Sechs Jahre StudiengebührenurteilImmer weniger allgemeine Studiengebühren
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind sie oft richtungsweisend ... Am Ende ist es aber Sache der Politik, was daraus gemacht wird.
Nach dem Studiengebührenurteil am 26. Januar 2005 knallten die Korken bei allen Studiengebührenbefürwortern, also vor allem Lobbyisten wie dem CHE, manchen HochschulrektorInnen und diversen PolitikerInnen (vor allem aus CDU, CSU und FDP, vereinzelt auch bei SPD oder Grünen). "Endlich" konnten Sie ihre Pläne verwirklichen und die Studierenden an den Kosten des Studiums beteiligen. Damit würde eine Zeit der Verbesserungen an Hochschulen anbrechen und die Studierenden endlich als "Kunden" behandelt.
Alle Versprechungen werden zwar weiter wiederholt, die Realität sieht jedoch deutlich trister aus. Wie auch Firmen ihre KundInnen nicht zwangsläufig besser behandeln als Behörden ihre AntragstellerInnen, so änderte sich auch an den Hochschulen nicht wirklich viel. Zwar kleben nun an einigen Hochschulen Aufkleber an Dingen, die durch die Studiengebühren angeschafft wurden. Aber auf der anderen Seite haben die Länder ihre Ausgaben für die Hochschulen weiter gekürzt, jedenfalls in Bezug auf die Zahl der Studierenden (die gerade aktuell wegen doppelter Abitur-Jahrgänge, allgemein steigender Schülerzahlen und dieses Jahr noch wegen der Aussetzung der Wehrpflicht) weiter steigt. Aus dem "besserem Studium dank Studiengebühren" ist höchstens ein "nicht schlechteres Studium trotz Studiengebühren" geworden.
Gebühren schrecken höchstens ab, bringen aber wenig
Den BefürworterInnen von Studiengebühren ist es nicht gelungen, die Studierenden davon zu überzeugen, dass die Gebühren wirklich entscheidende Vorteile haben (und die Nachteile demgegenüber zu vernachlässigen wären). Alle möglichen Befragungen zeigen, dass die Ablehnung von Studiengebühren eher noch gestiegen ist. Merkwürdigkeiten bei der Verwendung der erzielten Einnahmen (angeblich wurden an manchen Hochschulen auch Heizkosten damit finanziert), die Querfinanzierung der Studienbeitragsdarlehen durch die Gebühren selbst trugen dazu sicher zusätzlich bei.
Und auch das Hauptargument gegen Studiengebühren lässt sich nicht entscheidend entkräften: Bildung ist keine Ware und soll unabhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit jedem offen stehen. Gebühren aber können abschrecken, wie selbst eine Studie des Institut für Demoskopie Allensbach (und dieses Institut gilt allgemein eher als konservativ) zeigte.
So ist es also kein Wunder, dass sich (auch wieder) SPD und Grüne (Linke sowieso) bei Wahlen in Bundesländern, die zwischenzeitlich Studiengebühren eingeführt hatten, für die Abschaffung aussprachen. In Hessen setzten SPD, Grüne und Linke das gemeinsam um, selbst die danach wieder an die Macht gelangte Koalition aus CDU und FDP rüttelte daran bisher nicht. Und im Saarland konnten die Grünen als kleinster Koalitionspartner der bisher einzigen "Jamaika-Koalition" aus CDU, FDP und eben Grünen die Abschaffung der allgemeinen Studiengebühren durchsetzen.
Auch dieses Jahr wieder Demonstrationen am 26.01.
Es ist schon eine Art Tradition geworden: Am 26. Januar wird im Gedenken an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen Studiengebühren demonstriert. Wo wäre das passender als in Karlsruhe, dem Sitz des Gerichtes und in dem Bundesland gelegen, dass sich gern als Vorreiter bei Studiengebühren gab (so wurden Langzeitstudiengebühren zuerst in Baden-Württemberg eingeführt)? In diesem Jahr passt das auch deswegen, weil in Baden-Württemberg Landtagswahlen anstehen. Bei einem Regierungswechsel wäre die Abschaffung der Gebühren denkbar.
