenbegrenzung anbelangt. In Baden-Württemberg und Niedersachsen liegt die Grenze nämlich bei 15.000 Euro. In Nordrhein-Westfalen liegt sie bei 10.000 Euro - d.h. für Menschen, die hohe BAföG-Förderung über mind. 4 Jahre bekommen haben, entfallen faktisch die Studiengebühren.
Bei allen "Kappungsgrenzen" ist aber zu beachten, dass sie sich meist nur auf den Stand zu Beginn der Rückzahlung beziehen. Die Zinsen, die dann noch während der Rückzahlungsphase auflaufen, kommen trotzdem noch hinzu. Hier ist Hessen mit der geplanten Festschreibung des Höchstzinsen auf 7,5% noch "sicherer" - allerdings wird diese Sicherheit ja dadurch erreicht, dass ein Teil der Studiengebühren als Sicherheit abgezweigt werden und nicht den Hochschulen zu Gute kommen. Sollten die Zinsen also stark steigen, bekommen die Hochschulen weniger Geld - schöne "Planungssicherheit" ...
Studiengebühren als Abschreckung
Wissenschaftsminister Corts begründete die Studiengebühren auch damit, dass ohne Gebühren möglicherweise zu viele Studierende nach Hessen kommen könnten ("Sogwirkung"). Das ist insofern interessant, als einerseits das Bundesverfassungsgericht bei seinem Studiengebührenurteil Anfang 2005 an solche Wirkungen nicht geglaubt hat und deswegen das Studiengebührenverbot im Hochschulrahmengesetz aufgehoben hat. Andererseits haben bisher alle Bundesländer, die Gebühren einführen wollen, es fast umgekehrt gesehen: Durch die Gebühren stehe mehr Geld zur Verfügung, also würden die Hochschulen besser, also kommen sogar mehr Studierende.
Somit widerspricht Corts also sowohl den Erwartungen des Bundesverfassungsgerichts als auch den Aussagen seiner "Kollegen" in anderen Bundesländern.
Ansonsten werden auch von Corts die üblichen Argumente herangezogen: Ein Studium würde sich auszahlen und daher sei es gerechtfertigt, dass die Studierenden sich an den Kosten beteiligen. Es sei vor allem auch sozial gerecht. Dem kann man durchaus widersprechen - siehe hier.
Studierende "begeistert"
Sowohl das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) als auch der studentische Dachverband fzs äußerten sich entsetzt über die Details - von der grundsätzlichen Ablehnung von Studiengebühren ganz abgesehen. Der fzs sieht insbesondere in den geplanten höheren Gebühren für das Master-Studium "[den] eigentliche Plan der hessischen Union (...). Der studentische Dachverband befürchtet, dass mit erhöhten Studiengebühren für Master-Studiengänge Studierende aus einkommensschwachen Familien von einem hochwertigen Abschluss ferngehalten werden. Ein solcher Schritt wird den ohnehin bestehenden Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen weiter verstärken und eine Zwei-Klassen-Bildung zementieren."
Einige hessische Studierende haben bereits vor einigen Tagen den Udo Corts Fanclub gegründet. "Udo Corts ist unser Held! Sein Charisma, sein politisches Durchhaltevermögen und sein Engagement zur Einführung allgemeiner Studiengebühren begeistern uns." heißt es auf der Webseite.
Gegenstimmen auch von Professoren und Rektoraten
In Hessen stellen sich auch eine Reihe ProfessorInnen und selbst RektorInnen gegen die Studiengebührenpläne der Regierung.
Der Rektor der TU Darmstadt äußert sich in einem am 5. Mai veröffentlichten Interview skeptisch Studiengebühren gegenüber. So äußert er u.a. "Ich möchte nicht, dass die Studierenden sich wie Kunden fühlen, sie sollen Mitglieder der Universität sein und ihr Studium erfolgreich und zügig abschließen. Eine gemeinsame verbindliche Verantwortung von Lernenden und Lehrenden kann man durch andere Maßnahmen zuverlässiger erreichen.Im Übrigen gibt es in Europa viele Länder, die ohne oder mit sehr, sehr moderaten Gebühren auskommen."
Die von fzs, ABS und anderen angedrohte Klage gegen die Studiengebühren mit der Verweis auf die hessische Landesverfassung dürfte zwar bei der anzunehmenden herrschenden juristischen Mehrheitsmeinung nicht unbedingt riesige Chancen haben. Allerdings ist das erwähnte Gutachten in der Tat nur eine juristische Sichtweise - es gibt auch genügend JuristInnen mit anderen Ansichten.
So z.B. Arndt Schmehl, der - nach Lehrtätigkeiten auch in Hessen - z.Z. an der Uni Hamburg lehrt: Er hatte in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.10.2005 im Artikel "Zahlen soll, wer zahlen kann" seine Sicht der Dinge erläutert. "Wenigstens Bafög-Empfänger werden zu einem verfassungsrechtlich gebührenfrei bleibenden Kreis zu zählen sein." schreibt er. Allerdings steht zu befürchten, dass die juristische Mehrheitsmeinung eher auf Seiten des Gutachtens liegen wird. Daher sollte sich auf die Verhinderung von Gebühren auf diesem Weg niemand verlassen.
- Quellen und Hintergründe
- Studiengebühren in Deutschland - Stand der Dinge (ständig aktualisiert)
- Hessische Landesregierung sieht keine Hindernisse mehr für allgemeine Studiengebühren (10.04.2006)
- Corts: Einführung zum Wintersemester 2007/2008 (Pressemitteilung vom 05.05.2006)
- Flyer Studienbeiträge des hessischen Wissenschaftsministeriums (PDF-Dokument, fast 1 MB)
- Hessen will Studiengebühren bis 1500 Euro (Pressemitteilung des fzs, 05.05.2006)
- Hessische Landesregierung legt Pläne offen (Pressemitteilung des ABS, 05.05.2006)
- "Udo Corts Fanclub"
- Interview mit dem Rektor der TU Darmstadt (05.05.2006, PDF-Dokument)
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