Anwärter zur Eliteuniversität?Exzellenz und Filz an der Berliner Humboldt-Universität
Die Humboldt-Universität befindet sich in der Endrunde für die 3. Förderlinie der "Exzellenzinitiative". Den Siegern winkt das – von den Medien verliehene – Prädikat "Eliteuniversität" - und natürlich viel Geld. Vermutlich deshalb werden einige Dinge unter dem Deckel gehalten, welche diesen Imageaufbau gefährden könnten.1
Von Torsten Bultmann
Wenn aktuell eine finanzstarke Industrielobby ein Gefälligkeitsgutachten mit dem Untersuchungsauftrag "Gesellschaftsrendite der Kernenergienutzung in Deutschland. Eine Studie zum volkswirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen und ökologischen Nutzen der Kernenergie" ausschreiben würde, dürfte es möglicherweise schwierig werden, dafür einen deutschen Professor zu finden. Obwohl die sonst relativ leicht zu mieten sind, zumal seitdem der Umfang der eingeworbenen Drittmittel als Ausweis von Leistungsfähigkeit gilt. Aber mittlerweile haben wir einen Allparteien-Post-Fukushima-Energiewendekonsens, zu dem das Thema nicht so recht passen will.
Im Jahr des Bundestagswahlkampfes 2009 war das noch ziemlich anders. Auftraggeber für exakt das oben zitierte Untersuchungsziel war das Deutsche Atomforum. Dieses ist formaljuristisch ein gemeinnütziger Verein. De facto ist es die zentrale Lobbyorganisation der vier deutschen Energieriesen (RWE, Eon, Vattenfall, EnBW), die Atomkraftwerke betreiben. Auftragnehmer war de facto Joachim Schwalbach, der an der Humboldt-Universität den Lehrstuhl für Internationales Management besetzt und in jüngster Zeit vor allem zu Publikationen im Themenumfeld "Wirtschaftsethik" und "Der ehrbare Kaufmann" aufgefallen ist.
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Dieser Artikel erschien zuerst in Forum Wissenschaft (Heft 1/2012), herausgegeben vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi). Wir danken dem BdWi und dem Autor für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen.
Strategisches Ziel der genannten Lobby war es, das rotgrüne Atomausstiegsgesetz (2002) zu kippen, welches innerhalb der zwischen 2005 und 2009 amtierenden Großen Koalition nicht angetastet werden konnte. Das Ziel wurde erreicht, als die neue schwarzgelbe Bundestagsmehrheit am 28.10.2010 die Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke beschloss.
Zuvor musste allerdings noch einiges in Bewegung gebracht und das tendenziell eher atomkraftskeptische gesellschaftliche Meinungsklima umgedreht werden. Dafür gibt es Profis, welche darauf spezialisiert sind, die hinter derartigen Kampagnen stehenden Interessen unsichtbar zu machen. Das Atomforum vergab den Auftrag der Kampagnenplanung an die Werbeagentur Deekeling Arndt Advisors mit Sitz in Düsseldorf, Berlin, Brüssel und Frankfurt. Deren Spezialität laut Eigenwerbung: "Wir beraten in erfolgskritischen Phasen", zu Deutsch: wir setzen strategische Unternehmensziele auch gegen politische Mehrheiten und das gesellschaftliche Klima durch.2
Konkreter Arbeitsauftrag des Atomforums nach Dokumenten, die die taz veröffentlichte: "Bis zur Bundestagswahl 2009 Grundstimmung pro Laufzeitverlängerung herstellen.". Das funktioniert natürlich nicht mit plumper Reklame, sondern nur mit etwas, was neudeutsch "strategische Kommunikation" heißt. Die Agentur entwarf ein komplexes Kampagnenszenario3 aus vielen Elementen wie Anzeigenschaltungen, Veröffentlichungen, Podiumsdiskussionen, der Gründung eines Pro-Atomkraft-Frauenbildungsvereins Women in Nuclear und – last but not least – der Mobilisierung wissenschaftlicher Expertise. In diesem Sinne kam der Auftrag des Schwalbach-Gutachtens zu Stande, welches folglich von Anfang an integraler Bestandteil der Kampagne - und den Auftraggebern 135 Tsd. Euro wert war.
