HochschulpolitikStudiengebühren und soziale Gerechtigkeit
Die Befürworter von Studiengebühren behaupten zum einen, dass in Staaten mit einem Studiengebührensystem (USA, Großbritannien, Australien) mehr Kinder aus sozial schwächeren Schichten als in Deutschland studieren. (1.)
Ein anderer Argumentationsstrang zielt darauf ab, dass ohne Studiengebühren nur die sozial starken von der Studiengebührenfreiheit profitieren, somit also über die allgemeinen Steuern der Arbeiter oder die Krankenschwester das Studium des Akademikersohnes mitfinanziert. (2.)
Schließlich wird gern angeführt, dass zukünftige AkademikerInnen später auch mehr verdienen, folglich sich dann auch an den Kosten ihrer Ausbildung beteiligen könnten. (3.)
Die Erhebung von Studiengebühren direkt während des Studiums wird heute kaum mehr diskutiert - dass dies abschreckende Wirkung hat, wird selbst von den meisten Studiengebührenbefürwortern nicht mehr bestritten. Sie haben daher Modelle ausgearbeitet, die die Bezahlung auf die Zeit nach dem Studium legen - nachgelagerte Studiengebühren. Von ihnen geht der Artikel im Weiteren aus.
Allerdings gibt es immer noch Modelle, die faktisch doch Gebühren sofort fordern - nur versteckter. Das Modell von Hamburgs Wissenschaftssenator Dräger (was ja als Modell der CDU-regierten Länder in die Debatte geworfen wurde) sieht Gebührenpflicht von Anfang an vor und den Wegfall des BAföGs. Gebühren wie auch Lebenshaltungskosten sollen über Darlehen vorfinanziert werden. Die Rückkzahlung der soll bspw. über die Kreditanstalt für Wiederaufbau abgewickelt werden, an diese muss dann nach dem Studium zurückgezahlt werden. Schaut man sich das Modell genauer an, erkennt man, dass die Absicherung und die Gesamthöhe der vorgesehenen Darlehen nicht ausreicht. Somit müssen - nach welchen Kriterien auch immer - einige doch von Anfang an zahlen.
1. Mehr Kinder aus sozial schwächeren Schichten dank Studiengebühren?
Zunächst muss man hier genauer differenzieren. Zwar ist es nach durchaus seriösen Statistiken tatsächlich so, dass in einigen Ländern mit Studiengebühren mehr Kinder aus sozial schwächeren Schichten als in Deutschland studieren. Allerdings auch nur in einigen - Österreich dagegen ist ein Beispiel, wie Studiengebühren ganz eindeutig zu drastischen Verschiebungen zu Ungunsten bildungsferner Schichten führen.
Zudem gibt es in diesen Ländern auch Abschlüsse in Studienfächern, die in Deutschland einer Ausbildung entsprechen. Würde man diese Studiengänge (die von "Reicheren" weniger oft in Anspruch genommen werden) nicht berücksichtigen, so sieht die Statistik schon gravierend anders aus.
Man muss berücksichtigen, dass in den genannten Ländern die Kinder der Unter- und Mittelschichten wesentlich härteren Ausleseverfahren unterworfen werden als z. B. die Kinder der Oberschicht, was mit sozialer Gerechtigkeit nicht vereinbar ist. Denn es kann nicht als gerecht bezeichnet werden, wenn "Arme" nur mit (sehr) gutem Abitur studieren können, "Reiche" aber mit deutlich schlechteren Abiturergebnissen.
Wenn man dazu die verschiedenen Hochschulen (private und staatliche) z.B. in den USA betrachtet, ist festzustellen, dass trotz aller Stipendiensysteme gerade an den renommiertesten Hochschulen eine Rekrutierung immer wieder aus den selben gehobenen Schichten der Gesellschaft stattfindet.
