Exzellenz mit AbstrichenAkademikerkinder unter sich
Der Zugang zu einigen Hochschulen scheint immer exklusiver zu werden ...
Mit "besseren" Hochschulen meinen die Wissenschaftler allerdings nicht solche, deren Qualität notwendig über die anderer hinausgehen muss. Als Messlatte dient ihnen vielmehr das Renommee eines Standortes, wie es sich in sogenannten Rankings "öffentlichkeitswirksam kommuniziert". Derlei Vergleichstests erregen heute im Zusammenhang mit dem sich verschärfenden Wettbewerb zwischen den Hochschulen immer größeres Aufsehen. Bei aller lautgewordenen Kritik wegen ihrer fehlenden Validität soll heute bereits ein Drittel der Studierenden den Rankings bei ihrer Studienfach- und Hochschulwahl hohe Bedeutung zuschreiben. Das umfassendste und schillerndste Hochschulranking ist das des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), einer gemeinsam von der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) getragenen Denkfabrik. Deren Leitbild ist die "standortgerechte Dienstleistungshochschule", die streng betriebswirtschaftlich organisiert auf einem möglichst zügellosen Bildungsmarkt agieren soll.
Die HIS-Forscher Markus Lörz und Heiko Quast haben das CHE-Ranking zum Studienjahr 2007/08 herangezogen. Als hochgerankte Hochschule gelten ihnen diejenigen, die in dessen Rahmen bei einer gesonderten Befragung von Professoren mehrheitlich empfohlen wurden. Angesichts der vor allem durch die sogenannte Exzellenzinitiative angestoßenen zunehmenden Differenzierung innerhalb des Hochschulsystems bei gleichzeitig stark gestiegenen Studierendenzahlen sind die Wissenschaftler der Frage nachgegangen, ob und in wie weit sich die Veränderungen auch in herkunftsspezifischen Unterschieden bei der Hochschulwahl abzeichnen. Ihre Ergebnis ist bemerkenswert: 15 Prozent der Kinder aus reinen Akademikerhaushalten nahmen demnach ein Studium an einer hochgerankten Hochschule auf. Kinder bildungsferner Herkunft, deren beide Elternteile über keinen Hochschulabschluss verfügen, fanden dagegen nur zu neun Prozent den Weg an eine prestigeträchtige Hochschule.
Sozialer Status bestimmt Hochschulwahl
In ihrem im neuesten HIS-Magazin erschienenen Aufsatz "Soziale Ungleichheit bei der Wahl der Hochschule" benennen die beiden Wissenschaftler mögliche Schlüsse aus den Zahlen. Demnach liege die Vermutung nahe, dass sich "soziale Ungleichheit auch in Deutschland nicht nur wie bislang vertikal in unterschiedlichen Zugangschancen zu höherer Bildung ausdrückt, sondern zunehmend auch horizontal in der Art der Bildungsbeteiligung – also beispielsweise im Studienfach oder der Hochschule". Und weiter: Mit der zunehmenden Öffnung des Schul- und Hochschulsystems für traditionell bildungsferne Gruppen wäre es "nicht nur eine Frage, ob man studiert, sondern mittlerweile auch, was und wo". Aber wie geht diese Differenzierung in einem System vonstatten, in dem Studiengebühren praktisch keine Rolle mehr spielen und "bessere" Hochschulen nicht per se mehr Geld kosten müssen? Lörz und Quast haben zwei entscheidende Faktoren ausfindig gemacht: Ausschlaggebend sind demnach die "geringeren schulischen Leistungen" sowie die "eingeschränkten Mobilitätsmöglichkeiten" der bildungsfernen Gruppen.
