HIS-StudieWas wird aus GeisteswissenschaftlerInnen?
Die Hochschul Informations System GmbH (HIS) ist im Besitz von Bund (1/3) und Ländern (2/3). Sie fungiert einerseits als Softwarehaus für die Hochschulverwaltungen und ist andererseits in den Bereichen Hochschulentwicklung und Hochschulforschung aktiv. Im für die Öffentlichkeit sichtbarsten Bereich Hochschulforschung führt die HIS u.a. die Sozialerhebung der Studierendenschaft im Auftrag des Deutschen Studentenwerkes durch. Für die in diesem Artikel erwähnte Studie wurden aus den Prüfungsjahrgängen 1993, 1997, 2001 und 2005 ein und 5 Jahre nach dem Examen jeweils zwischen 328 und 778 GeisteswissenschaftlerInnen befragt.
Fangen wir von vorne an. Betrachtet wurden in der aktuellen HIS-Studie die Geisteswissenschaften, die nach der Definition des HIS Sprach- und Kulturwissenschaften, Kunst (auch Design, Theater, Film, Musik) und Informations- und Kommunikationswissehschaften umfassen. Der Anteil dieser Studienfächer bei den StudienanfängerInnen liegt seit Jahren bei ca. 22% (im WiSe 2005/2006 absolut 47199 Studierende).
Die Gesamtzahl der Studierenden aus diesem Bereich lag im WiSe 1992/1993 bei 194.118, erreichte 2003/2004 mit 240.806 Studierenden den Höchststand um zum WiSe 2005/2006 auf 228.206 zurückzugehen. Deutlich gestiegen ist dagegen die Zahl der AbsolventInnen von 11.014 im Jahr 1993 auf 17.171 im Jahr 2006. Und das noch ohne Berücksichtigung der Bachelor-Abschlüsse.
Gut, aber auch schnell studieren?
Die HIS-Studie spricht auch die "Qualifizierungsstrategien" an, die AbsolventInnen für sich anwenden. GeisteswissenschaftlerInnen streben demnach vor allem ein gutes Abschlusszeugnis an (78%), eine möglichst schnelle Beendigung des Studiums sehen nur 36% als wichtig an. WirtschaftswissenschaftlerInnen (die das HIS als eine Vergleichsgruppe angibt) dagegen wollen zu 60% das Studium schnell beenden und dabei (von 73%) auch eine möglichst gute Note erreichen.
Jobsuche mit Schwierigkeiten
Für GeisteswissenschaftlerInnen gibt es in der Regel nicht genau definierte Berufsfelder. Von daher ist zu erwarten, dass die Stellensuche nicht ganz so einfach ist, weil viele Stellen, die GeisteswissenschaftlerInnen annehmen könnten, nicht explizit für sie ausgeschrieben sind.
Die Studie bestätigt diese Vermutung, 78% der AbsolventInnen 2005 bejahten die Aussage "Für mein Studienfach werden nur relativ wenige Stellen angeboten". Immerhin eine Verbesserung im Vergleich zu 1993, wo dieser Aussage 88% zustimmten. Betrachtet man alle Uni-AbsolventInnen, äußern nur 40% Zustimmung.
Oft werden vor allem BewerberInnen mit Berufserfahrung gesucht. Diese Erfahrung machen 47% aller Uni-AbsolventInnen und 62% der GeisteswissenschaftlerInnen.
Kein Problem steht übrigens die Art des Studienabschlusses dar (im betrachteten Zeitraum vor allem Magister). Dass ein anderer gefordert würde, mit diesem Problem waren nur 7% konfrontiert (Uni-AbsolventInnen insgesamt sogar nur 4%).
Beschäftigungsverhältnisse in den ersten Jahre nach dem Abschluss
Laut der HIS-Studie tritt Arbeitslosigkeit vor allem in den ersten Monaten nach dem Examen auf. Sie sinkt dann ähnlich dem Verlauf bei anderen Studienfächern. Allerdings scheint es doch auf Dauer etwas mehr Arbeitslosigkeit als bei anderen Studiengängen zu geben und zwar im Bereich von um die 8%. Bei Uni-AbsolventInnen insgesamt liegt die Arbeitslosgkeit auf Dauer klar unter 5%.
