Studie zur Entwicklung der HochschulfinanzenForschung schlägt Lehre
Geld für Forschung und Lehre gibt es immer mehr – die Verteilung jedoch kippt immer mehr zugunsten der Forschung
Juchhe! In Deutschland wurde nie mehr Geld für Forschung und Lehre locker gemacht. Wenn das keine frohe Botschaft ist. Während 1995 die Ausgaben für die Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AUF) bei 27 Milliarden Euro lagen, waren es 2015 bereits über 53 Milliarden Euro. Das ist fast eine Verdopplung in 20 Jahren. Noch besser sieht es bei den Einnahmen aus. Vor zwei Jahrzehnten generierten die Universitäten auf eigene Faust – also über die Länderzuwendungen hinausgehend – nicht einmal zehn Milliarden Euro. Zuletzt brachten sie es auf 24,6 Milliarden, was ein Zuwachs um 153 Prozent bedeutet. Wer wollte bei solchen Zahlen meckern?
Geliefert hat sie das Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) mit ihrer in der Vorwoche veröffentlichten Studie „Entwicklung der Finanzierung von Hochschulen und Außeruniversitären Forschungseinrichtungen seit 1995“. Sie wurde im Auftrag des Deutschen Hochschulverbands (DHV) erstellt und basiert auf Daten des Statistischen Bundesamts (destatis) sowie des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI).
Dreiklassengesellschaft in Forschung und Lehre
Die Untersuchung ist aber viel mehr als eine trockene Faktensammlung. Vielmehr offenbart sie einen tiefgreifenden Wandel in der deutschen Wissenschaftslandschaft und ihrer materiellen Ausstattung: Weg von einem einst weitgehend egalitären System weitgehend gleicher Akteure auf Augenhöhe – hin zu einer akademischen Zwei- oder gar Dreiklassengesellschaft: mit wenigen forschungs- und finanzstarken Einrichtungen an der Spitze und einem breiten Sockel an Massenhochschulen unter den sich zuspitzenden Bedingungen einer politisch gewollten „Mangelverwaltung“. Leidtragende sind bei all dem vor allem die Studierenden. Denn für ihre Ausbildung und Betreuung bleibt sukzessive immer weniger hängen.
Mehr Geld ist das eine. Entscheidender ist, wie es verteilt wird. Und genau hierbei sind im Zeitverlauf erhebliche Unwuchten entstanden. Das zeigt sich am deutlichsten an der Relation zwischen den „leistungsunabhängigen“ Grundmitteln der Hochschulen und den „leistungsabhängigen“ Drittmitteln sowie anderen projektgebundenen und temporären Zuschüssen. Laut Studie finanzierten sich die Hochschulen Mitte des vergangenen Jahrzehnts noch zu 56 Prozent aus den Zuwendungen der Länder, zu 44 Prozent aus alternativen Quellen. Inzwischen hat sich das Verhältnis umgekehrt: 44 Prozent steuern die Bundesländer bei, 56 Prozent werden anderweitig reingeholt. Klammert man die Unikliniken aus und nimmt nur die Hochschullehre und -forschung zum Maßstab, dann ist der Anteil der Grundfinanzierung innerhalb von zehn Jahren von 73 Prozent auf 50 Prozent im Jahr 2015 zurückgegangen.
Drittmittel nehmen stark zu, Grundmittel kaum
Die andere Hälfte setzt sich aus Drittmitteln aus der gewerblichen Wirtschaft, durch Stiftungen und von staatlichen Stellen, zum Beispiel durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), sowie aus mit Bundesmitteln kofinanzierten temporären Programmen wie der Exzellenzstrategie (vormals Exzellenzinitiative) oder dem Hochschulpakt zur Schaffung zusätzlicher Studienplätze zusammen. Dabei haben sich die Zuwendungen aus öffentlichen Töpfen im 20jährigen Betrachtungszeitraum von anfangs knapp 600 Millionen Euro auf zuletzt 1,9 Milliarden Euro mehr als verdreifacht. Das Aufkommen privater Drittmittel seitens der Industrie und wirtschaftsnaher Stiftungen legte um 330 Prozent von 1,6 Milliarden Euro 1995 auf 5,3 Milliarden Euro im Jahr 2015 zu.
