Wahlprüfsteine HochschulpolitikAntworten von Bündnis 90/Die Grünen Mecklenburg-Vorpommern
BAföG / Studienfinanzierung
Was für eine Position vertreten Sie in Bezug auf die (Weiter-)Entwicklung der finanziellen Förderung von Studierenden durch das BAföG? Könnten Sie sich auch eine grundsätzlichere Reform vorstellen – sei es in Richtung reine Kreditfinanzierung oder in Richtung einer elternunabhängiger Förderung (und entsprechendem Umbau des Unterhaltsrechts und anderer staatlicher Transferleistungen für Familien)?
Seit dem Sommersemester gibt es das "Deutschlandstipendium", das den "Leistungsstärksten" pro Monat 300 Euro – je zur Hälfte finanziert durch den Bund und private Sponsoren – einbringt. Wie ist Ihre grundsätzliche Einstellung zu leistungsabhängigen staatlichen Stipendien im Verhältnis zum BAföG?
Bevor der Staat in weitere Elitenförderung investiert, muss vorher eine solide Studienfinanzierung für alle gewährleistet werden. Wir sehen im Ausbau des BAföG zur tragenden Säule der individuellen Bildungsfinanzierung die wichtigste Aufgabe für die kommenden Jahre. Denn nur eine verlässliche, staatliche Studienförderung kann Chancengleichheit garantieren und für den Hochschulzugang aller, auch bildungsferner Schichten, Sorge tragen. Bevor nicht eine solche Grundfinanzierung sichergestellt ist, brauchen wir auch keine "Deutschlandstipendien". An der Universität Rostock soll es gerade einmal 20 dieser "Deutschlandstipendien" in den nächsten Jahren geben. Also viel zu wenige, um einen solchen Namen zu rechtfertigen.
Zwar gibt es in Mecklenburg-Vorpommern keine allgemeinen Studiengebühren, bei bestimmten Studiengängen werden jedoch von "Tochterunternehmen" staatlicher Hochschulen, wie bspw. der Wismar International Graduation Services GmbH (WINGS Wismar) "Semesterbeiträge" in Höhe von über 1000 € pro Semester verlangt – faktisch kann man also von Studiengebühren sprechen.
Inwieweit halten Sie derartige Gebühren/Beiträge an letztlich doch staatlichen Einrichtungen für legitim? Wo sehen Sie die Grenze der Auslagerung von Studiengängen in solche "Tochterunternehmen"? Wie stehen Sie allgemein zu der Überführung von Teilen staatlicher Hochschulen in eine private Rechtsform?
Eine Privatisierung staatlicher Hochschulen wollen wir nicht vorantreiben. Das klassische Präsenzstudium muss gebührenfrei bleiben. Für berufsbegleitende Studiengänge, die von Unternehmen als Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen genutzt werden, kann eine finanzielle Beteiligung gerechtfertigt sein. Die individuelle Fortbildung in Form von berufsbegleitenden Studiengängen sollte dagegen kostenfrei bleiben. Wir wollen ein kostenfreies Studium, ohne versteckte Gebühren.
Universitäts- / Hochschulentwicklung
Die Universitäts- und Hochschulentwicklung der letzten Jahre orientierte sich in starkem Maße am Leitbild der "unternehmerischen Hochschule im weltweiten Wettbewerb", wie es vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) propagiert wird. Dieses Leitbild steht jedoch derzeit in Frage. Im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen in Baden-Württemberg wird bspw. festgehalten, dass es "noch nie zu den Hochschulen gepasst" habe. An welchen Leitlinien sollte sich die Hochschulentwicklung Ihrer Meinung nach orientieren?
Wir wollen demokratische, transparente Hochschulstrukturen, die eine progressive Selbstverwaltung ermöglichen statt Resignation und Ohnmacht zu verbreiten. Wir schließen uns daher den GRÜNEN in Baden-Württemberg an: Effiziente Hochschulen, die den Anforderungen der Wirtschaft gewachsen sind, halten wir für notwendig, allerdings dürfen ökonomische Belange in Bildungsfragen nicht prioritär sein.
