HintergrundFamilienfreundlichkeit an Hochschulen
Überblick
1. Familie als Zusatzbelastung
Etwa fünf Prozent der deutschen Studis hat laut dem Deutschen Studentenwerk ein oder mehrere Kinder. Weil sie neben dem Studium familiäre Aufgaben wahrnehmen und zur Finanzierung des Familienlebens zum Teil auch arbeiten müssen, unterbrechen Campus-Eltern ihr Studium häufiger als Studierende ohne Kind. Insgesamt gibt es etwas mehr studierende Mütter als Väter, und bei den studierenden Frauen mit Kind sind die Studienabbrüche auch häufiger. Auch einige Studis, die nebenbei Angehörige pflegen, nennen die Zusatzbelastung als einen Grund für Studienunterbrechungen. Schließlich kann es passieren, dass Studierende aufgrund ihrer familiären Aufgaben die Regelstudienzeit überschreiten, so dass sie kein BAföG mehr bekommen (wobei es Verlängerungsmöglichkeiten gibt – siehe hier) oder sogar Langzeitstudiengebühren zahlen müssen. Das kann nicht nur für die einzelnen Studierenden ein Problem sein, sondern wirft auch gesellschaftlich relevante Fragen auf.
Die Probleme stehen im Widerspruch zu häufig geäußerten politischen Zielen wie der Möglichkeit des Lebenslangen Lernen und dem Schaffen von gleichen Karrierechancen für Frauen und Männer. Politiker diskutieren deshalb seit einigen Jahren verstärkt darüber, wie man die Familienfreundlichkeit von Hochschulen durch Strukturen und Angebote verbessern kann. In diese Überlegungen werden neben Studierenden auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit familiären Aufgaben einbezogen. Auch Hochschulen diskutieren über Familienfreundlichkeit und setzen vielversprechende Ideen um. Eine Studie zeigt, dass sie dadurch attraktiver (für Studierende und vor allem auch für hochqualifizierte Mitarbeiter) werden und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden möchten.
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2. Gute Ideen, gute Umsetzung?
Das Bewusstsein für das Thema Familienfreundlichkeit ist an Hochschulen insgesamt verbreitet. Dr. Susann Kunadt vom CEWS bei GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften sagt: „An vielen Hochschulen gibt es offizielle Ansprechpersonen für das Thema, die sich in ihren Hochschulen sehr gut auskennen.“ Und Prof. Dr. Frank Ziegele von Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh meint: „Die Sensibilisierung hat zugenommen und viele Mitarbeiter von Hochschulen sind bereit, individuelle Lösungen für Studierende mit Familienaufgaben zu finden“. Eine ganze Reihe an Hochschulen hat bereits die Charta Familie in der Hochschule unterzeichnet. Studierende dieser Hochschulen können sich im Zweifelsfall auf die Zusicherungen in der Charta berufen.
Vom Wickeltisch im Uni-Klo bis zur Campus-Kita gibt es heute auch zahlreiche Strukturen und Angebote, die das Studieren mit Kind erleichtern sollen. Und von Möglichkeiten wie dem erleichterten Zugang zu Seminaren, der Teilnahme an einem Teilzeitstudium oder der Nutzung spezieller Beratungen können auch Studierende profitieren, die sich um andere Familienmitglieder kümmern. Doch die Anzahl und Qualität solcher Maßnahmen unterscheidet sich von Hochschule zu Hochschule und von Studiengang zu Studiengang.
