Nach der Reform ist vor der ReformHochschulreformen und ihre Schwächen
Studis Online: Herr Pasternack, in einer aktuellen Studie1 haben Sie die Hochschulreformen der letzten zwei Jahrzehnte untersucht. Zu welchem Ergebnis kamen Sie dabei?
Reformen des Bildungssystems werden immer wieder gefordert und durchgeführt. Aber wie steht es um den Erfolg – hier im Artikel bezogen auf den Hochschulbereich?
Peer Pasternack: Hochschulreformen lassen sich nach Wünschbarkeiten bewerten oder danach, ob sie die Probleme, die sie bearbeiten sollten, auch tatsächlich erfolgreich bearbeitet haben. Ich habe letzteres untersucht. Das heißt: Mir ging es nicht darum, ob mir die erzielten Ergebnisse nun gefallen oder nicht, sondern darum, herauszubekommen, ob die Reformen die Ziele erreicht haben, die sie zu verfolgen vorgaben.
Um es anschaulich zu machen, habe ich dafür vier Bewertungskriterien definiert und je nach Erfolg, Teilerfolg oder Misserfolg den Reformen Punkte von minus zwei bis plus zwei zugewiesen. Im Ergebnis landeten nur vier der neun analysierten Reformen im positiven Bereich und fünf im negativen. Wie gesagt: Dabei geht es um die Erfolge im Sinne der Reforminitiatoren und nicht um meine persönliche oder eine politische Bewertung.
Ergebnis der Hochschulreformen nach der erwähnten Studie – insbesondere die Bologna-Reform hat nicht gehalten, was angekündigt worden war. Die politische Bewertung der verschiedenen Reformen ist nochmals eine andere Sache: Die Exzellenzinitiative hat „Nebenwirkungen“, die man durchaus für so negativ halten kann, dass sie die Exzellenzinitiative selbst in Frage stellen. Siehe hier und hier.
Und zu welchem Gesamteindruck gelangten Sie dabei?
Nun, auffällig war vor allem eines: Die Hochschulreformen der letzten 20 Jahre liefen regelmäßig unter der Flagge der Qualitätssteigerung. Sie haben alle zupackende Qualitätsanforderungen an die Hochschulen formuliert. Aber sie haben nicht vermocht, diesen Anforderungen auch selbst zu genügen.
Wie meinen Sie das?
Peer Pasternack (* 1963 in Köthen) ist Sozialwissenschaftler und Direktor des Instituts für Hochschulforschung (HoF)an der Universität Halle-Wittenberg.
Es gab regelmäßig wiederkehrende Reformschwächen. Was, so wie sie angegangen wurden, auch wenig verwunderlich ist. Denn unisono wurden die reformbedingten Mehrkosten den Hochschulen nicht erstattet, und systematisch wurden und werden übermäßig viele Interessenkollisionen produziert. Auch ist das Reforminstrumentarium immer wieder unterkomplex angelegt, das heißt, von einem einzigen oder einigen wenigen Reforminstrumenten wird immer gleich die Lösung sämtlicher Fragen erwartet. Und darüber hinaus erzeugen Parallelreformen eben fortwährend Überforderungen an den Hochschulen. Außerdem hat jede der Reformen wieder neue Bürokratie produziert, vor allem durch die Erweiterung von Dokumentationsanforderungen. Typisch ist auch, dass reformbedingter Zusatzaufwand entsteht, ohne zugleich Entlastung zu bewirken. Ein Beispiel hierfür sind die Doppel- oder Dreifach-Aufbereitungen der immer gleichen Daten.
Können Sie das anhand eines Beispiels darstellen?
Nehmen wir die Einführung von Kennziffern und Indikatoren als Steuerungsinstrumente: „Qualität statt Kosten!“ hieß der Schlachtruf damals. Mit weniger Mitteln als zuvor soll gleiches oder mit gleichen Mitteln mehr geleistet werden. Es wird also Leistungsverdichtung erwartet, und diese ist durch aufwendigste Dokumentationen nachzuweisen. Gezeigt hat sich aber vor allem eines: Leistungsorientierte Indikatoren erzeugen indikatorenorientierte Leistungen.
Wie kommt man denn auf die Idee, Hochschulen könnten ihre „Leistungen“ einfach verdichten und hierdurch mit weniger oder gleichen Mittel „mehr“ erreichen? Und was meinen Sie mit „indikatorenorientierte Leistung“?
Es sagt natürlich keiner, ihr müsst eure Leistungen verdichten. Sondern es wird so gesagt: Organisiert euch besser, dann schafft ihr das Gleiche mit geringeren Mitteln. Das ist ja auch nicht immer falsch. Nur lassen sich zum Beispiel Überauslastungen von Studiengängen mit 130 Prozent der Normalkapazität nicht durch schlichte Organisationsoptimierung bewältigen, erst recht nicht, wenn gleichzeitig zum Beispiel noch eine Professur eingespart werden soll. Indikatorenorientiert sind Leistungen dann, wenn sich ein Institut in seiner Arbeit daran anpasst, was etwa in der Leistungsorientierten Mittelverteilung eine Rolle spielt, und alles andere vernachlässigt.
Was waren denn die wichtigsten Reformen der letzten Jahre und wie bewerten Sie deren „Qualität“?
Die Hochschulsteuerungsreform sollte die Hochschulautonomie erweitern. Im Ergebnis wurde aber die Hochschulleitungsautonomie erweitert. Die Einführung der Juniorprofessur hatte zum Ergebnis, dass dem deutschen Hochschulsystem gleichsam aus Versehen die Post-Doc-Stellen abhanden gekommen sind, weil man die in Juniorprofessuren umgewandelt hat – und sie unterdessen wieder streicht, wenn Einsparauflagen zu erfüllen sind. Die Förderalismusreform sollte einen Wettbewerb zwischen den 16 Landeshochschulsystemen bewirken. Aber nahezu alle Bereich, in denen sich seither die Differenzen zwischen den Ländern verstärkt haben, betreffen solche Bereiche, die von der Föderalismusreform gar nicht oder nur marginal berührt wurden.
Was wäre anhand Ihrer Erkenntnisse nun die logische Folge? Was wäre zu tun, um die Hochschulen wirklich zu verbessern? Eine weitere Reform?
Hochschulreformen wird es immer geben. Denn es ändern sich die Anforderungen an die Hochschulen, und es wechseln Landesregierungen. Die künftigen Reformen müssten jedoch ihren Fokus verschieben: von der qualitätsorientierten Reform hin zur Qualität der Reform. Wenn allenthalben Qualitätsstandards für die Hochschulen gefordert werden, dann müsste es auch Qualitätsstandards für Hochschulreformen geben. Die Reformer müssten also selbst einlösen, was sie von den Hochschulen fordern.
Dabei wird man freilich auch realistisch sein müssen: Kurzfristig sind in den Hochschulen selbst typischerweise nicht Mehrheiten für eine Reform zu erobern, denn jede Reform ist ja immer auch eine Zumutung, weil sie Veränderungen erfordert. Wofür man aber sorgen kann, ist, dass die Hochschulangehörigen nicht mehrheitlich gegen die Reform sind. Das war bei den meisten Reformen der letzten 20 Jahre nicht gelungen.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
1 Qualitätsstandards für Hochschulreformen. Eine Auswertung der deutschen Hochschulreformqualitäten in den letzten zwei Jahrzehnten, UniversitätsVerlagWebler, Bielefeld 2014, 224 S. ISBN 978-3-937026-92-3. Inhaltsverzeichnis und Leseprobe