Wie in etlichen Studien nachgewiesen, schlägt sich ein schwächerer sozialer Status hierzulande empirisch messbar in minderen "Schulleistungen" nieder. Tatsächlich erhalten Kinder aus ärmeren Schichten bei identischem Leistungsstand statistisch sogar schlechtere Noten als ihre privilegierten Mitschüler. In dem Maße, wie es immer höhere Zulassungs- und Zugangshürden an den Hochschulen gibt, haben diejenigen bessere Karten, die praktisch von Haus aus bevorteilt sind und mit einem besseren Schulabschlusszeugnis aufwarten können – ganz egal ob zu Recht oder nicht. Zudem haben gut begüterte Kinder eine größere Mobilitätsbereitschaft. Die Aufnahme ihres Wunschstudiums scheitert nicht daran, dass der Studienort weit entfernt von zu Hause liegt und die Wohn- und Lebenskosten in vielen Universitätsstädten teuer zu Buche schlagen. Entsprechend konstatieren die Autoren, für die Aufnahme eines Studiums an einer hochgerankten Hochschule bedürfe es "guter Noten und einiger Mobilität", und die bildungsfernen Gruppen befänden sich hier in einer "benachteiligten Position".
US-amerikanische Verhältnisse in Deutschland?
Für den Eliteforscher Michael Hartmann, der als Soziologieprofessor an der Technischen Hochschule Darmstadt lehrt, kommt diese Entwicklung "nicht überraschend". Gegenüber Studis Online erklärte er: "Die vertikale Differenzierung der Hochschullandschaft ist politisch gewollt. Sie war das zentrale Ziel der Exzellenzinitiative und die Antwort auf die soziale Öffnung der Hochschulen in ihrer Gesamtheit." Nach dieser Einschätzung folgen die Vorgänge einer Abschottungsstrategie der oberen Schichten nach unten. Im selben Kontext schreiben Lörz und Quast vom Bedürfnis nach »intergenerationaler Statusproduktion«, die sich im Bestreben der privilegierten sozialen Gruppen offenbaren würde, an einer hochgerankten Hochschule zu studieren. Hartmann blickt bei all dem mit einigem Missmut voraus: Wenn man von den Studiengebühren absehe, die hierzulande wieder weitgehend abgeschafft sind, "steuert das deutsche Hochschulsystem Stück für Stück in Richtung US-amerikanischer Verhältnisse".
Passend zur HIS-Veröffentlichung zeigt eine weitere aktuelle Publikation auf, wie sich die Verteilung von Studierenden unter den Hochschulen vor allem im Zuge der 2005/06 gestarteten Exzellenzinitiative verändert hat. Unter anderem wurden in deren Rahmen in bislang zwei Förderrunden neun Hochschulen für ihr "Zukunftskonzept" mit dreistelligen Millionensummen und dem Prädikat "Eliteuniversität" versehen. Es nimmt nicht Wunder, dass eben diese speziell geadelten Hochschulen auch bei den diversen Rankings ebenfalls oft ganz weit vorne mitmischen. Wie die Stiftung Neue Verantwortung (die u.a. von Evonik, IBM, PwC, Bayer und diversen anderen Firmen bzw. deren Stiftungen gefördert wird) in ihrem Policy Brief 04/11 mit dem Titel "Wege aus der Exzellenzfalle – Vorschläge für eine aktive Hochschulpolitik" schreibt, sei bei "besonders leistungsstarken Abiturienten, die gleichzeitig aus akademischem Elternhaus stammen" während der vergangenen Jahre eine "zunehmende Konzentration auf die Exzellenzuniversitäten" zu beobachten. Danach gehörten dort im Jahr 2006 – also vor ihrer Auszeichnung – 42 Prozent der Studierenden diesem Personenkreises an, mittlerweile stellten sie die Hälfte der Studierendenschaft.
