Trotz Wachstum der DrittmittelHochschulfinanzierung in der Krise
Von Torsten Bultmann
Forschung heißt praktisch immer Förderanträge schreiben
Inhaltsverzeichnis
Kritik des Förderrankings 2018 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
Im Juli erschien der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) herausgegebene „Förderatlas 2018 – Kennzahlen zur öffentlich finanzierten Forschung in Deutschland“.1 Dieses Zahlenwerk erscheint seit 1997 alle drei Jahre; bis 2009 unter dem Titel „Förderranking“.
Die DFG ist der größte Drittmittelgeber in Deutschland. Gelistet werden zusätzlich die Drittmittel aus allen anderen Quellen. Die Werte werden nach verschiedenen Indikatoren gewichtet und berechnet: im Verhältnis zur Grundfinanzierung der Hochschulen, differenziert nach Fachgebieten, nach geförderten Regionen und Städten oder personalisiert nach Einwerbungserfolgen pro Professur.
Die Sammlung ist daher unverzichtbar geworden für die Kritik der Strukturen der Hochschulfinanzierung insgesamt. Dazu muss man allerdings einiges gegen den Strich lesen, da die Erfolgspropaganda die Diktion des „Atlas“ dominiert. Dieser Begriff der Erdkunde ersetzte erstmals 2012 den traditionellen Begriff „Ranking“.
Damit wollte die DFG nach eigenen Angaben den formalen Wettbewerbsdruck, der bei etlichen Hochschulangehörigen auf Kritik stößt, zumindest verbal abrüsten: zugunsten einer vermeintlich wertneutralen Beschreibung der Forschungslandschaft.2 Die kosmetische Korrektur ändert allerdings nichts daran, dass der „Atlas“ in der öffentlichen Debatte wie ein Ranking bewertet wird: Wer ist aufgestiegen? Wer ist abgestiegen?
Dazu reicht ein Blick in die Pressemeldungen der Universitäten ein bis zwei Tage nach Veröffentlichung des „Atlas“ (5. Juli 2018). Dafür nur ein Beispiel von mehr als einem Dutzend: „Während es in den Top Ten der Hochschulen im Vergleich zum DFG-Förderatlas aus dem Jahr 2015 sonst kaum Veränderungen gibt, kann sich die TU Dresden erneut signifikant verbessern – diesmal um vier Rangplätze von Platz 10 auf Platz 6.
Aus Sicht des Rektors Prof. Hans Müller-Steinhagen ein beeindruckender Erfolg: „(…) Im Vergleich mit den Technischen Universitäten hat sich die TU Dresden im aktuellen Ranking um einen Rang verbessert und befindet sich nun nach der RWTH Aachen und der TU München deutschlandweit auf Platz 3.“ (Pressemitteilung TU Dresden, 05.07.18). Das wirkt dann eher wie die Nachbetrachtung zu einem Spieltag der Fußballbundesliga, wobei nur allzu gerne ignoriert wird, dass das bloße Quantum eingeworbener Drittmittel allein noch keinerlei Auskunft über wissenschaftliche Leistungen gibt (s.u.).
Gesamtbetrachtung: Nimmt der „Drittmitteldruck“ ab?
Insgesamt erhielten die Hochschulen in Deutschland im Betrachtungsjahr 2015 knapp 20 Milliarden Euro Grundmittel (d.h. laufende Mittel ohne Investitionsausgaben) (2009: 15,5 Mrd.) und 7,4 Milliarden Euro Drittmittel (2009: 5,3 Mrd.). Knapp über ein Drittel dieser Gesamtsumme finanziert die DFG, die Projektförderung des Bundes (verschiedener Ministerien) und der EU folgt allerdings weitgehend der DFG-Förderung.
Zur Erinnerung: Grundmittel dienen der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Hochschulen in Studium, Lehre und Grundlagenforschung. Drittmittel werden im Gegensatz dazu nicht nach Flächenrichtwerten, sondern im Wettbewerb für befristete Forschungsprojekte vergeben, womit sie sich höchst ungleich – und nicht nach Finanzierungsbedarf - an den Hochschulen verteilen (s.u.).
