Auf dem Weg zur Briefkastenuni?Freihandelsabkommen TTIP und die Hochschulen
Was steht drin? Beim geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP ist so einiges noch geheim und vieles umstritten.
Ende Januar meldete sich die European University Association (EUA) mit einer eindringlichen „Warnung“ zu Wort: „Kommerzielle Interessen dürfen der Bildung nicht schaden.“ In einer Pressemitteilung benennt der Verband eine ganze Reihe an Gefahren, die den europäischen Hochschulen durch die derzeit in Verhandlung befindlichen Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) und TiSA (Trade in Services Agreement) drohten. Der Kern der Argumentation: „TTIP und TiSA stellen die Gestaltungsmöglichkeiten nationaler und regionaler Autoritäten bei der Versorgung mit höherer Bildung in Frage.“ Hochschulbildung stehe in öffentlicher Verantwortung, müsse allen Bürgern zugänglich sein und dürfe nicht zu einer kommerziellen Interessen ausgelieferten Ware werden.
Unternehmerische Hochschulen
Die EUA ist nicht irgendwer. Sie ist so etwas wie das Hauptquartier in Europas Hochschullandschaft und vertritt mehr als 850 Universitäten aus 47 Staaten sowie 33 nationale Rektorenkonferenzen. Eigentlich ist die Organisation durch und durch konservativ und weit davon entfernt, Dinge wie Konkurrenz und Wettbewerb zu verteufeln. Im Gegenteil: Hochschulen – auch die in Europa – sind heute längst selbst Teil des sogenannten freien Spiels der Kräfte, finanzieren sich zu einem Gutteil aus privaten Mitteln und dienen sich fast schon wie selbstverständlich den Interessen und Bedürfnissen von Konzernen, Unternehmen und Banken an – und verstehen sich dazu auch unverblümt als „unternehmerische Hochschule“. Allerdings geschieht das bislang noch weitgehend unter ihrem eigenen Dach und ohne zu viel an lästiger Konkurrenz, weil die eben von Staats wegen klein gehalten wird – noch, aber vielleicht nicht mehr sehr lange.
EU und USA machen sich gleich
Mit TTIP schicken sich die Verhandler von EU und den USA an, die größte Freihandelszone weltweit zu schaffen. Neben dem Abbau von Hemmnissen für den Handel mit Waren, Gütern und Rohstoffen geht es dabei vor allem um die Errichtung eines weitgehend schrankenlosen Dienstleistungsmarktes. Im Kern läuft die so betriebene „Gleichmacherei“ unter dem Motto: Was für Europa gilt, muss genauso für die USA gelten und umgekehrt. Allerdings ist das US-Bildungssystem zu einem viel größeren Ausmaß privatwirtschaftlichen und kommerziellen Interessen geöffnet, als dies in Europa der Fall ist. Hier werden Kitas, Schulen und Hochschulen zum überwiegenden Teil staatlich betrieben und – wenn das nicht – unterliegen Privatanbieter einer strengen öffentlichen Kontrolle und Regulierung.
Die mächtigen US-Bildungskonzerne haben es freilich darauf abgesehen, die bestehenden EU-Standards und -Regeln auf das heimische Niveau herabzusenken, um mit ihrem Geschäftsmodell auch den europäischen Markt erschließen zu können. Beispielsweise kann man in Deutschland eine Privatschule nur unter Einhaltung strikter rechtlichen Auflagen und durch regelmäßige Qualitätsnachweise betreiben. Fallen diese Vorschriften unter den Tisch, hätten US-Anbieter freie Hand, ihr Ding zu machen oder, sofern man sie nicht so einfach gewähren lässt, ihre Sicht der Dinge „juristisch“ durchzusetzen.
Profitquelle Schule
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat in ihrer Mitgliederzeitschrift E&W vom Mai 2014 skizziert, wohin die Reise gehen könnte. Das Szenario: Der US-Bildungskonzern Apollo Inc. sorgt 2020 mit seiner privaten Fachoberschule (FOS) in Kassel für Schlagzeilen, weil reihenweise Schüler durchs Abitur gerasselt sind. Die Behörden machen den Laden wegen gravierender Qualitätsmängel dicht. Aber Apollo will „diesen Angriff auf unsere Möglichkeiten, Gewinn zu erzielen, nicht hinnehmen“ und verklagt das Land Hessen vor einem internationalen Schiedsgericht auf Schadensersatz.