Nicht anders steht es in Hamburg: Auch dort gibt es aktuell noch allgemeine Studiengebühren und in Kürze Wahlen, die je nach Ergebnis auch zur Abschaffung der Gebühren führen könnten. Daher ein guter Standort für die "Nord-Demo" für alle im Norden Deutschlands, denen der Weg bis nach Karlsruhe zu weit ist.
2011 das Jahr der Studiengebühren-Abschaffungen?
In diesem Jahr will die rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen ebenfalls die Abschaffung der bestehenden Studiengebühren beschließen. Die Linke (auf deren Enthaltung oder Zustimmung die Minderheitsregierung angewiesen ist) hätte die Abschaffung am liebsten noch schneller gehabt. Es bleibt aber noch ein gewisser Unsicherheitsfaktor, da es möglicherweise zu Neuwahlen kommen könnte, wenn rot-grün einen neuen Haushalt einbringen muss, dem die Linke nicht zustimmen will. Solange aber auch nach den Neuwahlen eine ähnliche Mehrheit besteht, sollte die Abschaffung dann trotzdem kommen, wenn vielleicht auch erst später.
2011 könnte sogar in zwei weiteren Ländern das Ende der allgemeinen Studiengebühren bringen: In den bisherigen Gebührenländern Hamburg und Baden-Württemberg stehen Wahlen an und die bisherigen Umfragen lassen es nicht unmöglich erscheinen, dass es zu einem Regierungswechsel hin zu den Parteien kommt, die die allgemeinen Studiengebühren abschaffen wollen.
Sollte das so eintreten und auch in NRW die aktuellen Pläne realisiert werden, könnten vielleicht schon 2012 nur noch zwei Länder Studiengebühren erheben. Bayern und Niedersachsen wären dann die letzten Bastionen der Gebührenbefürworter ...
Nicht vergessen: Auch über die Verfasste Studierendenschaft urteilte das Bundesverfassungsgericht
Es ging seinerzeit nicht nur um die Frage, ob der Bund den Länder vorschreiben kann, keine allgemeinen Studiengebühren zu erheben. Auch die Verfasste Studierendenschaft (VS) wurde damals im Hochschulrahmengesetz vorgeschrieben. Und auch da entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Bund den Länder dies nicht vorschreiben dürfe, weil auch das zu sehr in die Kompetenzen der Länder eingreifen würde.
So konnten also Bayern und Baden-Württemberg weiterhin den Studierende eine VS vorenthalten. Beide Länder hatten in den 1970ern die vorher bestehende VS abgeschafft, angeblich um den »terroristischen Sumpf an den Hochschulen auszutrocknen«.
Vielleicht ändert sich in diesem Punkt dieses Jahr vielleicht auch etwas: Sollte es zu einem Regierungswechsel in Baden-Württemberg hier zu Grünen und SPD kommen, so ist mit einer Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft zu rechnen.
- Rückblick und Ausblick: Fünf Jahre Studiengebührenurteil (22.01.2010; vor allem mit einem ausführlichen Rückblick auf die Zeit seit 1970, als Studiengebühren - damals noch "Hörergeld" genannt - flächendeckend abgeschafft wurden)
- Übersicht über den Stand und die Geschichte in Sachen Studiengebühren in den einzelnen Bundesländern, über die einzelnen Landesseiten auch Zugriff auf die Befreiungsregelungen
- Was StudiengebührenbefürworterInnen behaupten und was man dem entgegen setzen kann
- Lobbyismus rund um Studiengebühren
- Think Tank für Studiengebühren: Wie das Centrum für Hochschulentwicklung Politik an Hochschulen macht
- Studiengebühren und soziale Gerechtigkeit