Die DFG war dabei weiterhin die größte Drittmittelgeberin mit 33,1 Prozent, der zuvor deutlich gestiegene Anteil des Bundes ging wieder leicht zurück auf 25,2 Prozent, ebenso der der EU auf nun 9,7 Prozent. Weiter an Gewicht verloren die Drittmittel aus Industrie und Wirtschaft, deren Anteil nur noch 19 Prozent betrug. (S. 23 ff.). Dieser absolute und relative Rückgang privater Finanzierungsquellen3 ist insofern bemerkenswert, da er einmal mehr beweist, dass Drittmittel nichts mit einer Privatisierung der Hochschulen im Sinne der Eigentumsfrage zu tun haben.
Von ganz wenigen Ausnahmen (Stiftungen) abgesehen, stammt der weitaus größte Anteil aus öffentlichen Haushalten, so dass vermutet werden darf, dass der Aufwärtsdynamik der Drittmittel eine politische Absicht des Übergangs zu einem generellen Wettbewerbsmodell der Hochschulfinanzierung zugrunde liegt.
Für dies Aufwärtsdynamik ist die Drittmittelquote ein wichtiger Indikator. Er beschreibt die Relation zwischen laufenden Grundmitteln und Drittmitteln.4 1998 lag diese Quote bei 16 Prozent, 2009 bereits bei 26 Prozent. In absoluten Zahlen ist dies eine Verdoppelung der Drittmittel in elf Jahren. Im gleichen Zeitraum sind die Grundmittel nur um 23 Prozent gestiegen und konnten mit dem Wachstum der Studierendenzahlen nicht im Geringsten mithalten. 2015 liegt die Quoten zwischen 27 und 28 Prozent. (S. 24).
Die DFG ist sich zweifellos der Problematik des Auseinanderklaffens der beiden Hauptfinanzierungsquellen der Hochschulen bewusst. Dennoch werden wir im aktuellen Ranking erstmalig beruhigt: „Der Drittmitteldruck ist so zwar weiterhin hoch, er steigt jedoch nicht weiter.“ (S. 24). Seit 2008 wiesen die Grundmittel durchschnittliche jährliche Steigerungsraten von 4 Prozent auf. 2014 sei sogar eine Trendwende zu verzeichnen: der Anstieg der Grundmittel sei in diesem Jahr erstmalig geringfügig höher gewesen als der der Drittmittel.
Ist das wirklich so oder wird hier etwas schöngeredet? Zunächst: was meint „Drittmitteldruck“ (die DFG definiert das nicht)? Man könnte es so umschreiben, dass die Einwerbung von Drittmitteln nicht allein von spezifischen Forschungsinteressen bestimmt, sondern zunehmend auch mit außer-wissenschaftlichen Motiven vermischt ist, Drittmittel einzuwerben, um überhaupt den laufenden Betrieb angesichts der Defizite der Grundfinanzierung aufrecht erhalten zu können.5
Das Problem wird durch die sog. leistungsorientierte Mittelvergabe (LOM) verschärft. Drittmittel sind dafür ein zentraler Erfolgsindikator, der auch zunehmende Anteile der Verteilung von Grundmitteln als „Belohnung“ für Drittmittelerfolge reguliert.6 Die Schlüssel dafür sind in den einzelnen Bundesländern verschieden. Die Logik ist aber überall ähnlich: die Erstsemester etwa eines Fachbereiches, der wenig oder gar keine Drittmittel einwirbt, werden mit schlechteren Studienbedingungen bestraft, obwohl sie nicht das Geringste dafür können. Das liegt sicher außerhalb des politischen Wirkungsbereiches der DFG. Mir ist allerdings nicht bekannt, dass ihre Gremien jemals gegen diesen Unsinn protestiert hätten.