Michael Hartmann, Soziologie-Professor an der TU Darmstadt, hat sich mit dem Phänomen der Selbstrekrutierung sogenannter Eliten auf das Ausführlichst befasst. Er schrieb z.B. in der WELT vom 13.04.2002: "Eine Untersuchung der Lebensläufe von 6.500 promovierten Ingenieuren, Juristen und Wirtschaftswissenschaftlern der Promotionsjahrgänge 1955, 1965, 1975 und 1985 kommt diesbezüglich zu einem eindeutigen Ergebnis: Ausschlaggebend ist letztlich die soziale Herkunft."
Grundsätzlich wird dieses Problem natürlich auch nicht durch die Abschaffung von Studiengebühren gelöst, sie verschärfen das Problem jedoch. Die Problematik der Selbstrekrutierung ist nebenbei bemerkt ein Grund, warum - bei zulassungsbeschränkten Studiengängen - Auswahlgespräche kritisch zu betrachten sind.
Desweiteren hängt der Zugang von Kindern aus sozial schwächeren Familien zu Hochschulen auch davon ab, wieviele aus diesem Kreis überhaupt eine Hochschulzugangsberechtigung erlangen. Hier sieht es in Deutschland eher schlecht aus - Studiengebühren würden an dieser Situation nichts ändern. Es ist also gerade zu perfide, damit zu argumentieren, in Ländern mit Studiengebühren würden doch mehr Kinder aus sozial schwächeren Elternhäusern studieren und die Studiengebühren als Grund dafür anzuführen.
Abschließend ist festzustellen, dass zwar alle Studiengebührenbefürworter von sozial gerechten Studiengebühren reden und Stipendiensysteme fordern - davon zu sehen ist aber bisher nur wenig. Dabei wäre eine stärkeres Stipendienwesen schon allein für die Finanzierung des Lebensunterhalts gut. Das BAföG reicht schon lange nicht mehr und wenn auch noch Studiengebühren kommen, erst recht nicht.
Was sich inzwischen (Anfang 2005) herauskristallisieren zu scheint, sind "Studiendarlehen". Diese wären zwar immerhin elternunabhängig und allen zugänglich - allerdings sind es eben verzinste Darlehen. Man startet also mit einem Schuldenberg ins Berufsleben. Zwar soll die Rückzahlung bei geringem Verdienst ausgesetzt werden, aber genau diese Schwellen sind es, die mit der Zeit immer niedriger sein werden. So geschehen z.B. in Australien, wo man inzwischen nur noch ein Einkommen von knapp über dem Sozialhilfeniveau braucht, um rückzahlungspflichtig zu sein.
2. Studiengebühren verhindern Subvention von "reichen Kindern" durch "arme Arbeiter"?
Wenn argumentiert wird, Studierende aus reichen Elternhäuseren würden ungerechtfertigter Weise von "Ärmeren" subventioniert und die Studierenden würden mit ihrer Ablehnung von Studiengebühren nur ihr Privileg sichern, so werden hier ebenfalls Dinge vermischt, die nicht miteinander vereinbar sind.
Alle vorgeschlagenen Studiengebührensysteme bauen darauf, dass die Gebühren später zurückzuzahlen sind. Wer ein reiches Elternhaus hat, wird diese Gebühren meist schon vorher ansparen können und ohne die Hypothek der Rückzahlung ins Arbeitsleben starten. Die anderen dagegen müssen mit einem Schuldenberg ins Arbeitsleben starten. Berufe wie z.B. Ärzte, bei denen zum Start in die Selbständigkeit sowieso weitere Kredite notwendig sind (Praxisgründung etc.) rücken so für Studierende aus sozial schwächeren Familien weiter in die Ferne.
Nimmt man an, dass Studiengebühren für Studierende aus sozial schwächeren Familien völlig ausgenommen werden bzw. stark reduziert sind, so wird die Erhebung von Gebühren trotzdem nicht nachvollziehbarer. Es wäre weit einfacher, die allgemeinen Steuer (die sowieso proportional erhoben und gezahlt werden) entsprechend anzuheben (am besten nur für sehr gut Verdienende), als einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand mit der Eintreibung von Studiengebühren zu betreiben.
