Bildungsminister für mehr WirtschaftsnäheAbrissarbeiten am Elfenbeinturm
Ständige Bildungsreform Bologna-Prozess: Auf der aktuellen Nachfolgekonferenz ging es um (mehr) „Praxistauglichkeit“ des Studiums.
Für die Unternehmerlobby ist die Sache abgemacht: „Die Hochschule der Zukunft (…) handelt unternehmerisch und agiert unabhängig von direkten staatlichen Eingriffen im nationalen und internationalen Wettbewerb.“ Und weiter: „Die Hochschule arbeitet mit ihren Partnern, insbesondere in der Wirtschaft, eng zusammen und sorgt dafür, dass ihr Profil zu den Anforderungen ihrer Stakeholder passt.“ So steht es in einem gemeinsamen Strategiepapier der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Titel: „Die Hochschule der Zukunft – Leitbild der Wirtschaft.“
Das Dokument stammt vom Februar 2010, könnte aber aktueller kaum sein. War es damals in Teilen noch ein Wunschkatalog der Industrie, ist es heute auf bestem Wege, in ganz konkrete Hochschulpolitik übersetzt zu werden. Zum Beleg eine Kostprobe: „Die Wirtschaft engagiert sich in der Lehre, indem sie die Hochschule bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstützt. Unternehmensvertreter bereichern als Lehrbeauftragte das Lehrangebot der Hochschule und bringen Studierende in Kontakt mit Fragestellungen aus der beruflichen Praxis. Unternehmen betreuen Studierende bei Praktika sowie bei der Erarbeitung empirisch fundierter Abschlussarbeiten. Sie unterstützen die Arbeit der Hochschule darüber hinaus auch finanziell durch Einrichtung von Stiftungslehrstühlen und Stipendienprogrammen, Spenden sowie Preise für besondere Leistungen.“
Industrie mischt schon kräftig mit
Wenn man liest, wie BDA und BDI sich vor fünf Jahren die Uni der Zukunft vorgestellt haben, lässt sich heute festhalten: Die Zukunft hat längst begonnen. Inzwischen ist es fast schon normal, dass Wirtschaftsvertreter in Leitungsgremien der Hochschulen sitzen, dass Konzerne und Unternehmen Lehrstühle finanzieren, dass sie Studiengänge (mit)konzipieren, dass sie im Rahmen vielfältiger Kooperationen Einfluss auf Forschung und Lehre nehmen, dass zum Bespiel Unis im Auftrag und auf Rechnung der Rüstungsindustrie an Drohnen und Kanonen tüfteln oder dass Aldi Hörsäle sponsert.
Aber irgendwie läuft die Sache noch nicht ganz nach dem Gusto der Wirtschaft. Gerade erst hat sich der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Eric Schweitzer, über die mangelnde Berufsbefähigung von Bachelor-Absolventen beschwert. Bei einer Umfrage hätte nicht einmal die Hälfte der befragten Unternehmer Zufriedenheit mit den Hochschulabgängern bekundet. 2011 wäre noch bei 16 Prozent mehr der Daumen nach oben gegangen, der Absturz deute auf eine „besorgniserregende Entwicklung“ hin.
Noch mehr Kooperationen?
Zwar erntete Schweitzer für seinen Verriss Widerspruch, von Seiten der Politik wie auch aus dem Unternehmerlager. Und vorneweg Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) schritt zur Ehrenrettung der Attackierten: „Bachelor-Absolventen haben in Unternehmen immer bessere Chancen. Der Bachelor-Abschluss ist etwas wert.“ Nur wenn das wirklich so ist, warum soll dann überhaupt nachgebessert werden. Denn genau das haben sich doch die Bildungsminister der 48 am Bologna-Prozess beteiligten europäischen Staaten am Wochenende auf die Fahnen geschrieben.
