Bye Bye CampusmautBayern schafft Studiengebühren ab – aber nicht ganz
Es waren die damals allein regierenden Christsozialen unter Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber, die zum Sommersemester 2007 "Studienbeiträge" von bis zu 500 Euro pro Semester eingeführt hatten. Sechs Jahre später ist es dieselbe CSU, die das allgemeine Bezahlstudium eigenhändig beerdigt. Aus freien Stücken tat sie das natürlich nicht. Der Sinneswandel war dem heutigen Regierungs- und Parteichef Horst Seehofer durch ein erfolgreiches Volksbegehren der Freien Wähler regelrecht aufgenötigt worden.
CSU verbiegt sich
Gebührenfrei – aber leider nicht ganz. Berufsbegleitende Bachelor bleiben gebührenpflichtig (und zwar sogar bis 2500 €/Semester), Zweitstudiengebühren sind nicht ausgeschlossen.
Dabei juckte der Vorstoß die Koalition anfangs nicht im Geringsten, im Sommer vorigen Jahres erklärte die Staatsregierung den entsprechenden Antrag kurzerhand für unzulässig. Als jedoch die Landesverfassungsrichter grünes Licht für die Initiative gaben, war urplötzlich alles anders. Weil die Stimmung in der Bevölkerung seit längerem eindeutig dahin geht, der Hochschulmaut Lebewohl zu sagen, verbog Seehofer sich und seine Partei praktisch über Nacht zum Gebührengegner. Tatsächlich sprachen sich im Januar auch über 1,35 Millionen Wahlberechtigte mit ihrer Unterschrift gegen das Inkassostudium aus, womit die Voraussetzung zur Einleitung eines Volksentscheids in der Frage erfüllt war.
Soweit wollte es Seehofer aber partout nicht kommen lassen. Schließlich wird im September im Freistaat gewählt, und die Aussicht, dass das Thema zum alles beherrschenden im Wahlkampf werden könnte, war dem Regierungschef ein Graus. Dann besser frühzeitig "umkippen" und den geläuterter Staatsmann mimen, als sich vom Wähler für die "Sünden" der Vergangenheit abstrafen zu lassen. Nur die FDP wollte nicht so einfach den Umfaller geben und schaltete auf stur. Nach wochenlangem Gezeter war aber auch dieses Problem vom Tisch: Die Freidemokraten knickten Ende Februar ein und gaben ihr OK für die Beseitigung der Gebühren im Landtag.
FDP wahrt Gesicht
Am Rande
Die CSU hatte sich die "Erlaubnis", gegen den Koalitionspartner FDP für die Abschaffung der Studiengebühren stimmen zu können, mit einem ganzen Paket "erkauft". Dieses enthält u.a. Investitionen in die frühkindliche und berufliche Bildung, dazu werden den Hochschulen die bisherigen Einnahmen aus den Studiengebühren nun direkt aus dem Staatshaushalt zugewiesen. All das machte ein Paket an Gesetzen nötig, auch einen Nachtragshaushalt. Die Opposition forderte – gestützt noch durch die aktuelle Aufregung um die mögliche Steuerhinterziehung durch Bayern-München-Präsident Hoeneß – bei dieser Gelegenheit eine bessere personelle Ausstattung der Steuerverwaltung, um Steuersündern besser auf die Spur kommen zu können. Was aber von CSU und FDP abgelehnt wurde.
Seit 18:30 Uhr (Verkündigung des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung) ist die Sache geritzt. 11 FDP-Abgeordnete (darunter der Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch) und Ludwig Spaenle (CSU, Kultusminister) stimmten gegen den Gesetzentwurf des Volksbegehrens und damit für eine Beibehaltung der Gebühren. Vier CSU-Abgeordnete enthielten sich. Gegen die Übermacht aus geschlossener Opposition samt der fast vollständigen CSU-Fraktion richteten sie damit freilich nichts aus. Immerhin konnte die FDP so ihr Gesicht als einzig verbliebener Gebührenverfechter wahren (und die CSU-Abweichler zeigen, dass die CSU eben doch nicht so einig war mit dem Umschwenken). Ob die Standfestigkeit der FDP beim Wähler Eindruck macht, muss sich beim Urnengang im Spätsommer zeigen. Gespannt darf man auch sein, wie es die Bajuwaren mit der CSU-"Staatspartei" halten, die ihre Überzeugungen aus relativ durchsichtigem Opportunismus (bis auf wenige Ausnahmen von AbgeordnetInnen, die tatsächlich die Gebühren schon immer weniger gut fanden) einfach mal so über Bord wirft. SPIEGEL ONLINE meldete übrigens, dass die Gegenstimme des Kultusminister Spaenle ein Versehen gewesen sei, sein Sprecher habe betont, er habe nur die falsche Abstimmungskarte gezogen.
Wie und durch wen Studiengebühren letztlich abgeschafft werden, ist aber eigentlich nebensächlich. Die wirklich treibende Kraft dahinter ist sowieso die Stimmung in der Bevölkerung. Und dass die selbst im erzkonservativen Bayern so klar gegen das Bezahlstudium gerichtet ist, erscheint ziemlich beachtlich. Von einst sieben Bundesländern, die allgemeine Studiengebühren zwischenzeitlich erhoben hatten, ist demnächst nur noch Niedersachsen übrig. Und auch dort schicken sich SPD und Grüne nach ihrer Regierungsübernahme an, die Gebühren im Laufe des kommenden Jahres zu kassieren (wie in Bayern auch nicht vollständig).