Auch aus anderen Gründen muss die Entwarnung der DFG angezweifelt werden. Eine prozentuale Steigerung der Grundmittel (etwa 4 Prozent jährlich) mündet nicht zwangsläufig in eine analoge Verbesserung der Arbeitsbedingungen an den Hochschulen. Sie muss in ein Verhältnis zur Auslastung der Hochschulen gesetzt werden. 47 Prozent mehr Grundmittel seit 2007 gingen einher mit gut 15 Prozent Inflation (von der DFG nicht berücksichtigt) und 44 Prozent mehr Studierenden.
Im WS 2017/18 wurde schließlich der Höchststand der Studierendenzahlen mit 2.847 000 erreicht. Das wissenschaftliche Personal (ProfessorInnen und wiss. MitarbeiterInnen) ist im gleichen Zeitraum von 260 Tsd. 2007 auf 386 Tsd. 2016 gewachsen7, allerdings kaum im Verhältnis zu den Studierendenzahlen. Die Betreuungsquote (Studierende im Verhältnis zum wiss. Personal) ist in etwa gleich geblieben (2007: 7,5; 2016: 7,3). Man könnte natürlich auch sagen, sie hätte sich sehr geringfügig verbessert.
Allerdings ist diese Quote ein rein statistischer Wert, der keine vergleichbaren Bedingungen abbildet. Als wissenschaftliches Personal werden alle Beschäftigten auf Haushaltsstellen erfasst (einschließlich drittmittelfinanzierte). Je mehr davon über Sonderprogramme wie der Exzellenzinitiative oder über Drittmittel geschaffen werden, umso geringer deren Arbeit etwa in der grundständigen Lehre. DrittmittelforscherInnen sind ganz oder teilweise von der Lehre entbunden, die ca. 6000 zusätzlichen Stellen für DoktorandInnen und PostdoktorandInnen aus dem Exzellenzprogramm sogar komplett.
Das Lehrdeputat von Professuren, die in Exzellenzbereichen arbeiten, wird in der Regel reduziert. Die Finanzlücken in Studium und Lehre werden dann etwa durch sog. nebenberufliches Personal recht und schlecht überbrückt. Dabei handelt es sich um – unterbezahlte und überwiegend prekär beschäftigte – Lehrbeauftragte. Deren Anzahl ist von 66 Tsd. (2007) auf 93 Tsd. (2016) gewachsen, was folglich auch ein Ausdruck der Unterfinanzierung der Hochschulen ist. Von der von der DFG behaupteten „Trendwende“ im Verhältnis von Drittmitteln und Grundmitteln zu deren Gunsten kann also kaum die Rede sein.
Einzelne Ergebnisse des aktuellen Rankings – oder: Stabilität der Spitze und wenig Neues
In den von der DFG seit 1997 erstellten Förderrankings (nach den jeweils unterschiedlichen Indikatoren) werden immer nur 40 Universitäten von insgesamt 104 derzeit existierenden (lt. Statistischem Bundesamt) überhaupt erfasst. Die Konzentration auf Universitäten wiederum (von insgesamt über 400 Hochschulen in Deutschland) ist dadurch gerechtfertigt, dass sich 99 Prozent der hochschulbezogenen Drittmittel auf Unis konzentrieren und daher der „Rest“ zu vernachlässigen ist.
Die zentrale Tabelle mit den höchsten DFG-Bewilligungen von 2014-2016 findet sich auf S. 53. Diese bestimmt auch die öffentliche Kommunikation in den Medien schon deswegen, weil sie die Komplexität des Themas Hochschulfinanzierung auf eine Art angebliche „Bestenliste“ reduziert, auf der man sich seinen Lieblingsverein aussuchen kann. Geändert hat sich dabei in den letzen 20 Jahren kaum etwas, d.h. die Förderstrukturen sind stabil in Beton gegossen.
