Profit mit BildungBertelsmänner auf Beutezug
Studis Online: Der Bertelsmann-Konzern hat einen Bildungsfonds aufgelegt, um den "frühen Einstieg in einen schnell wachsenden Markt" zu sichern. Der "University Ventures Fund I, L.P." soll 100 Millionen Dollar schwer sein, und der Gütersloher Medienkonzern macht dafür mal eben die Hälfte locker. Ist das Geld gut angelegt?
Unser Interviewpartner, Wolfgang Lieb, ist Mitherausgeber des Internetportals "NachDenkSeiten – Die kritische Website". Er war Mitarbeiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt unter Helmut Schmidt und später Regierungssprecher in Nordrhein-Westfalen (NRW) unter Ministerpräsident Johannes Rau (beide SPD). Von 1996 bis 2000 war er Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium.
Wolfgang Lieb: Die Bertelsmann AG wettet wie ein Investmentbanker darauf, dass der wesentlich auch von der "gemeinnützigen" Bertelsmann Stiftung vorangetriebene Trend zur Privatisierung der Bildung sich verstärken wird. Auf dem Bildungs-"Markt" wird ja jetzt schon viel Geld gemacht. Der privatwirtschaftlich durchgeführte Pisa-Test hat bei einem internationalen Durchgang ein Auftragsvolumen in dreistelliger Millionenhöhe. Oder denken Sie an die vielen Tests an Schulen wie Sprachstandstests oder an die Hochschuleingangsprüfungen, die zumeist von privaten Beratungsfirmen entwickelt oder offeriert werden. Viele Hochschulen bedienen sich zur Auswahl von Studierenden z. B. der Leistungen der ITB Consulting GmbH, und die Studierenden müssen dafür bezahlen, dass sie überhaupt in die Auswahl um einen Studienplatz kommen. Auch Stipendienvergeber bedienen sich solcher kommerziellen Testangebote. Und die Akkreditierungsagenturen lassen sich von den Hochschulen bezahlen, in den USA ist das ein Riesengeschäft.
Das Ringen der Hochschulen um wissenschaftliche Reputation wird in der im Wettbewerb um Drittmittel stehenden "unternehmerischen Hochschule" mehr und mehr vom Hochschulmarketing überlagert. Für das dazu erforderliche "Corporate Design" oder für "Strategiekonzepte", um eine "Marke" zu schaffen, bedarf es natürlich des bezahlten Rates von Marketing- und PR-Agenturen. Die Bertelsmann Stiftung hat beispielsweise im Schulbereich mit der "Selbstevaluation in Schulen" (SEIS) sozusagen schon die Marktforschung für den Konzern geleistet. 5200 Schulen nutzen dieses computergestützte Selbstevaluationsinstrument inzwischen. Die Kosten für derlei externes Know-how gehen inzwischen in Millionenhöhen und werden in der Regel von den Kommunen als Schulträger oder von den Schulministerien getragen.
Eine gängige Parole der Bildungsproteste der zurückliegenden Jahre lautet: "Bildung ist keine Ware." Ist die Sache also längst anders entschieden?
Das wird sich zeigen. Noch stehen wir am Anfang einer Entwicklung. Die "Goldader" Bildung wurde erst angebohrt, und es wird noch ein wenig dauern, bis sie richtig sprudelt. Aber immerhin: Private Schulen schießen wie Pilze aus dem Boden, in Sachsen liegt der Anteil der Schüler, die private allgemeine oder berufsbildende Schulen besuchen, schon bei knapp 17 Prozent (vgl. hier). Dazu gibt es schon über 100 private Hochschulen. Darunter sind 27 allein in NRW, allerdings sind dort weniger als acht Prozent der Studierenden des Landes eingeschrieben. In den USA ist die Zahl öffentlicher Einrichtungen unter den Top-Universitäten kontinuierlich gesunken, unter den ersten 20 der Ivy-Leage findet sich keine einzige staatliche Hochschule mehr.
