Soziologen wollen nicht mehrCHE-Ranking unter Beschuss
Der Vorgang setzt den Machern vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) ziemlich zu. Kaum hatte die Nachricht von den abtrünnigen Soziologen Anfang der Woche die Runde gemacht, hielten die Gütersloher publizistisch dagegen. Mit "Unverständnis" nehme man zur Kenntnis, "dass die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) eine notwendige Orientierung für Studierwillige durch ein Hochschulranking grundsätzlich in Frage stellt", ließ das Anhängsel der Bertelsmann Stiftung am Montag per Pressemitteilung verlauten. "Drei Millionen Besuche jährlich auf das kostenlose Onlineangebot" sprächen dafür, "dass die sorgfältig erhobenen Informationen gebraucht werden". Dagegen offenbare die "völlige Ablehnung eines Hochschulvergleichs" eine "grundsätzlich andere Werthaltung gegenüber der Notwendigkeit von Rankings".
CHE-Macher angeschlagen
Weg mit dem CHE-Ranking?
Damit der Widerworte nicht genug. Regelrecht beleidigt gab sich CHE-Geschäftsführer Frank Ziegele am selben Tag im Deutschlandfunk. Die Kritik treffe ihn "sehr stark, weil sie ja vollkommen ungerechtfertigt ist. Wenn da irgendetwas dran wäre, dann wäre das okay, dann könnte man darüber debattieren." Trotzig hatte sich Ziegele am Wochenende bereits gegenüber Spiegel online gezeigt:: "Man kann empirisch nicht mehr machen", man arbeite seit Jahren daran, "die beste Ranking-Methode der Welt" weiter zu verfeinern. Und weil man die Einwände der Soziologen partout nicht gelten lassen will, legte das CHE auf seiner Webseite gleich noch mit einer "vollständigen Widerlegung der methodischen DGS-Argumente" auf zehn Extraseiten nach. Auch hier geht die Botschaft so: Das Ranking ist über alle fachlichen Zweifel erhaben, und ohne es wären Hochschulen und Studierende arm dran.
Die heftige Gegenreaktion der selbsternannten "Reformwerkstatt" für das Hochschulwesen beweist vor allem eines: Der Schlag der Soziologen hat gesessen. In jüngerer Vergangenheit hat es zwar immer wieder Kritik an den CHE-Rankern gegeben, und die Liste derer, die sich ihnen verweigern, ist stetig länger geworden. Aber bisher spielte sich der Widerstand zumeist nur auf der Ebene einzelner Fachbereiche, Institute oder sehr weniger ganzer Hochschulen ab und umfasste dann oft nicht immer Lehrende und Lernende gleichermaßen, sondern ging zumeist von den Studierenden selbst aus.
Soziologen müssen es wissen
Diesmal ist die Dimension eine andere: Die DGS repräsentiert die soziologischen Institute an deutschen Hochschulen, und sie alle hat der Fachverband ausdrücklich "aufgefordert", das CHE-Ranking mit Nichtteilnahme zu strafen. Mit diesem Schritt würde nicht länger der Eindruck erweckt werden, "dass sie ein empirisches Vorgehen unterstützen, das die Soziologie aus fachlichen Gründen ablehnen muss", heißt es zur Begründung. Angenommen, sämtliche Adressaten würden der Empfehlung Folge leisten, dann ginge bei der nächsten Erhebungsrunde erstmals ein ganzes Fach nicht in die Bewertung ein. Das wäre ein gewaltiger blinder Fleck in der CHE-Landkarte und könnte dem ohnehin angeschlagenen Ruf der Ranker womöglich den Rest geben.
Der Schaden für die CHE-Forscher ist nicht nur in punkto Quantität gewaltig. Schwerer noch dürfte wiegen, von wem die Kritik ausgeht. Die Empirie ist schließlich das tägliche Brot des Soziologen. Wenn nun ausgerechnet diese Profession den Ansatz und die Methodik des Hochschulrankings zerpflückt, dann hat das für die Verantwortlichen das Zeug zum Supergau. Wird ihnen damit doch aus berufenstem Munde bescheinigt, dass sie Stümper sind, die nichts von ihrem Handwerk verstehen. Und die DGS tut dies tatsächlich mit stärkster Vehemenz und größter Akribie. Allein die "Kurzfassung" ihrer Stellungnahme "Wissenschaftliche Evaluation ja – CHE-Ranking nein" erstreckt sich über vier Seiten, in der ausführlicheren Version sind es sogar sieben.