Laut dem in der armenischen Hauptstadt Eriwan verabschiedeten Abschlusskommuniqué sollen Hochschulen noch stärker als bisher mit Unternehmen zusammenarbeiten, ihre Studiengänge noch praxisnäher gestalten, und dafür sorgen, dass Absolventen „arbeitsmarktfähig werden für sich rasch verändernde Arbeitsmärkte, die von technischer Entwicklung und neuen Berufsbildern geprägt sind“. Die Zielstellung im Wortlaut:
„We need to ensure that, at the end of each study cycle, graduates possess competences suitable for entry into the labour market which also enable them to develop the new competences they may need for their employability later in throughout their working lives.“
Quelle: bologna-yerevan2015.ehea.info/files/YerevanCommuniqueFinal.pdf
Regierung hält sich bedeckt
Nun ist der europäische Hochschulraum noch lange nicht so homogen, wie die Verantwortlichen dies gerne hätten. Manche Länder hinken bei der Umsetzung deutlich hinterher, etwa bei der Umstellung auf den Bachelor/Master-Modus oder dem Vorhaben, möglichst vielen heimischen Studierenden einen Studienaufenthalt im Ausland zu ermöglichen. Auch ist die in der Erklärung beschworene „dramatische Arbeitslosigkeit“ gegenwärtig kein deutsches, umso mehr aber das Problem mancher Südländer wie Spanien Griechenland, Kroatien oder Italien, wo 40 bis 50 Prozent der jungen Bevölkerung ohne Job sind. Und gewiss ist auch die Wirtschaftsnähe der Hochschulen in Deutschland weiter gediehen als in vielen anderen Ländern.
Die Frage bleibt allerdings, ob man es bei diesem Stand belassen will oder die Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden soll. Die Bundesregierung hält sich in diesem Punkt jedenfalls merkwürdig bedeckt. Wankas Ministerium publizierte nicht einmal eine Pressmitteilung aus Anlass der Eriwan-Tagung – zumal sie selbst gar nicht vor Ort weilte und sich durch ihre Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen vertreten ließ. Offizielle Verlautbarungen finden sich einzig in einer Erklärung der Kultusministerkonferenz (KMK), aber auch darin ist die im Kommuniqué thematisierte Arbeitsmarkt- oder Berufsbefähigung (employability) nur eine Randnotiz. „Ich bin davon überzeugt, dass die wissenschaftsgeleitete Lehre an deutschen Hochschulen der richtige Weg ist, um Absolventinnen und Absolventen zureichend für sich schnell verändernde Arbeitsmärkte zu qualifizieren“, lässt sich darin Quennet-Thielen zitieren.
„Wollen keine Roboter“
Ist also alles in Butter und besteht für Deutschland gar kein Handlungsbedarf? Die in der Regel gut informierte Süddeutsche Zeitung (SZ) legt eine andere Sicht der Dinge nahe und titelte am vergangenen Freitag in ihrer Online-Ausgabe: „Tiefer Zwist zwischen Politik und Unis.“ In dem Beitrag kommt der Vizechef der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Holger Burckhart, wie folgt zu Wort: „Man muss aufzeigen, was wir als Hochschulen schon getan haben. Den alten Elfenbeinturm gibt es heute praktisch nicht mehr.“ Langsam gehe man jedoch „an eine Grenze“, nämlich die Freiheit der Lehre. Zwar wären Kooperation, Austausch, längere Praxisphasen sinnvoll. „Aber die Hochschule muss sich kritische Distanz zu Begehrlichkeiten der Industrie bewahren. Es geht um akademische Bildung: Wir wollen keine Roboter produzieren“.
Warum sollte er diese Warnung aussprechen, wenn keine Gefahr im Verzug ist, nämlich die, dass die hiesigen Hochschulen noch mehr als bisher vor den Karren der Industrie gespannt werden könnten. Für den in der Überschrift unterstellten Konflikt zwischen den Hochschulen und der deutschen Politik finden sich in dem SZ-Artikel zwar keine griffigen Belege, lediglich der Hinweis, dass offen bleibe, „wo für Berlin die Kooperation Grenzen hat“.