3. Welche Angebote sind an den Hochschulen besonders wichtig und verbreitet?
Dr. Elisabeth Mantl, Auditorin der berufundfamilie Service GmbH, hält folgende Angebote zur Förderung der Familienfreundlichkeit für besonders wichtig: Die zeitliche Flexibilität, die Entlastung bei Prüfungen und die flexiblen Kinderbetreuungsmöglichkeiten. „Viele Hochschulen bieten den Studierenden die Möglichkeit, in der Studienberatung individuelle Sonderstudienpläne zu entwickeln, so dass der Workload beispielsweise in sechs statt vier Semestern geleistet werden kann“, sagt Mantl. Wichtig sei es, sich frühzeitig über solche Fragen der Studienplanung zu informieren: „Viele Studierende mit Kind überschätzen sich: Sie wollen das Studium wie alle anderen in Regelstudienzeit durchziehen und besuchen die Studienberatung überhaupt nicht. Dabei würde es vielen sicherlich helfen, wenn sie die Angebote in Anspruch nehmen.“
Zeitliche Flexibilität, Entlastung bei Prüfungen und flexible Kinderbetreuungsmöglichkeiten werden für Studierende mit Kind als wichtig betrachtet
Viele Hochschulen bieten ihren Studierenden mit Familienaufgaben alternative Regelungen für Studien- und Prüfungsleistungen: „Eine Möglichkeit ist es, den Nachteilsausgleich, den es bereits für Studierende mit Behinderungen gibt, auf Studierende mit Kind auszuweiten. Eine andere Möglichkeit ist es, spezielle Regelungen für Studierenden mit Kind in die Studien- und Prüfungsordnungen zu integrieren“, meint Mantl. Dann gelten zum Beispiel andere Fristen für die Prüfungsanmeldung, ggf. können auch schriftliche Prüfungen durch mündliche ersetzt werden. An den auditierten Hochschulen, die etwa ein Drittel aller deutschen Hochschulen ausmachen, sind solche Maßnahmen laut Mantl bereits „Standard“ und durch die Austauschmöglichkeiten unter den Hochschulen verbreite sich die Umsetzung weiter. Teilzeitstudiengänge dagegen sieht Mantl kritisch: „Viele studierende Eltern wollen ihr Studium möglichst schnell durchziehen und setzen lieber auf individuelle Studienpläne. Und auch viele – gerade kleinere – Studiengänge halten die Umsetzung von Teilzeitstudiengängen nicht für machbar, weil sie zum Beispiel bestimmte Veranstaltungen nicht in jedem Semester anbieten können.“
Anteil familienfreundlich auditierter Hochschulen | Gesamt | davon auditiert | in % |
Hochschulen mit über 10.000 Studierenden | 77 | 63 | 82% |
Hochschulen gesamt mit Verwaltungsfachhochschulen | 418 | 127 | 30% |
Hochschulen gesamt ohne Verwaltungsfachhochschulen | 389 | 125 | 32% |
Quelle: berufundfamilie Service GmbH
4. Eine familienfreundliche Hochschule finden
Wer zu Studienbeginn schon ein Kind hat oder plant bzw. andere familiäre Aufgaben wahrnimmt, kann das Thema Familienfreundlichkeit zu einem Kriterium bei der Wahl der Hochschule oder des Studiengangs machen. Hochschulen, die sich besonders für Familienfreundlichkeit engagieren, und Best-Practice-Beispiele findet man zum Beispiel auf den Internetseiten www.beruf-und-familie.de, www.familie-in-der-hochschule.de und www.familienfreundliche-hochschule.org. Außerdem könnt Ihr Euch bei den einzelnen Hochschulen darüber informieren, ob es eine Anlaufstelle zu dem Thema gibt, etwa ein „Familienbüro“, eine „Familien-Servicestelle“ oder ein „Family Welcome Center“. Schon das Vorhandensein einer solchen Anlaufstelle kann ein Zeichen dafür sein, dass eine Hochschule dem Thema Familienfreundlichkeit Bedeutung beimisst. Und in der Regel informierten diese Stellen dann auch über weitere Unterstützungsmöglichkeiten. Auch die Studierendenvertretungen (AStA, StuRa etc.) und die Studentenwerke haben häufig Beratungsangebote für Studierende mit Kind. Und schließlich sind auch die von den Studiendekanen durchgeführten Studienberatungen eine wichtige Anlaufstelle, gerade wenn es um die Studienorganisation geht.