Gefahr von Zufallsaussagen
Die präsentierte Begründung lässt am CHE-Ranking kein gutes Haar. So werde die Qualität der Forschung der Standorte vor allem über die Einschätzung durch wissenschaftliche Kollegen sowie auf Grundlage von Datenbanken erhoben, die der Wissenschaftsrat und auch das CHE selbst als nicht geeignet oder jedenfalls nicht hinreichend aussagekräftig beurteilten. Dazu werde die Qualität der Lehre maßgeblich auf Basis einer Studierendenbefragung erhoben, die durch "schwache Rücklaufquoten, geringe Fallzahlen und eine ungeklärte Selektivität" gekennzeichnet sei. Entsprechend groß sei daher die "Gefahr von Zufallsausgagen". Dagegen würden wichtige und von den Lehrenden nicht beeinflussbare Rahmenbedingungen, wie etwa die Betreuungsrelationen und die damit verbundenen Lehrveranstaltungsgrößen, nicht in die Analyse einbezogen.
Der Initiator der DGS-Empfehlung ist der Dekan der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Stephan Lessenich. Gegenüber jetzt.de, einem Onlineportal der Süddeutschen Zeitung, ließ er richtig Dampf ab. "An so einer Pseudo-Bewertung wollen wir nicht länger teilnehmen", meinte er und bemängelte eine dünne Datenbasis und falsche Schlussfolgerungen. An manchen Hochschulen würden wegen der geringen Rücklaufquoten "weniger als 30 Studierende" befragt. Zugleich blieben wichtige Faktoren unbeleuchtet: "Wie viele Studierende kommen auf einen Dozenten? Wie voll sind die Seminare? Wie ist das Prüfungsamt organisiert?" Auf Grundlage "dieser wirklich schlechten Empirie sollen aber Studieninteressierte ihre Entscheidung treffen, an welcher Uni sie ein Fach studieren wollen".
Verzerrung durch Ampelschema
Besonders bitter stößt den Soziologen die Verhackstückung der erhobenen Daten in einer dreistufigen Skala aus Spitzen-, Mittel- und Schlussgruppen auf. Schneidet ein Studienfach beim CHE-Ranking bestens ab, erhält es einen grünen Punkt, bei Mittelmaß einen gelben, und bei schlechter Performance setzt es ein blaues Kainsmal. Früher bekamen die Geschlagenen gar einen roten Punkt verpasst, nach dem Motto: "Stopp: hier besser nicht studieren." Wegen der sich daran entzündenden Kritik verabschiedete sich das CHE schließlich vom Ampelfarbschema, hielt aber am Dreiklassensystem fest.
"Wir stören uns besonders daran, dass eine hochkomplexe Forschungs- und Lehrlandschaft so vereinfacht und verzerrt dargestellt wird", sagte Dekan Lessenich Spiegel online. Das Ampelsystem sei keine echte Hilfe für junge Leute, um sich für die richtige Hochschule zu entscheiden – und könne sogar Instituten schaden, wenn sie aufgrund einer schlechten Bewertung weniger Studenten anzögen und weniger Geld zugewiesen bekämen. "Das trägt zum immensen Druck an den Unis bei, sich leistungsorientiert zur Schau zu stellen ", so der Soziologe, dieser "falschen Wettbewerbslogik" wolle man sich entziehen.
Wohin diese führen könnte, schilderte er gegenüber jetzt.de: "Wir fürchten daher, dass durch die fragwürdige Unterteilung in vermeintlich bessere und schlechtere Institute diese auf lange Sicht überhaupt erst entstehen, weil die guten Institute strukturell bevorzugt werden. Dann gibt es am Ende wirklich gute oder schlechte Standorte." Für Lessenichs Glaubwürdigkeit spricht, dass sein Institut an den Uni Jena beim aktuellen CHE-Ranking reichlich grüne Punkte einheimste. Hier wettert kein schlechter Verlierer, sondern ein Kritiker aus Überzeugung.
Ablehnung des Rankings durch Historikerverband schon 2009
Vielleicht macht sein Fall demnächst ja Schule. Dem CHE-Ranking wird sowohl beim Historikerverband als auch beim Medizinischen Fakultätentag (MFT) mit großem Argwohn begegnet. Man halte das Ranking "nicht nur für – vorsichtig formuliert – fragwürdig, sondern auch für irreführend, da es nur vorgibt, Informationen zu liefern", äußerte sich der Vorsitzende des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD), Werner Plumpe, gegenüber Studis Online. "Orientieren kann sich an dieser Sorte Bundesligatabelle niemand."
Der Historikerverband hatte sich schon einmal im Jahr 2009 gegen eine Beteiligung "am fachfremden Ranking der deutschen Geschichtswissenschaften durch das CHE" ausgesprochen. Damals waren allerdings nicht alle Institute und Seminare der Empfehlung gefolgt, die Teilnahme an der im Dreijahresrhythmus vorgenommenen fachspezifischen Erhebung zu verweigern. Von einer konzertierten Aktion konnte also keine Rede sein.
