Probleme auf die lange Bank?Anhaltender Hochschulrun bis 2020
Studiengebühren abschaffen - wieder einführen - ...
Seine Vision vom amerikanischen Modell, bei dem jede Hochschule frei nach Schnauze bestimmen kann, wieviel sie ihren Studierenden abknöpft, gab der scheidende Chef der Goethe-Universität, Werner Müller-Esterl, auf der Jahreshauptversammlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) am Montag in der Mainmetropole zum Besten. Der Vorstoß erscheint einigermaßen dreist. Mit Niedersachsen ist gerade das letzte von zwischenzeitlich sieben Bundesländern drauf und dran, das Bezahlstudium wieder einzumotten. Die Abschaffung zum kommenden Wintersemester ist beschlossene Sache, womit Deutschland demnächst wieder in der Fläche ohne Campusmaut wäre (vgl. auch unsere Studiengebühren-Übersicht).
Wanka schickt Gebührenfan vor
Müller-Esterl passt das gar nicht in den Kram. Er hält das Aus von Gebühren für das zentrale Problem der Hochschulen und liebäugelte bei seiner Ansprache in Frankfurt ganz offen mit einer Finanzierung nach US-Vorbild. Das wird sich hierzulande zwar nicht so schnell durchsetzen lassen. Gleichwohl darf sich der Uni-Vorsteher jetzt in der Rolle als Dosenöffner für eine eigentlich erledigt geglaubte Diskussion gefallen. Und tatsächlich stieß bei der HRK-Tagung mit Staatssekretär Georg Schütte auch gleich noch ein Mann der Bundesregierung ins selbe Horn. Was genau der Abgesandte aus dem Bundesbildungsministerium (BMBF) vom Stapel gelassen hat, ist in den Medien nicht überliefert. Trotzdem ist Vorsicht geboten: Wenn schon Deutschlands oberste Bildungspolitikerin, BMBF-Chefin Johanna Wanka (CDU), ihren Adjutanten vor versammelter Rektorengilde für einen Gebühren-Rollback werben lässt, dann könnte das Thema vielleicht schon bald wieder richtig aktuell sein.
Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Goethe-Uni äußerte sich denn auch entsetzt über die Vorgänge. „Wir wollen keine elitäre und exklusive, sondern eine ausfinanzierte und demokratische Universität“, verlautetet per Pressemitteilung und weiter: „Der Staat ist verpflichtet, für gute Bildung und soziale Hochschulen zu sorgen. Bildung darf nicht vom Geldbeutel abhängen!“ Dass die Sache mit dem Inkassostudium gerade bei den Hochschulchefs – zumindest insgeheim – weiterhin hoch im Kurs steht und sie für jeden Beitrag in dieser Richtung dankbar sind, wird man auch bei den Juso-Hochschulgruppen wissen. „Daher fordern wir die HRK auf, sich endlich vom Gebührenmodell als Mittel der Hochschulfinanzierung abzuwenden“, bezog am Dienstag der Bundesverband Stellung. „Um eine Ausfinanzierung der Hochschulen und somit gute Lehre zu gewährleisten, muss das Kooperationsverbot fallen.“
Keine Bewegung beim Kooperationsverbot
Bis wann sich die Regierungsparteien darauf geeinigt haben und ob sie das überhaupt jemals tun, steht jedoch in den Sternen. Der per Föderalismusreform im Jahr 2006 – wohlgemerkt durch eine große Koalition – ins Grundgesetz gehievte Passus, dass der Bund den Ländern in der Bildungsfinanzierung nicht dauerhaft beistehen darf, ist weiterhin ein riesiger Zankapfel zwischen Union und SPD. Über eine Lockerung streiten beide seit bald drei Jahren, woran sich auch mit der gemeinsamen Regierungsbildung nichts geändert hat. Während die SPD und ein Großteil der Länder das Verbot gerne auch im Bereich der Schulen aufweichen würden, strebt die Union lediglich eine engere Bund-Länder-Kooperation bei den Hochschulen an.
Immerhin hatte Bildungsministerin Wanka im Vormonat Gesprächsbereitschaft signalisiert. Ihr windelweiches Angebot, „ich wäre ja offen für Gespräche über den Schulbereich“, warf sie im nächsten Satz aber praktisch wieder den Haufen. Wenn das Ende des Kooperationsverbots mit der Bedingung verknüpft werde, dies auch im Schulbereich zu machen, „könnte das Ganze auf die lange Bank geschoben werden“. (Zitate via SPIEGEL ONLINE)
Streit um Bildungsmilliarden
Wie lang kann eine Bank überhaupt sein, fragt man sich da? Gehen auch die nächsten dreieinhalb Jahre ergebnislos ins Land, fände wohl sogar noch die nächste Regierung daran Platz. Wanka meint jedenfalls weiterhin, „sich um Tausende von Schulen zu kümmern, kann nicht Sache des Bundes sein, das ist mit gutem Grund eine Kernkompetenz der Länder“. Solange das Kooperationsverbot weiterbesteht, wolle sie auf befristete Unterstützung an Hochschulen setzen – „um zum Beispiel Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu sichern“. Das klingt reichlich verquer und ließe sich auch so übersetzen: Es bleibt beim Kooperationsverbot.