An immer mehr öffentlichen Universitäten und Hochschulen wird Rüstungs- oder anderweitig militärisch relevante Forschung betrieben. Gegen diese Entwicklung regt sich vielerorts Widerstand und es wird die Einrichtung von "Zivilklauseln" gefordert und betrieben, die die (Selbst-)Verpflichtung der Hochschulen, ausschließlich Forschung für "zivile Zwecke" zu betreiben, beinhalten. Wie stehen Sie dazu?
Wir unterstützen ausdrücklich solche Initiativen zur Einrichtung sogenannter "Zivilklauseln" und regen die Verabschiedung von Selbstverpflichtungserklärungen an. Darüber hinaus werden wir uns auf landespolitischer Ebene dafür einsetzen, dass keine öffentlichen Mittel (auch keine Grundfinanzierung) für militärische Forschung eingesetzt werden.
Wie bewerten Sie die derzeit bestehenden demokratischen Strukturen innerhalb der Hochschulen? Sehen Sie Entwicklungsbedarf und wenn ja, welchen? Wie stehen Sie zu der Forderung eine Viertelparität zwischen Studierenden, Mittelbau, Technischem Personal und Professoren in allen Gremien festzuschreiben?
Eine gleichberechtigte Mitbestimmung aller Hochschulangehörigen muss auch künftig durch die drittelparitätische Besetzung (Studierende, MitarbeiterInnen, ProfessorInnen) in den wichtigsten Gremien gewährleistet werden. Die Einführung einer Viertelparität ist der gleichberechtigten Partizipation abträglich, weil die abhängig beschäftigten Mitarbeiter dann 50 Prozent der Stimmen stellen würden, während die größte Statusgruppe (die Studierenden) nur noch einen Stimmanteil von 25 Prozent besäßen. Wir wollen stattdessen die studentische Selbst- und Mitverwaltung stärken. Ohne eine starke Einbindung der Studierenden kann die Qualität der Lehre nicht gesichert werden. Vollversammlungen haben bisher zu hohe Quoren und zu wenige Entscheidungskompetenzen.
Hochschulfinanzierung
Der Anteil der staatlichen Grundmittel für die Finanzierung der Hochschulen ist von 1980 bis 2007 von 72,3 auf 50,1 Prozent gesunken, während im gleichen Zeitraum die Finanzierung über Drittmittel- und Verwaltungseinnahmen deutlich zugenommen haben.
Wie stehen Sie dazu, dass die öffentliche Finanzierung der Hochschulen in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zurückgefahren wurde und wie gedenken Sie die Haushaltspolitik im Bereich der Hochschulen zu gestalten?
Die Hochschulen in Mecklenburg-Vorpommern sind unterfinanziert. SPD, LINKE und CDU halten gemeinsam am Rückbau des Personals bis 2017 fest. Bis dahin wird 20 Prozent des gesamten Personals abgebaut werden. Wir wollen diese Entwicklung umkehren. Die finanzielle Autonomie der Hochschulen ist durch die Einführung von Globalhaushalten zu stärken. Wir wollen dabei gleichzeitig sicherstellen, dass diese von der Politik nicht als reines Sparinstrument missbraucht werden können. Zur Sicherung der Hochschulautonomie ist eine auskömmliche Grundfinanzierung nötig, weil die fortschreitende Projektsonderfinanzierung per Zielvereinbarungen zur fortschreitenden Reduzierung der Grundfinanzierung und der selbstbestimmten Handlungsfähigkeit führt.?
Der fehlende Ausbau der Ressourcen für den Bildungsbereich wird politisch in der Regel mit fehlenden Ressourcen begründet. Sehen Sie Alternativen zu der aktuellen Spar- und Kürzungs-Haushaltspolitik (Austeritätspolitik), die in Form der "Schuldenbremse" mittlerweile ins Grundgesetz aufgenommen wurde und wenn ja, welche?