3. Studium lohnt sich - also bitte zurückzahlen?
Auch die, die ohne Studium zu Reichtum gekommen sind, haben i.a. davon profitiert, dass Wissen und Bildung zur Verfügung steht. Eine kleinliche Aufrechnung möglicher Kosten oder gar "Bildungsinvestitionen" führt hier nicht weiter, sondern in einen Wust von Zahlen.
Der Verwaltungsaufwand von wie auch immer gearteten Studiengebühren ist durchaus nicht zu unterschätzen. Um auch nur eine annähernd (und letztlich doch nur vermeintliche) soziale Ausgewogenheit zu erreichen, müssten diverse Kriterien aufgestellt werden, die von einer Stelle immer wieder zu prüfen sind.
Oft werden Langzeitstudiengebühren (und nichts anderes gilt für Studienkonten) damit begründet, "Ressourcenverschwendung" zu bekämpfen. Es wird das Bild vom faulen Studenten suggeriert, der auf Kosten aller (auch hier werden besonders die "Armen" hervorgehoben) studiert. Gerade an der Hochschule selbst wird ein Langzeitstudent (zum Großteil sind das faktisch Teilzeitstudierenden, für die es bis heute keine vernünftigen Regelungen gibt) kaum mehr Ressourcen verbrauchen, als ein "Normstudent" - beide gehen ja i.a. nur einmal in die gleiche Vorlesung.
Die abschreckende Wirkung von Studiengebühren (egal ob allgemein oder "nur" für Langzeitstudierende) selbst bei großzügigen Ausnahmeregelungen erklärt sich auch daraus, dass es entwürdigend ist, immer wieder seine soziale Bedürftigkeit beweisen zu müssen. MancheR wird darauf lieber verzichten und ein Studium nicht mehr in Betracht ziehen.
Höhere Steuern werden von manchen wegen der Gefahr der "Steuerflucht" abgelehnt. Sicherlich ist es ein Problem, dass gerade Wohlhabendere potentiell mobiler sind und ihren Wohnsitz in Länder mit geringeren Steuern verlagern - innerhalb der EU zumindest ist das relativ problemlos.
Dieses Argument sollte allerdings nicht überbewertet werden. Auch Wohlhabende wollen nicht auf ihr soziales Umfeld verzichten, ein Umzug dürfte in der Realität für viele nicht in Frage kommen.
Stattdessen sollte die Problematik angegangen werden, dass Kapital sich immer dorthin begibt, wo die geringsten Steuern verlangt werden - zum Vorteil weniger und Nachteil vieler.
Was Studiengebühren bewirken würden - und was nicht
In Deutschland, wo die Beteiligung sogenannter "bildungsferner" Schichten (was i.a. mit "sozial schwach" zusammenfällt) sowieso schon verhältnismäßig gering ist, würde die Einführung von Studiengebühren die Quote weiter drücken.
Wenn durch bessere Ausstattung und Förderung an den Schulen dort die Quote von Abschlüssen mit Hochschulzugangsberechtigung gesteigert würde, könnten sogar trotz Studiengebühren die Bildungsbeteiligung von Menschen aus bildungsfernem Umfeld gesteigert werden. Aber das hätte eben nichts mit der Einführung von Studiengebühren zu tun - hier muss genau differenziert werden!
Studiengebühren an sich haben in jedem Fall eine zumindest leicht negative Wirkung, was die Bildungsbeteiligung sozial schwächerer Menschen betrifft. Sollte diese Wirkung zunächst wirklich "nur" leicht negativ sein (oder durch andere Maßnahmen ausgeglichen oder überkompensiert werden), zeigt aber alle Erfahrung, dass die Beteilung auf Dauer verringert wird. Ob in Australien oder den USA - überall zeigen sich negative Folgen. In Australien sind die Einkommensgrenzen, ab denen die Studiengebühren zurückgezahlt werden müssen, inzwischen nur noch knapp über dem Sozialhilfesatz. In den USA gibt es zunehmend Initiativen, die die Abschaffung von Studiengebühren fordern und die Schieflage zwischen reichen (privaten) und armen (staatlichen) Hochschulen thematisieren, die durch Studiengebühren verschärft wurde.