Ein Treffen der Spitzen von CDU, CSU und SPD Anfang Mai brachte auch keine Klärung. Dabei ging es auch um die versprochenen Bildungsmilliarden im Koalitionsvertrag. Darin heißt es: „Die Länder und Gemeinden stehen vor großen Herausforderungen bei der Finanzierung von Kinderkrippen, Kitas, Schulen und Hochschulen. Damit sie diese Aufgaben besser bewältigen können, werden die Länder in der laufenden Legislaturperiode in Höhe von sechs Milliarden Euro entlastet.“ Außerdem stellt die Regierung in dem Abkommen weitere drei Milliarden Euro durch den Bund für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, den Hochschulpakt, den Pakt für Forschung und Innovation und die Exzellenzinitiative in Aussicht.
Cash fürs Haushaltsloch
Darüber, woher das Geld genommen und wie es verteilt werden soll, darf indes weiter gerätselt werden. Offen ist wohl vor allem, wie die Mittel „juristisch sauber“ an die Länder transferiert werden können, solange das Kooperationsverbot existiert, auf dessen Abschaffung sich die Streithähne nicht verständigen können oder wollen. Nach bestehender Rechtslage dürfen die Länder nur zeitlich begrenzt und projektbezogen Unterstützung in Bildungsangelegenheiten erhalten. Angeblich könnte eine Einigung dem Vernehmen nach dahin gehen, den Ländern die Bundeshilfen ohne Zweckbindung „cash“ auf die Hand zu zahlen. Damit wäre praktisch programmiert, dass das Geld in irgendwelchen Haushaltslöchern versickert und nicht da ankommt, wo es gebraucht wird: In Kitas, Schulen und Hochschulen.
Kultusminister haben sich verzählt
Es bleibt voll an den Hochschulen
Dabei haben gerade Studierende schon Probleme genug. Die Hochschulen sind voll bis zum Anschlag, immer mehr Studiengänge zulassungsbeschränkt, bei den Master-Plätzen zeichnen sich massive Engpässe ab, der studentische Wohnungsmarkt ist komplett überlaufen und seit 2010 gab es keine BAföG-Erhöhung mehr. Als reichte das noch nicht, hat jetzt auch noch die Kultusministerkonferenz (KMK) ihre Prognose für die Studierendenzahlen deutlich nach oben korrigiert. Bislang sind die Statistiker davon ausgegangen, dass die Zahl der Studienanfänger von heute rund einer halben Million bis 2020 auf beherrschbare 450.000 zurückgehen wird. Nach neueren Berechnungen ist nun bis mindestens 2019 mit nahezu konstanten jährlichen Zuwächsen um den Dreh von 500.000 zu rechnen. Erst danach sei ein „allmählicher Rückgang auf 265.000“ Studieneinsteiger zu erwarten.
Es sieht also danach aus, als machte die demographische Entwicklung mit den rückläufigen Geburtenraten einen großen Bogen um die Alma Matar. Zwar gibt es immer weniger Schüler, von denen entscheiden sich aber anteilig immer mehr für die Aufnahme eines Studiums. Heute sind es schon annähernd 50 Prozent eines Jahrgangs – Tendenz steigend. Erwartungsgemäß war die neue KMK-Voraussage bei der Frankfurter Rektoren-Tagung das beherrschende Thema.
Warnung vor noch mehr NCs?
Nachdem HRK-Präsident Horst Hippler bereits in der Vorwoche vor einem drohenden „Kollaps“ gewarnt und die Regierung zu unverzüglichem Handeln aufgefordert hatte, legte er am Mittwoch per Medienmitteilung nach. „Wenn die Politik die notwendigen Entscheidungen weiter verschleppt, werden die Hochschulen ihre aktuellen Studienplatzkapazitäten nicht halten können“, ließ er verbreiten.
Hippler plädierte unter anderem für eine sofortige Aufhebung des Kooperationsverbots, eine bessere Grundfinanzierung der Hochschulen, eine Aufstockung des Hochschulpakts II und eine Ausweitung des geplanten Hochschulpakts III. Halte die „aktuelle Blockade“ an, werde dies „zwangsläufig zu weiteren und härteren Zulassungsbeschränkungen und längeren Wartezeiten führen“, so der HRK-Chef.
Studienwunsch bald irrelevant?
Es finden sich aber auch Leute, die ganz andere Schlüsse aus der KMK-Prognose ziehen, etwa der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Albert Rupprecht. Diese dürfe „nicht automatisch zum weiteren Ausbau der Hochschulen führen“, schrieb er in einer Stellungnahme. „Der gesellschaftliche Grenznutzen der Akademisierung ist längst erreicht, (…) die indirekte Steuerung der Ausbildungsentscheidungen über die Bereitstellung von Studienplatzkapazitäten ist unvermeidbar.“ Rupprechts Mantra: „Der Studienwunsch des Einzelnen darf für den Ausbau der Hochschulen nicht länger allein maßgeblich sein.“ So deutlich hat öffentlich noch kaum einer ausgesprochen, was er von Zielen wie größtmöglicher Bildungsteilhabe und Bildungsgerechtigkeit für Angehörige möglichst aller sozialen Schichten hält – nämlich nichts.
(rw)