Knausern in alle EwigkeitHochschulpakt forever
Unser Interviewpartner Andreas Keller ist stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und im Hauptvorstand verantwortlich für den Organisationsbereich Hochschule und Forschung.
Studis Online: Am Freitag der Vorwoche haben sich die Wissenschafts- und Finanzminister von Bund und Ländern in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) auf die Modalitäten zur Fortsetzung der vom Bund mitgetragenen Wissenschaftspakete Hochschulpakt, Pakt für Forschung und Innovation und Qualitätspakt Lehre verständigt. Es war höchste Eisenbahn, dass die Verantwortlichen eine Nachfolgeregelung finden, weil alle drei Programme im nächsten Jahr auslaufen. Was überwiegt bei Ihnen: Erleichterung darüber, dass überhaupt ein Ergebnis erzielt wurde, oder die Enttäuschung angesichts der Ergebnisse?
Andreas Keller: Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn die Verhandlungen gescheitert wären und Bund und Länder den Hochschulen den Geldhahn zugedreht hätten. Zwischenzeitlich sah es ja danach aus. Der vorübergehende Ausbau der Hochschulen hat sich rasch als dauerhafte Notwendigkeit erwiesen. Ohne die Paktmittel würden die Hochschulen kollabieren und eine ganze Generation wäre ihrer Zukunftschancen beraubt. Insofern steht die Erleichterung im Vordergrund. Der Hochschulpakt wurde – künftig unter dem Titel „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ – verstetigt und damit eine zentrale Forderung aus dem Budenheimer Memorandum der GEW „Ein neuer Hochschulpakt muss her!“ von 2018 erfüllt.
Jetzt zu den Kehrseiten ...
Die Erleichterung wird von Enttäuschung getrübt. Die überfällige Dynamisierung des Pakts bleibt aus. Während Bund und Länder bei der Forschung schnell Nägel mit Köpfen gemacht haben, knausern sie weiter bei der Lehre. Und die Verpflichtung oder zumindest einen Anreiz für die Länder, mit den Paktmitteln Dauerstellen zu schaffen, soll es auch nicht geben, obwohl unsere entsprechende Forderung über Wochen die Debatten geprägt hat.
Mit dem Hochschulpakt wird die Betreuungsrelation im Bereich Lehre und Studium an den Hochschulen ähnlich hoch bleiben. Auf eine Professorin oder einen Professor kommen aktuell über 60 Studierende.
Zwischenzeitlich sah es ja durchaus danach aus, als sollte Ihr Anliegen umgesetzt werden. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte den Punkt in die Verhandlungen aufgenommen. Was glauben Sie, warum am Ende doch nichts daraus wurde?
Tatsächlich hatte sich die Ministerin Anfang April per Pressemitteilung öffentlich dafür ausgesprochen, dass mit den Paktmitteln insbesondere unbefristete Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen geschaffen werden sollten, um die Lehre und Studienbedingungen an allen Hochschulen nachhaltig zu verbessern. Das war ein Achtungserfolg der Kampagne „Frist ist Frust“, den die GEW gemeinsam mit ihrer Schwestergewerkschaft ver.di und dem Mittelbaunetzwerk NGAWiss verbuchen kann. Davor gab es entsprechende Wortmeldungen durch die Vorsitzende des Wissenschaftsrats Martina Brockmeyer sowie den Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz Peter-André Alt. Leider ist das Projekt am Ende am Widerstand der Länder gescheitert.
Also liegt der schwarze Peter bei den Landesfürsten?
Leider ja. Es war eine Allparteienkoalition der Bundesländer, die die Initiative von Frau Karliczek vereitelt hat. Der Ministerin ist allenfalls vorzuwerfen, nicht nachdrücklich genug die eigene Gestaltungsmacht eingefordert zu haben. Es ist wohlfeil, wenn die Länder jetzt sagen, ohne eine Dynamisierung ließen sich keine Stellen entfristen, weil die Tarifsteigerungen nicht abgesichert wären. Warum sollten die Länder nicht aus ihrem Landeshaushalt etwas drauflegen können, wenn ihnen das Anliegen wichtig ist? Nein, man muss leider viel grundsätzlicher sagen, dass die Länder zwar gerne Geld vom Bund nehmen, sich aber nicht reinreden lassen wollen, was sie damit machen. Wir kennen diese Debatte schon von den BAföG-Mitteln, die der Bund den Ländern überlassen hat, nachdem er die Kosten der Ausbildungsförderung zu 100 Prozent übernommen hat.
Kommen wir zur künftigen Ausstattung des Hochschulpaktes: Der Bund will von 2021 bis 2023 jährlich 1,88 Milliarden Euro zuschießen und von 2024 bis 2027 jeweils 2,05 Milliarden Euro. In gleicher Höhe müssen die Länder mitziehen. Danach soll die Ausstattung neu verhandelt werden. Was hätten Sie sich gewünscht?
