Expertensegen für Elitewettbewerb?Exzellenzinitiative wird evaluiert
Mit der Exzellenzinitiative soll es hoch hinaus gehen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die das Programm gemeinsam mit dem Wissenschaftsrat abwickelt und wissenschaftlich begleitet, tönt ganz unbescheiden: „Das Ziel: Die Weltspitze.“ Bund und Länder hatten das Projekt im Jahr 2005 an den Start geschickt, um den „Wissenschaftsstandort Deutschland nachhaltig zu stärken, seine internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die universitäre Spitzenforschung sichtbarer zu machen“. Bis zum Ende der zweiten Förderphase 2017 wird die ganze Veranstaltung rund 4,6 Milliarden Euro gekostet haben. 75 Prozent davon stemmt der Bund, ein Viertel steuern die Bundesländer bei.
Kein Ende in Sicht
Gut / schlecht? Eine internationale Kommission prüft 10 Jahre Exzellenzinitiative
Die Bundesregierung will auch in Zukunft nicht knausern. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es über den Elitewettbewerb, er habe „in sehr erfolgreicher Art und Weise eine neue Dynamik (…) gebracht, die wir erhalten und ausbauen wollen“. Man werde „Förderlinien, die sich besonders bewährt haben, in wissenschaftsgeleiteten Verfahren weiterentwickeln und in neue Förderformate überführen“. Noch ist offen, wie es nach 2017 konkret weitergeht, dann läuft das Programm nach der ursprünglichen Planung aus. Angedacht ist wohl, die dritte Förderlinie zu streichen, bei der es um sogenannte Zukunftskonzepte geht, mit denen man sich bisher das Label „Eliteuniversität“ verdienen konnte. Eine Fortsetzung – in welcher Form und in welcher Größenordnung auch immer – erscheint aber so gut wie ausgemacht. Am Wochenende erst ließ Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) verlauten: „Völlig klar ist, dass der Bund die Exzellenzförderung weiter unterstützt.“
Denkanstöße, wohin die Reise gehen soll, erhoffen sich die politischen Entscheider von einer frisch berufenen Kommission unter Leitung des Schweizers Dieter Imboden. Sein „internationales“ Team aus zehn, wie es heißt, „hochkarätigen“, „unabhängigen“ Experten wurde durch die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) aus Bund und Ländern berufen und kam am Dienstag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Über ein Jahr lang wollen die Fachleute eruieren, was die Exzellenzinitiative gebracht und ob und wie es das System von Wissenschaft und Forschung verändert hat. Ihr abschließendes Gutachten soll im Januar 2016 vorliegen und eine wichtige Entscheidungshilfe bei der dann zu klärenden Frage nach „Anschlussformaten“ sein.
Unklarer Arbeitsauftrag
Worin genau die Arbeit und das Wirken der Kommission bestehen sollen, lässt sich schwer einschätzen. Laut Doris Ahnen (SPD), GWK-Vize und rheinland-pfälzische Wissenschaftsministerin, gelte es zu bewerten, ob die Exzellenzinitiative den Wissenschaftsstandort Deutschland nachhaltig gestärkt, seine internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert und die universitäre Spitzenforschung sichtbarer gemacht habe. Ein weiterer Wunsch der Politik sei es zu evaluieren, wie sich die „Exzellenzinitiative auf den wissenschaftlichen Nachwuchs ausgewirkt hat“, sagte sie am Montag vor Pressevertretern in Berlin.
Ferner soll auch ein aus Sicht von Kritikern durchaus spannender Aspekt beleuchtet werden, nämlich, wie sich das Programm auf das „Verhältnis von Spitze und Breite“ ausgewirkt hat. Die stellvertretende Kommissionsvorsitzende Elke Lütjen-Drecoll, Medizinerin und bis 2013 Präsidentin der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz, warf in diesem Zusammenhang weitere Fragen auf: „Haben die Geisteswissenschaften gelitten, haben die Studenten gelitten und haben einzelne kleinere Unis gelitten?“ Damit dürfte sie den Gegnern der Exzellenzinitiative aus dem Herzen gesprochen haben. Schließlich sehen die im Elitewettbewerb um Geld und Ruhm ein mächtiges Instrument, die – politisch insgeheim beabsichtigte – Spaltung der Hochschullandschaft in wenige erstklassige Spitzenunis und einen großen Rest minderwertiger Massehochschulen zu forcieren und dem Leitbild der sogenannten unternehmerischen Hochschule zur Durchsetzung zu verhelfen.
