Was tun?Studieren in Zeiten der Überfüllung
Viele Studierende dürften sich wie diese Hühner fühlen: Ziemlich beengt.
Leidgeplagt sind die Studierenden an der Goethe-Universität Frankfurt (Main) schon seit vielen Jahren. Aber das Hier und Jetzt ist des Schlechten dann wohl doch zuviel. Also heißt es, Handlungsdruck zu erzeugen. Was ist da naheliegender, als die Presse einzuschalten und die Misere publik zu machen. In einer neueren Medienmitteilung schreibt der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) von "erschreckenden Zuständen". Geklagt wird über eine "desolate Raumsituation, überfüllte Hörsäle und überfordertes Lehrpersonal". Bei vielen Betroffenen bestehe bereits die Sorge, "ein ganzes Semester zu verlieren".
Vorausgegangen war dem Vorstoß eine Sitzung des Studierendenparlaments (Stupa), das in einer fast einstimmig verabschiedeten Resolution die Hochschulleitung und Hessens Landesregierung aufordert, "schnelle und vor allem unkomplizierte Maßnahmen" zur Verbesserung der Lage einzuleiten. Aber es bleibt nicht nur bei Ermahnungen, es werden auch konstruktive Vorschläge gemacht. Abhilfe verspreche so etwa die Entsendung zweier studentischer Vertreter in die sogenannte G8-Task-Force, die "lediglich aus leitenden Angestellten der Hochschule" bestehe. Es müsse darum gehen, in diesem Gremium gemeinsam "studentische Perspektiven" zu entwickeln. Die Presseerklärung endet schließlich mit einer Warnung: "Richtig finden wir die Einschätzung, dass die Studiereden das nicht auf sich sitzen lassen können".
Diese Einsicht sollte wegweisend sein, und würde sie überall dort beherzigt, wo es Probleme gibt, könnte sich bereits im Kleinen vieles zum Besseren verändern lassen. Die Missstände an den Hochschulen sind schließlich nicht gottgegeben, sondern menschgemacht und Ausdruck langjähriger politischer Verfehlungen. Platzmangel, fehlendes Lehrpersonal und veraltete Bibliotheksbestände – all das gibt es seit langem. Allerdings kommt aktuell ziemlich vieles zusammen, das die Situation noch einmal verschärft. Zum neuen Semester strömten nicht nur geburtenstarke Jahrgänge, sondern erstmals auch ein doppelter Abiturjahrgang aus Bayern und Niedersachsen an die Hochschulen. Dazu kommt die überstürzte Aussetzung der Wehrpflicht und zu allem Überfluss klappte es dann auch mit dem geplanten Start des zentralen Bewerbungsverfahrens nicht. Nach vorläufigen Berechungen der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) haben sich erstmals mehr als eine halbe Million Studienanfänger eingeschrieben. Das wären 15 Prozent mehr als zum Wintersemester 2010/11. Mit dem größten Ansturm wird sogar erst in den Folgejahren gerechnet – und eigentlich kann dann doch alles nur noch schlimmer werden.
Nicht jammern – handeln!
Aber Jammern hilft eben keinem weiter. Das dachte sich wohl auch ein Dozent an der Universität Dortmund, als er dieser Tage eine Lehrveranstaltung für Erstsemester in Elektro- und Informationstechnik wegen Überbelegung kurzerhand abbrach und die Betroffenen zum Gang ins Rektorat ermunterte. Vier Dutzend folgten dem Rat und beschwerten sich direkt bei der Unileitung. Auch dieser Vorgang gelangte an die Öffentlichkeit. In einer Stellungnahme äußerte sich der AStA kritisch darüber, dass die Instrumentalisierung niemals der Weg sein solle, "seinen womöglich sogar persönlichen Unmut auszudrücken". Diese Einschätzung muss man nicht teilen. Eigentlich könnte man es auch als Chance begreifen, wenn selbst Dozenten offen ihren Unwillen ob der Zustände demonstrieren. Lehrende und Lernende sind gleichermaßen Opfer der Verhältnisse. Immer mehr Nachwuchswissenschaftler werden heutzutage mit befristeten Verträgen zu miserablen Lohn- und Arbeitsbedingungen abgespeist, längst ist die Rede vom akademischen Prekariat. Das Phänomen ist genauso ein Abbild der chronisch unterfinanzierten Hochschulen wie etwa die Meldung aus Kassel, die hiesige Universität habe Kinos und Kirchen für Vorlesungen angemietet. Warum sollten Dozenten und Studierende also nicht an einem Strang ziehen, und gemeinsam auf Veränderung drängen?