Zwar konnten auch die „sicheren“ Grundmittel im zurückliegenden Jahrzehnt zulegen, im Bundesmittel aber nur um 30 Prozent. Die festgestellte Verdoppelung der Hochschulhaushalte sei im Wesentlichen „auf höhere Drittmitteleinnahmen zurückzuführen“, heißt es in der Studie. Entsprechend konstatieren die FiBS-Forscher in einer Medienmitteilung eine deutlich gestiegene „Abhängigkeit der Universitäten von Drittmitteln“[/b], auf die allein „70 Prozent des Wachstums der Hochschulfinanzen“ zurückgingen.
Kleckern bei der Lehre
Weil aber das Gros dieser Gelder in die Forschung fließt, müssen an anderer Stelle Abstriche gemacht werden. Vor allem trifft das die Lehrqualität. „Entfielen 1995 noch bundesweit 59 Prozent der Mittel auf die Lehre, waren es 2015 noch 53 Prozent“, rechnen die Autoren vor. Dabei habe im selben Zeitraum die Zahl der Studierenden um fast 40 Prozent zugenommen. Die Grundfinanzierung der Lehre durch die Länder sei „sogar von 51 auf 37 Prozent gesunken, die der Forschung von 26 auf 15 Prozent“. Während der Schwund bei den Forschungsmitteln der Bundesländer aber durch den massiven Aufwuchs an Drittmitteln aus privaten und staatlichen Quellen (DFG, Exzellenzstrategie) wettgemacht und deutlich überkompensiert wurde (plus zehn Prozentpunkte), bleiben entsprechende Maßnahmen im Bereich der Lehre (etwa im Rahmen des Hochschulpakts oder des Qualitätspakts Lehre) deutlich hinter den Erfordernissen zurück.
Insbesondere zeigt sich das beim Personal. Zwar weisen auch hierfür die Aufwendungen der Hochschulen seit 1995 deutlich nach oben (plus 81 Prozent). Jedoch halte der „Zuwachs des wissenschaftlichen Personals und hier insbesondere der Professorinnen und Professoren mit den wachsenden Studierendenzahlen nicht Schritt“, bemerken die Forscher. Die Zahl der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter, etwa jene in den Bereichen Verwaltung und Technik, ist im Untersuchungszeitraum sogar absolut zurückgegangen – das vielleicht sichtbarste Zeichen der seit vielen Jahren exerzierten und am Mantra des „schlanken Staats“ orientierten öffentlichen Kürzungspolitik.
Billig vor Qualität
Aber die Studie führt noch weitere Belege dafür auf, wie sich der Staat als Kostendrücker betätigt: So werde „ein zunehmender Teil des Personalbedarfs für Lehr- und Forschungsaufgaben (…) nicht über den Stellenplan, sondern über temporär eingestelltes und im Rahmen der Sachkosten finanziertes Personal erledigt“. Dazu habe die Umstellung der Vergütung von der C- „auf die prinzipiell niedrigere W-Besoldung (…) den intendierten Effekt entfaltet und die Personalkosten gedrückt bzw. den Anstieg abgeschwächt“. Ferner hätte sich Einstellungspraxis bei den wissenschaftlichen Kräften „dahingehend verändert, dass der Anteil an unbefristeten oder längerfristig beschäftigtem wissenschaftlichen Personal reduziert und durch überwiegend jüngere, beruflich unerfahrenere, aber kostengünstigere Personen ersetzt wurde“.
Alles in allem habe sich die Relation zwischen Lehrenden und Lernenden „erheblich verschlechtert“, befinden die Forscher. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auch auf die unzureichenden Mittel aus dem Hochschulpakt. Das Bund-Länder-Programm unterlegt jeden infolge des anhaltenden Hochschulruns neu eingerichteten Studienplatz mit insgesamt 26.000 Euro (6.500 Euro jährlich). FiBS-Direktor Dieter Dohmen hatte schon in einer früheren Analyse dargelegt, dass der Kostenansatz deutlich unter dem für einen „Normalstudienplatz“ liegt, den er für 2011 mit 8.700 Euro veranschlagte. Aber selbst das ist nur eine Billigvariante. Nach Dohmens Kalkulation ließ sich der Staat im Jahr 2000 einen Studienplatz noch 9.600 Euro pro Jahr kosten.
