Neuer Name für nachlaufende StudiengebührenCHE schlägt "Absolventengebühren" vor
Die Debatte um Studiengebühren geht weiter ...
Beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) weiß man, was die Stunde geschlagen hat. Vor gar nicht so langer Zeit, gab es noch sieben Bundesländer, die ihre staatlichen Hochschulen Studiengebühren eintrieben ließen. Eine flächendeckende Campusmaut in ganz Deutschland schien da nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Doch plötzlich drehte sich der Wind. Mit neuen politischen Mehrheiten und auf Druck beachtlicher studentischer Proteste bröckelte die Gebührenfront rasch und unaufhaltsam. Zum anstehenden Wintersemester wird selbst in Bayern nicht länger Kasse gemacht. Und nach Lage der Dinge wird 2014 auch Niedersachsen mit dem Inkassostudium Schluss machen.
Schlappe für Gütersloh
Für das CHE ist das eine Schlappe auf ganzer Linie. Der von der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gesponserte Thinktank wirft seit Jahr und Tag viel Macht und Einfluss in die Waagschale, um seine Vision von der "unternehmerischen Hochschule"zu realisieren. Studiengebühren sind dabei auf Dauer unerlässlich, weil der forcierte Rückzug des Staates aus dem System irgendwie mit privat generiertem Geld kompensiert werden muss. Für CHE-Geschäftsführer Jörg Dräger geht die Rechnung so: "Das deutsche Hochschulsystem ist unterfinanziert. (…) Spätestens mit der Schuldenbremse für Bund und Länder wird sich die Frage nach allgemeinen Studienbeiträgen in Deutschland schon bald wieder neu stellen, gerade vor dem Hintergrund der Unterfinanzierung der deutschen Hochschulen." (vgl. hier)
CHE mimt Hochschulretter
Die Argumentation ist nicht ganz aufrichtig, weil darin fast so etwas wie ein Bedauern darüber anklingt, dass man sich mit den nun einmal widrigen Umständen wohl oder übel abzufinden und zu arrangieren habe. Tatsche ist jedoch, dass das CHE und mit ihm seine Ziehmutter, die Bertelsmann Stiftung, den Trend zur Entstaatlichung und damit das Ausbluten der öffentlichen Kassen maßgeblich angestoßen haben. Die sogenannte Schuldenbremse, die Bund und Länder von Verfassungs wegen zum Kürzen in allen Bereichen verdonnert (da Steuererhöhungen nach dieser Ideologie ja auch nicht in Frage kommen), ist in Wahrheit eine Erfindung aus Gütersloh. So zu tun, als wäre sie wie ein Schicksal über uns gekommen, ist schlicht verlogen und lenkt von den Verantwortlichkeiten ab.
Wer die nicht kennt, kann dem CHE schnell auf dem Leim gehen. Denn eigentlich will der Laden für alle ja nur das Beste. Im Interview mit dem Deutschlandradio drehte Dräger das so hin: "Und wir erleben im Moment in Deutschland wieder diese Spardiskussion an den Hochschulen, überall soll gekürzt werden, das Studium soll billiger werden, schlechter werden." Und wieder könnte man denken, die klammen Hochschulen machten den Mann traurig. Aber für Abhilfe wäre ja gesorgt, würde man nur auf seinen guten Rat hören. "Und da finde ich es einfach Zeit, zu überlegen, ob man nicht die Studenten in einer gerechten und fairen Weise an den Kosten ihres Studiums beteiligen kann, denn sie profitieren ja nachher auch erheblich davon."
Nachlaufende Studiengebühren
Im Umkehrschluss wurden demnach Gebühren auch nur deshalb überall wieder abgeschafft, weil sie eben nicht "gerecht" und nicht "fair" waren. Das muss aber nicht notwendig so sein, denn laut dem CHE-Mann "gibt es in der Welt Modelle, die gerecht sind, die funktionieren, und die den Hochschulen und den Studenten an den Hochschulen auch mehr Geld zukommen lassen". Dräger hat natürlich nicht irgendein Modell im Sinn, sondern ein ganz spezielles: das australische. In Down Under bezahlen Studierende erst nach erfolgreichem akademischem Abschluss für ihr Studium und nur dann, wenn sie auch genug verdienen. Hierzulande wurde das Konzept immer mal wieder unter dem Titel "nachlaufende Studiengebühren" diskutiert. Zu Zeiten der schwarz-gelben Koalition war es zwischen 2008 und 2010 auch schon einmal in Hamburg praktiziert worden.
Schon damals hatte da wohl einer vorgedacht: Bevor Dräger 2008 den CHE-Chefposten und einen Vorstandssitz bei der Bertelsmann Stiftung einnahm, hatte er als parteiloser Wissenschaftsminister in der Hansestadt amtiert. Inzwischen hat er dazugelernt. Weil er mitansehen musste, wie auch das hanseatische Gebührenmodell den Bach runterging und nachhaltig in Misskredit geriet, verpasste er dem Ding einfach einen neuen Namen: "Absolventengebühren". Das ist zwar nur alter Wein in neuen Schläuchen. Aber was macht das schon? Um in der Gebührendebatte wieder Boden unter die Füße zu bekommen, ist offenbar jedes Mittel recht.
Vorbild für Deutschland?