Tatsächlich könnte eben dies mit TTIP möglich werden. Das fragliche „Investor-Staat-Schiedsverfahren“ soll Unternehmen befähigen, Regierungen des Gastlandes vor den Kadi zu zerren, sobald sie sich durch staatliche Vorschriften oder parlamentarische Beschlüsse in ihrer Geschäfte- und Geldmacherei behindert sehen. Aus Sicht von Kritikern stellt dies einen massiven Angriff auf die Gestaltungsmacht der Politik dar, im Interesse der Gemeinschaft für Arbeits- und Verbraucherschutz, Gesundheit, Qualitätsstandards sowie Produktsicherheit zu sorgen. Dazu kommt, dass besagte Schiedsgerichte privat betrieben werden sollen, das heißt außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit verortet und die nationale Rechtsprechung in entsprechenden Streitfällen praktisch ohne Belang wären.
Aus für Subventionsvorbehalt?
Zurück zu der fiktiven Apollo-Schule in Kassel. Das sei „kein wahrscheinliches Szenario, aber denkbar“, befand im E&W-Magazin Markus Krajewski, Rechtswissenschaftler an der Uni Erlangen-Nürnberg. Dabei weist er darauf hin, dass der Markt für privat finanzierte Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen in Deutschland bereits geöffnet sei. So ist es etwa nach dem 1995 in Kraft getretenen GATS-Abkommen (General Agreement on Trade in Services) ausländischen Firmen erlaubt, in der EU Privathochschulen zu gründen, oder Online-Sprachkurse und -Weiterbildung zu offerieren. Entsprechend tummelten sich US-Bildungskonzerne heute schon relativ unbemerkt auch in Deutschland.
Allerdings gilt für sie der sogenannte Subventionsvorbehalt. Danach haben externe Akteure kein Anrecht auf die gleichen öffentlichen Zuschüsse wie inländische und insbesondere staatliche Anbieter. Auf diesem Wege kann das nationale öffentliche Bildungswesen gestärkt und gegen die wachsende private Konkurrenz geschützt werden. Wird dieses Privileg mit TTIP gekippt und erwüchsen US-Unternehmen damit „gleichberechtigte“ Ansprüche, wäre der Staat vor zwei Alternativen gestellt: Entweder er versorgt alle Markteilnehmer, staatliche wie private, gleichwertig gut, oder – die fast zwangsläufige Folge – gleichwertig schlecht. Das Ende vom Lied: Die öffentliche Hand zieht sich wegen der „leerer Kassen“ weiter aus seiner Verantwortung für das Bildungswesen zurück und überlässt über kurz oder lang den Konzernen das Feld.
Kungeln im Geheimen
Für viele ist klar: TTIP – Nein danke!
Darüber, ob öffentliche Bildung überhaupt in den Geltungsbereich des TTIP fallen wird, gehen die Meinungen auseinander. Das Problem: Die Gespräche zwischen der EU-Kommission und den US-Vertretern werden geheim im stillen Kämmerlein geführt und kaum etwas dringt an die Öffentlichkeit. Für Andreas Keller, stellvertretender GEW-Vorsitzender, „gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Bildung ausgeklammert wird“. In der Logik der Handelspolitiker von EU und USA „ist Bildung eine Ware, die wie ein Automobil oder das viel zitierte Chlorhühnchen dem freien Wettbewerb ausgesetzt werden soll“, sagte er im Gespräch mit Studis Online. Und er fragt: „Selbst für den Fall, dass öffentliche Bildung außen vor bliebe, wo verläuft die Trennlinie zwischen staatlichen und privaten Bildungseinrichtungen? Was zum Beispiel ist mit den kommerziellen Fort- und Weiterbildungsangeboten staatlicher Hochschulen?“
Diplom-Mühlen
Der Generalsekretär von Education International, dem Weltverband der Bildungsgewerkschaften, Fred van Leeuwen, sieht deshalb nur einen Ausweg. Die Bildungsdienstleistungen müssten komplett aus dem Abkommen herausgenommen werden, wie er in besagtem E&W-Beitrag ausführte. Keller geht noch weiter: „Die TTIP-Verhandlungen müssen sofort gestoppt und alle Karten auf den Tisch gelegt werden.“ Düster sind seine Aussichten auch mit Blick auf die Hochschulen. Demnach könnten sämtliche Landeshochschulgesetze, die die staatliche Anerkennung von Privathochschulen an eine Akkreditierung binden, über Nacht als Investitionshemmnis attackiert werden. „Es besteht die Gefahr, dass sich auch in Deutschland sogenannte Diplom-Mühlen niederlassen – Briefkastenhochschulen, die für teures Geld Studienabschlüsse vergeben, ohne dass die üblichen Qualitätsstandards eingehalten werden.“
Noch mehr Elitenproduktion
Im Online-Magazin Jetzt.de der Süddeutschen Zeitung (SZ) äußerte der Erziehungswissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen, Fabian Kessl, bereits im Sommer 2014 die Befürchtung einer „weiteren Zuspitzung der vorherrschenden Elitenreproduktion“. Er hält es durchaus für vorstellbar, dass alsbald eine Zweigniederlassung der Harvard-Universität auf deutschem Boden entstehen könnte. Bisher ist eine staatliche Anerkennung durch den Wissenschaftsrat eine ziemliche Ochsentour und dauert allein schon ein Jahr lang. Davor muss die Hochschule bereits drei Jahre existiert und bewiesen haben, alle Qualitätsstandards zu erfüllen und finanziell auf stabilen Beinen zu stehen.
