Mit Bertelsmännern auf Du und DuLobbyismus in der Bildungs- und Hochschulpolitik NRWs
Auch Bildungs- und Hochschulpolitik ist natürlich Ziel von Lobbyarbeit. Ein großer „Player“ ist hierbei die Bertelsmannstiftung.
Studis Online: Sie haben als Abgeordneter der Piraten-Fraktion im Düsseldorfer Landtag eine Große Anfrage zu den Aktivitäten und politischen Initiativen der rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen (NRW) im mittelbaren und unmittelbaren Zusammenhang mit der Bertelsmann Stiftung gestellt. Die Antwort liegt schon länger vor, in der Vorwoche befasste sich das Parlament mit der Angelegenheit. Nach dem, was Sie wissen und die Koalition offengelegt hat: Wie gut können Regierung und Stiftung miteinander?
Joachim Paul: Der Umgang ist ausgesprochen eng. Die Antwort der Regierung listet allein 89 Projekte auf, die die Regierung oder nachgeordnete Behörden gemeinsam mit der Stiftung oder Unternehmensteilen der Bertelsmann-AG auf die Beine gestellt haben. Dazu kommen jede Menge Treffen zwischen hochrangigen Regierungsvertretern und Angehörigen der Stiftung bzw. Ablegern der Stiftung oder des Konzerns – zum Beispiel des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE). Das 49seitige Dokument schlüsselt mal eben 17 Seiten zu solchen Zusammenkünften auf. Zusätzlich fanden noch rund 60 Veranstaltungen auf Bertelsmann-Einladung statt, bei denen die Regierung vorbeigeschaut hat. Das alles lässt auf eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit schließen.
Ihre Pressemitteilung zum Thema in der Vorwoche war noch zugespitzter: „Ziemlich beste Freunde“, heißt es da. Wie lange geht das schon so?
Man darf annehmen, dass die NRW-Politik und die Stiftung seit deren Gründung vor bald 40 Jahren gut miteinander ausgekommen sind. Allerdings gewährt die Regierung nur einen beschränkten Einblick in diese Liaison. Die genannten Zahlen zu Treffen und Projekten beziehen sich lediglich auf den Zeitraum von 2005 bis April 2016. Mehr ließ sich angeblich nicht machen, weil die Ministerien die Dokumente zu den fraglichen Vorgängen im Schnitt nur zehn Jahre aufbewahrt hätten. Das heißt wohl, dass weiter zurückreichende Unterlagen geschreddert wurden, auch sollen elektronische Kalender gelöscht worden sein. Uns erscheint diese Begründung ziemlich schwach. Vor allem verstehen wir die digitale Revolution anders, nämlich nicht als Einladung zu staatlich verordneter Geschichtsvergessenheit.
Sie hatten eigentlich einen Zeitraum von 25 Jahren abgefragt. Warum gerade das?
Es hat 1992 ein von der Presse dokumentiertes Treffen zwischen dem damaligen Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) und dem Stiftungsgründer Reinhard Mohn gegeben. Dabei ging es um ein Schulprojekt, für das der Regierungschef Herrn Mohn quasi ins Boot geholt hat. Wenn man so will, war das der Startschuss für das von da ab so intime Miteinander von Regierung und Stiftung. Uns hätte schon interessiert, was da seinerzeit konkret gelaufen und verabredet wurde. Vor allem hätte sich anhand dessen die Entwicklung der Zusammenarbeit bis heute nachzeichnen lassen. Der Regierung ist daran offensichtlich nicht gelegen.
Wie haben sich deren Vertreter in der Landtagsdebatte am vergangenen Donnerstag in der Sache verhalten?
Unser Interviewpartner Joachim Paul ist wirtschafts-, europa- und hochschulpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Piraten-Partei in Nordrhein-Westfalen. Er ist Mitbetreiber der Internetseite Vordenker.de, eines „Webforums für Innovatives in Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur“.
