Binsenweisheit erkanntMaster wird Mangelware
Bleibt der Masterzugang ein Nadelöhr?
Am Freitag tagt in Berlin die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), in der Vertreter von Bund und Ländern ihrem Auftrag gemäß gemeinsam die "nationale, europäische und internationale Wissenschafts- und Forschungspolitik" zu koordinieren suchen. Das läuft zwar oft genug schief, allerdings geht es diesmal um ziemlich viel. Im Zentrum wird nämlich die Frage stehen, ob und in welchem Umfang der sogenannte Hochschulpakt kurz- und mittelfristig auszubauen ist. Die Zielsetzungen des Bund-Länder-Programms zur Schaffung zusätzlicher Studienplätze hinken den Erfordernissen seit Jahren hinterher, und die wiederholten Anpassungen in der Finanzausstattung gingen bislang über notdürftiges "Löcherstopfen" nicht hinaus.
Nachbesserung beim Hochschulpakt?
Das CHE und die Hochschulpolitik
Das CHE ist bei hochschulpolitischen Akteuren durchaus umstritten. Gegründet von Hochschulrektorenkonferenz und Bertelsmann-Stiftung, wird es bis heute ungefähr zur Hälfte von letzterer finanziert. Das CHE hatte sich in der Vergangenheit für mehr Wettbewerb zwischen den Hochschulen ausgesprochen und Studiengebühren immer befürwortet (gerne als "nachlaufende" Variante).
Insofern ist es fast schon erstaunlich, dass in der im Artikel erwähnten Studie an keiner Stelle Studiengebühren (oder "Studienbeiträge") als mögliche Lösung des Finanzierungsbedarfs erwähnt werden. Offenbar ist dem CHE bewusst, dass es aktuell damit nicht landen kann – und sieht tatsächlich den zunehmenden Mangel an Master-Studienplätzen und will sich darauf konzentrieren.
Für mehr Infos zur Geschichte und dem Einfluss des CHE siehe auch den schon etwas älteren, aber immer noch lesenswerten Artikel Wie das Centrum für Hochschulentwicklung Politik an Hochschulen macht.
Allerdings ist der Druck im Kessel heute so groß wie nie. Angesichts des seit Jahren anhaltenden Massenandrangs auf die Hochschulen sah sich vor einem Jahr die Kultusministerkonferenz (KMK) bemüßigt, ihre Prognose zur Entwicklung der Studierendenzahlen massiv nach oben zu schrauben. Demnach ist bis 2019 jährlich mit deutlich mehr als 450.000 Studienneulingen zu rechnen. Das übersteigt die bis dahin gültige Vorhersage in einer Größenordnung von 60.000 bis 80.000. Im November 2012 legte dann auch das Statistische Bundesamt (destatis) nach und vermeldete die historische Rekordmarke von über 2,5 Millionen Studierenden im zurückliegenden Wintersemester.
Offenbar wurde das Problem endlich auch auf der politischen Ebene erkannt. Aus der Studis Online vorliegenden Beschlussempfehlung der GWK-Staatssekretärsarbeitsgruppe zur Sitzung am Freitag geht hervor, dass zumindest der Bund seine Mittel für die Studienanfänger anpassen will. Wörtlich heißt es darin: "Die GWK bittet die Regierungschefinnen und Regierungschefs des Bundes und der Länder, den vorgelegten Bericht zur Kenntnis zu nehmen und die zweite Ergänzung des Hochschulpakts 2020 Programmphase II zu beschließen." Allerdings sieht es weiterhin danach aus, als wollten die Bundesländer nicht mitziehen und die notwendige Gegenfinanzierung verweigern. Der weitere Lauf der Dinge bleibt abzuwarten, auf alle Fälle ist in die Sache Bewegung gekommen.
36.000 Master-Plätze fehlen
Druck machen will auch das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Nicht zufällig im unmittelbaren Vorfeld des GWK-Treffens ist der von der Bertelsmann-Stiftung gesponserte Thinktank am Dienstag mit einer Modellrechnung zum künftigen Bedarf an Master-Studienplätzen herausgerückt. Offiziell wird die Studie erst am morgigen Mittwoch (10. April) präsentiert, SPIEGEL ONLINE durfte allerdings bereits am Montag exklusiv darüber berichten. Auch Studis Online erhielt das gute Stück mit dem Titel "Auf dem Berg ist vor dem Berg" heute vorab.
CHE-Forscher haben Modellrechnungen für drei unterschiedliche Annahmen entworfen. Sie kalkulierten die Zahl der Master-Studenten für die Fälle, dass jeder zweite Bachelor-Absolvent, zwei von dreien oder gar 85 Prozent der Bachelor-Studierenden ein weiterführendes Studium anstreben. Je nach Szenario werden den Befunden zufolge im Jahr 2016 zwischen 175.000 und 265.000 Menschen einen Master draufsatteln. Weil die Hochschulplaner aus Bund und Ländern bislang mit weit weniger Nachfrage gerechnet hatten, könnten in naher Zukunft gewaltige Versorgungslücken aufreißen. Bei einer Übertrittsquote von 85 Prozent drohen laut Studie bis zu 36.000 Master-Anwärter leer auszugehen.