Reguläre Beschäftigung
Der Einstieg in eine "reguläre" Beschäftigung dauert in der Regel (abhängig auch von der konjunkturellen Lage) länger als bei AbsolventInnen anderer Fachrichtungen. Es handelt sich um die Eigeneinschätzung der Befragten; es soll sich um eine Erwerbstätigkeit jenseits von Übergangszätigkeiten handeln, es kann sich auch um Selbständigkeit handeln. Beim AbsolventInnen-Jahrgang 2005 war nach einem Jahr die bisher schlechtese Quote erreicht worden, lediglich rund 40% hatten eine reguläre Erwerbstätigkeit. Vier Jahre zuvor waren dagegen nach 12 Monaten fast 60% derart beschäftigt. Die Jahrgänge 1993 und 1997 lagen hier bei je 50%.
Für die länger zurückliegenden Jahrgänge (Abschluss 1993 bzw. 1997) gibt es auch Auswertungen des Verlaufs der Erwerbstätigkeit in den ersten 60 Monaten nach Abschluss. Im zweiten Jahr lagen die GeisteswissenschaftlerInnen sogar besser als insgesamt Uni-AbsolventInnen. Auf Dauer scheinen GeisteswissenschaftlerInnen jedoch unter der 80% Marke zu verharren (wurde bei den bisherigen Auswertungen noch nie überschritten, nur einmal fast erreicht) und sich eher bei 70% regulärer Erwerbstätigkeit einzupendeln. Die Uni-Absolventinen insgesamt erreichen nach den bisherigen Erhebungen nach ca. 3 Jahren die 80% Schwelle und bleiben dann auf Dauer bei 80-85%.
Selbständigkeit
Selbständigkeit wird vom HIS unter reguläre Beschäftigung subsummiert. An anderer Stelle in der Studie wird jedoch auch aufgeführt, wie viele der AbsolventInnen ein Jahr nach Abschluss bereits selbständig sind oder dies ernsthaft erwägen bzw. für wieviele Selbständigkeit gar nicht in Frage kommt.
Uni-AbsolventInnen des Jahrgangs 2005 waren ein Jahr nach Studienabschluss zu 7% selbständig. GeisteswissenschaftlerInnen dagegen zu 19%. Besonders stark ist Selbständigkeit bei Fächern aus dem Bereich Kunst und Kunstwissenschaften mit 28% ausgeprägt. Geringer dagegen bei Sprach+Kulturwissenschaften mit um die 13%.
Dass Selbständigkeit gar nicht in Frage käme, äußern von allen Uni-AbsolventInnen 36%, von GeisteswissenschaftlerInnen 23%, von Künstlern/KunstwissenschaftlerInnen dagegen nur 15%.
Werk- oder Honorarverträge, Übergangsjobs
Deutlich häufiger als AbsolventInnen anderer Fächer sind GeisteswissenschaftlerInnen basierend auf Werk- oder Honorarverträgen tätig. In den ersten Monaten nach dem Abschluss waren – je nach Abschlussjahrgang – bis zu 25% in solchen Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Auf Dauer nimmt dieser Wert etwas ab, verbleibt aber immer oberhalb 10%, zeitweise (wahrscheinlich konjukturell bedingt) kann er auch später Werte von 25% erreichen. Uni-AbsolventInnen insgesamt erreichen selbst im ersten Jahr nach Abschluss praktisch nie 10%, später sinkt der Wert weiter auf unter 5%.
Werk- und Honorarverträge sind zwar oft auch nicht auf Dauer ausgelegt (wobei es das gibt), wirklich kurzfristig gedacht sind jedoch Übergangsjobs. Diese dienen wirklich nur der Überbrückung bis (wieder) eine reguläre Erwerbstätigkeit gefunden wird. Sie sind oft von kurzer Dauer und in der Regel durch ungünstige Beschäftigungsverhältnisse (insbesondere auch in Bezug auf die Bezahlung) gekennzeichnet. Zum Problem werden sie dann, wenn solche Jobs zu lange andauern und der Einstieg in eine reguläre Beschäftigung eben nicht geschafft wird.
Bei GeisteswissenschaftlerInnen ist der Anteil von Übergangsjobs im ersten Jahr in allen betrachten Jahrgängen bei über 10%, mit Spitzen bei über 25% nach 3-4 Monaten. Im zweiten und dritten Jahr sinken die Werte dann von knapp über auf knapp unter 10%. Je nach Absolventenjahrgang bleibt es auch nach fünf Jahren bei knapp unter 10% oder sinkt noch etwas weiter auf knapp unter 5%.