Zurück zur Ausgangsfrage: Ja, mit Bildung lässt sich Geld verdienen und zwar nicht zu knapp und in Zukunft wohl noch viel mehr. Im übrigen: Bei einem Umsatz von 15,8 Milliarden Euro im Jahr 2010 sind 50 Millionen Dollar für Bertelsmann eigentlich "Peanuts". Das lässt sich mal locker einsetzen, um die Gewinnchancen auszuloten.
Laut Ankündigung des Konzerns soll mit dem Fonds in "Studien- und Weiterbildungsprogramme im europäischen und US-amerikanischen Raum" investiert werden. Was könnte damit konkret gemeint sein?
Die Weiterbildung von im Beruf Stehenden wird angesichts des rapiden technischen Fortschritts und des ökonomischen Strukturwandels zunehmende Bedeutung erlangen. Man hört ja auch allenthalben, jeder müsse künftig sein eigener Unternehmer sein und einen persönlichen "Humankapitalstock" aufbauen. Für Fort- und Weiterbildung eignen sich besonders gut elektronische Lernangebote, also Fernstudien auf der Basis von E-Learning. Schon jetzt sind beim sogenannten Dritten Bildungsweg, also dem Studium ohne Abitur, und beim "Meisterstudium" Fernstudiengänge mehr gefragt als Präsenzstudien. Die Fernuniversität Hagen ist mit 72000 Studierenden inzwischen die größte deutsche Hochschule.
E-Learning wird zudem für Studierende mit Bachelor-Abschluss, die danach in einen Beruf gegangen sind, interessant, um beispielsweise einen Master-Abschluss zu schaffen. Aber auch in normalen Präsenzstudiengängen ist das elektronisch unterstützte Lernen auf dem Vormarsch, was auch mit der durch den Bologna-Prozess erzwungenen Modularisierung der Studiengänge zwecks Generierung von Standardwissen zusammenhängt. Schon heute bieten viele Dozenten das für die Klausuren und die Multiple- Choice-Tests notwendige Wissen in eigenen Skripten oder sogar schon elektronisch im Intranet an. Klassische Lehrbücher erscheinen da doch geradezu altertümlich.
Sie sprachen die Bologna-Studienstrukturreform an. Hat diese die Hochschulen erst zu dem Geschäftsfeld gemacht, das sie heute sind?
Bologna hat einen großen Anteil daran. Das Bachelor-Studium gerät immer mehr zu einem reinen Wissensvermittlungsprogramm, man könnte auch "Paukstudium" sagen. Mit gut gemachten E-Learning-Angeboten ließe sich dieses möglicherweise sogar leichter und besser absolvieren. Der Trend hin zur Vergleichbarkeit und die Durchsetzung von Lernstandards wird zu einer Angleichung der Studieninhalte an allen Hochschulen führen. Diese Formalisierung der Lehrinhalte ist das Einfallstor für private Anbieter von "Contents". Daraus leitet sich ja auch die Tendenz ab, zwischen lehrorientierten Hochschullehrern mit deutlich erhöhtem Stundendeputat und forschungsorientierten Professoren zu unterscheiden. Letztere kämen dann nur noch in Master-Studiengängen zur Vertiefung von wissenschaftlichem Arbeiten zum Einsatz. Mich würde es nicht wundern, wenn in absehbarer Zeit auch für Lernstandsmessungen – früher Klausuren genannt – entsprechende kommerzielle Angebote Einkehr halten, mit sekundenschneller Computerauswertung der Ergebnisse. Schon heute sind ja formalisierte Multiple-Choice-Tests eine gängige Prüfungsform.