Selbstselektion der Unterprivilegierten
Als sozial privilegiert gelten in der großen Mehrzahl auch die Studierenden, die von diversen Stiftungen mit einem Stipendium ausgestattet werden. Insbesondere gilt das für die Geförderten der Studienstiftung des deutschen Volkes. Hätten vor 2006 laut besagtem Policy Brief 29 Prozent aller Studienstiftler an einer der neun künftigen Exzellenzuniversitäten studiert, "so ist der Wert binnen vier Jahren auf 34 Prozent angestiegen". Die Kehrseite der Medaille: Der Anteil der Top-Abiturienten nicht akademischer Herkunft mit einem Notenschniett von 1,2 und besser an den "Elitehochschulen" sei dagegen von 33 auf 30 Prozent im Jahr 2009 gesunken. Die Forscher vermuten dahinter einen "Selbstselektionsprozess": Schulabsolventen aus bildungsfernen Schichten besäßen tendenziell ein geringeres Bewusstsein für die eigenen Fähigkeiten und schreckten deshalb vor einem Studium an einer Elitehochschule zurück.
Für die Zukunft verheißt all das nicht Gutes. "Je exklusiver der Zugang zu den Exzellenzuniversitäten gestaltet wird, desto mehr intellektuelles Potenzial bleibt unterschlossen, und die soziale Durchlässigkeit wird weiter blockiert", folgert die Stiftung Neue Verantwortung. Die Forscher ganz plakativ: "Wenn im Seminar in München oder Heidelberg nur Arztsöhne oder Professorentöchter sitzen, werden womöglich viele Sichtweisen auf gesellschaftliche Herausforderungen oder Lösungsideen ausgeblendet oder nicht erkannt." Und jemand mit sozial schwachem, Hintergrund "wird es unabhängig von seiner kognitiven Leistungsfähigkeit sehr schwer haben, die beste Ausbildung zu erhalten". Zu den treibenden Kräften dieser Entwicklung zählen auch die einschlägigen Hochschulranker. Professor Hartmann: "Das breite mediale Echo auf die Exzellenzinitiative und die vielen Rankings zeigen Wirkung."
Was getan werden könnte
Die Stiftung Neue Verantwortung ist sicher nicht als "wirtschaftsfern" zu bezeichnen, es genügt ein Blick in die Liste der Förderer. Aber auch sie scheint die aktuelle Entwicklung negativ zu sehen – und macht daher Vorschläge, was getan werden könnte, um die soziale Durchmischung der Hochschulen zu erhöhen. Man mag die Art und (Denk-)Weise (dahinter) ablehnen, Tatsache ist aber, dass die Entwicklung nicht zwangsläufig ist und beim entsprechenden Willen auch etwas gegen die aktuelle Tendenz der "horizontalen Differenzierung" getan werden könnte.
Im genannten Policy Brief wird angeführt, dass ein professionelles "Diversity Management" gerade an Exzellenzuniversitäten nötig sei. "Konkret heißt dies, dass begabte Studierende aus armen und reichen, aus akademischen und nichtakademischen, aus alteingesessenen und neu zugewanderten Familien gemeinsam im Hörsaal sitzen und gemeinsam auf die Lösung gesellschaftlicher Probleme in unserem Land und in anderen Ländern vorbereitet werden." schreiben die Autoren.
Die Hochschulen ohne Exzellenzstatus sollten "Profile jenseits der Spitzenforschung" finden. Die Autoren meinen damit: "Der zukünftige Wettbewerb um Studierende erfordert spezifische Angebote, erkennbare Alleinstellungsmerkmale und professionelle Rekrutierung. Hier bestehen Chancen: Durch den kontinuierlichen Relevanzgewinn guter Bildung steigt die Zahl der Zielgruppen."
Ein anderer Weg – alles "nur" eine Frage der politischen Mehrheiten und welche Ideen sich wie stark verbreiten – wäre natürlich auch, von der Idee der Exzellenzuniversitäten ganz wegzukommen, die Hochschulen in der Breite besser auszustatten und die Forschung geschickt zu vernetzen, ohne zwangsweise für alles "Leuchttürme" aufzustellen. Denn ob es wirklich zu besserer Forschung und Lehre kommt, wenn die Hochschulen sich immer mehr wie Produkte mit "exklusiven" Features anpreisen müssen (die – wie es bei Werbung ja gelegentlich sein kann – nicht unbedingt real sein müssen), ist ja eine offene Frage. (rw)