BerlinRückmeldegebühr vermutlich verfassungswidrig [UPDATE]
Entscheidungen vor Gericht - besonders wenn es über mehrere Instanzen geht - können sehr lange dauern. In Berlin offenbar besonders lange - denn der Anlass der aktuellen Klage liegt 10 Jahre zurück: 1996 wurden in Berlin als erstem Bundesland Rückmeldegebühren eingeführt.
Die Klagen dagegen zogen sich sehr lange dahin, weil das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin zunächst der Meinung war, die Gebühren seien durchaus in Ordnung. Erste derartige Urteile fielen 1998. Die KlägerInnen gaben nicht auf und erreichen Ende 2003, dass das Bundesverwaltungsgericht diese Urteile aufhob und die Verhandlung an das OVG zurückverwies.
Bei der erneuten Verhandlung wollte das OVG offenbar auf Nummer sicher gehen und hat die Frage nun als an das Bundesverfassungsgericht verwiesen.
Chancen auf Aufhebung der Gebühren stehen nicht schlecht
Baden-Württemberg hatte ein Jahr nach Berlin ebenfalls Rückmeldegebühren eingeführt. Die Fomulierungen im dazugehörigen Gesetz waren ähnlich denen in Berlin. Die Klage dagegen wurde schneller bis vor das Bundesverfassungsgericht gebracht - und positiv für die KlägerInnen entschieden.
Die Rückmeldegebühren wurden in Baden-Württemberg schon nach der Entscheidung des dortigen Oberverwaltungsgerichts ausgesetzt, dass gleich ans Bundesverfassungsgericht weiterverwies (was das Berliner OVG ja nicht tat, es musste erst durch das Bundesverwaltungsgericht zu einer Neuaufnahme des Verfahrens gezwungen werden). Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes wollte das Land sich nicht noch in kleine Scharmützel begeben und zahlte auf Antrag die bereits gezahlten Gebühren zurück. Für die erstmalige Immatrikulation wurden die Gebühren vom Gericht nicht beanstandet - das Land zahlte aber auch diese Beträge zurück.
Lange hielt die Freude in Baden-Württemberg trotzdem nicht an: Das Land beschloss nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts einfach ein neues Gebührengesetz. Diesmal war jedoch von einem zu zahlenden "Verwaltungskostenbeitrag" die Rede, der sogar großzügigerweise auf 40 Euro (also weniger als die früheren Rückmeldegebühren) festgelegt wurde. Dieser wird seit Wintersemester 2003/2004 erhoben.
Erfolg konnte die Klage gegen das ursprüngliche Gebührengesetz nämlich nur deswegen haben, weil das Gesetz "handwerkliche" Fehler hatte. Das Land hatte den Betrag explizit "für die Bearbeitung jeder Rückmeldung" festgesetzt, dass BVerfG hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass dann nur der jeweilige Bearbeitungsaufwand pauschalisiert entgolten werden darf, die Pauschale aber nicht in einem groben Mißverhältnis zu den realen Kosten stünden dürfe. Es stehe dem Gesetzgeber aber frei, das Gesetz anders zu formulieren und auch weiter gehende Verwaltungskosten einzubeziehen.
Kosten von über 100 Millionen könnten auf Berlin zukommen
Da die Berliner Regierung auf den Fingerzeig des Bundesverfassungsgerichts im Urteil zu Baden-Württemberg erst Ende 2004 reagiert hat, steht sie nun dumm da. Erst zum 1. Januar 2005 wurde das Hochschulgesetz geändert, die Rückmeldegebühren heißen nun Verwaltungsgebühren und umfassen laut Gesetz nicht mehr nur die Kosten für den Rückmelde-Verwaltungsakt. Insofern dürften diese Gebühren schwerer angreifbar sein (und das ganze würde eine gesonderte Klage erfordern). Die Aufforderung der ASten von FU und TU an die Landesregierung, die Gebühren auszusetzen, wird daher wohl nicht gehört werden.
Sollte das Bundesverfassungsgericht tatsächlich wie in Baden-Württemberg urteilen, dass die Gebührenerhebung bis Ende 2004 verfassungswidrig war und würden alle damaligen Studierenden die Gebühr zurückerhalten, so kämen auf Berlin Kosten von mehr als 100 Millionen Euro zu. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg haben bis heute nur die Hälfte der Studierenden ihr Geld zurückverlangt, das wären in Berlin dann um die 50 Millionen Euro.
Innerhalb des Senats geht offenbar schon das Hauen und Stechen darum los, wer die Kosten trägt. In einem Artikel der WELT wurde der Sprecher des Finanzsenators damit zitiert, dass in den Hochschulverträgen für 2006 bis 2009 "ausdrücklich nicht drin [steht], dass das Land Rückzahlungsverpflichtungen im Zusammenhang mit den Klagen um die Rückmeldegebühren zu tragen hat". Seine Schlussfolgerung also: Es wären die sowieso schon finanziell schlecht ausgestatteten Hochschulen dran.
Brigitte Reich, Referentin von Wissenschaftssenator Thomas Flierl (Linkspartei.PDS) sagte jedoch zu Studis Online, dass man sich auf die Hochschulverträge bis 2005 beziehen müsse. Und darin sei eindeutig festgelegt, dass "das Land Berlin" die Kosten etwaiger Rückzahlungen wegen Klagen gegen die Rückmeldegebühren zu tragen habe. Frau Reich räumte ein, dass es sicher noch Streit darüber geben werde, was mit der Formulierung "das Land Berlin" gemeint sei. Ob also die Kosten aus dem Gesamthaushalt oder speziell dem Wissenschaftshaushalt zu tragen sein werden.
Zunächst dürfte aber die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgewartet werden - und im Hintergrund die Messer gewetzt werden.
- Quellen und Hintergründe
- Klagen gegen Rückmeldegebühren an Berliner Hochschulen (OVG 8 B 2. und 3.04, Mitteilung des OVG dazu)
- AStA FU begrüßt Urteil gegen Rückmeldegebühren (Presseerklärung, 16.02.2006)
- Rückmeldegebühren in Berlin vielleicht doch nicht verfassungskonform? (19.03.2004, verspäteter Bericht darüber, dass das BVG Ende 2003 die Klagen an das Berliner OVG zurückverwiesen hat)
- BaWü: Ab Wintersemester 40 Euro Verwaltungskostenbeitrag (11.05.2003)
- BaWü: Rückmeldegebühren von 1997/98 werden zurückgezahlt (10.04.2003)
- Rückmeldegebühren in BaWü sind verfassungswidrig (19.03.2003)