meinprof.deVom Meckerfreischein des "Königs Kunde" im Bildungssystem
Von Eva-Maria Vogt
"Kann der Prof nicht nachts vor meinem Bett steh`n und reden, dann wär` die Nacht doppelt so lang!" – es gibt kaum einen Studierenden, der nicht selbst schon den einen oder anderen ähnlichen Gedanken in einer Vorlesung hatte und sich dann wünschte, dieser Dozent bekäme letztlich selbst eine Bewertung seiner Veranstaltung. An diesem Punkt hakt www.meinprof.de ein.
Studierende aller deutschen Hochschulen haben hier die Möglichkeit, bei der von der studentischen IT-Beratung Juniter betriebenen Online-Plattform ihre Lehrveranstaltungen und DozentInnen zu benoten. Anhand von sieben Kriterien können registrierte Studierende eine Veranstaltung beurteilen. Sind ausreichend Bewertungen gesammelt, wird das Ergebnis veröffentlicht. Aufgelockert wird dieses Professoren-Ranking durch Benotungen wie beispielsweise "witzigster Kurs".
Die Vorteile solcher Rankings liegen auf der Hand: Den Studierenden, vor allem den AnfängerInnen, werden Infos offeriert die für einen ersten Überblick hilfreich sind. So geben gerade ausführliche Hochschulrankings (für weitere Infos siehe auch: Unirankings - ein Instrument der Hochschulwahl?) nicht nur Vergleiche der "Qualität" der einzelnen Universität, sondern beziehen auch die für einen Studierenden wichtigen Fragen nach Infrastruktur des Hochschulstandorts, Mieten, Organisation und Betreuung mit ein.
Im Idealfall wurden viele Studierende befragt. Dann kann das Ranking die Stimmung und das Klima an einer Hochschule widerspiegeln. So könnte auch meinprof.de Qualität von Veranstaltungen und die Fähigkeiten der DozentInnen wiedergeben. Doch diese Vorteile sind mit Vorsicht zu genießen!
An allgemeiner Rankingkritik kann man anführen, dass im Regelfall nicht genügend Studierende befragt werden um wirklich ein Bild erstellen zu können. Dies wird von den Betreibern von meinprof.de in deren FAQ ebenfalls erklärt: Die Ergebnisse seien allein schon aufgrund ihrer Art der Erhebung im Internet nicht als repräsentativ zu bezeichnen. Zudem seien sie bei einer zu niedrigen TeilnehmerInnenzahl wenig aussagekräftig.
Man hofft jedoch auf wachsende Teilnahme seitens der Studierenden und möchte langfristig an den Hochschulen "Admin-Posten" vergeben, die das Recht Einträge der eigenen Universität zu bearbeiten und zu verändern beinhalten. Weitere allgemeine Kritikpunkte sind der Zeitfaktor (ein Ranking bedeutet immer nur eine Momentaufnahme) sowie die Schwierigkeit, Universitäten und Veranstaltungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Strukturen innerhalb der einzelnen Studiengänge adäquat zu vergleichen.
Vom "Lernen als Selbstzweck" zum "Produkt Student"
Abgesehen von diesen "technischen" Problempunkten mag ein Ranking auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, haben doch endlich die Studierenden die Möglichkeit ein Feedback zu erteilen. Der Studierende darf sich als "König Kunde" fühlen - und vergisst darüber womöglich die Reflektion über die Frage, ob er oder sie dies überhaupt sein kann oder will, welche Konsequenzen dies hat.
So ist der "Kunde", dies verrät der Blick in Wikipedia, eben ein Mensch, der Interesse an den Produkten oder Dienstleistungen eines Unternehmens hat, diese dem Unternehmen mitteilt, damit jenes sie für beide Seiten gewinnbringend erfüllen kann. Ein Kunde ist also ausschließlich Konsument.