Ungleichheit ist Programm
Auf die damit verbundenen Verwerfungen wies am Montag Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, hin. „Anstatt Hochschulforschung nachhaltig zu fördern, verschärfen Eliteunis lediglich die Ungleichheit zwischen den Hochschulen: Den wenigen Profiteuren steht eine große Zahl von Verlierern gegenüber.“ Das Vorgehen verhindere eine hochwertige Forschung in der Breite und schwäche das Gesamtsystem der Hochschulen, führte die Politikerin in einer Pressemitteilung aus. Gohlkes Befund: „Die Differenzierung der Hochschulen treibt einen Keil zwischen die Profiteure der Exzellenzinitiative einerseits und die restlichen Hochschulen andererseits.“
Und was passiert, sollten die zehn Gutachter diesen Tendenzen auf den Grund gehen, die Ursachen dafür aufspüren und am Ende zu dem Schluss gelangen, dass mit der Exzellenzinitiative „Spitze und Breite“ immer weiter auseinanderdriften und dieser Entwicklung gefälligst Einhalt zu gebieten ist? Was, wenn sie der Politik Bescheid stoßen: Macht Schluss damit und verteilt das Geld wieder gleichmäßig an alle Akteure? Könnte eine Evaluation also nicht durchaus auch mit einem üblen, für die Macher peinlichen Verriss enden, zumal unter der Bedingung einer wirklich „unabhängigen“ Expertise.
Unabhängige Expertise?
Gerade dieses Attribut wird schließlich besonders betont, vorneweg durch Frontmann Imboden selbst: „Wichtig war allen Beteiligten, dass wir als Kommission eine gewisse persönliche Distanz zur Exzellenzinitiative haben und durch die Kommissionsmitglieder unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven eingebracht werden.“ Kein Mitglied sei selbst in Entscheidungsgremien der Exzellenzinitiative beteiligt gewesen, führte der Schweizer am Montag aus.
Aber reicht das an „Distanz“? Hochschulexperte Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), hat seine Zweifel. „Neben ausgewiesenen Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland müssten auch die Stimmen von Vertretern der Gewerkschaften, der Studierenden sowie der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten gehört werden“, befand er am Dienstag gegenüber Studis Online. Dabei müssten beispielsweise auch folgende Fragen beantwortet werden: „Welche Auswirkungen hatte die Exzellenzinitiative auf die Qualität von Lehre und Studium, auf die Stabilität von Beschäftigungsbedingungen und auf die Chancengleichheit von Frauen und Männern?“ Kritiker gelangen bei all diesen Punkten durchgängig zu negativen Befunden.
Techniker in der Mehrheit
Aber interessiert sich die Kommission überhaupt für solche Blickwinkel? Plural besetzt, so wie sich Keller das vorstellt, ist die Kommission auf alle Fälle nicht. Die zehn Mitglieder stammen ausnahmslos aus der Wissenschaft. Sie kommen aus den Bereichen Medizin, Mathematik, Physik, Chemie, Informatik, Jura und Wirtschaftswissenschaften. Mit Marie-Louise Bech Nosch ist lediglich eine Geisteswissenschaftlerin (Philologie, Geschichte) mit von der Partie, die große Mehrheit stellen Techniker bzw. Naturwissenschaftler. Zufall oder nicht: Bei der Exzellenzinitiative (sowie der Drittmittelausstattung insgesamt) sind die sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) überproportional stark begünstigt, während die Geisteswissenschaften kaum zum Zuge kommen oder, wie der Tagesspiegel einmal titelte, „exzellent vernachlässigt“ werden.
