Verhandlungen über Hochschulpakt IIIKostenneutral gegen Studienabbrecher
Eigentlich handelt es sich beim Hochschulpakt eher um ein Sparpaket, denn die Ausgaben sinken unter Berücksichtigung der Inflation …
Zumindest kalkulieren die politischen Entscheider nicht mit Mehrkosten für das Vorhaben. Wie die Zeitung Die Welt berichtete, sollen sich die Aufwendungen für die im Rahmen des Hochschulpakts III neu einzurichtenden Studienplätze wie bisher auf 26.000 Euro pro Platz belaufen, je zur Hälfte vom Bund und den 16 Bundesländern finanziert. Allerdings sehen die Planungen vor, zehn Prozent des Geldes ab dem Jahr 2016 in „zielgerichtete Maßnahmen“ fließen zu lassen, „um mehr Studierende qualitätsgesichert zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen“. Was genau die Hochschulen anstellen sollen, um die Abbrecherquoten zu drücken, und was geschieht, wenn sie das nicht schaffen, soll aus dem Entwurfstext nicht ersichtlich sein.
Mieses Betreuungsverhältnis
Das Springer-Blatt, dem das fragliche Papier vorliegt, schrieb angesichts der 2.600 Euro, die der Kampf gegen den Studienabbruch pro Kopf kosten soll, über eine „Menge Geld. Und Geld, das den Unis an anderer Stelle wohl fehlen wird“. Und weiter: „Dass die Hochschulen sich nun Maßnahmen überlegen sollen, mit denen sie gezielt Studienabbruch verhindern, dürfte sie finanziell und organisatorisch empfindlich treffen.“ Der Befund ist zwar richtig, überschaut aber nicht die ganze Tragweite der Problematik. Tatsächlich bleibt nämlich die entscheidende Frage, warum junge Menschen heutzutage haufenweise ihr Studium vorzeitig hinschmeißen, in dem Artikel unausgesprochen.
Für Andreas Keller, Hochschulexperte und stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sind es vor allem die „schlechten Studienbedingungen, die die Leute dazu nötigen, ihr Studium abzubrechen“. Das betreffe insbesondere das Betreuungsverhältnis zwischen Lernenden und Lehrenden, wie Keller am Donnerstag gegenüber Studis-Online ausführte. Nach den neuesten vom Statistischen Bundesamt dazu vorgelegten Zahlen von 2012 kamen damals auf einen Professor 64 Studenten, vier Jahre zuvor lag das Verhältnis noch bei 1:58. Dabei bildet das nur den bundesweiten Durchschnitt ab. Die Wochenzeitung Die Zeit hat zu Jahresanfang nachgerechnet. Bezogen auf die „normalen“ öffentlichen Hochschulen – stark spezialisierte und private Unis ausgenommen –, lag demnach das Betreuungsverhältnis vor zwei Jahren bei 1:70, mancherorts, wie in Dortmund, musste sich ein Hochschullehrer gar um über 100 Studierende kümmern.
Benzin ins Feuer
Heute gibt es noch einmal deutlich mehr Studierende als 2012, zuletzt waren es über 2,6 Millionen. Die Lage dürfte sich daher weiter verschärft haben, weshalb es laut GEW-Vize Keller „dringend darum gehen muss, zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen“, um die Betreuungssituation maßgeblich zu verbessern und die Beratungsangebote auszubauen. „Wenn dagegen nur Geld von dem ohnehin viel zu gering bemessenen Kostenansatz pro Studienplatz abgezwackt wird, bewirkt man das Gegenteil dessen, was man sich auf die Fahnen schreibt.“ Weitere Abstriche bei der Betreuung wären die „zwangsläufige Folge und das treibt dann die Abbrecherquote noch mal in die Höhe“. Der im Hochschulpakt-Entwurf verfolgte Ansatz der Kostenneutralität ist laut Keller deshalb eine „Verschlimmbesserung. Man will ein Problem mit Mitteln lösen, die das Problem noch einmal größer machen“, meinte Keller. „Das ist so, als wollte man ein Feuer mit Benzin löschen.“
Dabei brennt es längst lichterloh. Zwar steht Deutschland im internationalen Vergleich mit einer Studienabbruchquote von knapp über 20 Prozent auf den ersten Blick gar nicht mal so schlecht dar. Der zweite Blick offenbart jedoch, dass sich das einzig und allein den traditionellen, im Aussterben begriffenen Abschlüssen verdankt. Wie die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) zuletzt für den Absolventenjahrgang 2010 ermittelt hatte, warfen Studierende im Staatsexamen in lediglich elf Prozent der Fälle vorzeitig hin. Für die Diplom- und Magister-Studiengänge lag der Wert bei 23 Prozent. Von den Bachelor-Anwärtern gaben dagegen 28 Prozent frühzeitig auf. Bei anhaltendem Trend könnte nach der kompletten Umstellung auf das Bachelor-Master-System bald jeder Dritte zum Abbrecher werden.