Das Gutachten sollte natürlich noch vor der Bundestagswahl 2009 veröffentlicht werden. Es wurde allerdings nie fertig. Der taz liegt lediglich ein 12seitiges Exposé von Schwalbach vor, in dem das Ergebnis der gar nicht durchgeführten Untersuchung allerdings schon vorweggenommen wird: "Die Gesellschaftsrendite der Kernenergie in Deutschland ist so hoch, dass es zu einer Verlängerung der Restlaufzeiten der Kernkraftwerke keine volkswirtschaftlich zu rechtfertigende Alternative gibt."4
Quod erat demonstrandum. Was die Gründe für den Abbruch der Studie betrifft, steht Aussage gegen Aussage. Professor Schwalbach behauptet, die Zwischenergebnisse seien den Auftraggebern "zu kritisch" gewesen. Diese kritische Haltung lässt sich dem Exposé allerdings nicht entnehmen. Aus den Kreisen des Atomforums wird hingegen angedeutet, die Zwischenergebnisse seien derartig schönfärberisch, dass eine Veröffentlichung selbst für die Interessen der Auftraggeber peinlich geworden wäre.5
Der eigentliche Konflikt – und erst an dieser Stelle kommt die Institution Humboldt-Universität ins Spiel – entwickelte sich jedoch um die Frage nach dem Status des Gutachtens, konkret: ob es sich um eine anmeldepflichtige Nebentätigkeit eines öffentlich besoldeten Universitätsprofessors handelt. Zunächst wollten die Auftraggeber nicht zahlen, weil sie für ihr Geld schließlich auch nichts bekamen.
In einem Vergleich vor dem Berliner Landgericht einigten sich die Streitparteien dann doch auf die Zahlung einer Summe, über deren Höhe öffentlich nichts bekannt ist. Die Zahlung ging allerdings an die Kommunikationsagentur GlobalKomm, die sich im Besitz von Schwalbachs Ehefrau befindet. Es handelt sich dabei um ein Einpersonenunternehmen, dessen Firmensitz die Privatwohnung des Ehepaares ist. Weil seine Frau im juristischen Sinne Auftragnehmerin war, meint Schwalbach, dass es sich bei seiner angeblich unentgeltlichen Arbeit für seine Frau nicht um eine anmeldepflichtige Nebentätigkeit gehandelt habe.
Im Widerspruch dazu hatte das Atomforum natürlich – das war schließlich der Sinn einer Mobilisierung der 'Wissenschaft' als Kampagnenbestandteil – ein Interesse daran, das Gutachten unter dem Namen eines in Fachkreisen recht renommierten Lehrstuhlinhabers und unter dem Logo der Humboldt-Universität zu veröffentlichen. Zur Projektleitung heißt es dann auch im Exposé klipp und klar: "Professor Dr. Joachim Schwalbach, Institut für Management, Humboldt-Universität zu Berlin".
Keine disziplinarischen Konsequenzen
Die Nebentätigkeitsbestimmungen haben ihren guten demokratischen Sinn darin, transparent zu machen, inwieweit aus Steuergeldern bezahlte WissenschaftlerInnen ihrem öffentlichen Bildungs- und Forschungsauftrag nachkommen (können). Und natürlich kann es nicht angehen, dass diese Bestimmungen umgangen werden, indem als Auftragnehmer für wissenschaftliche Expertisen Strohfirmen oder Strohfrauen vorgeschoben werden.
Dem Vernehmen nach prüft die Rechtsabteilung der Uni mögliche disziplinarrechtliche Schritte. Ob und inwiefern sie solche Schritte jedoch eingeleitet hat und was für sie die Konsequenzen aus dem Fall sind, dazu äußert sich die Universität bislang auch auf mehrfache Nachfrage der Presse nicht. Aktuell hat es aber eher den Anschein, dass der Konflikt in den zuständigen Gremien mehr ausgesessen und auf die lange Bank geschoben als geklärt wird.