Bildung als Menschenrecht - international
Aus grundsätzlichen Erwägungen sind auch die "besten denkbaren Studiengebühren" so oder so nicht unterstützenswert. Bildung als Menschenrecht verträgt sich nicht mit einer Ökonomisierung in Form von individueller Bezahlung. Übrigens hatten das in großer Weitsichtigkeit schon vor fast 40 Jahren viele PolitikerInnen der Welt erkannt, die den "Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" am 19. Dezember 1966 besiegelten.
In ihm heißt es in Artikel 13:
(1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf Bildung an. Sie stimmen überein, dass die Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet sein und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten stärken muss. Sie stimmen ferner überein, dass die Bildung es jedermann ermöglichen muss, eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen, dass sie Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Völkern und allen rassischen, ethnischen und religiösen Gruppen fördern sowie die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Erhaltung des Friedens unterstützen muss.
(2) Die Vertragsstaaten erkennen an, dass im Hinblick auf die volle Verwirklichung dieses Rechts
a) der Grundschulunterricht für jedermann Pflicht und allen unentgeltlich zugänglich sein muss;
b) die verschiedenen Formen des höheren Schulwesens einschließlich des höheren Fach- und Berufsschulwesens auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, allgemein verfügbar und jedermann zugänglich gemacht werden müssen;
c) der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss;
d) eine grundlegende Bildung für Personen, die eine Grundschule nicht besucht oder nicht beendet haben, so weit wie möglich zu fördern oder zu vertiefen ist;
e) die Entwicklung eines Schulsystems auf allen Stufen aktiv voranzutreiben, ein angemessenes Stipendiensystem einzurichten und die wirtschaftliche Lage der Lehrerschaft fortlaufend zu verbessern ist.
Die Formulierung "allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit" war damals notwendig, weil 1966 selbst in Deutschland noch diverse Gebühren auch an öffentlichen Hochschulen erhoben wurden. Die Zielrichtung aber ist klar: Unentgeltlichkeit. Nachdem diese in Deutschland bereits erreicht war, ist es umso bedauerlicher, dass ein Rückschritt dem nächsten folgt und der genannte Pakt ignoriert wird oder mit nachlaufenden Studiengebühren so getan wird, als wenn damit der Forderung doch Genüge getan sei.
Die Aktualität der Unentgeltlichkeit von Bildung von der Schule bis zur Hochschule ist ungebrochen. Auch Vorschule und Kindergärten sollten weitestgehend einbezogen werden. Büchergeld an Schulen - was zunehmend diskutiert wird - ist genauso abzulehnen. Denn natürlich darf die Hochschule nicht einziges gebührenfreies Refugium sein. Die Umkehrung (alles kostet, warum dann nicht auch Hochschulen) führt vom Ziel weiter weg denn je.
Fazit
Statt ständig über die Einführung von Studiengebühren zu reden, wäre es viel wichtiger, die Ursachen zu erkennen und zu beseitigen, die schon zu einer geringeren Quote von AbiturientInnen führen, die aus bildungsfernen Schichten kommen.
Diese Debatte kann nicht in diesem Artikel aufgenommen werden. Einige Stichworte seien aber genannt: Schüler-BAföG ausbauen, Schulreform (in Richtung gemeinsame Schule für alle wie in den skandinavischen Ländern), bessere Ausstattung der Schulen (insbesondere auch für Ganztagsbetreuung), verstärkte individuelle Förderung von SchülerInnen (Sprachkurse für MigratInnen gehören hier ebenso dazu wie auch die Förderung von Hochbegabten) im Rahmen gemeinsamer Klassen, Ausbau von Vorschulen und frühkindlicher Förderung, kostenfreie Kindergärten.
Artikel am 25.01.2005 leicht überarbeitet (Letzter Absatz zu 1.)