Zum einen, wie gesagt, eine Verpflichtung der Länder, das Geld für die Schaffung von Dauerstellen für Daueraufgaben in der Lehre an den Hochschulen einzusetzen. Das wäre nur konsequent: Der Hochschulpakt wird entfristet – das Personal wird entfristet. Das es anders kommt, ist ein Schlag ins Gesicht der hoch qualifizierten und motivierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die unter prekären Bedingungen für die Politik die Kartoffeln aus dem Feuer holen und unter Überlastbedingungen knapp drei Millionen Studierende ausbilden. Zum zweiten fehlt weiter eine Dynamisierung des Hochschulpakts. Warum wird der Pakt für Forschung und Innovation, der der außeruniversitären Forschung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft zugute kommt, Jahr für Jahr um drei Prozent erhöht, in zehn Jahren sind das mit Zins und Zinseszins deutlich über 30 Prozent, aber der Zukunftsvertrag nur einmalig um neun Prozent? Hier zeigt sich eine eklatante Schieflage zugunsten der Forschung und zulasten von Lehre und Studium. Hinzu kommt: Der Hochschulpakt war mit 26.000 Euro pro Studienplatz ohnehin unterfinanziert. In unserem Budenheimer Memorandum haben wir vorgerechnet, dass dieser Betrag auf 36.000 Euro, also um 38 Prozent erhöht werden müsste – geht man von den vom Statistischen Bundesamt angegebenen tatsächlichen Durchschnittskosten eines Studienplatzes aus.
Immerhin werden ab 2024 die Zahlungen über dem langjährigen Durchschnitt der Bundesüberweisungen von 1,9 Milliarden Euro liegen und vor allem wird der Pakt auf Dauer gestellt. Manch einer sieht darin schon den Einstieg des Bundes in die Grundfinanzierung. Sie nicht?
Ja, die Einigung markiert den Einstieg des Bundes in die Grundfinanzierung der Hochschulen und das war überfällig. Dennoch bleibt die Hochschulfinanzierung unzureichend. Man könnte also auch von einem Einstieg des Bundes in die Unterfinanzierung der Hochschulen sprechen. Die Betreuungsrelationen an den Hochschulen werden sich so jedenfalls nicht verbessern, im Gegenteil. Dabei kommen schon heute auf eine Professorin oder einen Professor über 60 Studierende, in manchen Fächergruppen sogar über 90.
Wo wir bei der Lehre sind: Was sagen Sie dazu, dass der Qualitätspakt Lehre – der demnächst „Innovation in der Hochschullehre“ heißen wird – künftig um jährlich 50 Millionen Euro auf dann nur noch 150 Millionen Euro gekürzt wird?
Das ist ein weiterer Ausdruck der falschen Prioritätensetzung zugunsten der Forschungsförderung und zu Lasten von Lehre und Studium. Der Bund macht sich einen schlanken Fuß und kürzt die Finanzierung des Qualitätspakts um 25 Prozent. Ob die Länder das auffangen, indem sie die künftig geforderte Kofinanzierung leisten, wird man sehen. Eigentlich bräuchten wir eine Verstetigung der vielen guten Projekte zur Verbesserung der Qualität von Lehre und Studium, die an den Hochschulen aufgebaut wurden, und Luft für weitere Vorhaben sowie ein zusätzliches Budget für die geplante „Organisationseinheit“ zur Förderung der Lehre.
Wobei auch das Geld aus dem Qualitätspakt bislang nicht dem Personal zugute kam ...
Zumindest gibt es beim Qualitätspakt leider ebenso wie beim Hochschulpakt oder beim Pakt für Forschung und Innovation keine Verpflichtung, nachhaltige Strukturen und Dauerstellen für Daueraufgaben aufzubauen. Dabei wäre gerade das notwendig.
Im Zusammenhang mit dem Pakt für Forschung und Innovation werfen Sie Bund und Ländern sogar Tarifflucht vor. Worum geht es dabei?
Bund und Länder lassen sich die Forschung der Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft, der Leibniz- und Helmholtz-Gemeinschaft einiges kosten. Aber sie dulden gleichzeitig, dass an aus Steuergeldern finanzierten Einrichtungen systematisch Tarifflucht betrieben wird. Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen weigern sich standhaft, einem Arbeitgeberverband beizutreten oder mit den Gewerkschaften einen Wissenschaftstarifvertrag abzuschließen. Die Flächentarifverträge des öffentlichen Dienstes wenden sie nur nach dem Prinzip Rosinenpickerei an. Vielen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird nur die Hälfte des Tarifgehalts bezahlt, tarifliche Urlaubsansprüche werden ihnen verweigert. Bund und Länder müssen Max Planck und Co. endlich dazu verpflichten, Tarifverträge einzuhalten sowie faire Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu garantieren – wie das sonst mittlerweile bei der Vergabe öffentlicher Aufträge Standard ist.
