Bildungsstreik 2014 gestartetMüder Abklatsch oder Auftakt zu mehr?
Die Onlineausgabe der Wochenzeitung Die Zeit titelte am Dienstagabend: „Stell dir vor, es ist Bildungsstreik und keiner geht hin.“ Der Autor berichtete von der Berliner Humboldt-Universität, wo sich am Vormittag Studierende zuhauf auf der Wiese vor dem Hauptgebäude in der Sonne aalen und keinen Gedanken daran verschwenden, auf die Barrikaden zu gehen. Und so beteiligen sich am „kreativen Rundgang“ durch die Uni gerade einmal 150 Personen. Sie lärmen zwar, was das Zeug hält, mit Trillerpfeifen und Konfetti. Der versprochene „Wake Up Call“ bleibt von der Mehrheit ihrer Kommilitonen aber unerhört.
„Viele interessiert es erst, wenn sie auch betroffen sind“, wird in dem Artikel eine Studentin zitiert. Trotz der mehr als 1800 über soziale Netzwerke verschickten Einladungen habe man nur kümmerliche 75 Zusagen erhalten. Zu Wort kommt auch Jan Cloppenburg vom „freien zusammenschluss von studentInnenschaften“ (fzs): 2009 sei es um den Geldbeutel der Studenten gegangen – das mobilisiere, mehr "als wenn eine Hochschule dahinvegetiert. Der Kausalzusammenhang ist nicht so direkt spürbar."
Kürzungen auf dem Schleichweg
Bilder vergangener Tage: 2009 begehrten bundesweit über 230.000 Menschen gegen Bildungs- und Hochschulkürzungen auf. Gegenwärtig verharren einige Studenten noch.
Für Berlin mag das stimmen, dort steht momentan keine knallharte Kürzungswelle wie in Ostdeutschland auf dem Programm. Stattdessen geht der Hochschulabbau in der Hauptstadt schleichend und auf leisen Sohlen vonstatten. Während die Studierendenzahlen auf hohem Niveau verharren, stagnieren die öffentlichen Zuwendungen. Dazu sorgen die Inflation, Lohnaufschläge für Hochschulbeschäftigte und steigende Energiekosten dafür, dass für Lehre und Forschung und jeden Studierenden pro Kopf immer weniger hängen bleibt. Und praktisch alle Studierenden bundesweit haben an den hohen Lebenshaltungskosten zu knabbern, den haltlosen Strom- und Gaskosten, vor allem aber an den exorbitanten Mieten, die auf dem angespannten studentischen Wohnungsmarkt zu berappen sind. Der entsprechende Anteil am BAföG-Satz deckt die Ausgaben heute nicht mehr annähernd und auf eine dringend nötige BAföG-Aufstockung warten Betroffene seit Jahren vergeblich.
Hochschulabbau Ost
Gleichwohl sind die Probleme im Osten der Republik derzeit in der Tat greifbarer. Hier zeichnet sich vielerorts ein beispielsloser Kahlschlag ab. So liegt etwa der zusätzliche Finanzbedarf der Universität Greifswald in den nächsten beiden Jahren bei 13,4 Millionen Euro, die Politik will aber lediglich 3,2 Millionen zuschießen. Es drohen Stellenstreichungen beim wissenschaftlichen und Verwaltungspersonal, schlechtere Betreuung und der Wegfall von Studiengängen. Die Finanzierungslücke für sämtliche Hochschulen in Mecklenburg-Vorpommern könnte in den kommenden Jahren bei 40 Millionen Euro liegen. Ganz ähnlich stellt sich die Lage in Thüringen dar, wo 500 Stellen von Wissenschaftlern zur Disposition stehen. An der Uni Jena sollen allein 20 bis 30 Professuren eingestampft werden. In Sachsen sind es mehr als 1000 Stellen, die bis 2020 wegfallen könnten.
Sachsen-Anhalts Hochschulen werden zwischen 2015 und 2025 um jährlich fünf Millionen Euro erleichtert, zahlreiche Studienplätze stehen auf der Abschussliste. Eine entsprechende Vereinbarung hatten Landesregering und Rektoren mit dem sogenannten Bernburger Frieden getroffen. Die Pläne mobilisierten am Dienstag laut lokaler Presse in Magdeburg immerhin 2000 Menschen, die vom Universitätsplatz zum Hauptbahnhof zogen. Bei einer Kundgebung verurteile Studentenvertreter John Matthies das Kürzungsabkommen als „scheinheilig“. Die Folge seien mehr Leistungsdruck, mehr Perspektivlosigkeit und mehr Arbeitsstress. Es gebe genug Geld in Deutschland, damit alle das studieren können, was sie wollten: „Nicht die Kassen sind geleert, die Verteilung ist verkehrt.“ Unter den Demonstranten waren auch Schüler, aufgerufen Aktionsbündnis „Grundschulen vor Ort“, das sich gegen geplante Schulschließungen wendet.