Ein anderer Argumentationsstrang zielt darauf ab, dass ohne Studiengebühren nur die sozial starken von der Studiengebührenfreiheit profitieren, somit also über die allgemeinen Steuern der Arbeiter oder die Krankenschwester das Studium des Akademikersohnes mitfinanziert. (2.)
Schließlich wird gern angeführt, dass zukünftige AkademikerInnen später auch mehr verdienen, folglich sich dann auch an den Kosten ihrer Ausbildung beteiligen könnten. (3.)
Die Erhebung von Studiengebühren direkt während des Studiums wird heute kaum mehr diskutiert - dass dies abschreckende Wirkung hat, wird selbst von den meisten Studiengebührenbefürwortern nicht mehr bestritten. Sie haben daher Modelle ausgearbeitet, die die Bezahlung auf die Zeit nach dem Studium legen - nachgelagerte Studiengebühren. Von ihnen geht der Artikel im Weiteren aus.
Allerdings gibt es immer noch Modelle, die faktisch doch Gebühren sofort fordern - nur versteckter. Das Modell von Hamburgs Wissenschaftssenator Dräger (was ja als Modell der CDU-regierten Länder in die Debatte geworfen wurde) sieht Gebührenpflicht von Anfang an vor und den Wegfall des BAföGs. Gebühren wie auch Lebenshaltungskosten sollen über Darlehen vorfinanziert werden. Die Rückkzahlung der soll bspw. über die Kreditanstalt für Wiederaufbau abgewickelt werden, an diese muss dann nach dem Studium zurückgezahlt werden. Schaut man sich das Modell genauer an, erkennt man, dass die Absicherung und die Gesamthöhe der vorgesehenen Darlehen nicht ausreicht. Somit müssen - nach welchen Kriterien auch immer - einige doch von Anfang an zahlen.
1. Mehr Kinder aus sozial schwächeren Schichten dank Studiengebühren?
Zunächst muss man hier genauer differenzieren. Zwar ist es nach durchaus seriösen Statistiken tatsächlich so, dass in einigen Ländern mit Studiengebühren mehr Kinder aus sozial schwächeren Schichten als in Deutschland studieren. Allerdings auch nur in einigen - Österreich dagegen ist ein Beispiel, wie Studiengebühren ganz eindeutig zu drastischen Verschiebungen zu Ungunsten bildungsferner Schichten führen.
Zudem gibt es in diesen Ländern auch Abschlüsse in Studienfächern, die in Deutschland einer Ausbildung entsprechen. Würde man diese Studiengänge (die von "Reicheren" weniger oft in Anspruch genommen werden) nicht berücksichtigen, so sieht die Statistik schon gravierend anders aus.
Man muss berücksichtigen, dass in den genannten Ländern die Kinder der Unter- und Mittelschichten wesentlich härteren Ausleseverfahren unterworfen werden als z. B. die Kinder der Oberschicht, was mit sozialer Gerechtigkeit nicht vereinbar ist. Denn es kann nicht als gerecht bezeichnet werden, wenn "Arme" nur mit (sehr) gutem Abitur studieren können, "Reiche" aber mit deutlich schlechteren Abiturergebnissen.
Wenn man dazu die verschiedenen Hochschulen (private und staatliche) z.B. in den USA betrachtet, ist festzustellen, dass trotz aller Stipendiensysteme gerade an den renommiertesten Hochschulen eine Rekrutierung immer wieder aus den selben gehobenen Schichten der Gesellschaft stattfindet.
Michael Hartmann, Soziologie-Professor an der TU Darmstadt, hat sich mit dem Phänomen der Selbstrekrutierung sogenannter Eliten auf das Ausführlichst befasst. Er schrieb z.B. in der WELT vom 13.04.2002: "Eine Untersuchung der Lebensläufe von 6.500 promovierten Ingenieuren, Juristen und Wirtschaftswissenschaftlern der Promotionsjahrgänge 1955, 1965, 1975 und 1985 kommt diesbezüglich zu einem eindeutigen Ergebnis: Ausschlaggebend ist letztlich die soziale Herkunft."
