HochschulpolitikStudiengebühren in der Diskussion, Termine und Ausblick
Hamburgs Wissenschaftssenator Dräger will Studiengebühren |
Die Höhe der Studiengebühren soll in allen Bundesländern, die sie einführen wollen, ebenfalls 500 Euro im Semester sein. Die dazu gemachten Aussagen sind also sozusagen bundesweit gültig. Bei den Einnahmen durch die Gebühren geht es je nach Land natürlich um andere Dimensionen - das "Schönrechnen" der Einnahmen kann man aber ebenfalls überall beobachten.
"Nur" 4000 Euro Studiengebühren für das gesamte Studium?
Mit 4000 Euro kommt man jedoch nur aus, wenn man 8 Semester studiert und die Studiengebühren gleich zahlt. Wer ein Diplomstudiengang an einer Uni (~9 Semester) oder einen konsekutiven Bachelor/Master-Studiengang (~10 Semester) wählt, der zahlt mehr. Da die Regelstudienzeit noch lange nicht mit der realen Studiendauer zusammenfällt (letztere ist immer länger - je nach Studiengang durchaus auch 3-4 Semester), wäre also auch eine Studiendauer von 12-14 Semestern nicht ungewöhnlich. Insbesondere darf man auch nicht vergessen, dass einige Studierende nach einigen Semestern ihr Studienfach wechseln.
Zusammen kommen also leicht sechs- bis siebentausend Studiengebühren, auf die - wenn man sie erst nach dem Studium per Darlehensrückzahlung tilgt - auch noch Zinsen anfallen könnten.
56 Mio. mehr für die Lehre?
Die angeblichen 56 Mio. Einnahmen durch die Studiengebühren würden nur zustande kommen, wenn so gut wie alle Studierende Gebühren zahlen. Da es aber doch Ausnahmen gibt (deren Prüfung übrigens auch Geld kostet) und die Hochschulen mögliche Rückzahlungsausfälle selbst tragen müssen (wofür angeblich 0,8 Mio. im Jahr ausreichen), wird die real den Hochschulen zur Verfügung stehende Summe deutlich geringer sein.
Andere Bundesländer rechnen mit Ausfällen von bis zu einem Viertel der Gebühren (da einige erst gar nicht zahlen müssen und andere das Darlehen dann nicht zurückzahlen können). Und selbst das könnte zu wenig sein - wenn die Zinsen sich ungünstig entwickeln und viele Studierende später wenig verdienen.
Kindergärten vs. Studiengebühren
In der Diskussiohn fiel auch das Argument, dass Kindergärten ja auch Geld kosten würden und daher die Studierenden doch auch ein wenig an den Studienkosten zu beteiligen wären. Dabei ist das Problem doch eher die Tatsache, dass Kindergärten Geld kosten und besser kostenfrei sein sollten, als dass diese traurige Tatsache mit der Fragestellung Studiengebühren verknüpft werden dürfte. Nebenbei bemerkt: Kein einziger Cent, der aus Studiengebühren geschöpft wird, wird den Kindergärten etwas bringen.
Studierende mit Kindern unter 14 sollen übrigens keine Studiengebühren zahlen müssen. Dazu fiel dem Moderator der Diskussion die - durchaus berechtigte - Frage ein, ob dann eine Hochschule noch Interesse am Betrieb eines Kindergartens für die Kinder der Studierenden haben könne, da diese Studierende ja ganz offensichtlich keine Studiengebühren einbrächten.
Der Durchschnittsstudent
Die Gebührenbefürworter - wie z.B. auch Dräger - sehen gerne nur den Durchschnittsstudenten (übrigens steht hier ganz explizit die männliche Form) und argumentieren damit, wie sich ein Studium für ihn doch auszahlt.
Aber zum einen gibt es Studiengänge, bei denen das danach zu erwartende Einkommen gar nicht sonderlich hoch ist. Also selbst nach der reinen "Humankapital-Theorie" die Studiengebühren nicht zu rechtfertigen wären.
Aber auch wenn man Studiengänge betrachtet, bei denen wirklich mit hohem Verdienst zu rechnen ist: Für das Individium kann das ganz anders aussehen. Wer (bzw. wessen Familie) also sowieso nicht mit Geld gesegnet ist, der/die sieht viel stärker die Gefahr weiterer Schulden und wird sich zweimal überlegen, ob sich ein Studium noch lohnt, wenn auch noch Studiengebühren anfallen.
Diese Angst vor Schulden sehen die Gebührenbefürworter ganz offensichtlich nicht. Sie argumentieren immer damit, man könne doch Kredite aufnehmen, damit sei doch allen ein Studium möglich. Dass aber gerade Menschen aus finanzschwachen Umfeld Schulden scheuen und auch davon abgesehen sie mit Nachteilen ins Berufsleben starten, das wird ausgeblendet.
Je "gerechter" ein Studiengebührenmodell sein will, desto komplizierter wird es zwangsläufig. Damit steigt der Verwaltungsaufwand und Teile der Gebühren gehen für den Verwaltungsaufwand drauf - ohne jeden Vorteil für irgendjemanden (außer vielleicht der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ...).