Bei den DFG-Bewilligungen zeigen sich für die Jahre 2014 bis 2016 folglich nur wenige Veränderungen gegenüber den Vorjahren. An der Spitze der 40 bewilligungsstärksten Hochschulen lag erneut die LMU München mit 315,8 Millionen Euro, gefolgt von der Universität Heidelberg mit 292,2 Mio. Euro und der RWTH Aachen mit 281 Mio. Euro, jedoch hat die LMU ihren Vorsprung ausgebaut.
Es folgen die TU München, die FU Berlin, die TU Dresden sowie die Universitäten Freiburg und Tübingen, die HU Berlin und auf Rang 10 die Universität Göttingen. Die Veränderungen in dieser Spitzengruppe und auch im Mittelfeld sind vor allem auf die zweite Phase der Exzellenzinitiative zurückzuführen.
So kletterte Dresden mit seinem Zukunftskonzept genauso weiter nach oben (von Rang 10 auf 6) wie Tübingen (von 14 auf 8) und Bremen (von 27 auf 17), während Göttingen (von 6 auf 10) und das KIT Karlsruhe (von 8 auf 18) wegen nicht fortgesetzter Zukunftskonzepte, also wegen gescheiterter Exzellenzanträge, schlechter platziert sind. In der Diktion der DFG: „So umfasst die Gruppe der Top 10 in acht Fällen dieselben Hochschulen wie 2015, auf den ersten fünf Rangplätzen stimmt sogar die Reihenfolge überein.“ (S. 49)
Hier müsste eigentlich eine Diskussion beginnen, welche die DFG natürlich eher abblockt: Ob etwa die wissenschaftliche Bewertung von Forschungförderanträgen – den wissenschaftlichen Charakter solcher Bewertungen bestreitet zunächst einmal niemand – möglicherweise von der politischen Absicht überformt ist, sich eine kleine international „sichtbare“ (das häufigste Wort in den Dokumenten der Exzellenzinitiative) Spitzengruppe von Universitäten zu kreieren, welche in der internationalen Konkurrenz der „Eliteuniversitäten“ mithalten kann? Das ist schließlich der Zweck der Exzelleninitiative.
Daher wundert es kaum, dass die Exzellenzuniversitäten (in der Sprache der Medien: „Eliteuniversitäten“) auch die Spitze des DFG-Rankings bestimmen. Sie stehen auf den ersten sechs Plätzen des Gesamtförderrankings (dann folgen sie auf den Rängen 8, 9, 12, 17, 23). Allein der mit der Exzellenzinitiative verbundene Geldsegen (ca. 5 Mrd. Euro), der als Drittmittel verbucht wird, garantiert eine Höchst- oder Höherplatzierung.
Das KIT Karlsruhe ist etwa wie gesagt von Platz 8 auf 18 gegenüber dem vorletzten Ranking abgestiegen, weil die Uni in der zweiten Förderrunde ihren Elitestatus verloren hat; Bremen hingegen hat sich um 10 Plätze auf nun Rang 17 verbessert, weil die Uni in der zweiten Runde überraschend zur „Eliteuniversität“ gekürt wurde.8 (S. 49 f.)
Kumulative Effekte: Viel erzeugt mehr
Bereits das Verhältnis von Exzellenzfinanzierung und Höhe der sonstigen Drittmittel, das sich gegenseitig verstärkt, zeigt einen Effekt auf, der sich auch aus anderen Blickwinkeln bestätigt – und der in der kritischen Wissenschaftsforschung als Matthäus-Effekt bezeichnet wird. Knapp gesagt: Wer schon vorher viel bekommen hat, erhält immer mehr (s.u.). So fällt etwa auf, dass an der Spitze des Rankings (etwa unter den Top 20) überwiegend große Traditionsuniversitäten (20 bis 50 Tsd. Studierende) stehen. Hier ist natürlich auch die Zahl antragsberechtigter Professuren entsprechend höher, ebenso wie die erfolgreich eingeworbene Gesamtsumme an Drittmitteln.