Blockade gegen Wanka
Richtig viel los war auch in Halle an der Saale. Dort hielten 200 Studierende den ganzen Tag über das Audimax der Martin-Luther-Uni besetzt, reguläre Lehrveranstaltungen fielen allesamt aus. Das örtliche Aktionsbündnis informierte stattdessen in alternativen Vorlesungen über die Kürzungspläne der Regierung, am Abend stieg eine Podiumsdiskussion mit Uni-Rektor Udo Sträter. In Greifswald hatten am Dienstagvormittag nach Medienberichten 600 Studierende anlässlich eines Besuchs von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka demonstriert. Die CDU-Politikerin wohnte der Einweihung eines neuen Forschungsreaktors in der Hansestadt bei. Den Protestlern gelang es, die Zufahrt zur Kernfusionsanlage „Wendelstein 7-X“ zeitweilig zu blockieren und den Festakt zu verzögern. An der Uni Greifswald drohen 77 Stellen dem Rotstift zum Opfer zu fallen, selbst das Rektorat unterstützt die Proteste.
Der studentische Dachverband fzs beschreibt die prekäre Situation der Hochschulen in einem Protestaufruf auf seiner Webseite. Die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen sei „kein Zufall, sondern ein politischer Prozess“, heißt es da. „Aus kritischen Wissenschaftseinrichtungen sollen Dienstleistungsunternehmen gemacht werden.“ Mit Blick auf die maßgeblich durch studentische Proteste durchgesetzte flächendeckende Abschaffung allgemeiner Studiengebühren wird betont: „Es kann noch mehr erreicht werden: Eine Ausfinanzierung des Hochschulbereichs ist möglich!“ Zu den Forderungen des Verbands zählen die Abschaffung des „Kooperationsverbots“ im Bildungsbereich, eine gerechtere Vermögensverteilung, die Abschaffung der sogenannten Schuldenbremse, „BAföG für alle“ und „für Breitenförderung – wider Exzellenz“.
Aktionswoche in Frankfurt
Immerhin: Auch in Frankfurt am Main – und damit nicht nur in Ostdeutschland – ist es zu Wochenanfang zu nennenswerten Protesten gekommen. Zum Auftakt einer ganzen Aktionswoche hatten am Montag nach Angaben des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) an der Goethe-Universität 500 Studierende an einer Vollversammlung teilgenommen. Am Dienstag folgten eine Reihe an Workshops und ein „Protesttanz“, im Verlauf der Woche sollen zudem „flashmobs und autonome Tutorien“ steigen. „Die Situation an den Hochschulen kann so nicht mehr hingenommen werden“, erklärte AStA-Referent Holger Rosenbrock. „Wir kämpfen seit Jahren gegen die Kürzungen von Lehrstellen, die Abschaffung kritischer Wissenschaften oder auch die Kriminalisierung studentischer Initiativen.“
Aktivitäten gab es am Mittwoch auch in Konstanz, Karlsruhe und Tübingen als Teil eines landesweiten Aktionstages gegen Bildungskürzungen in Baden-Württemberg. Verglichen mit den Bildungsstreiks früherer Tage erscheinen die Proteste aber eher schwächlich. 2009 begehrten bundesweit über 230.000 Menschen gegen Bildungs- und Hochschulkürzungen auf. 2010 waren es schon deutlich weniger und alle folgenden Wiederbelebungsversuche scheiterten bis dato ziemlich kläglich.
Auftakt zu mehr?
Wie es weitergeht, muss man abwarten. Schließlich soll die laufende Woche nur der Auftakt zu einem ganzen Aktionsmonat unter Beteiligung von Hochschulen aus 13 Bundesländern und mit abschließenden überregionalen Demonstrationen am 25. Juni sein. Im Herbst wird dann laut fzs zu einer „bundesweiten zentralen Demonstration gegen Kürzungen, Kooperationsverbot und Schuldenbremse und für eine grundsätzlich andere Hochschule, nämlich eine demokratische, zivile und kritische“ aufgerufen werden. Denn: „Nur wenn wir gemeinsam auf die Straße gehen, können wir Druck gegen das Kürzungsdiktat aufbauen.“ (rw)