Die Durststrecke geht vermutlich bis Juni 2012. Dann fällt die Auswahlentscheidung in der Exzellenzinitiative. Die Hochschule kann sich generell keine weiteren Negativschlagzeilen leisten, nachdem bereits im Mai 2011 durch den Berliner Politikwissenschaftler Peter Grottian ein dubioses geheimes Kooperationsabkommen zwischen Humboldt-Universität und der Deutschen Bank öffentlich gemacht wurde, in dem dieser Direktionsrechte gegenüber staatlich bezahlten Wissenschaftlern und Mitsprachemöglichkeiten bei Berufungen eingeräumt wurden (vgl. Forum Wissenschaft 2/11: 43).
Wo die Nerven der Verantwortlichen tatsächlich blank liegen, verdeutlichte der Uni-Präsident Jan-Hendrik Olbertz, als ihm in einem taz-Interview zur Causa Schwalbach der Kragen platzte: "Wenn Sie wegen des Falls Schwalbach gleich den Exzellenzanspruch der Universität infrage stellen, müssen Sie sich mal überlegen, welche gedanklichen Sprünge Sie da machen!"6
Bis hierher ist alles schon schlimm genug, aber leider auch normal. Politische Gefälligkeitsgutachten und problematische, Forschungsfragen verengende, Interessenkonvergenzen zwischen 'Wirtschaft' und 'Wissenschaft' sind leider auch Alltag an deutschen Hochschulen – und seit Gründung des BdWi Gegenstand unserer Kritik. Mit der "Exzellenzinitiative" kommt jetzt aber noch eine zusätzliche und neuartige Logik in dieses Spiel. Um dieses zu erläutern, müssen deren Spielregeln erklärt und zusätzlich historisch etwas weiter ausgeholt werden.
Geld durch Prestige
In der Exzellenzinitiative geht es zunächst einmal um viel Geld - und dessen höchst selektive, dem Matthäus-Prinzip folgende Verteilung - in einem seit Jahrzehnten strukturell unterfinanzierten Hochschulsystem.7 Für die zweite Förderrunde (2012-2017) wurden etwa 2,7 Mrd. Euro bewilligt. Es darf erwartet werden, dass auch in dieser zweiten Runde die Verteilungspolitik der ersten Förderrunde (2006-2011) fortgesetzt wird. Damals konzentrierten sich 70 Prozent dieser zusätzlichen Finanzmittel an den zwanzig Universitäten (von insgesamt über 100), die auch in den einschlägigen Forschungsrankings die obersten zwanzig Plätze belegen und etwa seit längerer Zeit konstant 60-70 Prozent aller an deutschen Hochschulen verteilten sog. Drittmittel unter sich aufteilen.
Hohe Erwartungen: Ein Sieg bei der "Exzellenzinitiative" könnte die Chancen der HU Berlin erhöhen, in die Konkurrenz mit dem Typus international hochgerankter Metropolenuniversitäten eintreten zu können
Da die Humboldt-Universität in dieser Liga, wenn auch nicht ganz oben, spielt, kann sie es sich gar nicht erlauben, in der Exzellenzinitiative nicht erfolgreich sein zu wollen. Wenn andere aus der gleichen Liga stattdessen erfolgreich sind, bauen diese wiederum mit den eingeworbenen Geldern einen materiellen Leistungsvorsprung auf, den die Unterlegenen kaum aufholen können.