Der Fall der Uni Dortmund zeigt aber noch andere Handlungsmöglichkeiten auf. Laut AStA hatten sich für das betreffende Seminar bereits im Vorfeld deutlich zu viele Teilnehmer angemeldet, weshalb man die Veranstaltung im Voraus hätte teilen oder einen zusätzlichen Termin einrichten sollen. Verwiesen wird auf frühere Fälle, bei denen durch "konstruktiven Austausch" mit der Hochschule und den Fakultäten "viele Kapazitätsprobleme schnell und unbürokratisch im Sinne der Studierenden« gelöst worden seien. Das zeigt: Manchmal genügt es schon, die Verantwortlichen an den zuständigen Stellen – die Fachschaft, Fakultät bis hin zum Rektorat – auf die Probleme zu stoßen, Korrekturen anzuregen und gegebenenfalls gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Wo das nicht hilft, kann mit ein wenig Druck nachgeholfen werden. Der AStA der Uni Dortmund ruft alle Studierenden dazu auf, sich bei überfüllten Veranstaltungen oder Seminarmangel an die Studierendenvertretung zu wenden. Je mehr das tun, je größer damit die Aufregung wird, desto eher wird sich die Hochschulleitung zu Gegenmaßnahmen veranlaßt sehen. Denn welche Hochschule sorgt schon gerne für negative Schlagzeilen.
Veränderung im Kleinen – oder auch Protest im Großen
Was aber, wenn Gegenmaßnahmen an Ort und Stelle zu nichts führen? Dann bleibt immer noch aktive Gegenwehr. Anknüpfend an die Bildungsproteste der beiden Vorjahre hat das Bündnis "Bundesweiter Bildungsstreik" für nächsten Monat eine neue Runde des Widerstands angekündigt. In den Tagen um den 17. November soll es dazu in ganz Deutschland zu "Demos, Protesten, Besetzungen und anderen Aktionen" kommen. "Wir wollen damit die Bildungspolitik verändern, Menschen politisieren und Selbstorganisation stärken", heißt es einem Aufruf, der Anfang September in Berlin beschlossen wurde. Zu den ehrgeizigen Forderungen zählen "kostenfreie Bildung für alle", "Geld für Bildung statt für Banken und Konzerne", "eine Schule für alle", "weg mit dem Turbo-Abitur G8", die "Abschaffung aller Zulassungs- und Zugangsbeschränkungen" zum Studium sowie eine umfassende Demokratisierung aller Bildungseinrichtungen.
Es gibt durchaus skeptische Stimmen auch innerhalb der Bewegung, für die das Konzept unausgereift und der Vorstoß verfrüht ist. Zu bedenken wäre tatsächlich, ob man nicht die Schar der Studienneuanfänger zunächst ein ganzes "Leidenssemester" absolvieren ließe, bevor man zum Sturm auf die Barrikaden ruft. Andererseits hätten sich die Organisatoren des ersten Bildungsstreiks auch nicht träumen lassen, dass sie damit vorübergehend die ganze Republik in Aufruhr versetzen. Im Sommer 2009 waren an einem Tag knapp 300000 junge Menschen gegen die grassierende Bildungsmisere auf die Straße gegangen. Wochelang waren die Proteste Teil der Medienberichterstattung, um am Ende sogar etwas zu bewirken. Die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern gelobten Besserung, und die Regierung erfand "Bildungsgipfel" und "Bologna-Konferenzen".
Freilich ist von den weitreichenden Versprechungen der beschworenen "Bildungsrepublik" bis heute kaum etwas eingelöst. Dies hat gerade wieder eine Expertise des renommierten Bildungsforschers Klaus Klemm offenbart, die dieser für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) erstellt hat. Darin stellt er unter anderem fest, dass angesichts des Massendrangs an Studierenden die "Ausbauplanung der Hochschulen, wie sie im Hochschulpakt vereinbart wurde, die Nachfrage nach Studienplätzen erheblich unterschätzt". Im Klartext: Die Mißstände von heute werden die von morgen sein. Wer das nicht will, kann etwas dagegen unternehmen – im Kleinen und im Großen. (rw)
Hilfe an Hochschulen bieten ...
- ... die Fachschaften (wenn es konkret um das eigene Studienfach geht – bspw. auch bei überfüllten Veranstaltungen)
- ... der Allgemeine Studierendenausschuss / StudentInnenausschuss (AStA) – je nach Bundesland auch unter anderem Namen (wenn die Zustände nicht nur einzelne Fachbereiche betreffen, auch für Pressearbeit oder Kontakt zur Politik)
- ... das Studentenwerk (bei sozialen Fragen, Wohnungsnot)