„Es ist für Studierende manchmal schwer auszuhalten, dass es an den Hochschulen für die verschiedenen Fragen verschiedene Ansprechpartner gibt. Aber das lässt sich leider nicht ändern, weil die Flexibilisierung zum Teil studiengangspezifisch ist“, meint Dr. Elisabeth Mantl. Deshalb verstehen und präsentieren sich viele Hochschulen inzwischen als Beratungssystem und -kollektiv: Sie geben zum Beispiel Checklisten heraus, aus denen Studierende entnehmen können, welcher Ansprechpartner für welches Thema zuständig ist. Es ist durchaus sinnvoll, nach solchen Übersichten gezielt zu fragen oder im Netz zu suchen.
Strukturen und Angebote zur Familienfreundlichkeit – Beispiele aus der Praxis
Ein generelles Ziel ist es, dass die Mitarbeiter der Hochschule sich wertschätzend zeigen und die besonderen Kenntnisse und Kompetenzen von Eltern berücksichtigen.
Die Mitarbeiter der Hochschule suchen nach Möglichkeiten, ihre Studierenden flexibel und individuell zu unterstützen.
Durch eine erleichterte Zulassung zum Studium und zu Seminaren werden Nachteile ausgeglichen.
Es gibt nur wenige verpflichtende Präsenz-Veranstaltungen, die regelmäßig und zu den üblichen Betreuungszeiten stattfinden. Sie werden z. B. durch E-Learning- und begleitete Selbstlern-Angebote ergänzt.
Die Anwesenheitspflichten sind reduziert und es gibt längere Fristen für Hausarbeiten sowie Abschlussarbeiten.
Durch ein Teilzeitstudium haben die Studierenden die Möglichkeit, ihren familiären Aufgaben mehr Zeit zu widmen.
In Tandem-Projekten unterstützen sich Studierende untereinander bei der Bewältigung des Studienalltags.
In Eltern-Kind-Räumen soll Studierenden die Möglichkeit gegeben werden, zu lernen, während ihre Kinder spielen. Außerdem können sie dort andere Campus-Eltern treffen, so dass sich z.B. eine gegenseitige Betreuung leichter organisieren lässt.
Stillräume und Wickeltische helfen studierenden Eltern, ihre Kinder auch auf dem Campus gut zu versorgen.
In der Mensa gibt es Kinderteller und Kinderbesteck sowie Hochstühle.
In der Uni-Kita können Studierende ihre Kinder direkt auf dem Campus betreuen lassen, außerdem gibt es eine Ferien- oder Notfallbetreuung, etwa für Prüfungen. Es gibt eine Babysitting-Börse und die Hochschule trägt die Kosten für die Schulung von Babysittern.
Im Förderprogramm „Promovieren mit Kind“ werden Promovierende durch eine studentische Hilfskraft unterstützt, die sich etwa um Bibliotheksausleihen, Materialsichtung oder Korrekturlesearbeiten kümmert. Brückenstipendien für Promovierende mit Familienaufgaben bieten kurzfristig finanzielle Unterstützung.
Eine Hochschule organisiert Wochenendausflüge und Workshops sowie Vernetzungstreffen für Studierende mit Kind. Eine Hochschule organisiert Zukunftslabore für studierende oder promovierende Paare mit vorhandenem oder bereits realisiertem Kinderwunsch.
Das BAföG sieht einen Kinderbetreuungszuschlag für Studierende mit Kindern vor und es wird ab Beginn einer schwangerschaftsbedingten Studienunterbrechung für drei Monate weitergezahlt. Außerdem wird das BAföG bei Schwangerschaft oder Pflege und Erziehung eines Kindes für angemessene Zeit über die Förderungshöchstdauer hinaus gewährt und studierende Eltern können von einer Erhöhung der Freibeträge bei Nebenverdienst und Rückzahlung des Darlehens profitieren sowie Kosten für Fremdbetreuung absetzen.
Das Programm „Zeit gegen Geld“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bietet den Stipendiatinnen und Stipendiaten der zwölf bundesweit tätigen Begabtenförderungswerke mit Kind zusätzliche Unterstützungsmöglichkeiten.
Einen Überblick über weitere Initiativen auf Bundes- und Länderebene gibt es hier.
