Regierung macht auf TeflonpfannePentagon-Millionen für deutsche Hochschulen kein Thema
Rüstungsforschung fängt weit früher an als bei der Entwicklung von Atombomben. Aber wo genau?
Ende November des Vorjahres ließen der Norddeutsche Rundfunk (NDR) und die Süddeutsche Zeitung (SZ) mit ihren Berichten über die Auftragstätigkeiten deutscher Wissenschaftler für das Pentagon eine kleine Bombe platzen. Nach ihren Recherchen hat das US-Verteidigungsministerium und mit ihm verbundene Stellen Projekte an mindestens 22 Hochschulen und Forschungsinstituten finanziert. So forscht etwa die Universität Marburg an Mini-Drohnen, die Fraunhofer-Gesellschaft an Panzerglas und die Uni München an Ökosprengstoff. Der werde nach Auskunft von Thomas Klapötke, Professor für Anorganische Chemie, bestimmt "zu 80 Prozent" militärisch genutzt.
Ihre Erkenntnisse zogen die Journalisten aus dem "Federal Procurement Data System" (FPDS), einer Datenbank, in der die USA Zuwendungen für Staatsaufträge veröffentlichen, deren Umfang 3000 Dollar übersteigt. In den das Pentagon und seine angeschlossenen Departments betreffenden Aufstellungen finden sich für die BRD vier außeruniversitäre Einrichtungen, 18 Hochschulen und das Uniklinikum Eppendorf. Sie alle zusammen sollen seit 2000 rund zehn Millionen Dollar für ihr Schaffen im Dienste der US-Militärs erhalten haben. Die SZ-Autoren problematisierten das wie folgt: "Ausschließen lässt sich jedenfalls nicht, dass die Arbeit an deutschen Universitäten ein paar Jahre später dazu führt, dass Menschen – noch effektiver – getötet werden."
Peanuts aus dem Pentagon?
Für Leute, die das nicht so verbissen sehen, mag sich der Skandalgehalt der Enthüllungen in Grenzen halten. Und jenen, die darin eine Verletzung deutscher Interessen erkennen, ließe sich damit beikommen: Was sind schon zehn Millionen Dollar verglichen mit einer Milliarde Euro und mehr, die die Bundesregierung Jahr für Jahr in die deutsche Rüstungsforschung steckt? Solange die Bundeswehr weiterhin das größte Stück vom Kuchen abbekommt, wozu dann groß Wind machen wegen der paar "Peanuts aus dem Pentagon"?
Genau so erscheint die Haltung der deutschen Regierung. Für die taugt das Thema einfach nicht zum Aufreger. Gefragt nach den Schlüssen, die sie aus der Angelegenheit ziehen würde, befindet sie lapidar: "Die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf." Nachzulesen ist dies in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke. Die wollte den Neuigkeiten vom Jahresende tiefer auf den Grund gehen und in Erfahrung bringen, wie der Kenntnisstand der Regierung über die Hilfestellung der deutschen Wissenschaft für ausländische Militärs ist.
Forschen für Singapur
Dabei kam durchaus Erhellendes heraus. Die Regierung weiß mehr als bisher öffentlich bekannt war, hält mit ihrem ganzen Wissen aber hinterm Berg. Wie aus ihrer Replik hervorgeht, baut nicht nur das US-Pentagon auf den deutschen Wissenschaftsapparat, sondern mindestens fünf weitere Staaten. Neben Großbritannien sind das Südkorea, Australien, Singapur und die Schweiz. Beispielsweise zahlte die australische Militärforschungsorganisation DSTO rund 3,8 Millionen Dollar an das Institut für Raumflugbetrieb und Astronautentraining am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) für die Mitarbeit an einem Hyperschall-Jet. Und das Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin am DLR erhielt mehr als eine halbe Million Dollar von der Schweizer Luftwaffe im Rahmen eines Programms für Fallschirmjäger und Pilotenanwärter.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) schlüsselt für die zurückliegenden zehn Jahre im Ganzen 42 Forschungsprojekte auf, von denen 33 durch die USA und die restlichen neun aus den Verteidigungsetats besagter fünf Länder finanziert wurden. Insgesamt beläuft sich das Kostenvolumen auf rund neun Millionen Euro. Allerdings macht die Regierung lediglich Angaben zu den Aktivitäten der außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie etwa den Max-Planck-, Fraunhofer- oder den DLR-Instituten. Keinerlei Aussagen trifft sie zum Engagement deutscher Hochschulen. Begründet wird dies wiederholt mit dem Hinweis, diese lägen im Zuständigkeitsbereich der Bundesländer.