Dabei geht es vor allem um das Prestige, welches mit der Verleihung der Prädikate "Exzellenz" und (durch die Medien) "Elite" verbunden ist und welches wiederum – so die Hoffnung – weitere Drittmittel und private Sponsoren anziehen soll. Mit tatsächlichem wissenschaftlichem Erkenntnisfortschritt hat das nicht zwangsläufig etwas zu tun.8
Die Humboldt-Universität knüpft damit an Erwartungen einer Statusaufwertung an, die seit der 'Wende' in Wissenschaft und Teilen der Öffentlichkeit immer mal wieder auf sie projiziert wurden. In den Jahren 1990/91 entstand durch die politisch-administrative, wenn auch als wissenschaftliche Evaluation drapierte, 'Abwicklung' des überwiegenden Teils des ostdeutschen wissenschaftlichen Personals die tabula-rasa-Situation einer Neuerfindung der ganzen Hochschule. Westdeutsche Großordinarien aus der Provinz kamen in Scharen und bezogen mit ihrem Tross ganze Etagen. Das war zeitweise mit der Spekulation verbunden, ob auf diesem Wege die Hochschule möglicherweise aus der grauen Masse der westdeutschen Massenuniversitäten herausragen und den informellen Status einer 'Eliteuniversität' mit internationaler Anziehungskraft erwerben könne.
Später kam dann noch der Hauptstadtbonus hinzu, und zwar in Verbindung mit der Perspektive, in die Konkurrenz mit dem Typus international hochgerankter Metropolenuniversitäten eintreten zu können. Diese verdanken ihre Stellung auch dem außer-wissenschaftlichen Umstand, dass sie – im Unterschied zu den Universitäten etwa in Wuppertal oder Siegen - allein aufgrund der Lebensqualität und des High-Society-Faktors eine bedeutende Zahl international renommierter ForscherInnen anziehen können – eine konkurrenzfähige Ausstattung vorausgesetzt.9
Diese Perspektive lebte wieder auf, als Bundesbildungsministerin Anette Schavan in einem gemeinsamen Interview mit Jan-Hendrik Olbertz10 über die Gründung einer "Bundesuniversität" als eine Art Nachfolgeprogramm für die 2017 definitiv auslaufende Exzellenzinitiative nachdachte; zu deutsch: eine anstelle der traditionellen Landesuniversitäten ausschließlich vom Bund finanzierte Hochschule, die – so der Gedanke – wesentlich besser ausgestattet ist als der Rest und folglich international konkurrenzfähiger. Olbertz pflichtete dem Gedanken bei – und bewarb sich indirekt für den Titel. Sollte diese Idee jemals Realität werden, rückt in dieses Visier natürlich die Humboldt-Universität als einer der Top-Favoriten, da sicher nicht die Standorte Kassel oder Bremen den Status "Bundesuniversität" erwerben werden. Ein deutlicher 'Sieg' in der jetzigen Runde der Exzellenzinitiative könnte die Chancen vermutlich verbessern. Es geht also um sehr viel.
Während der gesamten 90er Jahre wurden nämlich die Elitenhoffnungen immer wieder enttäuscht, wozu sicher auch die ständigen Kürzungen des Berliner Wissenschaftshaushalts ihren Beitrag leisteten. In der ersten Runde der Exzellenzinitiative (2006-2011) übertrumpfte dann ausgerechnet die Freie Universität, die in den Worten ihres damaligen Präsidenten Dieter Lenzen lange gegen das "Image einer linken, schmutzigen Stadtrand-Universität" ankämpfen musste11, die Humboldt Universität, indem sie sich erfolgreich in der 3. Förderlinie bewarb und so – entgegen allen Erwartungen, die eher mit der Humboldt-Uni rechneten – das Prädikat "Eliteuniversität", plus 36 Mio. Euro, erwerben konnte.
Inflation der Exzellenz
Dieser Sieg in der 3. Förderlinie ist der eigentliche Ritterschlag des Exzellenzprogramms, abgesehen davon, dass dafür auch bis zu 70 Mio. Euro winken. In der nächsten Runde scheinen die Ausgangsbedingungen bessere zu sein: Die Humboldt-Universität konkurriert mit den Unis Tübingen, Mainz, Köln, Bremen, Bochum und der TU Dresden um das Prädikat "Eliteuniversität". Dafür sind allerdings noch einige Hürden zu nehmen, bis Mitte dieses Jahres die Endentscheidung fällt. Bei den sieben genannten Hochschulen handelt es sich um Neuanträge, die nach einer Vorauswahl durch Wissenschaftsrat und Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Endrunde zugelassen wurden.