„Erheblicher Einstellungsbedarf“
In einer weiteren Studie hatte der Bildungsforscher außerdem herausgearbeitet, welche Faktoren eine hochwertige Hochschulbildung ausmachen. Sein Kredo: „Es kommt auf die Betreuungsrelationen an. Mehr Professuren und zusätzliche Wissenschaftlerstellen sind die zentrale Stellschraube für gute Lehr- und Forschungsleistungen.“ Mehr und besseres Fachpersonal bedeuteten „sowohl mehr Absolventen, mehr Studierende in der Regelstudienzeit und mehr Doktoranden und Habilitanden“. Daran anknüpfend legt er in seiner aktuellen Expertise nach: „Davon ausgehend, dass das derzeitige Betreuungsverhältnis von Studierenden und Professor/innen- bzw. wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen einer dauerhaft hochwertigen Qualität von Lehre und Forschung nicht zuträglich ist, besteht zudem ein erheblicher Einstellungsbedarf in den deutschen Hochschulen.“
Zurück zu den „großen“ Zahlen: Die Unis und Fachhochschulen haben ihre Ausgaben innerhalb von 20 Jahren von 22,6 Milliarden auf 43,7 Milliarden Euro gesteigert. Das entspricht einem Zuwachs von 93 Prozent. Der auf den ersten Blick gewaltige Satz relativiert sich nicht nur mit Blick auf das dicke Plus bei den nach Leistungs- und Wettbewerbskriterien und weitüberwiegend zu Forschungszwecken vergebenen Drittmitteln. Aufschlussreich ist auch der Vergleich mit den vier großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AUF), also der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft sowie der Max-Planck-Gesellschaft.
Klotzen bei der Forschung
Was fällt auf? Dort nämlich, wo kein Student ausgebildet und praktisch ausschließlich geforscht wird, zeigt sich der Staat von seiner generösen Seite. Nicht nur haben die Einrichtungen ihre Ausgaben in 20 Jahren noch deutlicher steigern können als die Unis, um satte 116 Prozent von 4,4 Milliarden Euro auf 9,4 Milliarden Euro. Im Unterschied zu den Hochschulen haben sie dabei auch ihre Aufwendungen fürs Personal ganz massiv gesteigert, in zwei Fällen mehr als verdoppelt, im Falle der Fraunhofer-Gesellschaft sogar vervierfacht.
Vor allem aber profitieren die außeruniversitären Forschungseinrichtungen von einer nachhaltigen Verbesserung ihrer Grundfinanzierung, zum Beispiel durch den Pakt für Forschung und Innovation, bei vergleichsweise geringfügigen Veränderungen des Drittmittelanteils. „Bis zu 80 Prozent“ würden sie aus Grundmitteln finanziert, stellen die FiBS-Forscher fest. „Dadurch haben sie eine vergleichsweise hohe Planungssicherheit gegenüber den Hochschulen, die einen zunehmenden Aufwand für die Drittmittelakquise betreiben müssen und von befristeten Programmen abhängig sind.“ In diesem Lichte erscheint übrigens auch der ermittelte Publikationsoutput der Unis mit einem Plus von 70 Prozent in knapp 15 Jahren als ziemlich fragwürdiger Erfolg. Ein Prof, der viel forscht und schreibt, hat weniger Zeit für seine Studenten.
Keine Besserung in Sicht
Ein zentraler Befund der Studie lautet: „Da der Mittelaufwuchs bei der Forschungsförderung deutlich höher ist als bei den lehrbezogen zur Verfügung gestellten Beträgen, hat sich die Finanzierungssituation zugunsten der Forschungsmittel und zulasten der Mittel für Lehre und Studium verändert.“ Die eingangs postulierte Klassengesellschaft trennt sich entsprechend in drei Lager: Oben thronen die Forschungsbastionen der außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Dahinter folgen die begüterten Unis mit hohem Forschungs- und Drittmittelaufkommen. Und ganz unten tummeln sich die „Ausbildungshochschulen“, an denen gute Lehre aber längst zu kurz kommt.
Dass die neue Bundesregierung diese Schieflage beheben will und wird, steht nicht zu erwarten. Union und SPD haben die Misere durch gemeinsames Wirken in zwei Groko-Auflagen seit 2005 maßgeblich zu verantworten – sei es durch das Pushen von Eliteunis, einen Hochschulpakt auf Sparflamme, immer wieder neue wettbewerbsbasierte Sonderprogramme oder dem per Föderalismusreform von 2006 besiegelten Ausstieg des Bundes aus der Hochschulbauförderung. Und schon ein Blick in den schwarz-roten Koalitionsvertrag lässt erahnen, dass es nach diesem Muster weitergehen soll. Auf 175 Seiten wimmelt es förmlich vom Wörtchen „Forschung“, während „Lehre“ nur spärliche sechsmal Erwähnung findet. Die fällige Verteilung der knappen öffentlichen Mittel zum Nachteil der Studierenden scheint damit semantisch bereits vorweggenommen. (rw)