Erfolgreiches VolksbegehrenStudiengebühren in Bayern erledigt?
Jetzt nur noch der Volksentscheid – oder ein Einlenken der Koalition und das Ziel wäre erreicht: Ein Bayern (fast) ohne Studiengebühren
Fast muss es heißen, da weiterbildende und berufsbegleitende Studiengänge auch bei Erfolg des Begehrens kostenpflichtig bleiben können (und das Studium an privaten Hochschulen sowieso).
Rund 940.000 Unterschriften hätte es gebraucht, am Ende wurden es weit mehr als eine Million. Das von den Freien Wählern (FW) angestoßene Volksbegehren zur Abschaffung der allgemeinen Studiengebühren in Bayern wurde zu einem durchschlagenden Erfolg. In den vergangenen zwei Wochen waren die Bürger des Freistaats aufgerufen, die Initiative mit ihrer Unterschrift zu unterstützen. Nachdem es anfänglich ziemlich schleppend voranging, legte die Kampagne nach hinten raus einen fulminanten Schlussspurt hin. Am Mittwoch wurde aus vielen Städten und Gemeinden über lange Schlangen vor den Rathäusern berichtet, wo sich die Menschen in die Listen eintragen konnten.
Über 1,3 Millionen Unterstützer
Nach den am Donnerstag vom Bayerischen Landesamt für Statistik präsentierten vorläufigen Ergebnissen wurde die Hürde von zehn Prozent der Stimmbürger in nahezu allen der 96 Städte und Kreise übersprungen. Lediglich Neu-Ulm mit 8,6 Prozent, das Berchtesgadener Land (9,4) und Aschaffenburg (9,9) blieben unter dem Soll. Deutlich darüber lagen vor allem die Universitätsstädte wie Nürnberg mit 14,5 Prozent, München (15,2), Bayreuth (15,6), Regensburg (16,3), Würzburg (18,8) oder Bamberg (19,1). An der Spitze landete Erlangen mit 22,3 Prozent. Aber selbst da, wohin sich kaum ein Student verirrt, wie z.B. nach Schwabach (19,4), wurden mitunter Rekordwerte erreicht. Bayernweit lag die Beteiligung bei 14,4 Prozent, das sind weit über 1,3 Millionen Bürger.
Sollte die Frage am Ende per Volksentscheid geklärt werden, ist ein positiver Ausgang praktisch gewiss. Wie Michael Piazolo, Generalsekretär der Freien Wähler, gestern gegenüber Studis Online, äußerte, sei es "häufig schwerer, die erste Hürde mit einer Million Unterzeichner zu nehmen, als den anschließenden Volksentscheid zu gewinnen". Tatsächlich würde zum Gelingen eine einfache Mehrheit der Abstimmenden genügen. Probleme, ihre Anhänger zu mobilisieren, dürfte das Bündnis "Ja zur Bildung. Nein zu Studiengebühren" keine haben. Es gibt Überlegungen, den möglichen Volksentscheid mit dem Tag der Landtagswahl im September zusammenzulegen. Jeder Wähler könnte dann gleich auch noch sein Kreuzchen gegen das Bezahlstudium machen. Das lehnen nach neueren Umfragen fast drei Viertel der Bevölkerung Bayerns ab.
Vorzeitiges Aus im Landtag?
Denkbar und seit heute ein Stück weit wahrscheinlicher ist auch die Option, dass die Gebühren vom bayerischen Landtag gekippt werden. Der muss das Thema nach den Regularien spätestens in vier Monaten behandeln und darüber abstimmen. Wie Studis Online berichtete, sind die Koalitionäre von CSU und FDP in der Frage zerstritten. Heute bekräftigte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) von neuem, "die Studiengebühren werden abgeschafft – durch den Landtag oder durch das Volk". Mit Blick auf den renitenten Juniorpartner bemerkte er: "Das klare Votum der Bevölkerung ist für uns Anlass, nochmals innerhalb der Koalition zu beraten. Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einem Ergebnis kommen, das dem Wunsch der Bevölkerung Rechnung trägt."