Das alles ist vorgezeichnet, wenn nicht eine Umkehr gelingt und wieder "Prinzipien der Wissenschaftlichkeit" auch im Grundstudium einkehren. Laut Wissenschaftsrat gehören dazu: die Aneignung einer fragenden, kritischen Haltung, ein Problem- und Methodenbewusstsein, Strukturierungsfähigkeit, Selbständigkeit und forschungsorientiertes Lernen. Von derlei Ansprüchen bewegen wir uns derzeit eher weg. Schlimmer noch: Wir nähern uns dem niedrigsten Niveau.
Ein "Zukunftsmarkt" ist Bildung nach Auskunft von Bertelsmann gerade auch "angesichts staatlicher Budgetkürzungen". Das ist zumindest ehrlich, oder?
Bertelsmann hat Geduld – wie ein Krokodil ;)
Das hat Bertelsmann richtig erkannt, und das gilt für alle Bereiche, in denen Privatisierungen vonstatten gehen. Man spart die öffentlichen Angebote kaputt, um anschließend zu behaupten, der Markt oder der Privatsektor kann alles besser als der Staat. Nehmen wir die Rentenpolitik. Die gesetzliche Rente wurde durch eine "Reform" nach der anderen zerstört und die Einführung der privaten Riester-Rente ließ den "Finanzoptimierer" Maschmeyer triumphieren: "Es ist so, als wenn wir auf einer Ölquelle sitzen (…) Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß und sie wird sprudeln." (vgl. hier) Ähnliches gilt für die Privatisierung von Krankenhäusern, den Straßenbau oder öffentlichen Wohnungsbau. Überallwurde auf Teufel komm raus privatisiert, zum Nachteil derjenigen, die auf diese Angebote angewiesen sind, und ebenso zum Nachteil des Staates, denn Privatisierungen geraten am Ende meist erheblich teurer als staatliche Investitionen.
Und dieselben Mechanismen erleben wir im Bildungsbereich?
Die Phase des Hochschulausbaus der 1960er und 1970er Jahre wurde durch eine zunehmende Sparpolitik gestoppt. Bund und Länder fassten schon 1977 den sogenannten "Öffnungsbeschluss": Die Hochschulen sollten etwa ein Jahrzehnt lang eine "Überlast" an Studierenden bei etwa gleich bleibendem Budget und stagnierendem Lehrpersonal akzeptieren. Diese "Untertunnelungsstrategie" gehörte zu den größten Lebenslügen in der Hochschulpolitik der Nachkriegszeit. Der Niedergang wird greifbar, wenn man sich heute die heruntergekommenen Hochschulgebäude ansieht. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beziffert den Investitionsstau im Bildungssektor mit über 45 Milliarden Euro. In Deutschland müssten jährlich 21 Milliarden Euro mehr an öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden, um den Mittelwert der staatlichen Bildungsausgaben der OECD- Staaten zu erreichen. Um mit dem Spitzenreiter Schweden mitzuhalten, wären bis zu 91 Milliarden Euro mehr erforderlich. Die von der Bundeskanzlerin ausgerufene "Bildungsrepublik Deutschland" ist eine Fata Morgana ...
... wodurch private Bildungsanbieter wie Bertelsmann auf ihre Kosten kommen. Steckt dahinter so etwas wie ein politischer Masterplan?
Zynisch bei all dem ist, dass gerade die Bertelsmann Stiftung die Ideologie der Zurückdrängung des Staates massiv forciert hat. Die Verarmung des Staates war geradezu der strategische Hebel zur Durchsetzung der Privatisierungspolitik. "Es ist ein Segen, dass uns das Geld ausgeht. Anders kriegen wir das notwendige Umdenken nicht in Gang", meinte dazu der verstorbene Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn schon 1996 in einem Stern-Interview. Die Mission der Bertelsmann-Stiftung gründet auf der Überzeugung, dass "Wettbewerb" und "die Prinzipien unternehmerischen Handelns zum Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft" die wichtigsten Merkmale seien.