Grundsätzlich wird dieses Problem natürlich auch nicht durch die Abschaffung von Studiengebühren gelöst, sie verschärfen das Problem jedoch. Die Problematik der Selbstrekrutierung ist nebenbei bemerkt ein Grund, warum - bei zulassungsbeschränkten Studiengängen - Auswahlgespräche kritisch zu betrachten sind.
Desweiteren hängt der Zugang von Kindern aus sozial schwächeren Familien zu Hochschulen auch davon ab, wieviele aus diesem Kreis überhaupt eine Hochschulzugangsberechtigung erlangen. Hier sieht es in Deutschland eher schlecht aus - Studiengebühren würden an dieser Situation nichts ändern. Es ist also gerade zu perfide, damit zu argumentieren, in Ländern mit Studiengebühren würden doch mehr Kinder aus sozial schwächeren Elternhäusern studieren und die Studiengebühren als Grund dafür anzuführen.
Abschließend ist festzustellen, dass zwar alle Studiengebührenbefürworter von sozial gerechten Studiengebühren reden und Stipendiensysteme fordern - davon zu sehen ist aber bisher nur wenig. Dabei wäre eine stärkeres Stipendienwesen schon allein für die Finanzierung des Lebensunterhalts gut. Das BAföG reicht schon lange nicht mehr und wenn auch noch Studiengebühren kommen, erst recht nicht.
Was sich inzwischen (Anfang 2005) herauskristallisieren zu scheint, sind "Studiendarlehen". Diese wären zwar immerhin elternunabhängig und allen zugänglich - allerdings sind es eben verzinste Darlehen. Man startet also mit einem Schuldenberg ins Berufsleben. Zwar soll die Rückzahlung bei geringem Verdienst ausgesetzt werden, aber genau diese Schwellen sind es, die mit der Zeit immer niedriger sein werden. So geschehen z.B. in Australien, wo man inzwischen nur noch ein Einkommen von knapp über dem Sozialhilfeniveau braucht, um rückzahlungspflichtig zu sein.
2. Studiengebühren verhindern Subvention von "reichen Kindern" durch "arme Arbeiter"?
Wenn argumentiert wird, Studierende aus reichen Elternhäuseren würden ungerechtfertigter Weise von "Ärmeren" subventioniert und die Studierenden würden mit ihrer Ablehnung von Studiengebühren nur ihr Privileg sichern, so werden hier ebenfalls Dinge vermischt, die nicht miteinander vereinbar sind.
Alle vorgeschlagenen Studiengebührensysteme bauen darauf, dass die Gebühren später zurückzuzahlen sind. Wer ein reiches Elternhaus hat, wird diese Gebühren meist schon vorher ansparen können und ohne die Hypothek der Rückzahlung ins Arbeitsleben starten. Die anderen dagegen müssen mit einem Schuldenberg ins Arbeitsleben starten. Berufe wie z.B. Ärzte, bei denen zum Start in die Selbständigkeit sowieso weitere Kredite notwendig sind (Praxisgründung etc.) rücken so für Studierende aus sozial schwächeren Familien weiter in die Ferne.
Nimmt man an, dass Studiengebühren für Studierende aus sozial schwächeren Familien völlig ausgenommen werden bzw. stark reduziert sind, so wird die Erhebung von Gebühren trotzdem nicht nachvollziehbarer. Es wäre weit einfacher, die allgemeinen Steuer (die sowieso proportional erhoben und gezahlt werden) entsprechend anzuheben (am besten nur für sehr gut Verdienende), als einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand mit der Eintreibung von Studiengebühren zu betreiben.
3. Studium lohnt sich - also bitte zurückzahlen?
Auch die, die ohne Studium zu Reichtum gekommen sind, haben i.a. davon profitiert, dass Wissen und Bildung zur Verfügung steht. Eine kleinliche Aufrechnung möglicher Kosten oder gar "Bildungsinvestitionen" führt hier nicht weiter, sondern in einen Wust von Zahlen.