Die neun "Eliteuniversitäten" aus der ersten Förderrunde (2006-2011) sind automatisch, d. h. ohne Vorauswahl, in der Endrunde drin. Gleichzeitig wurde in einer bereits aus dem Jahr 2009 stammenden Bund-Länder-Vereinbarung zur zweiten Runde die Höchstzahl zu bewilligender Neuanträge auf maximal fünf begrenzt; zu deutsch: es können auch weniger werden. Die Höchstzahl der "Eliteuniversitäten" insgesamt ist auf zwölf festgelegt.
Diese Zahlen sind natürlich rein willkürliche politische Fixierungen, die unmittelbar mit Wissenschaft nichts zu tun haben – allerdings einer nachvollziehbaren betriebswirtschaftlichen Logik entsprechen. Denn natürlich existiert ein starker Druck, die 'alten' "Eliteuniversitäten" weiter zu fördern, da man nicht in fünf Jahren international konkurrenzfähige Forschungsschwerpunkte aufbauen kann und im Falle einer Nichtverlängerung des Elitestatus die Finanzmittel der ersten Runde möglicherweise in den Sand gesetzt wären. Die Konkurrenz ist also hart und es gibt zusätzlich quasi 'gesetzte' Sieger.12 Es darf vermutet werden, dass der Bewilligungsausschuss auch nach Gründen sucht, Neuanträge nicht zuzulassen und Fortsetzungsanträge durchzuwinken. In einer solchen Situation gilt es, jeglichen Imageschaden zu vermeiden, der die Bewerbungschancen gefährden könnte.
In Anlehnung an Richard Münch baut die Exzellenzinitiative darauf auf, Vorsprünge in den materiellen Leistungsbedingungen (hohes Drittmittelaufkommen) in das symbolische Kapital einer – synthetisch konstruierten – Premium League der deutschen Hochschulen zu transformieren; kurz: Geld in Prestige umzuwandeln und aus diesem wiederum neues Geld zu generieren: "Man kann die Kür von 'Eliteuniversitäten' auch als den Versuch werten, Marken zu kreieren, die sich in Zukunft gewinnbringend auf dem Bildungs- und Forschungsmarkt positionieren lassen. Dabei ist es sicherlich hilfreich, wenn eine Hochschule bereits den Ruf einer 'Traditionsuniversität' hat, und zwar auch dann, wenn von dieser Tradition nicht mehr viel zu sehen ist."13
Wo es folglich um Prestige, Symbolik und den "Ruf" einer Hochschule geht, kommen in hohem Maße außer-wissenschaftliche und immaterielle Faktoren ins Spiel, die jeweils diesen Ruf unterstützen – oder auch gefährden können. Es gilt folglich jeden öffentlichen Eindruck zu vermeiden, der auf latente Korruptheit, dubiose Verträge und unter den Teppich gekehrte Skandale hinweisen könnte. Vermutlich ist das der Grund dafür, warum der Präsident der Humboldt-Universität auf Nachfragen zum Fall Schwalbach derartig gereizt reagiert – oder gar nicht.
Fairerweise kann man ein solches Verhalten kaum kritisieren. In ihrer chronischen Finanznot bei ständig steigendem äußerem Wettbewerbsdruck sind die Hochschulen gezwungen, nach jedem Strohalm zu greifen, der ihre Situation verbessern könnte. Folglich springen sie auch über das Stöckchen "Exzellenz", wenn es ihnen von der Politik hingehalten wird und wenn sie nur eine minimale Chance wittern, in das Elitenkartell aufzusteigen.
In seinen Ende 2010 veröffentlichten "Empfehlungen zur Differenzierung der Hochschulen" beklagt selbst der Wissenschaftsrat – also quasi das Zentralkomitee der Exzellenzinitiative – eine "Inflation der Exzellenzrhetorik". Und er nennt auch die Gründe: "In einer seit Jahrzehnten bestehenden Situation chronischer Unterfinanzierung sind gerade sie (die Hochschulen; T. B.) dazu gezwungen, den Exzellenzbegriff zu verwenden und am Exzellenzwettbewerb teilzunehmen, da durch ihn die Verteilung zusätzlicher Ressourcen vor allem für die Forschung und den wissenschaftlichen Nachwuchs gesteuert wird."14 So erfahren wir selbst aus offiziellem Munde, dass diese Politik mit der Tendenz verknüpft ist, Scheinwelten und Kulissen zu produzieren – aus blanker Not.