"Deutlicher Nachfrageüberhang"
"Selbst bei der vorsichtigen Annahme, dass nur jeder zweite Bachelor-Absolvent und jede zweite Bachelora-Absolventin ein Masterstudium anschließt, ist mit einem deutlich höheren Anstieg der Nachfrage zu rechnen, als es bisher ausfinanzierte Master-Studienplätze gibt", heißt es in einer CHE-Stellungnahme. Tatsächlich dürfte wohl die 85-Prozent-Schätzung der Wirklichkeit am nächsten kommen. Nach dem im Sommer des Vorjahres veröffentlichten Nationalen Bildungsbericht von Bund und Ländern wollten schon 2010 über drei Viertel der Bachelor-Absolventen einen Master anschließen. Die Autoren äußerten damals immerhin die Sorge, dass es in den nächsten Jahren zu einem "deutlichen Nachfrageüberhang" kommen könnte, sollte das Streben nach dem Master "zum Grundmuster" werden. Das könnte dann, so ihre Befürchtung, zu einer "weiteren Selektionsstufe in den Bildungsverläufen" führen.
Bachelor reicht den wenigsten
Die Warnung kam reichlich spät. Der Master-Mangel zeichnet sich seit etlichen Jahren ab, praktisch mit dem Tag der Einführung der Bologna-Studienstrukturreform. Deren Macher hatten für Deutschland den Bachelor als "Regelabschluss" auserkoren. Nach ihren Vorstellungen sollte höchstens einer von drei Absolventen in den Master überwechseln. Nur stellte ich bald heraus, dass der als Schmalspurstudiengang konzipierte Bachelor auf dem Arbeitsmarkt weniger als erhofft gefragt und dazu noch schlecht bezahlt ist. Entsprechend wird er von der übergroßen Mehrzahl der Studierenden nur als Übergangsstation auf dem Weg zu mehr erachtet. Natürlich muss das nicht für alle Zukunft gelten. Solange aber Politik und Wirtschaft keine Anstalten machen, den Studiengang aufzuwerten und besser zu honorieren, dürfte sich daran alsbald nichts ändern.
Nicht nur der studentische Dachverband fzs weist schon seit längerem immer wieder darauf hin, dass es zumindest bei bestimmten Studienfächern schon seit einiger Zeit einen Mangel an Masterplätzen gibt (bspw. hier) – die Politik verwies aber immer darauf, dass es ja (noch) Ausweichmöglichkeiten gebe, oder hofft weiter darauf, dass sich genügend Studierende (und die Wirtschaft) mit einem Bachelor-Abschluss begnügen. Aktiv getan wurde daher in Sachen Ausbau des Master-Angebotes von der Politik wenig, oft wurde die Verantwortung einfach an die Hochschulen delegiert – die wiederum auf mangelnde Finanzierung verwiesen und Zulassungsbeschränkungen ausbauten (vgl. bspw. in unserem Interview zu einer Studie des Institut für Hochschulforschung (HoF) u.a. zu dieser Frage: Hochschulen und Studium verändern sich rasant).
Das CHE weist mit Recht darauf hin, dass das Bachelor-Master-System in Deutschland immer noch ein System im Aufbau ist. Daher habe sich auch ein "historisches Nachfragepotential" aus Bachelor-Absolventen aufgebaut, die zum Zeitpunkt ihres Abschlusses noch gar keinen passenden Master vorgefunden hatten, diesen aber durchaus noch in Erwägung ziehen. Dieser Aspekt würde bisher in hochschulpolitischen Diskussionen "völlig vernachlässigt".
Mahnung zum Handeln
Entsprechend nachdrücklich nimmt das CHE jetzt die Politik in die Pflicht. Laut Geschäftsführer Frank Ziegele zeigten die aufgezeigten Szenarien die "Dramatik auf, die nun im Master-Bereich auf die Hochschulen zukommt". Das Hoch der Studienanfänger für das Erststudium bleibe "noch länger erhalten. Dazu kommt schon bald spürbar die Welle der Bachelorabsolventen, die einen Master anschließen möchten und für die bisher noch nicht ausreichend Plätze geschaffen wurden", meint Ziegele und weiter: "Fakt ist, dass der Hochschulpakt 2020 kein geeignetes Instrumentarium enthält, um den erforderlichen Ausbau von Master-Studienplätzen zu stimulieren."
Man darf gespannt sein, ob die Entscheider in Bund und Ländern den Appell erhören. Zu hoffen wäre es. (rw)