Quelle: Kunadt, Schelling, Brodesser & Samjeske (2014): Familienfreundlichkeit in der Praxis (cews.publik no. 18), abrufbar unter www.familienfreundliche-hochschule.org.
Weitere Maßnahmen finden sich in der Datenbank mit Praxisbeispielen unter http://www.familienfreundliche-hochschule.org/database/massnahmen/measure-advanced-search.
5. Unterstützung in Anspruch nehmen!
Ihr verpasst eine Prüfung, weil Euer Kind krank ist? Wenn im Studienalltag konkrete Fragen oder Probleme auftauchen, könnt Ihr Euch an die oben genannten Ansprechpartner wenden, die sich die Familienfreundlichkeit an der Hochschule auf die Fahnen geschrieben haben. Existiert an eurer Hochschule keine zentrale Anlaufstelle, dann könnt ihr euch auch an das Büro für Gleichstellung oder Frauenförderung wenden. Und natürlich könnt ihr ggf. auch eure Dozenten und andere Mitarbeiter der Hochschule ansprechen.
Übrigens: Wenn ihr einen Auslandsaufenthalt mit Kind plant, findet ihr auf dem Internetportal www.auslandsstudium-mit-kind.de hilfreiche Informationen.
6. Engagement an der eigenen Hochschule
Studis, die ein Kind versorgen oder einen Angehörigen pflegen, sollten sich in jedem Fall offensiv um Informationen bemühen und Unterstützungsmöglichkeiten einfordern. Außerdem kann es helfen, wenn Ihr Euch untereinander vernetzt und Euch gegenseitig helft. Schließlich können natürlich auch die anderen Kommilitonen ihren Beitrag zur Familienfreundlichkeit der Hochschule leisten: An der Beuth Hochschule für Technik in Berlin zum Beispiel können Studierende schwangere Studierende oder Studierende mit Kind als Mentoren durch Mitschriften, Nachhilfe und Coaching unterstützen. So bekommen sie einen Einblick in die alltäglichen Herausforderungen ihrer Kommilitonen und sie werden für ihr Engagement im Rahmen des Studiums Generale sogar mit Credit Points belohnt. Und an der Charité in Berlin gibt es die Interessensgemeinschaft ProMediKids, in der sich Studierende für die Bedürfnisse von Studierenden mit Kind(ern) einsetzen können.
7. Kritik und offene Forderungen
Auch wenn es viele Positivbeispiele gibt, ist in Sachen „Familienfreundlichkeit an deutschen Hochschulen“ noch einiges zu tun. Eine Studie kommt zum Beispiel zu dem Schluss, dass die Betreuungsplätze für Kinder gerade in Westdeutschland bei Weitem nicht ausreichen und Studierende äußern den Wunsch nach mehr finanzieller Unterstützung, nach einer besseren Infrastruktur und nach angepassten Studienbedingungen.
Laut Elisabeth Mantl lässt vor allem die Flexibilität der Kinderbetreuung noch zu wünschen übrig, was sich mit der mangelnden Ressourcenausstattung der Hochschulen erklären lässt: „Viele Studierende wünschen sich die Möglichkeit, ihr Kind während der zwei Stunden, die sie im Seminar sitzen, in der Hochschule betreuen zu lassen. Einige Hochschulen arbeiten mit den Studentenwerken zusammen, um so etwas zu ermöglichen. Aber für viele ist das aus Gründen der Finanzierbarkeit nicht zu realisieren.“
Auch die BAföG-Regelungen (und anderen staatlichen Finanzierungshilfen) könnten noch besser an die Bedürfnisse von Studierenden angepasst werden, die familiären Aufgaben nachkommen: So können bisher keine Teilzeitstudiengänge gefördert werden und auch die Altersgrenze stellt für viele studierende Eltern mit familiären Aufgaben eine Hürde dar (siehe auch unsere Übersicht der Altersgrenzen bei der Studienfinanzierung und bei Studentenvergünstigungen). Ob sich da etwas ändern wird oder ob die Diskussionen über Familienfreundlichkeit an Hochschulen über kurz oder lang abflauen werden, kann keiner vorhersehen.