Eine vielgerühmte Ausnahme auf Platz 23 in der Gesamtförderung ist hier die Uni Konstanz (11 Tsd. Studierende), die es sogar in den Kreis der derzeit elf „Eliteuniversitäten“ geschafft hat. Dennoch gilt, dass aus dieser – zugegeben banalen – Perspektive kleine Unis wie bspw. Lüneburg, Flensburg, Hildesheim oder Frankfurt/Oder nie eine Chance haben, jemals irgendwo sichtbar aufzutauchen. Die Schlussfolgerung, dass die dort tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „leistungsschwächer“ seien als diejenigen an den top-gerankten Spitzenunis ist aber völlig unzulässig.9 Ebenso unzulässig ist es folglich, ein nach dem bloßen Umfang der eingeworbenen Drittmittel differenziertes Ranking als Leistungstabelle abzubilden, obwohl sich die Medien auf diesen Effekt stürzen.
Schließlich müssen Förderumfänge auch nach Fachgebieten differenziert werden, was die DFG allerdings – dies sei eingeräumt – tut. In den Ingenieurwissenschaften (vor allem: Materialwissenschaft und Werkstofftechnik) seien aufgrund der Material- und Geräteintensität der Forschung die Bewilligungssummen pro Kopf um den Faktor 9 bis 16 höher als in den sog. Bücherwissenschaften geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer. (S. 52). Ähnliche Größenverhältnisse gelten für die sog. Lebenswissenschaften (Human- und Tiermedizin, Biologie, Agrar- und Forstwissenschaften): „Hochschulen mit wenigen oder gar keinen technischen und/oder medizinischen Fächern haben so eine ungleich geringere Chance, in einem Gesamt-Ranking einen führenden Platz einzunehmen als Technische Universitäten und Universitäten mit hochschulmedizinischen Einrichtungen.“ (ebd.)
Anders gesagt: Hochschulen, denen diese Fächer, die gigantische Fördersummen verbrauchen, fehlen, haben einen außer-wissenschaftlichen Standortnachteil, der mit irgendeiner Leistung nicht das Geringste zu tun hat. Das betrifft fast alle Neugründungen der 70er Jahre, die in der Regel kein Klinikum bekamen (Ausnahme: Uni Essen). Daraus müsste die DFG allerdings den Schluss ziehen, ihr Gesamtranking höchstens zu Dokumentationszwecken zu veröffentlichen (etwa in alphabetischer Anordnung der Unis) und gleichzeitig davor warnen, es als Leistungsgefälle zu lesen. Bisher hat sie dies nicht getan und so auch den entsprechenden Medieneffekten einer Sportwette nicht entgegen gewirkt.
Bei einer fachspezifischen Aufschlüsselung ergibt sich daher ein anderes Bild. In der Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften taucht die TH Aachen unter den ersten 40 Plätzen gar nicht auf (Gesamtranking: Platz 3), die Uni Konstanz steht auf Platz 9 (Gesamtranking: Platz 23), in der personalrelativierten Bewilligungssumme (Einwerbungen pro Professur) gar auf Platz 1 (S.104). Die drei Spitzenplätze und die darauf folgenden (Ausnahme: Konstanz) werden wiederum von sehr großen Unis eingenommen: Platz 1: FU Berlin, Platz 2: HU Berlin; Platz 3: LMU München. (S.53).
Folglich bleibt auch bei einer fachspezifischen Aufschlüsselung der Fördermengen die Kritik aufrecht zu erhalten, dass die Größe einer Uni auch die Rankingplatzierung beeinflusst und dass es folglich unzulässig ist, außer-wissenschaftliche Größen- und Mengeneffekte als Leistungsunterschiede abzubilden.