Keiner weiß von nix
Für Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Linksfraktion, ist das eine "billige Ausrede, um sich aus der politischen Verantwortung zu stehlen". Würde man bei den Hochschulen nachhaken, "blocken die stets mit dem Verweis auf die Hochschulautonomie ab", klagte sie im Gespräch mit Studis Online. "Es wirkt so, als wolle keiner der politisch Verantwortlichen wirklich Bescheid wissen, was an den Hochschulen in puncto Rüstungsforschung läuft".
Dass dort einiges und nicht nur zum Gusto der deutschen Militärs läuft, geht aus der genannten US-Datenbank hervor. Darin sind laut SZ und NDR für die aufgeführten 18 Hochschulen und das Uniklinikum Eppendorf Aufträge im Wert von circa sechs Millionen Dollar angezeigt. Zuzüglich der neun Millionen Euro, die an die Forschungsinstitute flossen, landet man bei mindestens 18 Millionen Dollar, die ausländische Militärs seit zehn Jahren – das Gros in den zurückliegenden fünf Jahren – in die deutsche Wissenschaft gebuttert haben.
Grenzen der Offenheit
Dass noch mehr Geld im Spiel sein dürfte, erscheint sehr wahrscheinlich. Warum etwa sollten Australien, die Schweiz und andere Länder allein auf deutsche Forschungsinstitute setzen und nicht auch – wie die USA – zugleich Unterstützer bei hiesigen Hochschulen gewinnen? Für die ist in Zeiten knapper Kassen schließlich jeder Euro mehr aus Drittmitteln ein Segen. Außerdem: Wie kommt es, dass die Liste von SZ und NDR nur vier US-Forschungseinrichtungen benennt und unter anderem die DLR-Institute, das deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) oder das Karlsruher Institut of Technology (KIT) nicht vermerkt sind. Hat es hier an der Recherche gehapert oder geben die US-Behörden doch nicht alles preis, was die Realität hergibt. Militärforschung ist ein hochsensibler Bereich, der die vitalen Sicherheitsinteressen von Staaten berührt. Wäre es da nicht geradezu gemeingefährlich, mit der Wahrheit hausieren zu gehen?
Gohlke von der Linkspartei glaubt denn auch, dass das, was die Öffentlichkeit bisher erfahren hat, "nur die Spitze des Eisbergs" sei, und sieht sich darin durch das Verhalten der Bundesregierung bestärkt. Die offenbare mit ihrer Antwort auf die Anfrage "wieder einmal einen Mangel an Transparenz und demokratischer Kontrolle". Das passe ins Bild, da auch die Hochschulen und Forschungsinstitute "ihr Möglichstes tun, alles totzuschweigen und eine öffentliche Debatte zu verhindern". Dahinter vermutet die Abgeordnete politisches Kalkül: "Ich sehe auf jeden Fall eine Tendenz, solche Kooperationen politisch in die Wege zu leiten und sich auch ganz aktiv darum zu bemühen."
Heißes Eisen Teflonpfanne
Die Regierung hält eine Diskussion auch deshalb für unangebracht, weil nach ihrer Darstellung praktisch gar keine Rüstungsforschung betrieben wird. Es gehe statt dessen "zu einem erheblichen Anteil um erkenntnisorientierte Grundlagenforschung". Zudem ließen sich durch wehrtechnische Forschung für die "zivile Forschung zusätzliche Impulse für Innovation und Leistungserweiterung erschließen".
