Ein Lehrbeauftragter resümiert Erfahrungen„Streik“
Ohne Lehraufträge und Lehrbeauftragte – ebenso wie ohne PrivatdozentInnen – wäre der Lehrbetrieb an Hochschulen nicht aufrecht zu erhalten, verbales „Exzellenz“-Getöse hin oder her. Die einen wie die anderen machen ihre Arbeit unter Bedingungen, die der Beschreibung spotten – zumal der Hoffnung, sie sei eine sichere Leiterstufe zu einer „Karriere“. Magnus Treiber ist einer der Lehrbeauftragten, die engagierten Protest an der Münchner Universität mit-organisierten und auf ihn zurückblicken.1
Dieser Artikel erschien zuerst in Forum Wissenschaft (Heft 2/2008), herausgegeben vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi). Wir danken dem BdWi und den Autorinnen für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen.
Im Sommersemester 2006 traten die Lehrbeauftragten am Institut für Ethnologie und Afrikanistik nach einer Urabstimmung geschlossen in „Streik“ – genau genommen, war es so: Wir nahmen unsere Lehraufträge nicht an. Denn Lehrbeauftragte unterliegen ja keinem Tarifrecht. Immerhin 16 Proseminare und zwei Sprachkurse fielen daraufhin aus. Unser Institut ist im Vergleich zu den großen Sozialwissenschaften zwar überschaubar, doch mit Abstand das personenstärkste in der kulturwissenschaftlichen Fakultät mit einer Größe von etwa tausend Studierenden. Dabei besitzt die Ethnologie dank Stellenstreichungen und langer Wiederbesetzungsphase nur wenig festes Personal. Derzeit sind es drei Professuren, eine Assistenz und seit Einführung der Studiengebühren nun eineinhalb Lektorenstellen. Ein Pool von 20 bis 30 Lehrbeauftragten sorgt beständig für ein breites Lehr- und Betreuungsangebot im Grundstudium. Diese Lehrbeauftragten bekamen im Wintersemester 2004/05 255,- Euro für einen doppelstündigen Lehrauftrag – pro Semester wohlgemerkt. Nach einer Umfrage an unserem Institut ergaben sich zusätzlich zu 30 Lehrstunden im Durchschnitt 60 volle Arbeitszeitstunden für Vorbereitung, Betreuung und Korrekturen, was bei gleichzeitig wesentlicher Entlastung der überladenen fest angestellten Lehrkräfte am Institut rechnerisch zu einer Vergütung von zwei bis drei Euro pro Arbeitsstunde führte.
Auslöser für den massiveren Schritt eines Streiks war der allgemein geäußerte Unmut im Anschluss an eine gewöhnliche Institutssitzung im Mai 2005. Hier war die magere Vergütung der Lehraufträge wieder einmal zum Thema geworden, ohne dass die Institutsleitung den versammelten Lehrbeauftragten Hoffnung auf Abhilfe machen konnte. In einem Jahr Vorarbeit versuchten wir unser Anliegen nach außen zu tragen, uns aber auch selbst über die Lage an anderen Instituten und Hochschulen, über rechtliche und politische Möglichkeiten sowie Ansprechpartner und potenzielle Allianzen zu informieren. In einem gemeinsamen Brief an unser Dekanat, den 19 Promovierende, Promovierte und Habilitierte unterzeichneten, forderten wir im Juni 2005 eine Vergütung gemäß der entsprechenden Lehrauftrags- und Lehrvergütungsvorschrift des Bayerischen Wissenschaftsministeriums vom 8. Juni 2001.2 Genannt sind dort – selbstverständlich mit Verweis auf eine entsprechend potente Haushaltslage der Universität – Sätze von 21,- Euro Einzelstundenvergütung, 50,50 Euro Vergütung bei besonderer Belastung sowie 336,- bzw. 673,- Euro für Privatdozentinnen und -dozenten. Wir nahmen Kontakt zum örtlichen Personalrat auf (der eigentlich nur für das fest angestellte Personal zuständig ist), bekamen rechtlichen Rat von einem ehemals leitenden, nun pensionierten Verwaltungsbeamten der Universität, suchten das Gespräch mit Lehrbeauftragten anderer Institute und Hochschulen und diskutierten mit den Mitgliedern des Institutslehrkörpers. Lag das regelmäßige Engagement bei einer Handvoll Aktiver, übernahmen nach zähem Anfang dann eine ganze Reihe Interessierter organisatorische Patenschaften für verschiedene Folgeaktionen. Da wir unser Anliegen weder einklagen noch erzwingen konnten und deshalb abwarten wollten, was mit den damals neu angekündigten Studiengebühren passieren sollte, schloss der Streik unseren Protest als Höhepunkt ab. Nach schrittweiser Anhebung bezahlt das Dekanat heute für etwa 10 Lehraufträge 10 Euro pro Lehrstunde. Diese zehn Euro werden aus den inzwischen eingeführten Studiengebühren auf 20 verdoppelt, der Rest der vom Institut bewilligten Lehraufträge wird mit 20 Euro vollständig aus Studiengebühren finanziert. So erhält ein/e Lehrbeauftragte/r für das Semester inzwischen 600 Euro.