Liberale wollen reden
Während die Liberalen in den Vortagen stur darauf beharrt hatten, es auf einen Volksentscheid ankommen lassen zu wollen, schlug Generalsekretärin Miriam Gruß via Handelsblatt heute fast schon versöhnliche Töne an. Man werde das machen, "was sich in einer Koalition gehört: sich zusammensetzen und miteinander reden". Zugleich warnte sie den großen Regierungspartner, die Gebühren gegen den Willen ihrer Partei abzuschaffen: "Wir haben in Bayern einen Koalitionsvertrag. Den gilt es einzuhalten, und das erwarte ich von allen Beteiligten der Koalition." Die Freidemokraten haben offenbar ernsthafte Sorgen, die CSU könnte im Parlament mit der Opposition gegen das Inkassostudium stimmen und die FDP im Regen stehen lassen. Damit wäre wohl auch der Bruch der Regierung besiegelt.
Riskiert Seehofer Regierungsbruch?
Bleibt die Frage, ob Seehofer das riskiert. Zwar könnte er sich dann bei vorgezogenen Neuwahlen als die Kraft verkaufen, die die Gebühren entsorgt hat. Was aber, wenn die CSU die absolute Mehrheit verfehlt? Dann wäre die düpierte FDP ziemlich sicher nicht mehr als Mehrheitsbeschaffer zur Stelle, sofern diese überhaupt den Sprung ins Parlament schafft. Schwer einschätzbar ist zudem, wie die Wähler auf die Wendehalspolitik des Regierungschefs reagieren. Der war praktisch über Nacht zum "Gebührengegner" mutiert, als das Landesverfassungsgericht dem Volksbegehren im vergangenen Oktober grünes Licht gegeben hatte. Nehmen die Bürger ihm das ab oder strafen sie ihn als Populisten? Glaubwürdig erscheint Seehofers plötzlicher Sinneswandel schon deshalb nicht, weil längst nicht alle in seiner Partei der Linie folgen. So sagte beispielsweise Ex-Wissenschaftsminister Thomas Goppel dieser Tage klipp und klar: »Ich halte die Studienbeiträge innerlich für absolut richtig und wichtig. Und dazu stehe ich auch.«
Auf alle Fälle versprechen die kommenden Tage und Wochen Spannung, und vielleicht geht mit dem Ende der Gebühren auch die Prophezeiung des Vorsitzenden der FW-Landtagsfraktion, Hubert Aiwanger, in Erfüllung. Der verbreitete heute via Twitter: "Ein grandioser Erfolg der Freien Wähler zum Nutzen der bayerischen Bürger – und der Anfang vom Ende von Schwarz-Gelb."
Bundesweiter Zuspruch
Auch sonst wird der Erfolg der Gebührengegner mit großem Wohlwollen gesehen. Beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) freute man sich am Donnerstag "über einen wichtigen Etappensieg auf dem Weg zur bundesweiten Abschaffung der Gebühren". In einem Pressestatement verwies DGB-Vize Ingrid Sehrbrock auf den jüngsten Wahlsieg von SPD und Grünen in Niedersachsen. Dort hat Rot-Grün angekündigt, die Campusmaut im Falle einer Regierungsübernahme spätestens im kommenden Jahr zu beseitigen. Dazu Sehrbrock: "Mit Bayern und Niedersachsen wackeln jetzt die beiden letzten Bastionen."
Laut Kai Gehring von der Bundestagsfraktion der Grünen markiert der Erfolg ein "Scheitern der Angstkampagnen der Konservativen. Ihrer Behauptung, Studiengebühren würden die Finanzierung oder Qualität der Hochschulen verbessern, steht die Realität entgegen: In Gebührenländern wurden die staatlichen Ausgaben für die Hochschulen klar zurückgefahren", gab er in der Mitteilung zu bedenken. "Diese plumpe Umverteilung von Staat zu privat hat keine Akzeptanz und bald ein Ende." Nicole Gohlke von der Linksfraktion im Bundestag betonte: "Ich erwarte, dass die Koalition nach diesem Ergebnis die Studiengebühren abschafft – und zwar sofort."
Gebühren in die Tonne!
Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) konstatierte: "Studiengebühren in die Tonne? Erledigt!" Die Zeit der allgemeinen Studiengebühren sei "vorerst vorbei", erklärte der Dachverband der Studierendenvertretungen per Medienmitteilung. Klar sei aber auch, dass der "Kampf (…) insgesamt damit noch lange nicht gewonnen ist (…). Wir werden erst aufhören, wenn Bildung für alle frei zugänglich ist, also zum Beispiel auch Langzeitstudiengebühren, Verwaltungsgebühren, kostendeckende Studiengebühren für berufsbegleitende Bachelorstudiengänge ebenfalls abgeschafft sind", äußerte sich fzs-Vorstandsmitglied Dorothea Hutterer. (rw)