Die darin anklingende Dual-Use-Argumenation ist so alt wie die militärische Forschung selbst. Aber auch wenn die Teflonpfanne der Raumfahrt zu verdanken ist, hat sich Neil Amstrong kein Ei auf dem Mond gebraten. Es stimme zwar, dass die Rüstungs- und Raumfahrtforschung viele Errungenschaften im Zivilbereich beschert hat, "das sind aber nur Nebenprodukte von zuallererst militärischen Anwendungen", gab dazu Linkspolitikerin Gohlke zu bedenken. Verteidigungsministerien und Rüstungsindustrielle engagierten sich im Bereich der Grundlagenforschung, "weil sie sich davon perspektivisch einen militärisch verwertbaren Nutzen erhoffen".
Forschungsfreiheit über alles
Die Bundesregierung ist weit davon entfernt, solche Wahrheiten auszusprechen, und setzt weiter auf Geheimhaltung. "Eine generelle Veröffentlichungspflicht wird vor dem Hintergrund der vielfältigen Formen der Kooperation und der damit verbundenen rechtlichen Implikationen (Schutz personenbezogener Daten, Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen etc.) für rechtlich bedenklich gehalten (…)", schreibt sie. Außerdem liege die ethische Bewertung von Drittmittelaufträgen allein "im Verantwortungsbereich des/der jeweiligen Wissenschaftlers/in und der Einrichtungen". Im Übrigen gelte die "grundgesetzlich garantierte Freiheit von Wissenschaft und Forschung".
Für die "Initiative Hochschule für den Frieden – Ja zur Zivilklausel" wird umgekehrt ein Schuh draus: "Militärforschung an den Hochschulen beschränkt die Transparenz, Autonomie, und greift Demokratie und Freiheit an den Hochschulen an", heißt es in ihrer Gründungserklärung vom Juni 2011. Die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit gehe "vom umfassenden Friedensauftrag des Grundgesetzes aus und setzt der militärischen Forschung an zivilen Hochschulen Schranken". Die Organisation aus Gewerkschaftern, Studierendenvertretern und Friedensaktivisten macht sich für die Einführung einer sogenannten Zivilklausel an Deutschlands Hochschulen stark. Davon gibt es bundesweit inzwischen 14, ihre Gremien haben sich die Selbstverpflichtung gegeben, mit ihrer Forschung und Lehre rein zivilen und friedlichen Zwecken zu dienen.
Friedensstifter Pentagon?
Die Bewegung gewinnt dabei immer mehr an Fahrt. Dazu haben zu allererst die zunehmenden Aktivitäten der Bundeswehr im öffentlichen Forschungs- und Wissenschaftssektor selbst beigetragen, aber auch das Versteckspiel der beteiligten Akteure. Ein Paradebeispiel dafür liefert aktuell das Karlsruher KIT: Von ihm war öffentlich bis vor kurzem nur ein einziges durch die USA angestoßenes rüstungsrelevantes Projekt aus der Geothermie bekannt. Die Kleine Anfrage der Linken brachte nun ans Licht, dass die Einrichtung seit 2003 fünf Pentagon-Projektaufträge im Umfang von nahezu einer Million Euro erhalten hat. Mit den Zahlen konfrontiert äußerte KIT-Präsident Holger Hanselka vor einer Woche: "Wir machen keine Rüstungsforschung!"
Zu der Liste der Hochschulen mit einer Zivilklausel könnte demnächst die Uni Augsburg hinzukommen. Dort hat die Diskussion mit den jüngsten Enthüllungen zu den Pentagon-Millionen noch einmal an Schärfe gewonnen. Die "Initiative Friedliche Uni Augsburg" pocht auf die Aufnahme einer Friedensklausel in der Grundordnung. Die Verantwortlichen bremsen die Aktivsten aus, drohen mit rechtlichen Schritten und der Einschränkung der Mitbestimmung. Die örtliche Presse titelte "Maulkorb für Friedens-Studenten" und schrieb über das Bemühen, ein Statement der Unileitung zu bekommen. Antwort des Pressesprechers: "Das Thema interessiert mich gerade nicht." (rw)