Sympathien und Allianzen
Die kämpferische Thematisierung von Lehraufträgen, obwohl auch früher schon aufgegriffen, schien unerwartet – funktionierte die Handhabung doch weitgehend reibungslos. Bald zeigte sich, dass wir ausschließlich auf erstaunte Sympathisant/innen stießen. Das Institut für Ethnologie und Afrikanistik sagte zu, uns in Gremien und Öffentlichkeit zu unterstützen und uns während des Streiks nicht zu ersetzen, was wesentlich zu einer angstfreien Mobilisierung beitrug. Der Dekan äußerte Verständnis, verwies aber auf den Sachzwang einer allgemeinen Reduktion bezahlter Lehraufträge bei höherer Einzelvergütung. Der Rektor (und heutige Präsident) schließlich sah die Entscheidungskompetenz bei den Dekanen, beschrieb sich als machtloses Zwischenglied zwischen ihnen und dem Kultusministerium und prophezeite uns, wir würden es schwer haben, jemanden zu finden, der nicht mit uns sympathisiere. Kurz darauf verlautbarte das Kultusministerium, Lehrbeauftragte leisteten 'gute Arbeit'.
Der Personalrat immerhin ermöglichte uns einen Redebeitrag auf der Personalvollversammlung, der Arbeitskreis Gewerkschaften – eine überwiegend aus Studierenden bestehende Initiative – bot kleinere Publikationsmöglichkeiten und auf Veranstaltungen Ko-Referate und Organisationshilfe an. Eine Plattform für Veröffentlichung und Organisation fand sich auch in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bayern, in der die Fachgruppe Hochschule und Forschung neuen Aufwind erfuhr. Die AG Lehrbeauftragte der GEW Berlin schickte einen Referenten und bot umfassende Recherchen. An den Instituten der Politologie, Soziologie und Philosophie gründeten sich eigene Lehrbeauftragten-Initiativen, die in der dezentralen Universitätsstruktur über recht unterschiedliche Problemlagen klagten. Das veranlasste auch uns selbst zu einem hausinternen Schwerpunkt, ohne den Kontakt nach außen zu verlieren – wie etwa zu einer Gruppe prekär beschäftigter SprachlehrerInnen, die durch das rege Medieninteresse auf unser Engagement aufmerksam geworden war.
