Wanka wird Schavan-KopieNeue Bundesbildungsministerin
Wie so oft in der Politik klettert mit Johanna Wanka eine Verliererin die Karriereleiter hoch. Am gestrigen Mittwoch erst wurde sie offiziell aus dem Amt der Wissenschaftsministerin in Niedersachsen verabschiedet. Bei der Landtagswahl im Januar hatte ihre Partei herbe Verluste einstecken müssen und war aus der Regierung geflogen. Über ihren persönlichen Anteil an der Schlappe kann nur spekuliert werden. Wanka hatte bis zuletzt vehement für den Erhalt von Studiengebühren Stimmung gemacht. Neben Niedersachsen wird aktuell nur noch in Bayern die allgemeine Campusmaut kassiert, und in beiden Bundesländern sind ihre Tage gezählt.
Noch im vorigen Sommer, als von einst sieben Gebührenländern schon fünf weggebrochen waren, tönte die CDU-Frau: "2017 wird es wieder in ganz Deutschland Studiengebühren geben." Und wenige Wochen vorm Urnengang gab sie zum Besten: "Niedersachsen hat nicht trotz, sondern wegen der Studienbeiträge 171.000 Studierende, so viele wie noch nie." Wenig später stimmten für die CDU nur noch 36 Prozent der Wähler – so wenige wie zuletzt vor 15 Jahren. Wanka drohte deshalb die Arbeitslosigkeit, der sie nur durch den Umstand entging, dass es Annette Schavan vor über 30 Jahren bei ihrer Dissertation mit den wissenschaftlichen Prinzipien nicht so genau genommen hatte und ihren Arbeitsplatz im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vorzeitig räumen musste.
Trauriger Abgang Schavans
Ein schöner Abgang war das nicht. Am 5. Februar, als ihr der Doktortitel durch die Universität Düsseldorf entzogen wurde, ließ sie aus Südafrika ausrichten, den Beschluss vor Gericht anzufechten. Ihr Rücktritt am darauffolgenden Wochenende erfolgte schließlich mit der Begründung, Schaden vom Amt und ihrer Partei abwenden zu wollen. Im September steht die Bundestagswahl an. Es war klar, dass sich die Kanzlerin durch eine angezählte Ministerin nicht die Tour vermasseln lässt. Das Gerede von Angela Merkel (CDU), die Demission "sehr schweren Herzens" angenommen zu haben, ist durchsichtig. Schavan dankte nicht freiwillig ab, sondern musste "zurückgetreten" werden. Und selbst im Moment des Abschieds zeigte sie nicht die Spur von Reue oder Einsicht in eigene Fehler.
Statt dessen nur das: "Wenn eine Forschungsministerin gegen eine Uni klagt, ist das mit Belastungen verbunden. Genau das möchte ich vermeiden."
Traurig ist auch, wie ihr die Medien dies ganz überwiegend durchgehen ließen. Viel war von "Respekt" vor ihrer Entscheidung, von "Bedauern" und den "großen Verdiensten" der Ministerin zu lesen und zu hören, und kaum etwas davon, dass der Vorgang nicht nur die politische Klasse weiter in Verruf gebracht hat, sondern mit ihr das Wissenschaftssystem. Als eine von ganz wenigen Stimmen hat das die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) auf den Punkt gebracht. Der Fall habe die "Wissenschaft korrumpiert. Das ist schlimmer als bei Guttenberg." FAZ-Autor Thomas Gutschker geht vor allem mit jenen Forschungsfunktionären ins Gericht, die der Uni Düsseldorf Verfahrensfehler vorgehalten hatten und Schavan mit dem Hinweis reinzuwaschen versuchten, vor 30 Jahren hätten laxere Zitierregeln bestanden.
Kein Einsicht in Fehler, trotzdem Opfer?
Die Spitze der Schavan-Verteidiger bildet die sogenannte Allianz der Wissenschaftsorganisationen, ein loser Verbund namhafter Forschungsinstitute und Forschungsförderer, darunter die Alexander von Humboldt-Stiftung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Fraunhofer-Gesellschaft und die Max-Planck-Gesellschaft. Ihre Vertreter diffamierten das Verfahren gar als "politische Aktion" gegen eine "erfolgreiche" Wissenschaftsministerin. Dabei mutete umgekehrt ihre Parteinahme wie eine Werbekampagne für Schavan an. Die hat die Forschung während ihrer Amtszeit großzügig mit Bundesmitteln gepäppelt, was offenbar zu Dank verpflichtet.