Der Verwaltungsaufwand von wie auch immer gearteten Studiengebühren ist durchaus nicht zu unterschätzen. Um auch nur eine annähernd (und letztlich doch nur vermeintliche) soziale Ausgewogenheit zu erreichen, müssten diverse Kriterien aufgestellt werden, die von einer Stelle immer wieder zu prüfen sind.
Oft werden Langzeitstudiengebühren (und nichts anderes gilt für Studienkonten) damit begründet, "Ressourcenverschwendung" zu bekämpfen. Es wird das Bild vom faulen Studenten suggeriert, der auf Kosten aller (auch hier werden besonders die "Armen" hervorgehoben) studiert. Gerade an der Hochschule selbst wird ein Langzeitstudent (zum Großteil sind das faktisch Teilzeitstudierenden, für die es bis heute keine vernünftigen Regelungen gibt) kaum mehr Ressourcen verbrauchen, als ein "Normstudent" - beide gehen ja i.a. nur einmal in die gleiche Vorlesung.
Die abschreckende Wirkung von Studiengebühren (egal ob allgemein oder "nur" für Langzeitstudierende) selbst bei großzügigen Ausnahmeregelungen erklärt sich auch daraus, dass es entwürdigend ist, immer wieder seine soziale Bedürftigkeit beweisen zu müssen. MancheR wird darauf lieber verzichten und ein Studium nicht mehr in Betracht ziehen.
Höhere Steuern werden von manchen wegen der Gefahr der "Steuerflucht" abgelehnt. Sicherlich ist es ein Problem, dass gerade Wohlhabendere potentiell mobiler sind und ihren Wohnsitz in Länder mit geringeren Steuern verlagern - innerhalb der EU zumindest ist das relativ problemlos.
Dieses Argument sollte allerdings nicht überbewertet werden. Auch Wohlhabende wollen nicht auf ihr soziales Umfeld verzichten, ein Umzug dürfte in der Realität für viele nicht in Frage kommen.
Stattdessen sollte die Problematik angegangen werden, dass Kapital sich immer dorthin begibt, wo die geringsten Steuern verlangt werden - zum Vorteil weniger und Nachteil vieler.
Was Studiengebühren bewirken würden - und was nicht
In Deutschland, wo die Beteiligung sogenannter "bildungsferner" Schichten (was i.a. mit "sozial schwach" zusammenfällt) sowieso schon verhältnismäßig gering ist, würde die Einführung von Studiengebühren die Quote weiter drücken.
Wenn durch bessere Ausstattung und Förderung an den Schulen dort die Quote von Abschlüssen mit Hochschulzugangsberechtigung gesteigert würde, könnten sogar trotz Studiengebühren die Bildungsbeteiligung von Menschen aus bildungsfernem Umfeld gesteigert werden. Aber das hätte eben nichts mit der Einführung von Studiengebühren zu tun - hier muss genau differenziert werden!
Studiengebühren an sich haben in jedem Fall eine zumindest leicht negative Wirkung, was die Bildungsbeteiligung sozial schwächerer Menschen betrifft. Sollte diese Wirkung zunächst wirklich "nur" leicht negativ sein (oder durch andere Maßnahmen ausgeglichen oder überkompensiert werden), zeigt aber alle Erfahrung, dass die Beteilung auf Dauer verringert wird. Ob in Australien oder den USA - überall zeigen sich negative Folgen. In Australien sind die Einkommensgrenzen, ab denen die Studiengebühren zurückgezahlt werden müssen, inzwischen nur noch knapp über dem Sozialhilfesatz. In den USA gibt es zunehmend Initiativen, die die Abschaffung von Studiengebühren fordern und die Schieflage zwischen reichen (privaten) und armen (staatlichen) Hochschulen thematisieren, die durch Studiengebühren verschärft wurde.
Bildung als Menschenrecht - international
Aus grundsätzlichen Erwägungen sind auch die "besten denkbaren Studiengebühren" so oder so nicht unterstützenswert. Bildung als Menschenrecht verträgt sich nicht mit einer Ökonomisierung in Form von individueller Bezahlung. Übrigens hatten das in großer Weitsichtigkeit schon vor fast 40 Jahren viele PolitikerInnen der Welt erkannt, die den "Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" am 19. Dezember 1966 besiegelten.