Uni-AbsolventInnen insgesamt sind nur in den ersten Monaten nach dem Abschluss stärker in Übergangsjobs beschäftigt (zwischen 15 und 20%), schon nach einem Jahr werden Werte von knapp über 5% erreicht. Danach sinkt der Wert noch weiter auf 1-2%.
Zum Berufseinsteig (ein Jahr nach dem Examen) sehen sich ein Viertel der GeisteswissenschaftlerInnen volladäquat beschäftigt, 39% dagegen nehmen inadäquate Beschäftigungen an. Der Rest verteilt sich fast gleich auf Personen, die nur fach- bzw. positionsadäquat beschäftigt sind. Längerfristig jedoch nimmt der Anteil inadäquater Beschäftigung jedoch ab und sinkt auf ca. ein Drittel.
Promotion oder weiteres Studium
Im Vergleich zu anderen Studiengängen beginnen GeisteswissenschaftlerInnen nach ihrem ersten Abschluss (betrachtet wurden bisher allerdings nur "tradionelle" Abschlüsse, also Magister/Diplom) öfter ein weiteres Studium oder eine Promotion als Uni-AbsolventInnen insgesamt. Ein Jahr nach dem Abschluss ist das noch nicht so auffällig: Hier sind es bei GeisteswissenschaftlerInnen etwas über 30%, bei Uni-AbsolventInnen knapp unter 30%. Auf Dauer bleiben die GeisteswissenschaftlerInnen aber eher dabei. Fünf Jahre nach Abschluss sind knapp über 20% der GeisteswissenschaftlerInnen mit einem weiterem Studium beschäftigt oder promovieren, bei den Uni-AbsolventInnen insgesamt sind es unter 15%.
Innerhalb der Geisteswissenschaften sind es vor allem GeschichtsabsolventInnen, die nach dem ersten Studienabschluss sich akademisch weiter qualifizieren. Bis zu 50% sind es, meist in Form eine Promotion. Solch hohen Werte werden von keiner anderen geisteswissenschaftlichen Fachrichtung erreicht. Die Kunstwissenschaften erreichen zwar fast annähernd gleich hohe Werte, hierbei handelt es sich aber öfter um Aufbaustudiengänge, nach zwei Jahren (solange dauern diese Studiengänge in der Regel) sinken die Werte wieder. AbsolventInnen aus den Informations- und Kommunikationswissenschaften sind dagegen selten in weiteren akademischen Phasen zu sehen, da ihre Chancen, regulär erwerbstätig in den betrachteten Jahren vergleichsweise gut waren.
Familienarbeit
In Bezug auf Familienarbeit fallen AbsolventInnen der Geisteswissenschaften nicht sonderlich gegenüber UniabsolventInnen insgesamt auf. Letztere erreichen nach 5 Jahren nicht ganz 10% Anteil (in den ersten drei Jahren unter 5%), erstere liegen die ganze Zeit etwas darüber.
Praktika
Das Thema Praktika nach dem Studium hatte vor einiger Zeit ja einigen Wirbel gemacht (vgl. beispielsweise unsere Artikel Arbeiten ohne Geld: Die Generation Praktikum vom 05.04.2006 und Widersprüchliches: Neues von der Generation Praktikum? vom 16.04.2008). Das HIS hatte sich in diese Debatte bereits durch eine Studie eingemischt und den Begriff "Generation Praktikum" als verfehlt bezeichnet. Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, dass es Fächer und Branchen gibt, in denen Praktika häufiger vorkommen.
Die Geisteswissenschaften gehören genau zu den "Betroffenen". Zwar liegen dazu nur Zahlen zum Abschlussjahrgang 2005 vor (in den Untersuchungen vorher wurden Praktika nicht gesondert erfasst), diese sind aber eindeutig. Trotzdem sind sie nicht alarmierend. Im ersten Jahr nach dem Abschluss steigt der Anteil der AbsolventInnen, die gerade ein Praktikum machen auf bis zu 14%, sinkt gegen Ende des ersten Jahres aber wieder auf 6%. Bei Uni-AbsolventInnen ist der Anteil ungefähr halb so groß. "Praktikumskarrieren" sind also auch bei GeisteswissenschaftlerInnen eher selten.