Die wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Aussagekraft von Drittmittelforschung
Zunächst hat noch niemand die Behauptung aufgestellt, dass in den einzelnen Förderprojekten keine sinnvolle Forschung stattfände. Das Problem sind nicht die einzelnen Vorhaben sondern die Gesamtstrukturen der Hochschulfinanzierung. So wird etwa die öffentliche Wahrnehmung von Hochschulforschung vor allem durch Drittmittelrankings bestimmt und so suggeriert, außerhalb dessen gäbe es nichts.10 Grundmittel dienen jedoch der Finanzierung von Grundlagenforschung, Studium und Lehre: Der Staat finanziert die Gehälter von ProfessorInnen und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen sowie etwa Labore und Bibliotheken.
Dies ist die notwendige Infrastruktur für tägliche Forschung – auch ohne Drittmittel. Sie findet ihren Ausdruck in Veröffentlichungen, in Diskussionen innerhalb der scientific community und zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Man darf vermuten, dass ein erheblicher Teil, wenn nicht sogar der größere Teil, der Forschung aus diesen Quellen stattfindet, selbst wenn diese tagtäglichen Arbeitsprozesse an Hochschulen Rankingtabellen zunächst unzugänglich sind.
„Einer der bekanntesten Soziologen des 20. Jahrhunderts, Niklas Luhmann, schreibt in der Einleitung zu seinem Opus Magnum einer Gesellschaftstheorie: ´Bei meiner Aufnahme in die 1969 gegründete Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld fand ich mich konfrontiert mit der Aufforderung, Forschungsprojekte zu benennen, an denen ich arbeite. Mein Projekt lautete: Theorie der Gesellschaft; Laufzeit: 30 Jahre; Kosten: keine.` Nach heutigen Maßstäben wäre Luhmann damit ein uninteressanter Professor für jede Universität.
Denn das Ansehen einer Universität hängt inzwischen maßgeblich davon ab, wie ihre Professoren beim Einwerben von Forschungsgeld, den Drittmitteln, abschneiden. Von den eingeworbenen Drittmitteln hängt auch der Zuschuss vom Staat ab. So bekommen die Berliner Universitäten 60 Prozent ihrer Mittel nach ihren Leistungen in Forschung und Lehre. In der Forschung wird vor allem belohnt, wenn viele Drittmittel eingeworben wurden.“11
Mit der Zuteilung von Drittmitteln rechtfertigt die DFG zugleich ihre Förderentscheidungen der vergangenen Förderperioden, da die Höhe der bereits eingeworbenen Drittmittel etwa über die Förderungswürdigkeit bzw. die Forschungsstärke eines Fachbereiches mitentscheiden und diesem mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Mittel garantieren.12
Die DFG rechnet sich das sogar selbst an. Zu ihren Förderformaten gehören etwa seit 50 Jahren sog. Sonderforschungsbereiche (in der Berichtsperiode des aktuellen Rankings 2014-2016 waren das 23 Prozent ihres Fördervolumens; S. 55). Das sind langfristige (bis zu 12 Jahren) interdisziplinäre Forschungsprojekte an einzelnen Universitäten.
Jetzt erfahren wir, „dass die überwiegende Mehrheit aller Exzellenzcluster, die im Rahmen der Exzellenzinitiative eingerichtet oder die im Rahmen der Exzellenstrategie 2017 zur Antragstellung aufgefordert wurden, erkennbar auf Vorarbeiten eines oder mehrerer vor Ort eingerichteter SFB aufbaut.“ (S. 60). Zu ergänzen wäre, dass die DFG in Kooperation mit dem Wissenschaftsrat auch über Exzellenzanträge entscheidet. Ihre politische Botschaft: wir sind diejenigen, die die international konkurrenzfähige Spitzenforschung hierzulande aufbauen. Frage: Ist das noch Wissenschaft oder schon Politik? Dass in ihre Förderentscheidungen außer-wissenschaftliche selbst-referentielle und zirkuläre Motive einfließen, dürfte indes kaum zu bestreiten sein.