Eigentlich waren alle anderen Fraktionen, darunter auch die oppositionelle FDP, darum bemüht, die Angelegenheit herunterzuspielen. Die FDP war ja in Person des damaligen Wissenschaftsministers Andreas Pinkwart verantwortlich für das 2006 beschlossene sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz. Dieses war maßgeblich auf Betreiben des CHE, einer fünfzigprozentiger Tochter der Bertelsmann Stiftung, ins Werk gesetzt worden. Es gibt jede Menge Indizien, dass das CHE ganze Textpassagen des Gesetzes geliefert hat. Das CHE war damit auch aktiv an der Verselbständigung der Hochschulen zu Körperschaften des öffentlichen Rechts beteiligt. Die NRW-Unis sind seither keine staatlichen Einrichtungen mehr und können eigenmächtig Finanz-, Personal- und Organisationsentscheidungen treffen. Das alles war praktisch ein CHE- bzw. Bertelsmann-Projekt. Nur geht damit die Regierung lieber nicht hausieren.
Zurück zur Landtagsdebatte …
Die einzige vernünftige Wortmeldung kam von der FDP-Kollegin Angela Freimuth, die ein Lobbyregister für Nordrhein-Westfalen nach dem Muster der Europäischen Union forderte. Das macht Sinn, denn viele andere Redner haben die Bertelsmann Stiftung kontrafaktisch als Think Tank, also als Denkfabrik, bezeichnet. Dabei hat selbst die EU im Februar dieses Jahres deren Status verändert, von Denkfabrik in Nichtregierungsorganisation. Während die Stiftung als der drittgrößte deutsche Lobbyist in Brüssel gilt, tun die NRW-Regierenden weiter so, als wäre der Laden ein selbstloser Politikberater. Den Vogel schoss im Parlament die SPD-Abgeordnete Marion Warden ab, indem sie die Stiftung in einem Atemzug mit der Hans-Böckler-, der Friedrich-Ebert- und der Konrad-Adenauer-Stiftung nannte. Dabei unterschlug sie den kleinen, feinen Unterschied zwischen einer Parteien- und einer Konzernstiftung. Die Bertelsmann Stiftung hält aktuell 76,9 Prozent Anteile an der Bertelsmann-Gruppe.
Sie schreiben in Ihrer Anfrage: „Über die Meinungsmacht der Bertelsmann-Unternehmensgruppe hinaus übt Bertelsmann über die Stiftung eine politische Gestaltungsmacht aus, die weit über den Einfluss von Verbänden, Kirchen, Gewerkschaften, ja sogar von Parteien hinausgeht.“ Dabei müsse sie sich „vor keinem Parlament und keinem Rechnungshof und nicht einmal vor einem Aufsichtsrat, der wenigstens unterschiedliche Interessen von Kapitalanlegern vertreten könnte, für den Einsatz ihrer Gelder und die damit verfolgten Ziele rechtfertigen“. Wie weit reicht der politische Einfluss der Stiftung?
Ein Beispiel: Die Arvato-AG, eine hundertprozentige Tochter des Bertelsmann-Konzerns, betreibt das Servicecenter der NRW-Landesregierung. Nach Auskunft von Arvato selbst werden 80 Prozent der Bürgeranfragen an die Staatskanzlei bereits im Erstkontakt fallabschließend durch deren Mitarbeiter behandelt. Damit sitzt also ein privater Dienstleister auf der Schnittstelle zwischen Bürger und Exekutive. Hier gehen Politikberatung und Geschäftsmodell Hand in Hand. Praktisch sämtliche Gutachten der Stiftung, egal zu welchem Thema, weisen auf die Notwendigkeit von Privatisierungen hin. Und entsprechende Konzernteile warten dann auch gleich mit der erforderlichen Dienstleistung dafür auf. An der „guten Sache“, für die sich die Stiftung vermeintlich so selbstlos in Zeug legt, verdient der Konzern also prächtig mit.