Es ist ja nicht so, dass "staatliche Budgetkürzungen" wie eine Naturkatastrophe über uns hereingebrochen wären. Das Institut für Markroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung hat unlängst nachgerechnet: Würden noch die Steuergesetze von 1998 gelten, hätten der öffentlichen Hand 2011 Mehreinnahmen von 51 Milliarden zur Verfügung gestanden. Wenn man das Rettungspaket für die Banken mit den Ergebnissen des Bildungsgipfels vergleicht, ist man geneigt, den alten Slogan etwa so abzuwandeln: Bei den Banken sind sie fix, für die Bildung tun sie nix!
Vom "systemischen" Risiko kaputt gesparter Hochschulen spricht leider niemand.
Bertelsmann unterhält mit dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) die hierzulande wohl einflussreichste Lobbyorganisation im Hochschulbereich. Welchen Anteil hat die am allgemeinen Hochschulniedergang?
Centrum für Hochschulentwicklung (CHE)
Die Aktivitäten des CHE waren auch bei Studis Online immer wieder Gegenstand der Berichterstattung. Einige Artikel in Auswahl:
Das CHE ist der wirkungsmächtigste Motor für die Hochschul-"Reform"-Gesetze des zurückliegenden Jahrzehnts. Reinhard Mohn war einer der Gründungsväter und lange Zeit der Hauptsponsor der 1983 gegründeten ersten deutschen Privathochschule, der Universität Witten-Herdecke. Sie sollte der "Stachel im Fleisch" der staatlichen Hochschulen sein. Das Kalkül ging zunächst nicht auf, die Uni wäre längst pleite, wenn ihr der Staat nicht finanziell beigestanden hätte. Mohn musste deshalb umdenken und erkannte, dass es effizienter ist, die weitgehend staatlich finanzierten Hochschulen wie private Unternehmen in den Wettbewerb zu schicken und das System über die Konkurrenz um Studiengebühren sowie private oder öffentliche Drittmittel zu steuern. Dazu gründete man 1994 das CHE und war so klug, die damals ohne jeden Apparat und ohne nennenswerten Einfluss auf die Hochschulpolitik agierende, aber umso standesbewusstere Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als Gesellschafter mit ins Boot zu holen. So hatte das CHE ein unverdächtiges Entrée in die Hochschulen.
Das CHE arbeitet ganz im Stil einer PR-Agentur: Man erstellt Studien oder macht Umfragen, schafft so Medienevents, und die Mainstream-Medien plappern die Ergebnisse unkritisch wie Papageien nach. So wird öffentliche Meinung gemacht. Durch sein Wirken auf Politik, Medien und Gesellschaft hat das CHE entscheidend dazu beigetragen, dass an den Hochschulen der Wettbewerb um Drittmittel und Studiengebühren als Steuerungselement Einzug gehalten hat. Es war auch das CHE, das in Deutschland die Hochschulrankings hoffähig gemacht hat, die einem immensen Konformitäts- und Anpassungsdruck Vorschub geleistet haben. Das CHE ist heute der unentbehrliche Berater nicht nur für die Kultusministerien Ministerien sondern auch für die Hochschulen und moderiert mittlerweile sogar die Aufstellung der Hochschulentwicklungspläne. Das CHE hat das Modell des "New Public Management" auf die Hochschulen übertragen und die "unternehmerische Hochschule" entwickelt. Das NRW-Hochschul-"Freiheits"-Gesetz wurde in Gütersloh entworfen, und dessen Umsetzung hat das CHE bis in die Hochschulen hinein begleitet.
Aber das CHE hat die Zeitenwende an den Hochschulen nicht alleine herbeigeführt?
Natürlich steht das CHE nicht allein. Wie der "Privatisierungsreport 6 – Schöne neue Hochschulwelt" der GEW darstellt, gehören dazu auch der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, der Aktionsrat Bildung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), das Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. (IW), die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GmbH (INSM) oder die McKinsey & Company Inc. und viele andere mehr.