Die nächste Erhöhung kommt bestimmt - oder?
Dräger äußerte dazu, über Gebührenerhöhungen wolle er jetzt noch lange nicht reden. Man müsse in ein paar Jahren schauen, ob es wirklich zu den von ihm angenommenen positiven Effekten kommt (und auf der anderen Seite die vor allem vom Gebührengegnern befürchteten negativen Effekte ausbleiben). Nur wenn das der Fall wäre, könne man über Gebührenerhöhungen reden.
Es wäre auch sehr dreist, heute anderes zu sagen. "Aber was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?" hatte schon Adenauer gesagt.
Wie es bundesweit weitergehen könnte
Nachdem in Niedersachen bereits allgemeine Studiengebühren beschlossen wurden (Einführung dann im Wintersemester 2006/2007 für Erstsemester, ab Sommersemester 2007 dann für alle) und Baden-Württemberg morgen sein Studiengebührengesetz im Landtag beschließen will, sieht es so aus, als wenn die Gebühren nicht mehr aufzuhalten sind.
Einerseits mag das richtig sein: Die Länder, die den Gesetzgebungsprozess bereits angestoßen haben (Bayern, Hamburg, NRW), werden ihn durchziehen und sich von weiteren Demonstrationen nicht aufhalten lassen (jedenfalls, sofern diese keine geradezu unglaublich großen TeilnehmerInnenzahlen erreichen).
Allerdings bedeutet das nicht, dass jeder Protest deswegen sinnlos wäre. Mit Portesten kann erreicht werden, dass die Gesetze mehr Ausnahmen vorsehen oder sonstige Erleichterungen. Das Kalkül der PolitikerInnen ist ja durchaus, na gut, dann bauen wir da noch was ein, dass müsste wieder ein paar befrieden, die dann Ruhe geben. Und Verbesserungen sind viele denkbar: In Hamburg z.B. fehlt noch jede Schuldengrenze (wie sie Baden-Württemberg in schwacher und NRW in etwas stärkerer Form vorsehen). Keine oder wenige Proteste bedeuten auch: Die nächste Erhöhung kommt um so früher. Zu weiteren Protesten ganz am Ende des Artikels weitere Infos.
Die juristische Auseinandersetzung wird erst mit Beginn der Erhebung der Gebühren richtig losgehen. Vielleicht kann auch darüber das eine oder andere erreicht werden. Es ist sogar nicht auszuschließen, dass das eine oder andere Gesetz darüber ganz oder zumindest für schon jetzt eingeschriebene Studierende gekippt werden könnte.
Man wird auch sehr genau beobachten müssen, was mit den eingenommenen Geldern wirklich passiert. Und zwar nicht nur am Anfang, sondern auch nach einigen Jahren. Erst dann wird nämlich z.B. klar, wieviel Rückzahlungsausfälle es geben wird und wieviele auf Dauer von den Gebühren befreit werden. Es kann sein, dass die wirklich verwendbaren Einnahmen enttäuschend gering sein werden.
Die Zahl der Studierenden in den Bundesländern, die Gebühren erheben, wird auch ein interessanter Parameter sein, der zu betrachten ist. Wird die Studierendenzahl abnehmen, sinkt der Anteil von Studierenden aus finanzschwachen Familien? Wobei es auch steigende Studierendenzahlen geben kann, aber der relative Anteil bezogen auf die Zahl der AbiturientInnen sinkt - das wäre schon ein negatives Signal!
Die Bundesländer, die bisher keine Studiengebühren erheben, werden nur dann mit Studiengebühren nachziehen, wenn die erwähnten Punkte positiv für die Gebührenbefürworter ausfallen. Das bleibt noch abzuwarten.
- Die nächsten Termine
15.12.2005, Stuttgart
10 Uhr Demonstration
Landtag entscheidet über Studiengebühren15.+16.12.2005, Hamburg
Warnstreik an der Uni Hamburg, siehe AStA oder nordstreik.de.vu17.12.2005, Hamburg
15 Uhr ab Hauptbahnhof: Demonstration für Gebührenfreiheit und gegen die Einschränkung des Versammlungsrechtes in Hamburg17.12.2005, Berlin
Demonstration gegen Vereinzelung und für Solidarität ("Studierende, SchülerInnen, Erwerbslose, Hartz-IV-EmpfängerInnen, AntifaschistInnen, Prekärbeschäftigte, GewerkschaftlerInnen, illegalisierte Papierlose und progressive Individuuen"20.12.2005, Hamburg
Senat beschließt voraussichtlich Studiengebühren-GesetzentwurfAnfang 2006, Düsseldorf, Hamburg, München
1. bzw. 2. Lesung (Beschluss) der Gebührengesetze von NRW, Hamburg und Bayern, vorher evt. noch Anhörungen
- Material
- Studiengebühren in Deutschland (Übersicht, wird ständig aktualisiert)
- Studiengebühren-Gesetzentwurf Baden-Württemberg (wird so wohl am 15.12.2005 beschlossen)