Man darf gespannt sein, wie sich die Historiker diesmal verhalten. Die Geschichtswissenschaften werden im CHE-Ranking 2013 neu evaluiert und die Datensammlung erfolgt noch in diesem Jahr. Nach Plumpes Auskunft hätte beim letzten Mal immerhin "etwa die Hälfte der Historischen Seminare" mitgemacht, manchmal lieferten auch die Hochschulleitungen entsprechende Daten. "Das ist aber alles andere als eine solide Basis", monierte er. "Wie es sich in der nächsten Runde darstellt, wird man sehen." Zumindest so viel stellte der VHD-Chef klar: "An der Ablehnung des CHE-Rankings durch den Historikerverband hat sich nichts geändert. Und es wird auch dabei bleiben, so weit ich das sehe."
Viel Unmut auch bei Medizinern
Auch von den Medizin-Fakultäten hatten zuletzt nicht alle beim CHE-Ranking mitgemischt. Im Gespräch mit Studis Online berichtete MFT-Generalsekretär Volker Hildebrandt von "sehr viel Unmut in der gesamten Breite, angefangen bei den Studierenden bis hin zu den Professoren und Assistenten". Das Missfallen an der "unzulänglichen Methodik, den Fragestellungen und der Öffentlichkeitsdarstellung der Ergebnisse" bestehe seit vielen Jahren. Die Bundesvertretung der Medizinstudiereden (bvmd) sah sich zuletzt sogar veranlasst, zum Boykott aufzurufen. Allerdings zogen die Studierenden nicht überall mit. In vielen Fällen hätten die jeweiligen Hochschulrektoren die Fakultäten auch dazu gedrängt, sich weiter am Ranking zu beteiligen. "Andernfalls wären die Mediziner wahrscheinlich ausgestiegen."
Ganz ohne Wirkung blieb der studentische Protest dennoch nicht. Nach Darstellung Hildebrandts war der Rücklauf der an die Studierenden versandten Fragebögen mancherorts derart dürftig, dass eine Auswertung "stellenweise gar nicht möglich gewesen ist". Der Verbandsvertreter hat noch allerhand mehr zu beanstanden: So seien viele Daten nicht valide, und Korrekturmeldungen würden nicht immer umgesetzt. Obwohl nur im Dreijahrestakt Daten erhoben würden, gingen die Ergebnisse Jahr für Jahr in das Ranking ein, und "das zum Teil sogar mit veränderten Darstellungen der gleichen Ausgangslage, weil plötzlich eine andere Gewichtung der Kriterien vorgenommen wird". Kritik übte Hildebrandt auch an der Praxis des CHE, einen Fachbeirat aus nur wenigen Wissenschaftlern zur Beratung heranzuziehen. "Der wird faktisch nicht wirklich in den Prozess einbezogen und hat eigentlich nur eine Alibifunktion."
Auf die Frage, ob die Mediziner bei der nächsten Runde in drei Jahren beim CHE-Ranking noch mit von der Partie sind, konnte Hildebrandt "noch keine Einschätzung" liefern. Nur soviel: "In den Fakultäten gibt es eine heftige Diskussion." (rw)
Alle Quellen und weiteres zum Thema im Überblick
- Stellungnahme der DGS zum CHE-Ranking (Kurzfassung)
- Stellungnahme der DGS zum CHE-Ranking (Langfassung)
- Erwiderungen des CHE auf die Stellungnahme der DGS zum CHE Hochschulranking
- Interview mit CHE-Geschäfstführer Ziegele zur DGS-Kritik (Deutschlandfunk, 02.07.2012)
- "An einer Pseudo-Bewertung wollen wir nicht teilnehmen" (Interview mit dem Vorsitzenden der DGS zur Kritik am CHE-Ranking; jetzt.de, 29.06.2012)
- Soziologen gegen Hochschulranking: CHE? Danke, nee (SPIEGEL ONLINE, 29.06.2012)
- CHE Hochschulranking 2012: Was und wer nicht drin steht – und warum (Studis Online, 07.05.2012)
- Direkt zur Liste (und z.T. Gründe) derer, die sich nicht am CHE-Ranking beteiligt haben (aus dem Studis Online-Artikel zum CHE-Ranking 2012)
- "Das CHE-Ranking gehört abgeschafft" (Interview mit Clemens Knobloch, Professor am Fachbereich 3 der Uni Siegen; 08.03.2010)
- Stellungnahme des VHD (Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands) zum CHE-Ranking der deutschen Geschichtswissenschaft (17.09.2009)