Sie haben Bertelsmann schon einmal als "informelles Bildungsministerium" bezeichnet. Das klingt so, als wären die formal politisch Verantwortlichen, konkret die jeweils Regierenden, nur Hampelmänner der Bertelsmänner. Ist das ein parteiübergreifendes Phänomen?
Natürlich entscheidet Bertelsmann nach wie vor nicht eigenmächtig über die Gesetzgebung. Aber über seine personellen, informellen Netzwerke und seine Medienmacht wird der Bertelsmannsche "Reformmotor" zur eigenständigen politischen Kraft, der auch außerhalb der Parlamente eine Art Elitenkonsens schafft – und nebenbei auch noch ein positives Image für den Konzern. Angesichts leerer Kassen und mit der Betonung "zivilgesellschaftlichen Engagements" greift der Staat die "gemeinnützigen" Dienstleistungen privater Think Tanks nur allzu gerne auf. Mehr noch: der Staat entzieht sich immer mehr seiner Verantwortung und überlässt wichtige gesellschaftliche Bereiche wie die Bildung gleich ganz den Selbsthilfekräften dieses "bürgerschaftlichen Engagements". Aus dieser Staats- und Gesellschaftsvorstellung speist sich die Idee der "selbständigen Schule" genauso wie die "Entlassung" der Hochschulen aus staatlicher Verantwortung – und all das hat schwerwiegende Folgen.
Sie waren selbst lange Jahre an hoher Stelle im politischen Geschäft aktiv. Wie funktioniert Lobbyismus? Tanzt da der Konzern- oder Verbandsboss bei der Regierung an und sagt: "So und nicht anders wird es gemacht!"?
Die Einflussnahme auf Politik und Hochschulen ist ganz konkret: Die Hochschulrektorenkonferenz, die ja unter dem gemeinsamen Briefkopf mit dem CHE auftritt, ist der Türöffner in die Hochschulen. Vertreter der Ministerialbürokratie werden zu den zahlreichen Konferenzen der Bertelsmänner geladen. Dort wird nicht ergebnisoffen diskutiert, behandelt werden nur die Konzepte und Vorschläge des Gastgebers. In NRW hat FDP-Innovationsminister Andreas Pinkwart die Blaupausen für das sogenanntes Hochschulfreiheitsgesetz direkt vom CHE übernommen. Dort, wo die "Ratschläge" aus Gütersloh die politische Mehrheit nicht gleich überzeugen, lässt die Opposition nichts unversucht, der Regierung Debatten aufzuzwingen, für die das CHE die Stichworte liefert. Das geht so weit, die Regierung zu nötigen, zu Papieren des CHE Stellung zu nehmen. Heute werden CHE-Veröffentlichungen wie selbstverständlich als neutrale gutachterliche Stellungnahmen hingenommen. Das läuft deshalb alles so geschmiert, weil es derzeit keine vergleichbar gut organisierte und vernetzte hochschulpolitische Kraft gibt. Weder der Deutsche Hochschulverband (DHV), noch die GEW oder der studentische Dachverband fzs können dem CHE ernsthaft Paroli bieten.
Zurück zu diesem Bildungsfonds. Mit Blick darauf haben Sie an anderer Stelle erklärt, nun sollten die Hochschulen "vollends zur Beute des Finanzkapitals und privater Investoren" gemacht werden War das nicht zu dick aufgetragen?