Wir sehen auf Bundes- und Landesebene noch genügend Spielräume für Einsparungen in den öffentlichen Haushalten. Es kommt vor allem auf die Prioritätensetzung an. Wir brauchen keine Förderung von fünf Regionalflughäfen, keine Förderung von Ski-Hallen und keine Förderung von Hotel-Neubauten. Personalstellen für Hochschulen können durch Umschichtungen in der Landesverwaltung generiert werden, im Gegenzug müssen Verwaltungsprozesse effektiviert und Bürokratie reduziert werden. Das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern muss schnellstmöglich abgeschafft werden, um auch Bundesmittel für die Bildung im großen Umfang zur Verfügung zu stellen. Die Milliarden, die man allein im Fuhrparkmanagement der Bundeswehr heben kann, sind in der Bildung allemal besser aufgehoben.
Studienorganisation
Der Bachelor-Abschluss wird aktuell für viele Studierende zur Sackgasse, da es vielfach nicht genügend Master-Studienplätze gibt, um die Nachfrage zu decken. Wie stehen Sie zu der Forderung, den Anspruch auf einen Master-Studienplatz im eigenen oder einem verwandten Fach gesetzlich zu verankern?
Die Hochschulen in Mecklenburg-Vorpommern haben sich zu sehr darauf konzentriert, ihre Ressourcen in den Bachelorstudiengängen einzusetzen. Der Hochschulpakt, in welchem sich die ostdeutschen Hochschulen dazu verpflichtet haben, trotz Geburtenrückgang eine gleichhohe Studienanfängerzahl zu halten, befördert die Konzentration der Ressourcen im Bachelorbereich. Es müssen von staatlicher Seite die richtigen Rahmenbedingungen für den Ausbau von attraktiven Masterangeboten geschaffen werden. Hierzu muss ein Paradigmenwechsel mit dem Ziel eingeleitet werden, nicht nur möglichst viele Studierende zu einem Bachelorabschluss zu führen, sondern auch zu einem Masterabschluss.
Die Reformierung der Studienstruktur im Zuge des Bologna-Prozesses ist weiterhin umstritten. So wird u.a. von Seiten der TU 9 (Zusammenschluss der neun größten Technischen Universitäten Deutschlands) eine Rückkehr zum Diplom gefordert und Studiengänge wie Medizin oder Jura immer noch mit den alten Abschlüssen angeboten. Sollte es den Hochschulen ermöglicht werden, souverän über die Struktur und die Abschlüsse ihrer Studiengänge zu entscheiden?
Im Sinne der Mobilität und der internationalen Vergleichbarkeit/Anerkennung deutscher Hochschulabschlüsse sollte am Bachelor- und Mastersystem festgehalten werden. Dagegen halten wir es für einen gefährlichen Etikettenschwindel, für Masterstudiengänge auch optional Diplomtitel zu vergeben, wie es jetzt die rot-schwarze Landesregierung beabsichtigt. Dadurch wird weder die Qualität der alten Diplomstudiengänge erreicht, noch hilft es den AbsolventInnen auf dem Arbeitsmarkt. Stattdessen droht der Verlust der Akkreditierung, weil Masterstudiengänge mit Diplomtiteln ganz klar gegen die ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung verstoßen. Mit dem Verlust der Akkreditierung werden erbrachte Studienleistungen nicht mehr an anderen Hochschulen anerkannt, ein Hochschulwechsel während des Studiums wäre folglich mit dem Verlust der erbrachten Leistungen verbunden. Zudem ist ein akkreditierter Master Voraussetzung für den Zugang zum höheren Dienst sowie in vielen Fällen zur Promotion.
Wie wollen Sie die Hochschulen für Menschen ohne Abitur öffnen?
Wir wollen die Durchlässigkeit im Bildungssystem weiter erhöhen. Dabei kommt es in Zukunft insbesondere darauf an, die beruflich qualifizierten Studienanfänger (ohne Abitur) besser auf ein Studium vorzubereiten. Hierzu müssen wir bessere und umfangreichere propädeutische Kurse anbieten. Diese Vorbereitungskurse können die Erfolgsquote unter den Studienanfängern enorm verbessern – ob mit oder ohne Abitur.