Der Bamberger Wissenschaftssoziologe Richard Münch sieht die DFG daher in einer „Doppelrolle“: „einerseits als Förderorganisation, andererseits als Evaluator der Forschung und ihrer Förderung. Die DFG evaluiert sich mit dem Ranking selbst, und das mit nachhaltigen, Realität konstruierenden Konsequenzen. In der Öffentlichkeit entsteht ein Bild der Forschungsrealität, das mit der Verteilung von DFG-Mitteln identisch ist.“13 Und der schäbige Rest des Hochschulbetriebes bleibt unsichtbar, könnte man hier ergänzen.
Nichtintendierte Effekte des Drittmittelbooms: ein möglicher Systemkollaps
Man müsste noch weitergehen und feststellen, dass die gegenwärtig dominierenden Strukturen der Hochschulfinanzierung zwar einzelne Erkenntnisse sicher ermöglichen, auf Systemebene aber eher Erkenntnis einschränken: „….. Rankings (verlangsamen) den Erkenntnisfortschritt. Sie leiten die Forschungspolitik in die Sackgasse der weiteren Investition in vergangene Erfolge und der Überinvestition an privilegierten Standorten bei gleichzeitiger Unterinvestition in der breiten Masse der Universitäten, anstatt den Wettbewerb offenzuhalten, um Diversität als entscheidende Quelle neuer Entdeckungen und des Erkenntnisfortschritts zu fördern.“14
Der banale – aber richtige – Satz zum Schluss: Ein Wende in der Hochschulfinanzierung ist unabdingbar! Dazu gehört eine deutliche Reduktion der wettbewerblichen Finanzierung, deren Resultate sich an ganz wenigen Standorten konzentrieren, die mit penetranter Hochleistungs- und Exzellenrhetorik hochgejubelt werden. So lange das so bleibt und ständig neue befristete Exzellenz- und Sonderprogramme aufgelegt werden, entfällt für die Politik die öffentlich zu legitimierende Notwendigkeit, die gesetzlichen Grundfunktionen der Hochschulen (Studium, Lehre, wissenschaftliche Weiterbildung, nicht-projektförmige Grundlagenforschung) angemessen zu finanzieren.15
Letzteres sind allerdings die Basisfunktionen der Hochschulen, aus denen der künftige wissenschaftliche Nachwuchs und herausragende Forschungsleistungen hervorgehen. Das beginnt bereits im Grundstudium. Wenn also die Bedingungen von Studium und Lehre weiterhin schlecht bleiben oder sich bei prognostiziertem weiterem Wachstum der Studierendzahlen noch verschlechtern, sägt sich das System auf diese Weise den Ast ab, auf dem es sitzt.
Der Autor ist politischer Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi)
Fußnoten
1 DFG (2018): Förderatlas 2018 - Kennzahlen zur öffentlich finanzierten Forschung in Deutschland, Bonn. (alle Zahlen und Seitenabgaben im laufenden Text, soweit nicht anders vermerkt, aus der Printversion dieser Veröffentlichung).
2 So die Begründung der DFG: Es ginge um die „Loslösung von der mit dem ´Ranking´-Begriff häufig assoziierten ´Besten-Liste´.“ (DFG-Förderatlas 2012, S.15)
3 Eine Begründung für diesen Rückgang wird nicht gegeben. Denn natürlich ist private Wirtschaft an Forschung interessiert. Sie gab etwa 2015 mit 58,2 Mrd. Euro mehr als das Doppelte der öffentlichen Forschungseinrichtungen dafür aus (S.22). Möglicherweise ist sie – könnte man zynisch sagen – mit dem wirtschaftlichen Transfernutzen öffentlicher Forschung derartig zufrieden, dass eigene Investitionen in diese Einrichtungen gar nicht mehr im traditionellen Umfang erforderlich sind.
4 Andere Einnahmequellen der Hochschulen werden dafür herausgerechnet, etwa die sog. Verwaltungseinnahmen (2015: 17,3 Mrd. Euro), die überwiegend aus dem Betrieb der Universitätskliniken stammen.