Nein, denn es trifft genau den Punkt. Nachdem die Bertelsmann Stiftung mit ihrer Ideologie der "unternehmerischen Hochschule", also der Entstaatlichung und funktionalen Privatisierung der Hochschulen, den tertiären Bildungssektor in der zurückliegenden Dekade sturmreif geschossen hat, stößt nun die Bertelsmann AG nach, um aus diesem Zerstörungswerk Profit zu ziehen. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die ach so gemeinnützige Bertelsmann Stiftung lediglich der politische Wegbereiter für die Geschäftsinteressen des Bertelsmann-Konzerns ist. Beim Einsteig in diesen Universitäts-Wagnis-Fonds geht es darum, Online-Studienangebote, das Hochschulmarketing bis hin zur ausgelagerten Hochschulverwaltung an Studierende und Hochschulen profitträchtig zu verkaufen. Das hat nichts mit einem Engagement für eine bessere Bildung zu tun: Die kaputt gesparten Hochschulen sollen nun mit ihrem verbliebenen restlichen "kulturellen" Kapital zum Tummelplatz für Investmentfonds werden.
Das sind keine schönen Aussichten. Gibt es auch etwas, das Sie trotz alledem zuversichtlich stimmt?
In Hessen, im Saarland und in NRW wurden Studiengebühren wieder abgeschafft, als es zu Mehrheiten jenseits von CDU und FDP gekommen war. Dasselbe zeichnet sich jetzt in Baden-Württemberg und Hamburg ab. Das allgemeine Bezahlstudium wird es demnächst nur noch in Niedersachsen und Bayern geben, und selbst die CSU wackelt neuerdings bei dem Thema. Das alles ist nahezu ausschließlich das Verdienst des studentischen Widerstandes gegen Studiengebühren. Dieser Erfolg sollte Mut machen. In Baden-Württemberg steht im Koalitionsvertrag, dass die "unternehmerische Hochschule" nie ein geeignetes Modell war, auch in NRW steht eine Novellierung des Hochschul-"Freiheits"-Gesetzes an. Die Gewerkschaften haben ein Konzept für eine demokratische und soziale Hochschule vorgelegt.
Inzwischen hat sich viel Frust bei Studierenden, aber auch unter den Lehrenden, über die "Reformen" der vergangenen Jahre aufgestaut. Mit Blick auf den Bologna-Prozess haben Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CSU), der Wissenschaftsrat, ja sogar die HRK "Korrekturbedarf" angemeldet. Ganze Fakultätentage lehnen eine Teilnahme an den CHE-Rankings ab, und es gibt Resolutionen von Fachbereichen gegen das unternehmerische Hochschulmanagement. Der Unmut dringt aber nur wenig an die Öffentlichkeit, weil die Hochschulleitungen die ersten Ansprechpartner der Medien sind – und die Präsidenten und Rektoren sind in dieser politischen Debatte Partei in eigenem Interesse. Warum sollten sie sich gegen die Veränderungen wenden, die ihnen viel Macht beschert haben? Warum sollten ausgerechnet sie, denen autokratische Strukturen eingeräumt wurden, für eine demokratische Hochschule eintreten? Die Impulse müssen von anderen ausgehen.
Was also muss passieren?
Zu einem wirklichen Leitbildwandel wird es letztlich erst dann kommen, wenn zugleich ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel stattfindet. Der Schwenk weg vom humboldtschen Bildungsideal hin zum hayekschen Glauben an die Überlegenheit von Markt und Wettbewerb ist Ausdruck eines allgemeinen, zur Vorherrschaft gelangten gesellschaftlichen Denkens, das ökonomische Verwertungs- und Profitinteressen über alles stellt und das in nahezu alle Bereiche von der Sozialpolitik,über Kulturpolitik bis zur Bildungspolitik vorgedrungen ist. Leider sehen die politischen Mehrheitsverhältnisse gegenwärtig danach aus, als wäre es bis zu einem umfassenden Umdenken noch ein weiter Weg. Aber ein Anfang ist ohne Frage gemacht. Studierende und Hochschulangehörige sollten nicht abwarten, bis sich der politische Wind wieder gedreht hat. Wie Reinhard Mohn sollten auch sie die Hochschulen als einen Schlüssel begreifen, den Wandel sowohl an den Hochschulen als auch in der Gesellschaft voranzutreiben.