Ein Studierender, im Gegensatz dazu, erbringt an der Universität jedoch auch Leistungen. Hochschulen sind also nicht darauf ausgerichtet "KundInnen zu befriedigen", sondern dienen, ganz nach altem Humboldtschen Bildungsideal (vgl. u.a. das Leitbild der Universität Stuttgart), in dessen Zentrum eine die ganze Persönlichkeit umfassende Geistesbildung steht, der möglichst breiten Bildung und Ausbildung und nicht alleine der "Berufsqualifizierung".
Betrachtet man die Diskussionen rund um Bildung, den Wettbewerb, welche Uni "Elite-Uni" wird, Studiengebühren und gerade auch Rankings, insbesondere Hochschulrankings, so ist von diesem, noch heute in Leitbildern propagierten Ideal, nicht mehr viel übrig: Lernen und Weiterbildung finden mehr und mehr in ziel- und zweckgerichteten Qualifizierungen statt. Der Schwerpunkt liegt auf Effektivität, Wirtschaftlichkeit und einer möglichst kurzen Ausbildung. Freie und kritische Wissenschaft sowie eigenständig denkende Studierende stehen nicht mehr im Mittelpunkt des unversitären Lebens.
Letztlich geht es um die Bedienung des Arbeitsmarktes und der Wirtschaft. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist die Hochschule tatsächlich ein Unternehmen. Nur bedient sie nicht die Studierenden, sondern die Wirtschaft. Der Studierende wird also letztlich nicht – wie propagiert – KundIn, sondern "Produkt".
Statt Forschungsfreiheit gibt’s Bildung als Handelsgut
Rankings fördern also den Wettbewerb zwischen den Hochschulen. Wohin aber wird ein "Bildungswettbewerb" führen? Wohin führt die Frage nach der "besten" Uni, dem "besten Prof"? was geschieht durch sie mit den Ausbildungen an Hochschulen?
Wettbewerb, wie wir ihn aus der Wirtschaft kennen, löst einen Wettlauf aus: Die Senkung der Kosten, die Effektivierung der Ausbildung, die "besten AbsolventInnen" treten in den Vordergrund. Wer gut ist, erhält mehr Förderung, mehr Nachfrage. Und wer schlecht ist, läuft Gefahr, sich weiter zu verschlechtern. Die Stärkeren setzen sich also gegen die Schwächeren durch (wären alle Unis gleich gut, käme es nie zu Konkurrenz) - und manches Ideal opfert man dem Wettbewerb. Die Bildung wird zum Handelsgut, und der Dozent zum Fußballspieler - abwerbbar für jene Uni, die am meisten zahlt. Sichtbar wird eines: Der Wettbewerb lebt letztlich von der Differenz, welche er verstärkt.
Wettbewerb schafft demzufolge äußere, fremdbestimmte Zwänge und benötigt ein Ungleichgewicht, um zu funktionieren. So entstehen Abhängigkeiten, z. B. von der Wirtschaft oder dem Wohlwollen der Studierenden.
Die Universitäten müssen Gelder, die für die Lehre eingesetzt werden könnten, für Marketing verwenden, Werbung für sich selbst machen und sich möglichst einträglich verkaufen. Weder Abhängigkeiten noch Reklame schaffen jedoch eine gute Grundlage für Verhältnisse, in denen es um Erkenntnis und Bildung gehen soll.
Aufgrund der schlechten finanziellen Situation an Universitäten wird die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei") zunehmend durch die Notwendigkeit der Rentabilität von wissenschaftlichen Erkenntnissen eingeschränkt. Wer forschen will muss sich entweder der Wirtschaftlichkeit beugen, d. h. sich auf Bereiche der Forschung konzentrieren, die Geld bringen, oder in Kauf nehmen, dass sie die Ausstattung immer mehr verschlechtert. Und dies, obwohl sogar das Bundesverfassungsgericht 1978 bereits betonte: "Zugunsten der Wissenschaftsfreiheit ist stets der diesem Freiheitsrecht zugrunde liegende Gedanke mit zu berücksichtigen, dass gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient" (BVerfGE 47, 327 (370)).