Böse Falle MINT-Fächer
Nach einer neuen Untersuchung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW; Nachfolger der HIS-Forschungsabteilung) für den Absolventenjahrgang 2012 sind es vor allem die sogenannten MINT-Fächer wie Mathematik, Physik und Chemie, die für viele und immer mehr in die Sackgasse führen. Im Bachelor Mathematik strichen zuletzt 47 Prozent der Studierenden frühzeitig die Segel, in Chemie, Elektrotechnik und Bauingenieurwesen waren es jeweils 40 Prozent und in Informatik 37 Prozent. Diese Zahlen sind Wasser auf die Mühlen von Kritikern, die seit Jahr und Tag die mangelnde Studierbarkeit des als „Schmalspurstudiengang“ verrufenen Bachelor bemängeln und die meinen, die Bologna-Studienstrukturreform wäre nur deshalb durchgeboxt worden, um Hochschulbildung billiger zu machen.
Das mag das langfristige Kalkül sein, kurz- und mittelfristig geht der anhaltende Ansturm auf die Hochschulen aber weiter mächtig ins Geld. Laut besagtem Entwurf will der Bund im Rahmen des Hochschulpakts III zwischen 2015 und 2023 mehr als 14,1 Milliarden Euro an zusätzlichen, das heißt über die Grundfinanzierung hinausgehenden, Mitteln mobilisieren. Noch einmal 18,3 Milliarden sollen die Länder draufsatteln. Grundlage für die Berechnung ist dabei die Prognose der Studienanfängerzahlen der Kultusministerkonferenz (KMK) von Mai 2014, die deutlich über den vorangegangen Vorhersagen liegt. Demnach ist bis mindestens 2019 mit nahezu konstanten jährlichen Zuwächsen an Neueinsteigern um den Dreh von 500.000 zu rechnen. Erst danach wird ein „allmählicher Rückgang auf 265.000“ erwartet.
Studienplätze zum Billigtarif
Für die neusten Planungen gilt allerdings wie gehabt: Es wird geknausert. Der Kostenansatz pro neuem Studienplatz soll bis zum Jahr 2023 bei nominell 26.000 Euro eingefroren bleiben – ungeachtet der Inflation, der wirtschaftlichen Entwicklung oder der tatsächlichen Zahl der Studenten. Allein durch die künftige Preissteigerung (im Schnitt 1,7 Prozent) stünden zur Einrichtung eines neuen Studienplatzes in neun Jahren nach heutigem Geldwert gerade mal noch 22.000 Euro zur Verfügung. Dabei sind schon die 26.000 Euro viel zu knapp bemessen, was unter anderem die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) wiederholt beanstandet hat.
Tatsächlich entspricht die Summe nämlich nicht annähernd dem, was ein Studienplatz im Mittel kostet. Der Betrag bezieht sich nicht auf ein Jahr – wie Die Welt fälschlich schreibt – sondern auf vier Jahre, was sich der entsprechenden Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern entnehmen lässt. Damit ergibt sich ein jährlicher Ansatz von 6500 Euro pro Studienplatz. Im Jahr 2011 stellten Bund und Länder für einen Platz dagegen im Durchschnitt rund 8700 Euro bereit.
Rückläufige Finanzausstattung
Aber man ahnt es fast: Auch das ist keine Hausnummer, mit der Politik klotzen kann. Der Bildungsforscher Dieter Dohmen hat jüngst in einer Studie die Entwicklung seit 2000 unter die Lupe genommen und dabei eine stark rückläufige Finanzausstattung ermittelt. Hatten demnach die Ausgaben von Bund und Ländern pro Kopf im Jahr 2000 noch 9600 Euro betragen, waren es elf Jahre später nur mehr besagte 8700 Euro. Dabei ist die Inflation nicht einmal mitberücksichtigt. Zwar sind die Gesamtaufwendungen in diesem Zeitraum insgesamt preisbereinigt um 41 Prozent gestiegen. Allerdings habe im Ergebnis „das Ausgabenwachstum in den meisten Ländern weder nominal noch real mit dem Anstieg der Studierendenzahlen Schritt gehalten“, heißt es in der Untersuchung, die Dohmen als Direktor des Forschungsinstitutes für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) für die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) durchgeführt hat.