Interviews, Artikel und Kommentare erschienen in Abendzeitung, Süddeutscher Zeitung und im Münchner Merkur unter Titeln wie „Hungerlöhne an Münchner Uni“, „Fast zum Nulltarif“ oder „Drei-Euro-Lohn: Lehrbeauftragte im Streik“.3 Öffentlichkeitswirksam zeigte sich auch der dokumentarische Fernsehbeitrag „Forscher in Not“ des Lehrbeauftragten Arno Trümper, den das 3SAT-Wissenschaftsmagazin 'Nano' der Vorsitzenden der Hochschulrektorenkonferenz Margret Wintermantel vorführte.4 Die akademische Exzellenzinitiative bot interessierten Medien den idealen (und unverhofften) Anlass, die Diskrepanz zwischen Elite-Getöse und akademischer Billigarbeit auszuleuchten. In einem Hintergrundgespräch stellte sich allerdings schnell heraus, dass berufliche Prekarität auch innerhalb der Redaktionen Kreise zog und junge JournalistInnen über den aktuellen Umweg Universität auch politisches Bewusstsein für die eigene Situation zu wecken suchten. Sicherlich kam uns Lehrbeauftragten in der erfolgreichen Medienberichterstattung – ganz im Sinne Pierre Bourdieus – das Privileg der kompetenten Äußerung wie der richtigen sozialen Kontakte zugute. Vor allem das Medieninteresse verschaffte unserem kleinen Aufstand auch über den lokalen Kontext hinaus Aufmerksamkeit und Nachlese. Nicht zuletzt seien die Studierenden unseres Faches erwähnt, die weitgehend Verständnis für die ausgefallenen Seminare äußerten und uns Fachschaftszeitung und Weblog5 zur Verfügung stellten. Sie luden uns auf eigene Protestveranstaltungen ein, betteten unser Anliegen in eine studentische Petition beim Bayerischen Landtag ein, mit der sie sich um Stellenerhalt am Institut bemühten, und leisteten hier und da nötige Organisationshilfe. Veranstaltungen wie die Podiumsdiskussion „Beruf Wissenschaft – Prekäre Karriere für die Elite-Universität“ im Februar oder die öffentliche Ringvorlesung auf dem Münchner Odeonsplatz im Juli 2006 wären ohne Unterstützung all dieser AkteurInnen kaum erfolgreich zustande gekommen.
Spannungsfelder
Nicht unbedingt überraschend, aber ab und zu in unerwarteten Momenten, blieben Spannungen nicht aus: sowohl im Vorbereitungsjahr wie im Streiksemester. In der schönen Tradition studentischer Generationenkonflikte erwarteten VertreterInnen der Studierenden ein ereignisreiches sommerliches Happening und forderten etwa Vorlesungen in der Trambahn ein. Bei uns Lehrbeauftragten aber ging das übliche zeitaufwendige Leben weiter: unverzichtbare Erwerbstätigkeit, das Verfassen von Anträgen, Artikeln und Bewerbungen sowie ein Rest Privatleben, denn viele Lehrbeauftragte haben mit 30 bis 45 Jahren eine eigene Familie. Nach Einführung der Studiengebühren – die Studierenden hatten bei allgemein schwachen Protesten und recht hohem Verständnis für die Gebühren immerhin die Mitbestimmung über die Verwendung in den Fachbereichen durchgesetzt – irritierte zudem das Argument, mit einer Verdoppelung der Lehrauftragsvergütung von 10 auf 20 Euro müsse nun auch entsprechende Leistungsbereitschaft sichtbar werden. Für die Lebensrealität ohnehin in stetiger Selbstausbeutung existierender Lehrbeauftragter allerdings bleiben unter den gegebenen Umständen auch 100% mehr eher symbolisch.
Als wenig durchschaubar und unvorteilhaft bei der Suche nach entscheidungskompetenten GesprächspartnerInnen erwiesen sich langjährige Querelen in der universitätsinternen Hierarchie und Organisationsstruktur. Verantwortlich gemacht für die historische Genese unserer Misere wurde denn auch die jeweils andere Verwaltungsebene. Immer wieder kam dabei die Ambiguität der Institution Lehrauftrag zur Sprache, die heute sowohl das ursprüngliche freundliche Zusatzangebot durch beruflich etablierte Praxis-ExpertInnen umfasst wie die schleichende Verdrängung der klassischen Assistenzstelle. Der Dekan bekräftigt in seinem Antwortschreiben an uns im Juni 2005, „[...] dass Lehraufträge im Regelfall der Weiterqualifizierung von Nachwuchswissenschaftlern dienen und eine Ergänzung des Lehrangebotes darstellen, nicht aber zum Erbhof [sic!] werden sollen.“ Im persönlichen Gespräch ergänzt der Nachfolger im Amt, die Universität sei nun einmal „kein Sozialamt“.