Zu begrüßen ist fraglos, dass die Hochschulen im Rahmen des Hochschulpakts nicht länger nur für die Aufnahme von Studienneulingen belohnt werden, weil das dazu geführt hat, allein auf Masse zu setzen. Der Punkt soll künftig nur noch zu 20 Prozent gewichtet werden. 60 Prozent sollen „Studierende in Regelstudienzeit“ und weitere 20 Prozent die Zahl erfolgreicher Absolventen wert sein. Wie gefällt Ihnen das?
In ihrem Budenheimer Memorandum hat sich die GEW dafür ausgesprochen, dass die Mittelverteilung des Hochschulpakts künftig nicht allein an der Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger, sondern auch an der Zahl der Studierenden sowie der Absolventinnen und Absolventen ausgerichtet wird. Bund und Länder haben den Text offenbar nicht genau gelesen, denn ganz bewusst haben wir von der Zahl der Studierenden, aber nicht von Studierenden in der Regelstudienzeit gesprochen. Wir brauchen keine Anreize, Studis im Eiltempo durchs Studium zu schleusen und sie verloren zu geben, wenn sie nicht schnell genug sind.
Der Deutsche Hochschulverband (DHV) fürchtet angesichts der Neuregelung einen weiteren Qualitätsabfall. „Wer hohe Absolventenzahlen zum Gradmesser für Zuwendungen erhebt, nimmt die Absenkung von Leistungsstandards zumindest billigend in Kauf.“ Würden Sie dem zustimmen?
Nein, es ist ein richtiger Ansatz, Anreize für den erfolgreichen Abschluss des Studiums zu setzen. Und ich sehe nicht, wie die Hochschulleitungen eine laxe Prüfungspraxis zu den Lehrenden durchstellen könnten. Schon jetzt gibt es viele Fächer, in denen über zu gute Noten geklagt wird, in anderen wird eine zu rigide Praxis angeprangert. Heute gibt es mit Notenspiegeln als Teil eines von Bologna geforderten Diploma Supplement Möglichkeiten, Transparenz zu schaffen.
Was ziemlich untergegangen ist: Schon im Rahmen des Hochschulpakts III sollten zehn Prozent der Mittel in „zielgerichtete Maßnahmen“ fließen, „um mehr Studierende qualitätsgesichert zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen“. Wissen Sie, was aus dem schönen Vorsatz geworden ist?
Das weiß ich leider nicht. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz weigert sich, über ihre dürren Pressemitteilungen hinaus Details zu ihren Beschlüssen zu veröffentlichen. Insbesondere sind die abgestimmten Verwaltungsvereinbarungen unter Verschluss – unter Verweis auf die Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs des Bundes und der Länder, die am 6. Juni alle Beschlüsse bestätigen müssen. Medien, Parlamente und Zivilgesellschaft dürfen erst Einsicht in Beschlüsse nehmen, wenn diese in trockenen Tüchern sind? Was ist das für ein Politikverständnis?
Zurück zum Thema Befristungen: Das Ziel, mehr Dauerstellen zu schaffen, soll immerhin in den Selbstverpflichtungen verankert werden, die jedes Land formuliert. Auch soll in den Vertrag ein entsprechender Appell sowie der Hinweis auf eine entsprechende Berichtspflicht aufgenommen werden. Ist das in Ihren Augen gar nichts wert?
Doch. Das ist besser als nichts und das würde es ohne unsere Kampagne für Dauerstellen für Daueraufgaben auch nicht geben. Aber was geschieht, wenn die Länder keine Selbstverpflichtungen abgeben oder diese nicht einlösen? Nichts wird passieren: Es sind weder Sanktionen vorgesehen, noch müssen die Länder bei Verstößen die Hochschulpaktmittel zurückzahlen. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich der Zukunftsvertrag in der beschlossenen Form in Sachen Dauerstellen als zahnloser Tiger erweisen wird.
Sie bleiben trotzdem am Thema dran?
Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Also: ja! Zum einen geht es darum, die Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs am 6. Juni unter Druck zu setzen. Sie können die Beschlüsse der GWK nachbessern. Wir erwarten von ihnen eine verbindliche Verpflichtung der Länder auf mehr Dauerstellen. Jede einzelne und jeder einzelne von ihnen wird Farbe bekennen müssen. Zum anderen werden wir, wenn die Pakte so bestätigt werden, ihre Umsetzung kritisch begleiten. Im Falle des Zukunftsvertrags bedeutet das insbesondere: Druck auf die Länder machen, wirksame und verbindliche Selbstverpflichtungen einzugehen.
(rw)