Was, wenn diese Vorschriften mit TTIP aufgeweicht werden und US-Anbieter per Schiedsgerichtsentscheid die Gleichbehandlung mit der inländischen Konkurrenz erzwingen? In E&W denkt der Politologe Christoph Scherrer von der Uni Kassel in die Zukunft: Heimische Anbieter gerieten unter Anpassungsdruck, müssten etwa Personalkosten senken. Mögliche Folgen: „Auslagerungen, atypische Beschäftigungsformen oder Absenkung tariflicher Standards.“
„Kein amerikanisches Modell“
Derlei gehört zwar längst auch an hiesigen öffentlichen Hochschulen zum Alltag. Dies jedoch nicht so sehr wegen des privaten Konkurrenzdrucks, sondern vor allem aufgrund der chronischen, staatlichen Unterfinanzierung. Und würden demnächst auch noch US- und andere Global Player als gleichberechtigte Wettbewerber an die Futtertröge treten, müssten noch einmal kleinere Brötchen gebacken werden. Es nimmt so auch nicht Wunder, dass Deutschlands Unichefs dem Treiben der Freihandelsapologeten mit allerhand Grimm begegnen. „Die Übertragung des amerikanischen Modells auf Europa können wir nicht wollen“, schrieb der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler, in einer ausführlichen Stellungnahme gegenüber Studis Online.
Ziel von TTIP sei es, bestehende Standards und Regeln für kommerzielle Dienstleitungen zu verringern und staatliche Eingriffe auszuschließen. Würde ein gemeinsamer EU-USA-Markt für Bildungsdienstleistungen entstehen, „könnten sich für private Bildungsanbieter Klagemöglichkeiten ergeben, dass nämlich die staatliche finanzielle Unterstützung des Bildungssektors und der Forschung den freien Markt verzerren“. Nach Hipplers Einschätzung würden US-Anbieter vor allem auf die Öffnung des Marktes für Fort- und Erwachsenbildung drängen. Angesichts des „Problems (…), dass die meisten Hochschulen in Europa inzwischen einen Teil ihres Haushalts durch private Mittelgeber finanzieren“, lasse sich zwischen staatlich und privat finanzierter Bildung und Forschung „wohl kaum juristisch sauber unterscheiden“. Langwierige rechtliche Auseinandersetzungen wären programmiert.
Öffentliches Gut Bildung
Laut Hippler sind die gesamten Auswirkungen auf die Hochschulen nicht wirklich abzuschätzen. „Weder die EUA noch die HRK sind bisher von der EU-Kommission über konkrete Textvorschläge informiert worden. Und selbst wenn eine endgültige Formulierung vorläge, würden womöglich erst Gerichtsurteile Klarheit über die Auslegung für den Hochschulbereich bringen“. Daher sollte der „Bereich Bildung generell nicht“ in Freihandelsabkommen einbezogen werden. „Denn Bildung ist keine beliebige Dienstleistung, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe.“
So viel Prinzipientreue wünschte man sich von den Hochschulvorstehern auch dann, wenn Daimler oder Siemens bei ihnen auf der Matte stehen, um für sich und ihre Sache einen Studiengang oder eine Stiftungsprofessur zu sponsern. Glaubwürdiger klingt da das Bekenntnis, das die European Students Union (ESU), die europäische Dachorganisation der Studierendenvertretungen, zuletzt abgelegt hat. „Bildung ist eine der Hauptstützen der modernen Zivilisation und muss als öffentliches Gut und öffentliche Verantwortung betrachtet werden“, schrieb der Verband Anfang Januar in einer Medienmitteilung. Mit TTIP würden die vielfältigen Zwecke, denen Bildung dient, aufgegeben, die Pläne für eine größere Bildungsbeteiligung gefährdet und der Kommerzialisierung von Bildung Vorschub geleistet. Bleibt zu hoffen, dass sich das auch an hiesigen Hochschulen herumspricht. (rw)