Vor allem mit Bildungsdienstleistungen will Bertelsmann künftig gewaltige Profite generieren. Kommen diese Zusammenhänge in der Antwort der Regierung zur Sprache?
Eben nicht. Gerade im Bereich Bildung propagiert die Stiftung ja unverhohlen den Rückzug des Staates. Erst in jüngerer Vergangenheit hat der Konzern die US-amerikanische Onlineplattform Relias Learning erworben und sich dazu beim Online-Bildungsanbieter Udacity eingekauft. Wie kann man sich im Wissen darum hinstellen und sagen, Geschäftsinteressen spielten für die Stiftung keine Rolle? Zum Beispiel hat sich SPD-Bauminister Michael Groschek sinngemäß im Namen der Regierung geäußert, dass es doch immer noch deren freie Entscheidung sei, auf diese Ratschläge einzugehen. Das ist Augenwischerei. Nehmen wir nur das Schulprojekt „Kein Kind zurücklassen!“, das das Land mit fünf Millionen Euro fördert. Von der Motivation her ist das fraglos löblich. Aber es gibt sicherlich viele andere Initiativen oder Wissenschaftler mit guten Ideen für gesellschaftliche Weiterentwicklung, darunter auch solche, die die Bildungsökonomisierung kritisch sehen. Die können sich wegen der Dominanz und des guten Drahtes der Stiftung zu den politisch Verantwortlichen aber gar kein Gehör verschaffen.
Wo bleibt da die „Chancengerechtigkeit“, für die die Stiftung so gerne eintritt?
Das ist es ja. Der Wettbewerbsgedanke, den die Stiftung so hochhält, verhindert sie konsequent, wenn es um die eigenen Belange geht. Die Stiftung arbeitet „ausschließlich operativ“, sie fördert also nur selbst initiierte Projekte und keine, die von außen kommen. Ein Pluralismus an Meinungen und Ideen wird satzungsmäßig ausgeschlossen, was zählt, sind allein die eigenen Ziele, zuvorderst das, Geld zu verdienen. Hinter all dem steht einfach ein durch und durch neoliberales Geschäftsmodell oder, wie ich es Parlament ausdrückte, ein „effizientes Steuervermeidungsmodell mit Lizenz zur Politikbeeinflussung plus ein sehr gewinnträchtiges Services-für-die-öffentliche-Hand-Geschäftsmodell für die Bertelsmann-Unternehmensgruppe“.
Sie sprachen das „Hochschulfreiheitsgesetz“ an. Dieses wurde ja von etlichen anderen Bundesländern mehr oder weniger übernommen. Wie hat sich damit die Rolle der Hochschulen verändert?
Davor hatten die Hochschulen eine Berichtspflicht gegenüber dem Land NRW, das Wissenschaftsministerium konnte sich jederzeit über Vorgänge an den Unis unterrichten lassen. Heute übt das Land nur mehr eine Rechtsaufsicht aus. Faktisch können die Unis über sogenannte Globalhaushalte – noch so eine Bertelsmann-Erfindung – mit den Steuergeldern anstellen, was sie wollen, und die Regierung interessiert's nicht. Wir halten das für verfassungswidrig.
Mit dem Gesetz wurde außerdem der Einfluss der Wirtschaft auf die Unis praktisch institutionalisiert und das Modell der sogenannten unternehmerischen Hochschule etabliert. Das geschah im Wesentlichen über die Einrichtung von Hochschulräten, in denen Vertreter aus der Gesellschaft, vor allem von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden über die Geschicke der Hochschule bestimmen. Wir haben uns dagegen immer für viertelparitätisch besetzte Gremien stark gemacht, in denen Professoren, Studenten, wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Mitarbeiter gleichberechtigt über die Uniangelegenheiten zum Wohle und im Sinne der Wissenschaftsfreiheit entscheiden. Das wurde allerdings als ineffektiv diskreditiert.
Seitens der Regierung?