Schließlich ergab sich ein wesentliches Spannungsfeld aus der politischen Heterogenität der Lehrbeauftragten selbst. Ein selbstkritischer Hinweis auf das schwierige Diskussionsverhalten Intellektueller soll an dieser Stelle nicht fehlen. Bei unseren regelmäßigen Treffen waren immer wieder aufgerollte Grundsatzdebatten die unvermeidliche Folge stets wechselnd zusammengesetzter TeilnehmerInnen. Ohne praktisches Handeln aber ist Öffentlichkeit für politische Anliegen kaum zu realisieren. Unter den intern vertretenen Positionen fand sich die Forderung, den Bildungsbegriff als solchen in Frage zu stellen und grundsätzlich zu diskutieren, welche (Fach-)Wissenschaft wünschenswert sei. Nur ließ sich mit Blick auf die Situation der Lehrbeauftragten aus dieser Diskussion kein konkretes Handeln ableiten. Eine Stimme rief dazu auf, den B.A.-/M.A.-Umbau des Studiums zu nutzen, um Themengebiete der Lehrbeauftragten unverzichtbar zu machen. Doch wollten wir etwa langfristig etablierte Lehraufträge statt angemessen entlohnter Stellen mit Sozialversicherung? Sorge um soziale Deklassierung zeigte sich wohl in der Stellungnahme, man sei prinzipiell Elite, verfüge über die „nationale Ressource“ Bildung und lebe unterhalb angemessener Ansprüche. Dennoch bot sich die Möglichkeit zum Konsens mit der gewerkschaftlichen Forderung, gute Arbeit auch gut zu entlohnen. Der Minimalkonsens, die urgewerkschaftliche Forderung nach besserer Bezahlung, fand denn auch die größte Unterstützung Trotzdem konnten sich selbst dieser schlichten Forderung nicht alle anschließen – manche zogen sich aus inhaltlichen Gründen zurück, anderen fehlte die Zeit für ein umfassenderes Engagement. Die praktischen Erfahrungen unseres Lehrbeauftragten-„Streiks“, über dessen Erfolg sich sicherlich streiten lässt, verweisen in vielfacher Hinsicht auf die größere Debatte um Prekarisierung von Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnissen. Mit Blick auf die politische Mobilisierbarkeit atomisierter IndividualistInnen und SpezialistInnen in der Wissenschaft, die bei geringem gewerkschaftlichem Organisationsgrad die unerschöpfliche Hoffnung auf soziale Aufwärtsmobilität verkörpern, scheint mir beachtenswert, dass dieses biographische Projekt und dieser Lebensstil nicht ausschließlich aufgezwängt wurden, sondern auch gewählt und mitgeprägt werden. Vor allem die Jüngeren hätten die Zeichen der Zeit erkennen und es vermutlich besser wissen können. Wir alle aber halten unsere wissenschaftliche Arbeit für sinnvoll und tun sie gerne. In einem Miteinander aus kühler Analyse und Bereitschaft zu pragmatischem Minimalkonsens sollten wir genau mit diesem Argument für das Engagement zu Gunsten besserer Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft werben.
Anmerkungen
1 Der Autor trug die erste Fassung dieser Auswertung auf der Leipziger BdWi-Arbeitstagung „Prekarisierung von Wissenschaft und wissenschaftlichen Arbeitsverhältnissen“ im Januar 2008 vor.
2 Nr. X/2-23/56-10a/19 239, dokumentiert im KWMBl I Nr. 12/2001, s. auch BayHSchPG Art. 31-32
3 Abendzeitung 04./05.02.06, SZ 08.02.06, MM 09.05.06
4 06.06.06
5 http://protest.twoday.net
Der Autor
Dr. Magnus Treiber arbeitet derzeit als studiengebühren-finanzierte „Lehrkraft für besondere Aufgaben“ am Institut für Ethnologie und Afrikanistik der Universität München.