Was jedoch an den PräsidentInnen und RektorInnen, welche dazu beitragen, die Exzellenzinitiative hochzujubeln, unbedingt kritisiert werden darf, ist die Tatsache, dass sie selbst offenbar nicht mehr in der Lage sind, das Hamsterrad, in welchem sie gezwungen sind, auf und ab zu treten, von außen zu betrachten und das gesamte Arrangement zu kritisieren. Schließlich handelt es sich bei der Exzellenzinitiative um einen staatlich inszenierten Pseudowettbewerb, der sich bereits heute zum Nachteil der überwiegenden Mehrheit der deutschen Hochschulen auswirkt.
Torsten Bultmann ist politischer Geschäftsführer des BdWi.
Fußnoten
1 Alle Fakten, die diesem Artikel zugrunde liegen und wie sie insbesondere das erwähnte Schwalbach-Gutachen und die Tätigkeit des Deutschen Atomforums betreffen, beruhen auf hartnäckigen Recherchen der taz-Redakteure Martin Kaul und Sebastian Heiser. Bei Martin Kaul bedanke ich mich zusätzlich für weitere Informationen und kritische Hinweise.
2 Das dürfte einer der Gründe dafür sein, warum die Agentur Ex-PolitikerInnen mit einem entsprechenden Insiderwissen wie die ehemalige grüne Staatsekretärin Margareta Wolf für sich arbeiten lässt: vgl. taz 29./30.10.11: 17
3 Ein Teil der Dokumente dafür wurde der taz zugespielt: vgl. taz 29./30.10.11: 16-17; vgl.: http://blogs.taz.de/rechercheblog/ (Zugriff 13.2.2012)
4 Vgl.: http://blogs.taz.de/rechercheblog/files/2011/11... (Zugriff 13.2.2012)
5 Vgl.: taz 4.11.11: 7
6 taz a. a. O.
7 Zu diesem Exzellenzprogramm ist aus dem Wissenschaftssystem selbst mittlerweile eine umfangreiche kritische Literatur entstanden. Vgl. exemplarisch: Michael Hartmann 2011: "Leistung oder 'Matthäus-Prinzip' - die hierarchische Differenzierung der deutschen Universitäten durch die Exzellenzinitiative", in: Sandoval, Marisol u.a. (Hg.): Bildung MACHT Gesellschaft. Münster. 163-185
8 Eher im Gegenteil! Der Breite des Hochschulsystems werden Ressourcen und Erkenntnispotentiale entzogen. Vgl.: Richard Münch: "Sieger und Besiegte – Wie der ökonomische Wettbewerb zunehmend den wissenschaftlichen kolonisiert", in: Forschung & Lehre 7/2011: 512-514
9 Vgl. Richard Münch 2011: Akademischer Kapitalismus. Berlin: 83
10 Berliner Morgenpost 13.2.2011
11 http://www.che.de/downloads/Lenzen... (Zugriff: 14.2.2012)
12 Gehen wir von zwölf "Eliteuniversitäten" der zweiten Runde aus und ziehen davon fünf Neuernennungen (wie gesagt, es können auch weniger sein) ab, heißt das schließlich, dass von den aktuell neun "Eliteuniversitäten" mindestens sieben wieder inthronisiert werden. Das wussten die politisch Verantwortlichen bereits 2009, als noch keinerlei fachliche Ergebnisse aus der ersten Förderrunde sichtbar waren.
13 Richard Münch 2009: Globale Eliten, lokale Autoritäten. Frankfurt a. M.: 162
14 Wissenschaftsrat 2010: Empfehlungen zur Differenzierung der Hochschulen. Lübeck 12.11.2010 – Drs. 10387-10: 27