In ihm heißt es in Artikel 13:
(1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf Bildung an. Sie stimmen überein, dass die Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet sein und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten stärken muss. Sie stimmen ferner überein, dass die Bildung es jedermann ermöglichen muss, eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen, dass sie Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Völkern und allen rassischen, ethnischen und religiösen Gruppen fördern sowie die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Erhaltung des Friedens unterstützen muss.
(2) Die Vertragsstaaten erkennen an, dass im Hinblick auf die volle Verwirklichung dieses Rechts
a) der Grundschulunterricht für jedermann Pflicht und allen unentgeltlich zugänglich sein muss;
b) die verschiedenen Formen des höheren Schulwesens einschließlich des höheren Fach- und Berufsschulwesens auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, allgemein verfügbar und jedermann zugänglich gemacht werden müssen;
c) der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss;
d) eine grundlegende Bildung für Personen, die eine Grundschule nicht besucht oder nicht beendet haben, so weit wie möglich zu fördern oder zu vertiefen ist;
e) die Entwicklung eines Schulsystems auf allen Stufen aktiv voranzutreiben, ein angemessenes Stipendiensystem einzurichten und die wirtschaftliche Lage der Lehrerschaft fortlaufend zu verbessern ist.
Die Formulierung "allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit" war damals notwendig, weil 1966 selbst in Deutschland noch diverse Gebühren auch an öffentlichen Hochschulen erhoben wurden. Die Zielrichtung aber ist klar: Unentgeltlichkeit. Nachdem diese in Deutschland bereits erreicht war, ist es umso bedauerlicher, dass ein Rückschritt dem nächsten folgt und der genannte Pakt ignoriert wird oder mit nachlaufenden Studiengebühren so getan wird, als wenn damit der Forderung doch Genüge getan sei.
Die Aktualität der Unentgeltlichkeit von Bildung von der Schule bis zur Hochschule ist ungebrochen. Auch Vorschule und Kindergärten sollten weitestgehend einbezogen werden. Büchergeld an Schulen - was zunehmend diskutiert wird - ist genauso abzulehnen. Denn natürlich darf die Hochschule nicht einziges gebührenfreies Refugium sein. Die Umkehrung (alles kostet, warum dann nicht auch Hochschulen) führt vom Ziel weiter weg denn je.
Fazit
Statt ständig über die Einführung von Studiengebühren zu reden, wäre es viel wichtiger, die Ursachen zu erkennen und zu beseitigen, die schon zu einer geringeren Quote von AbiturientInnen führen, die aus bildungsfernen Schichten kommen.
Diese Debatte kann nicht in diesem Artikel aufgenommen werden. Einige Stichworte seien aber genannt: Schüler-BAföG ausbauen, Schulreform (in Richtung gemeinsame Schule für alle wie in den skandinavischen Ländern), bessere Ausstattung der Schulen (insbesondere auch für Ganztagsbetreuung), verstärkte individuelle Förderung von SchülerInnen (Sprachkurse für MigratInnen gehören hier ebenso dazu wie auch die Förderung von Hochbegabten) im Rahmen gemeinsamer Klassen, Ausbau von Vorschulen und frühkindlicher Förderung, kostenfreie Kindergärten.
Artikel am 25.01.2005 leicht überarbeitet (Letzter Absatz zu 1.)
- Mehr bei Studis Online
- Ausführliche Übersicht über den Stand der Dinge in Sachen Studiengebühren in den einzelnen Bundesländern (ständig aktualisiert)
- Argumente gegen Studiengebühren (kurz und knapp)
- Weiteres Material von anderen
- Kampagne: Kein Spiel mit Bildung (von fzs, ABS und PM-Bündnis)
- Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (PDF-Datei)
- Veröffentlichungen von Michael Hartmann, TU Darmstadt
- Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerk
- Wikipedia-Artikel zu Studiengebühren mit Pro und Contra