Den Vogel schoss gestern der ehemalige DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker in einem Gastkommentar für die Süddeutsche Zeitung (SZ) ab. Darin nennt er die Aberkennung des Doktortitels eine "jakobinisch anmutende Entscheidung", weil "auch damals, kurz nach der Französischen Revolution, Menschen in Hetzjagden verfolgt wurden, die dieses nicht verdient hatten". Zur Erinnerung: Die Jacobiner schlugen ihren Gegnern die Köpfe mit der Guillotine ab. Folgt man Winnacker ist das Terrorregime heute die Uni Düsseldorf. Die habe die "volle Verantwortung für eine mangelhafte Promotion auf das schwächste Glied abgewälzt, die Doktorandin Annette Schavan".
Plagiatjäger prüft auch Wanka
Das ist harter Tobak: Die Geschasste hat – nach dem Urteil von 13 Professoren der Uni Düsseldorf und nach neun Monaten akribischer Prüfung – "systematisch und vorsätzlich über die gesamte Dissertation verteilt gedankliche Leistungen (vorgegeben), die sie in Wirklichkeit nicht erbracht hatte". Das erfülle den "Tatbestand einer vorsätzlichen Täuschung durch Plagiat" (vgl. Presseerklärung der Uni Düsseldorf). Soll man damit ungestraft davonkommen, noch dazu als Wissenschaftsministerin?
Dass mit Wanka eine Schummlerin im Amt nachrückt, ist nahezu ausgeschlossen. Der Plagiatejäger Martin Heidingsfelder hatte gleich, nachdem sie als Nachfolgerin ins Spiel gebracht wurde, angekündigt, sich auch ihre Doktorarbeit vorzunehmen.
Die gelernte Mathematikerin hatte 1980 an der Technischen Hochschule Merseburg über das Thema "Lösung von Kontakt- und Steuerproblemen mit potential-theoretischen Mitteln" promoviert. Hätte sie dabei getäuscht und drohte über kurz oder lang aufzufliegen, wäre sie heute wohl kaum ins Regierungskabinett eingezogen. Vielleicht stellt die heute verbreitete Plagiatjagd so zumindest für die Zukunft sicher, dass keine oder weniger akademische Betrüger zu Amt und Würden gelangen.
Politisches Abziehbild
Vor politischen Plagiaten schützt das freilich nicht, und es spricht vieles dafür, dass Wanka das Erbe ihrer Vorgängerin nahtlos fortführt. Wie diese setzt sie voll auf Elitenförderung und die "Autonomie" der Hochschulen. Staatliches Einwirken auf Wissenschaft und Forschung lehnt sie weitgehend ab. Als Wissenschaftsministerin in Niedersachsen und zuvor bis 2009 in Brandenburg hat sie fraglos Erfahrung in ihrem Politikbereich gesammelt. Die hatte auch Schavan als langjährige Wissenschaftsministerin in Baden-Württemberg mitgebracht. Ein Garant für gute Politik war das nicht: Schavan hat die Föderalismusreform mit verbockt, mit der 2006 das leidige Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Verfassung festgeschrieben wurde. Bis zuletzt setze sie sich lediglich für dessen halbherzige Lockerung zugunsten von Eliteeinrichtungen im Hochschulbereich ein.
Sie hat das "Deutschlandstipendium" gepusht, ein von Staat und Wirtschaft kofinanziertes Programm zur Förderung von "leistungsstarken", in der Regel sozial bessergestellten Studierenden, das bisher ein kapitaler Flop ist. Das auf Breitenförderung ausgerichtete BAföG ließ sie dagegen verkümmern, seit 2010 gab es keine Nachbesserung. Die Software für das Dialogorientierte Serviceverfahren (DoSV), das dem Einschreibechaos an den Hochschulen begegnen soll, ist seit Jahren nicht voll einsatzfähig. Der Hochschulpakt ist massiv unterfinanziert und wird dem anhaltenden Massenandrang auf die Hochschulen nicht annähernd gerecht. Die von Schavan initiierten "Bildungsgipfel" versprachen allesamt mehr, als sie am Ende einhielten. Die sogenannte Bildungsrepublik ist nach wie vor massiv unterfinanziert, bei den Bildungsausgaben bleibt Deutschland weit hinter dem Durchschnitt der Industriestaaten zurück.
Das alles hat Schavan zu verantworten. Sei es drum: Für die Bundeskanzlerin ist sie trotzdem "im Grunde die anerkannteste und profilierteste Bildungspolitikerin unseres Landes". Und ihre Nachfolgerin Wanka schwärmte: "Sie hat für die Bildung in Deutschland außerordentlich viel erreicht." Das Lob verheißt nichts Gutes. (rw)