Bis auf vier Ausnahmen seien die Zuwendungen je Lernendem „beträchtlich zurückgegangen“. So sind etwa in Bremen die Zuschüsse um über 4.000 Euro eingebrochen, in Sachsen-Anhalt um knapp über 3.000 und in Baden-Württemberg um 2.600 Euro. Nur für Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zeigt sich eine nominale Steigerung der Zuwendungen zwischen 1.300 und 2.000 Euro. Inflationsbereinigt fällt der Mehrbetrag deutlich geringer aus. Außerdem sind ausgerechnet „Vorbildstaaten“ wie Hessen und Hamburg seit 2000 drauf und dran, ihre Hochschulen wieder verstärkt zur Ader zu lassen. Massive Kürzungen bei Studienplätzen und -gängen sowie beim Hochschulpersonal stehen überdies ganz aktuell in Ostdeutschland, in Bremen und im Saarland auf dem Programm.
Kürzungen verschleiert
Noch dramatischer wäre die Lage, hätte der Bund nicht mit Sonderprogrammen wie dem Hochschulpakt zur Finanzierung zusätzlicher Studienplätze oder der Exzellenzinitiative zur „Förderung von Spitzenforschung“ Geld ins System gepumpt. Faktisch sind nämlich bis auf fünf Länder die Landeszuweisungen pro Studierendem geschrumpft, zum Teil um über 20 Prozent. Eigentlich hieß es stets, die Bundesgelder gebe es extra oben drauf. Tatsächlich wurden mit ihnen Kürzungen durch die Länder in vielen Fällen nur verschleiert. Das hat Methode: „Länder mit höheren Bundeszuweisungen haben ihre Landeszuschüsse tendenziell stärker gekürzt als Länder mit niedrigeren oder gar rückläufigen Bundeszuweisungen“, konstatiert Dohmen.
All das zeigt: Die hohen Studienabbrecherquoten sind zuvorderst ein institutionelles Problem, das auf die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen im Allgemeinen und die Härten in den Bachelor-Studiengängen im Besonderen zurückzuführen ist. Laut HIS-Befunden fühlen sich rund 30 Prozent der Betroffenen durch den erhöhten Zeit- und Leistungsdruck infolge der Kürze und Verschulung des Studiums überfordert. Rund 20 Prozent scheitern an der Finanzierung. Beiden Gruppen könnte direkt geholfen werden, durch bessere Studienbedingungen, durch eine bessere BAföG-Politik. Dazu bedarf es natürlich des politischen Willens und einer Menge Geld. FiBS-Direktor Dohmen beziffert eine auskömmliche Hochschulfinanzierung durch Bund und Länder mit jährlich über 40 Milliarden Euro. Das wären rund acht Milliarden Euro mehr als bisher.
Comeback von Studiengebühren?
Die politischen Entscheider haben andere Vorstellungen. „Sollte die Zahl der statistisch nachgewiesenen zusätzlichen Studienanfänger die aus der KMK-Vorausberechnung von 2014 berechnete Zahl zusätzlicher Studienanfänger (...) übersteigen, so werden hierfür keine Bundesmittel bereitgestellt“, zitiert Die Welt aus dem Entwurf für den Hochschulpakt III, über den die gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) Ende Oktober befinden soll. Im Zuge der ersten und zweiten Programmphase des Hochschulpakts hatten Hundertausende mehr junger Menschen ein Studium aufgenommen als von der KMK prognostiziert. Gleich mehrmals musste deshalb finanziell nachgebessert werden. Jetzt lautet die Vorgabe der Bundesregierung: Wird demnächst noch einmal außer Plan studiert, bleiben die Länder auf den Kosten sitzen. Für den Fall rückläufiger Studierendenzahlen sollen die Überschüsse nicht etwa auf die vorhandenen Plätze verteilt werden, um beispielsweise mehr Master-Studienplätze zu finanzieren. Das Geld soll vielmehr in den Bundeshaushalt zurückfließen.
Und über noch etwas wird inzwischen wieder laut nachgedacht: Studiengebühren. Zuletzt hat sich die HRK-Chef Horst Hippler für ein Revival des gerade erst beerdigten Bezahlstudiums ausgesprochen. Die öffentliche Ablehnung werde sich ändern, wenn man sehe, wie an Hochschulen noch stärker gespart werden müsse, gab er in der Süddeutschen Zeitung (SZ) zum Besten. Wegen der angespannten Haushalte werde bald auch die Politik umdenken, so Hippler. In den Bundesländern sehe er „schon jetzt diese Debatten, an allen Ecken und Enden“. (rw)