Mitbestimmung ohne Mitgestaltung, Abbau demokratischer Strukturen
Schlussendlich führt Wettbewerb, der sich nicht zuletzt in Rankings ausdrückt, aber zu einem Abbau demokratischer Strukturen an den Universitäten. Denn der Wettbewerb und eine Organisation der Universitäten als "Unternehmen" führt dazu, dass Studierende, die zukünftig als KundInnen der Hochschulen gesehen werden sollen, ein Recht zur Auswahl im Angebot haben, nicht jedoch ein Recht darauf, an der Gestaltung eben diesen Angebots beteiligt zu sein.
Studierende können daher als (zahlende) "KundInnen" ihr Recht einfordern, "Bildung" zu erhalten. Über die Angebotsmitgestaltung und Einflussnahme auf bspw. deren Inhalt jedoch wird hierbei nicht diskutiert. Dies kann nur über eine studentische Mitverwaltung der Universitäten geschehen. Und eben jene werden zunehmend abgebaut.
So gaukeln uns Wettbewerb und Rankings, Studiengebühren und Eliteunis eine Mitbestimmung vor, die keine Mitgestaltung mehr ist. Wir dürfen als Studierende zwar meckern, z. B. auf meinprof.de, eine konstruktive Beteiligung ist aber nicht erwünscht. Beteiligung wird ausgetauscht gegen einen "Meckerfreischein": Studierende sollen als "KundInnen" die Bildung konsumieren. Auf der Strecke bleibt die demokratisch organisierte Hochschule, deren Studierende über eine verfasste Studierendenschaft Bildung und Hochschule mitgestalten.
Wer besser benotet, wird besser gerankt
Hier nun könnte man argumentieren, aber das sei doch alles nicht schlimm. Denn wozu schon braucht man eine Verfasste Studierendenschaft, wenn der Wettbewerb dafür sorgt, dass sich die Universitäten anstrengen und verbessern?
Sieht man von den bislang aufgeführten Argumenten, wie z. B. einer weiteren Verbesserung der starken und Verschlechterung der schwachen, finanzärmeren Universitäten ab, so gibt es weitere gravierende Argumente, die gegen die Universität als Unternehmen und gegen Bildung als Wettbewerbsgut sprechen.
Wie bereits erläutert, können Studierende nie wirklich KundInnen der Universitäten sein. Akzeptiert man Rankings und Studiengebühren jedoch als Teilhabe der Studierenden an der "Gestaltung" der Hochschulen, sieht man sich unwillkürlich vor die Wahl gestellt, bei Aldi oder Lidl (billig!), Edeka oder Tegut (eher teurer) studieren zu dürfen bzw. müssen; das Angebot wird also durch die Nachfrage bestimmt.
Oder, und um es überspitzt zu sagen: Studierende wollen gute Noten, einen guten Abschluss. Die Nachfrage wird also in Richtung derjenigen DozentInnen gehen, die den Studierenden ebendiese gewähren – wer besser benotet, wird besser "gerankt" - und ein Qualitätsverlust in Bildung und vor allem Wissenschaft produziert.
Weiterführende Literatur
- Professoren protestieren. Streit um das Internetportal MeinProf.de (ZDF)
- Top oder Flop - Professoren-Vergleich im Internet (DRadio)
- Die Rache der Ranking-Opfer (SPIEGEL Online)
- MeinProf.de stellt die Lehre auf den Prüfstand (Pressemitteilung der Betreiber)
- Meinungsmache mit Umfragen (Artikel von Markus Struben)
- Ideologiepolitische und bildungsökonomische Funktion des Elitenmotivs (BdWi-Text)
- Effizienzsteigerung des Leerlaufs - ein kritischer Gesamtblick auf die aktuelle Hochschulpolitik (BdWi-Text)
- Habitus und Humankapital - soziologische und ökonomische Ansätze (BdWi-Text)
- Elite-Ranking entzaubert - zum "Elite-Ranking" von AOL, McKinsey und SPIEGEL
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