5 Vor dieser Entwicklung hat der Wissenschaftsrat bereits 1982 gewarnt: »Die erfolgreiche Einwerbung von Drittmitteln darf keinesfalls zu Kürzungen bei der Verteilung der Mittel aus dem Hochschuletat führen. In Zeiten knapper Haushaltsmittel besteht die Gefahr, dass hier ein Anrechnungssystem (Drittelmittel als Kompensation für gekürzte oder stagnierende Grundmittel; der Verf.) eingeführt wird. Vor den nachteiligen Folgen eines solchen Systems kann nicht eindringlich genug gewarnt werden. Drittmittel dürfen Haushaltsmittel nicht ersetzen, sondern müssen sie ergänzen.« (Wissenschaftsrat 1982: Zur Forschung mit Mitteln Dritter an den Hochschulen, Köln. S. 57f.)
6 Drittmittel spielen auch eine zentrale Rolle bei der Besetzung von Professuren. Die Lehrbefähigung ist eher gleichgültig.
7 Angaben nach: Statistisches Bundesamt; daraus auch die folgenden Zahlenangaben in diesem Absatz.
8 Diesen Rang wird Bremen allerdings im nächsten Ranking in drei Jahren verlieren und wieder absteigen, weil sie entsprechend der neuen Regeln der „Exzellenzstrategie“ zwei Forschungscluster hätte in die Endauswahl bringen müssen, um sich mit Erfolgsaussicht für den Status einer „Eliteuniversität“ bewerben zu dürfen (was einem Plus von 15 Mio. Euro pro Jahr entsprochen hätte). Dies ist Bremen nur mit einem Cluster gelungen. Vgl. dazu: Torsten Bultmann, Ein kritischer Blick auf die künftigen Exzellenzen, in: Forum Wissenschaft 4/2017
9 Zu beobachten ist allerdings, dass viele dieser WissenschaftlerInnen gar nicht mehr an den einschlägigen „Wettbewerben“ teilnehmen und auch keine Förderanträge stellen. So hat etwa nur die Hälfte der antragsberechtigten Universitäten sich bisher an der Exzellenzinitiative mit Anträgen beteiligt, obwohl allen Geld fehlt. Vermutlich ist dies ein Effekt der negativen Selbstselektion, nicht zuletzt um sich den gigantischen Arbeitsaufwand der Antragstellung zu ersparen. Die das System dominierende Wettbewerbsideologie demotiviert auch ein potentielles Leistungsvermögen.
10 Den folgenden Passus entnehme ich wörtlich meiner Kritik des DFG-Förderrankings 2015 für Studis Online.
11 Jürgen Gerhards, Forschung falsch vermessen, in: Tagesspiegel 28.5.13
12 Der Bielefelder Soziologieprofessor Stefan Kühl spricht in dem Zusammenhang von einer Zweck-Mittel-Verkehrung: „Drittmittel werden nicht mehr nur als sinnvolles Mittel betrachtet, um bei Geldmangel dem Zweck guter Forschung zu dienen, die Einwerbung von Drittmitteln wird selbst schon als Ausdruck von guter Forschung betrachtet. Schon die Einwerbung mehrerer Millionen Euro für ein Excellence-Cluster wird als Ausdruck von Excellence gewertet und nicht erst das, was nach dem Ausgeben von zwanzig oder mehr Millionen Euro herauskommt.„(Stefan Kühl, Entzauberung des Fetischs; in: Süddeutsche Zeitung 4.1.13)
13 Richard Münch (2011): Akademischer Kapitalismus. Berlin, S. 279
14 Münch a. a. O. S. 303
15 Derzeit muss diese Wende gegen die Große Koalition im Bundestag durchgesetzt werden, welche komplett hinter der Exzellenzstrategie steht. Auffällig dabei ist besonders, dass die wissenschaftspolitischen FachpolitkerInnen der SPD überwiegend der parlamentarischen Linken angehören.