Ergebnis programmiert
Für Gewerkschafter Keller müsste eine, wie er sagt, „überfällige“ Evaluation außerdem „ergebnisoffen“ sein. „Ob das Format einer milliardenschweren Förderung der Spitzenforschung an ausgewählten Universitäten überhaupt fortgesetzt werden soll, muss kritisch geprüft werden, bevor die Details einer neuen Runde verhandelt werden.“ Dass allerdings ausgerechnet eine Gruppe unter einem Vorsitzenden Imboden den Daumen über dem Elitewettstreit senkt, erscheint ziemlich abwegig. Der Umweltphysiker lehrt an der Eidgenössischen Technischen Universität (ETH) in Zürich und damit an einer der renommiertesten und elitärsten Hochschulen in Europa. Er ist dazu Aufsichtsratsvorsitzender des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und stand bis 2012 dem Forschungsrat des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) vor. Diese privatrechtliche Stiftung macht in der Schweiz das, was hierzulande die DFG und der Wissenschaftsrat im Rahmen der Exzellenzinitiative erledigen: Sie verteilt Geld an förderwürdige Forschungsprojekte und -einrichtungen in staatlichem Auftrag.
„Leuchtturm der Wissenschaftsgeschichte“
Von seiner „Distanz“ zum Untersuchungsgegenstand legte Imboden am Montag beredt Zeugnis ab. Die Exzellenzinitiative habe „eine nationale Bewegung von einer Größenordnung und Konsistenz“ wie in keinem anderen Land der Welt bewirkt, schwärmte er da, sie sei „ein Leuchtturm in der Wissenschaftsgeschichte der letzten zehn Jahre“. Spricht so einer, der Gefahr laufen könnte, das elitäre Konzept nach eingehender „unabhängiger“ Prüfung in die Tonne zu treten oder auch nur zaghaft in Frage zu stellen. Skeptisch bemerkte dazu GEW-Vize Keller: „Ob ausgerechnet ein Kommissionsvorsitzender, der schon vor Amtsantritt die Exzellenzinitiative euphorisch gelobt hat, die Ergebnisoffenheit gewährleisten kann, muss bezweifelt werden.“
Die Möglichkeit, dass seine Prüfung zur Frage überleiten könnte, ob man das Projekt nicht besser einstampfen sollte, kommt Imboden auch gar nicht erst in den Sinn. Dafür ist sein Erkenntnisinteresse viel zu begrenzt: „Aber wir fragen, wie effizient das Geld eingesetzt wurde und ob es bei der Steuerung Verbesserungsmöglichkeiten gibt.“ Ebenso wenig sollte man annehmen, dass sein Team demnächst rund um die Uhr durch die Lande tingelt, um vor Ort und an der Basis über die „Auswirkungen“ der Wettbewerberitis Nachforschungen anzustellen – etwa in den Fachbereichen und Instituten, die armgekürzt wurden, während und weil die per Exzellenzinitiative „ausgezeichneten“ universitären Vorzeigeprojekte kräftig aufgepäppelt wurden.
Doppeltgemoppeltes Gutachten
Tatsächlich soll die Grundlage der Begutachtung lediglich ein Datenbericht über die drei Förderlinien (Graduiertenschulen, Cluster und Zukunftskonzepte) bilden, den die DFG und der Wissenschaftsrat im kommenden Jahr vorlegen wollen. Beide sind wie erwähnt die federführenden Akteure hinter dem Programm. Die Kommission werde aber auch eigene, qualitative Untersuchungen vornehmen, hieß es. Dennoch muss man sich klar machen: Die Gutachter greifen bei ihrer Begutachtung zu einem gewichtigen Teil auf das Gutachten derer zurück, die für das Projekt verantwortlich zeichnen und den Teufel tun werden, an dem Ast zu sägen, auf dem sie sitzen. Die Fallhöhe ist ja auch beträchtlich – dort oben an der „Weltspitze“.
(rw)