Dem australischen Modell wurde immer wieder von interessierter Seite nachgesagt, mit ihm ginge es sozial gerecht zu. Das sogenannte Higher Education Contribution Scheme (HECS) wurde 1989 durch eine Labour-Regierung eingeführt, um die Einnahmen in den Hochschulausbau zu stecken. Dabei übernimmt der Staat für einen Teil der Studienplätze zunächst die fälligen Gebühren und schreibt sie den Betroffenen als Schulden an. Erst nach Aufnahme eines Berufs und ab einer bestimmten Einkommenshöhe muss das Geld mit der Inflation indexiert, aber unverzinst als Steuer zurückgezahlt werden. Bei niedrigeren Einkommensgruppen beläuft sich der Satz auf vier, bei höheren auf acht Prozent der Einkünfte.
Das CHE will das Konzept in modifizierter Form auf die deutschen Verhältnisse übertragen wissen und hat dazu eine Art Machbarkeitsstudie erstellen lassen. Wie nicht anders zu erwarten, gelangen die Autoren zu einem positiven Fazit: Der Übergang zur australischen "graduate contribution" könnte "in nicht allzu ferner Zukunft auch in Deutschland ein politisch gangbarer Weg sein", schreiben sie. Und weiter: Die Grundidee vermeide "wesentliche Probleme der bisherigen Umsetzung in Deutschland", allerdings ließen sich auch "Risiken und Nebenwirkungen" analysieren. Letzterer Hinweis soll wohl fachliche Distanz suggerieren, aber selbstredend ist keiner der Haken so groß, dass er sich aus CHE-Sicht nicht in den Griff bekommen ließe.
Australische Verhältnisse
Beispielsweise wurden in Australien die Gebühren- und Rückzahlungsmodalitäten sukzessive zum Schaden der Studierenden verändert. So wurde etwa jenen, die die Schulden vorab begleichen können, sowohl ein beträchtlicher Rabatt gewährt als auch bessere Chancen auf einen Studienplatz eingeräumt. Das findet das CHE nicht schön und empfiehlt deshalb eine am Anfang nicht zu großzügige Ausgestaltung, die "über die Zeit möglichst stabil" gehalten werden solle. Denn: "Studierende werden durch laufende Modellanpassungen irritiert; vor allem subjektiv als Verschlechterung wahrgenommene Änderungen mindern die Attraktivität einer Studienaufnahme."
Ebenso sähen es die Gütersloher nicht gerne, wenn sich die Länder durch die zusätzlichen Einnahmen verführen ließen, "sich ihrerseits schrittweise aus der Hochschulfinanzierung zurückzuziehen". Genau dieser "fatale Trend" sei nämlich in Down Under eingetreten. "Das Wachstum der Ausgaben für den Hochschulbereich wurde im Zeitraum von 1995 bis 2005 größtenteils durch eine Steigerung der privaten Ausgaben erreicht und bei der Grundfinanzierung der Studienplätze wurden öffentliche teilweise durch private Mittel ersetzt", heißt es dazu in dem Papier. Immerhin tut man beim CHE so, als nehme man diese Gefahr ernst. Aber noch einmal: Der Rückzug des Öffentlichen ist das Mantra der Bertelsmänner, und die von ihnen mitausgeheckte Schuldenbremse ist der bislang wirksamster Hebel, die Staatsausgaben – auch die im Hochschulbereich – weiter zu drücken.
Risiken und Nebenwirkungen
Überdies ist auch das zur Schau gestellte Problembewusstsein der CHE-Reformer ziemlich begrenzt. Studierendenvertreter warnen vor einer ganzen Reihe weiterer "Risiken und Nebenwirkungen" im Zusammenhang mit nachlaufenden Gebühren. Beispielsweise ist die Bereitschaft, sich zu verschulden, bei sozial benachteiligten Menschen geringer als in privilegierten Schichten. Egal, ob Gebühren sofort oder später fällig werden, sie schrecken von der Aufnahme eines Studiums ab. Aus eben diesem Grund wurde auch die Höchstverschuldungsgrenze beim BAföG auf 10.000 Euro begrenzt. Die Aussicht auf Schulden beeinflusst zudem die Studien- und Berufswahl. Studiert wird vorzugsweise das, was für die nahe Zukunft den größten Ertrag verspricht. Gebühren erhöhen den Studierdruck, was zählt, ist nur noch der schnellstmögliche Abschluss. Auch dies kann sich negativ auf das individuelle Studierverhalten und gesamtgesellschaftlich auf die Breite des Bildungsangebots auswirken. Außerdem werden – auch nach den australischen Erfahrungen – Frauen stärker durch nachlaufende Gebühren belastet als Männer.
Steuern finanzieren Studienplätze
All diese Einwände finden sich in der CHE-Studie nicht. Wieso auch? Vieles dessen, was Studierende heute beklagen und durch Studiengebühren weiter verschärft sehen, entspricht genau dem, was das CHE als Fortschritt auf dem Weg zum Unternehmen Hochschule preist. Und noch etwas verschweigen die Bertelsmänner: Wozu überhaupt Studiengebühren, wenn es doch das deutsche Steuerrecht gibt? Wer als Akademiker gutes Geld verdient, zahlt mehr Geld an den Fiskus als jene, die nicht studiert haben. Damit finanzieren Besserverdiener rückwirkend auch ihren Studienplatz mit. Nur geht das den Güterslohern wohl zu weit – oder warum sonst setzen sie sich für weitere Steuersenkungen ein. (rw)