„Berufsbefähigung“ versus „Arbeitsplatzbefähigung“
Seine Sorgen ließ Burkhart derweil auch in einem Interview mit dem Deutschlandfunk durchblicken. Darin trifft er eine Differenzierung zwischen „Berufsbefähigung“ und „Arbeitsplatzbefähigung“, wovon das erste Konzept angeblich dem deutschen Modell entsprechen würde. Dieses sei „nicht auf einen bestimmten Arbeitsplatz hin ausgerichtet“, im Vordergrund stehe „nach wie vor die wissenschaftliche Ausbildung, die fachlich, auf der Basis von Fachlichkeit und damit von Forschungsständen aufsetzen soll“. Folgt man seinen Ausführungen, dann ist Deutschland in Eriwan sogar als Retter des Prinzips der wissenschaftlichen Hochschulausbildung in Erscheinung getreten. „Diese Differenz, wenn man sie so einfach formulieren darf, wird auch im Dokument sehr, sehr deutlich.“ Ebenso legte er in einer Pressemitteilung der HRK gleich mit der Behauptung los: „Die heutige Erklärung der europäischen Ministerinnen und Minister unterstützt die Position der deutschen Hochschulen.“
Nun ja, dann muss offenbar nur noch die deutsche Wirtschaft überzeugt werden. Deren Repräsentanten will Burkhart deshalb zu einem runden Tisch einladen, damit auch die begreifen: „Es ist die Kompetenz, Berufe ausüben zu können, aber wir bilden nicht aus für einen bestimmten Arbeitsplatz. Das wäre eine Verkennung der Aufgabe des deutschen Hochschulwesens.“ Hört und liest man das, könnte man meinen, die deutschen Hochschulvorsteher führten nur Gutes im Schilde und bildeten so etwas die Speerspitze des Widerstands gegen allzu große „Begehrlichkeiten“ der Wirtschaft. Und die Politik – selbst die auf europäischer Ebene – folgte ihnen aufs Wort.
Fachidioten im Vormarsch
Das ist natürlich Augenwischerei. Wie Marco Schröder, Bildungswissenschaftler an der Universität Augsburg, in einer Studie ermittelt hat, gibt es heute an Deutschlands Hochschulen mehr als 16.000 Studienangebote. Nach seinen Befunden sind im Zuge der Bologna-Studienstrukturreform „in einem Wechselsystem der gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Wirtschaft und Hochschulen ganz spezialisierte, auf eine Region abgestimmte Studiengänge“ entstanden. Im Zeichen der zunehmenden Ökonomisierung und Vermarktlichung der Hochschulen gehe die Entwicklung immer stärker hin zu einer „Produktgestaltung nach den Erfordernissen des Arbeitsmarktes“.
Wie er am Montag gegenüber Studis Online erklärte, sei es für „ihn völlig unverständlich, dass jetzt offenbar noch weiter differenziert und noch stärker darauf geschaut werden soll, was der Markt braucht“. Mit der Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Angebote könnten immer weniger Grundwissen und wissenschaftliche Kompetenzen vermittelt werden. Laut Schröders Einschätzung werde das mittel- und langfristig auch für die Wirtschaft Nachteile bringen. „Wenn sich der Markt plötzlich ändert, fehlen den Unternehmen die Leute, die flexibel sind, die umdenken und über den Tellerrand gucken können.“ Läuft es weiter wie bisher, „hat man bald nur noch Fachidioten, die nur noch ganz spezielle Tätigkeiten ausführen können, die gerade up to date sind, aber morgen vielleicht schon wieder out“.
Schröder widersprach auch der Darstellung, dass sich die Hochschulen gegen diese Tendenzen zur Wehr setzen würden. Er sieht vielmehr ein „Netzwerk“ zwischen Unis und Unternehmen am Werk, in dem Professuren von der Wirtschaft bestellt würden und bestimmten Branchen zugearbeitet werde, um damit Gelder und Studienplätze zu generieren sowie Studierende zu gewinnen. „Aber all das ist natürlich nicht perspektivisch gedacht, sondern nur für den eigenen Nutzen und für den Moment“, gab der Soziologe zu bedenken. „Auf lange Sicht hat aber keiner etwas davon: Nicht die Unternehmen, nicht die Hochschulen und ganz gewiss nicht die Studierenden, die nicht nach rechts und links schauen können.“
Ohne Gewähr
Wohin Engstirnigkeit führen kann, zeigt ein Kommentar der Osnabrücker Zeitung. Viel zu spät hätten Europas Bildungsminister die „Hilferufe der Wirtschaft erhört“, erst jetzt wollten sie die Bachelor-Studiengänge stärker am Arbeitsmarkt ausrichten, lamentiert der Autor. „Aber Vorsicht: Praxisbezug darf nicht Auftragsbildung heißen. Die Hochschulen sollten in der Debatte für eine kritische Distanz zu ökonomischen Interessen einstehen.“ Frei übersetzt heißt das wohl: Lasst Heckler & Koch ruhig rein in den Hörsaal, aber bitte schön ohne Gewehr.
(rw)