Ja, und derer, die sie beraten haben. Eigentlich müsste man von einem Hochschulleitungsfreiheitsgesetz sprechen, das Richtlinien setzt, denen sich ehemals freie Wissenschaftler zu unterwerfen haben. Wir erleben heute gänzlich durchökonomisierte Hochschulen, die im Rahmen der sogenannten leistungsorientierten Mittelvergabe miteinander konkurrieren. Das läuft dann so: Wer mehr Abschlüsse liefert, bekommt mehr Geld. Dabei ist es völlig egal, in welchem sozio-kulturellen Milieu die Uni situiert ist und wie sich die Studentenschaft sozial und ethnisch zusammensetzt.
Dass das CHE bzw. die Bertelsmann Stiftung bei all dem ihre Finger im Spiel hatte, ist ja gemeinhin bekannt. Aber räumt die Regierung das in der Antwort auf Ihre Anfrage auch ein?
Nein. Die amtierende Regierung hat das fragliche Gesetz ja auch nicht zu verantworten, das war bekanntlich eine schwarz-gelbe Produktion. Dazu kommt die Sache mit der „Verjährung“. Was Minister Pinkwart und das CHE damals ausgekaspert haben und wie konkret auf die Gesetzgebung Einfluss genommen wurde, kann angeblich nicht rekonstruiert werden, weil die zehnjährige Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist. Wie schade aber auch …
Inzwischen hat Rot-Grün ein neues Gesetz aufgelegt, das „Hochschulzukunftsgesetz“. Wie sehr unterscheidet sich das vom Vorgänger?
Das neue Hochschulgesetz ist über weite Strecken an das alte angelehnt, mit ein paar wenigen Ausnahmen. Zum Beispiel soll über den „Rahmen-Kodex für gute Beschäftigung“ der grassierenden Prekarisierung unter den Hochschulbediensteten Einhalt geboten werden. Gleichwohl hält die Regierung an dem verqueren Freiheitsbegriff fest, der sich einzig auf die Organisationebene bezieht und nicht auf den einzelnen Wissenschaftler. Und es gibt immer noch diese Hochschulräte, die in alles reinreden können. Das Gesetz ist allenfalls ein zaghafter Versuch, die alte Rechtslage zu entschärfen.
Kann man daraus schließen, dass die Bertelsmann Stiftung bzw. das CHE unter SPD und Grünen weniger zu melden hat?
Vielleicht gilt das für den Hochschulbereich, aber ganz bestimmt nicht für die Schulpolitik. Ich habe das Projekt „Kein Kind zurücklassen!“ schon genannt. Das hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) zusammen mit Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied bei der Stiftung, gleich nach ihrem Amtsantritt 2010 aufgelegt. Gerade in den Bereichen Lehrerfortbildung und Qualitätssicherung der Schulen treten viele kleine Organisationen in Aktion, die auf der Payroll der Stiftung stehen. Alles in allem glauben wir nicht, dass der Einfluss der Stiftung geringer geworden ist.
Die Stiftung erweist sich wohl auch als guter „Arbeitgeber“ für scheidende Regierungsbeamte?
Der bekannteste Fall ist Konrad Lischka, der von 2014 bis 2016 Referent Digitale Gesellschaft in der Staatskanzlei war. Danach wechselte er zur Bertelsmann Stiftung, zunächst als Pressesprecher und jetzt als Projektmanager im Bereich Digitalisierung. Derlei Drehtürpersonalien zwischen Regierung und Bertelsmann – in beide Richtungen – gab und gibt es reichlich. Nur schweigt sich die Regierung darüber weitgehend aus.
Was stellen Sie mit der Antwort der Regierung über den Moment hinaus an?
Drei Wissenschaftler haben bereits angekündigt, die Antworten auswerten und in Buchform publizieren zu wollen. Uns freut das und ich finde, das hat sich die Regierung verdient. Als Fraktion und Partei bleiben wir an dem Thema dran.
(rw)