Gebühren bleiben Thema
Doch Vorsicht, das muss noch nicht das Ende vom Lied sein. Von der politischen Agenda sind Studiengebühren bestenfalls kurzfristig getilgt. In zwei, drei Jahren könnte schon wieder vieles anders sein. Die neue Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hatte noch vor einem Jahr gepoltert, "2017 wird es wieder in ganz Deutschland Studiengebühren geben". Das mag vermessen klingen, undenkbar ist es aber nicht. Auf Bundesebene und in praktisch allen Bundesländern existiert heute die sogenannte Schuldenbremse. Der Sparzwang hat damit fast überall Verfassungsrang. Die Hochschulen pfeifen schon heute finanziell auf dem letzten Loch. Im Falle eines wirtschaftlichen Abschwungs – den es auch hierzulande über kurz oder lang geben wird – könnte die Diskussion um Studiengebühren ganz schnell wieder hochkochen. In den Strategiepapieren einschlägiger Lobbyorganisationen wie etwa des Bertelsmann-nahen Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) sind und bleiben sie jedenfalls eine feste Größe.
Halbherziges Gesetz
Außerdem: Echte Gebührenfreiheit besteht praktisch nirgendwo. Ob Langzeitstudien-, Zweitstudien- oder Verwaltungsgebühren – in einer ganzen Reihe an Bundesländern wird ein nicht unbeträchtlicher Teil der Studierendenschaft weiterhin zur Kasse gebeten. Das gilt auch für Bayern: Explizit gebührenfrei ist nach dem heute verabschiedeten Gesetz nur der erste Bachelor und der darauf aufbauende konsekutive Master. Hohe Kosten werden dagegen weiterhin für berufsbegleitende Studiengänge fällig, dazu kommen Gebühren für die Bewerbung an einer Kunsthochschule und Auswahlgebühren für Studierende außerhalb der Europäischen Union. Für das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) ist der Schritt deshalb auch "äußert halbherzig".
Die wegfallenden Gebühreneinnahmen werden den Hochschulen durch einen Pauschalbetrag erstattet, der einmal festgelegt wird. Die Oppositionsparteien SPD, Freie Wähler und Grüne hatten in einem gemeinsamen Antrag stattdessen vorgeschlagen, dass pro Studierendem ein Betrag von 310 Euro gezahlt werden solle. Dass es nicht die vollen 500 Euro sind, ist dabei durchaus korrekt: Wegen der Befreiungsmöglichkeit bei Geschwistern, anderer Ausnahmen und Rücklagen für ausfallende Rückzahlungen der Studienbeitragsdarlehen kamen bei den Hochschulen faktisch pro Studierendem ungefähr diese Summe an. Allerdings hat der feste Betrag pro Student auch einen Nachteil: Die Universitäten hatten im Schnitt höhere Studiengebühren erhoben als Fachhochschulen – sie würden künftig also etwas weniger Geld haben, die Fachhochschulen etwas mehr. Vorteil jedoch: Steigen die Studierendenzahlen künftig noch weiter (was durchaus zu erwarten ist), ist die Regelung der Oppostion für die Hochschulen besser. Erst bei sinkenden Studierendenzahlen wäre ein Festbetrag von Vorteil, womit aber erst in einigen Jahren zu rechnen ist.
Zweitstudium bald kostenpflichtig?
Der Deutschlandfunk hatte unlängst berichtet, dass die Oppositionsparteien SPD und Freie Wähler (zu den Grünen wurde nichts mitgeteilt) mit einer Kostenpflicht für ein Zweitstudium liebäugeln würden. Michael Piazolo, FW-Generalsekretär und Initiator des Volksbegehrens "Ja zur Bildung – Nein zu Studiengebühren" äußerte sich dabei wie folgt: "Na ja, es muss ein paar Sondervorschriften geben, gerade für denjenigen, der gerade zwischen dem Bachelorstudium und dem Master ein, zwei Jahre einfügt, in denen er schon arbeitet. Für bestimmte Gaststudenten und sicherlich auch für bestimmte Aufbaustudiengänge, die auch manchmal sehr teuer sind, da befürworte ich durchaus auch eine kleine Gebühr (…)". Und Isabell Zaccharias von der SPD-Fraktion setzte nach: "Der zweite Studiengang ist für uns nicht in der Priorisierung, dass das auch beitragsfrei sein muss. Wir müssen einfach hier mal Prioritäten setzen und das Geld dann lieber in die frühkindliche Bildung legen."
Das heute beschlossene Gesetz gibt solche Maßnahmen zwar nicht her. Nötig wäre ein gesondertes Gesetz oder eine ergänzende Rechtsverordnung. Dass solche Überlegungen aber ausgerechnet von jenen Parteien angestellt werden, die das Volksbegehren angestoßen bzw. unterstützt haben, lässt für die Zukunft nichts Gutes erahnen. Die CSU wird der Opposition ganz gewiss dankbar die Hand reichen, sollten sie mit ihren Ankündigungen ernst machen wollen. Denn eine Rückkehr zu allgemeinen Studiengebühren fällt dort allemal leichter, wo spezielle Studiengebühren bereits Realität sind. (rw)