Schleswig-Holstein will FH-DoktorAngriff auf die Uniprivilegien?
Werden die Fachhochschulen "befördert" und dürfen zukünftig selbst den Doktortitel verleihen?
Ende Oktober war Schleswig-Holsteins parteilose Wissenschaftsministerin Waltraud Wende zur Unglücksbeschau an der Uni Flensburg. "Wasser tropft in aufgestellte Eimer, der Teppichboden schmatzt, wenn man ihn betritt, und in den Regalen wellen sich Unterlagen. Wenn man das sieht, tut es einem in der Seele weh", schluchzte die Politikerin. Übeltäter war der Orkan "Christian". Der erste große Herbststurm hatte dem Hauptgebäude böse zugesetzt und einen massiven Dachschaden angerichtet.
Mitte November ließ die Ministerin dann das vom Stapel: "An Fachhochschulen wird genauso geforscht wie an Universitäten. Also sollten sie auch die gleichen Rechte haben." Manch ein Unirektor dürfte sich ob der Worte geschüttelt und geargwöhnt haben, ob "Christian" womöglich auch im ministrablen Oberstübchen gewütet hat. Wie auch immer – Mit ihrem Plädoyer, Fachhochschulen (FHs) sollten künftig ebenso wie Unis den Doktortitel verleihen dürfen, hat die Ministerin in der akademischen Welt ein mittleres Erdbeben ausgelöst.
Hochschulrektoren empört
Eine Abfuhr setzte es prompt vom Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler. "Es kann nicht sein, dass eine Fachhochschule eine Promotion unterschreibt", polterte der Chef der deutschen Hochschulchefs und weiter: "Wer Fachhochschulen das Promotionsrecht geben will, der muss sie auch zu Universitäten machen." Über eine Übertragung könne und dürfe allerdings erst nachgedacht werden, wenn die Länder die FHs auf universitärem Niveau ausstatten und die Forschungsinfrastruktur und Personalausstattung entsprechend aufbessern würden. Das ist nach Lage der Dinge ein K.O.-Kriterium. Angesichts der leidigen "leeren Kassen" hat die Politik genug damit zu schaffen, den Hochschulbetrieb überhaupt am Laufen zu halten.
Auch Ministerin Wende hat keinen Goldesel in Petto. Für das, was ihr vorschwebt, gebe es "keine neuen Mittel, keine neuen Leute", ließ sie sich zitieren. Ihr geht es um Grundsätzliches: "Die Fachhochschulen sind in den vergangenen 20 Jahren derart in die Forschung gegangen, darauf muss man reagieren." Deshalb lautet ihr Mantra: "Es gibt keine Forschung erster und zweiter Klasse, es gibt nur Forschung" Und dafür will sie unbeirrt vorangehen und sich "nicht durch die Stagnation anderer aufhalten lassen".
Kein pauschales Promotionsrecht
Bisher existiert ihr Vorhaben nur auf dem Papier. Der entsprechende Entwurf für ein neues Landeshochschulgesetz soll Anfang kommenden Jahres ins Kabinett der SPD-Grünen-Regierung eingebracht und danach auf die parlamentarische Reise geschickt werden. Bis Ende 2014 soll die Novellierung durch den Landtag gegangen sein. Wendes Pläne laufen indes nicht auf ein pauschales Promotionsrecht der FHs hinaus. Die Möglichkeit, Doktoranden zu betreuen, soll lediglich "forschungsstarken" FH-Professoren zugestanden werden. Anhaltspunkte dafür sollten etwa Veröffentlichungen oder eingeworbene Drittmittel liefern. Zwecks Qualitätssicherung will man Promotionssauschüsse bilden, die von einem FH- und zwei Uniprofessoren zu besetzten wären. Gemeinsam hätten sie die vorgelegte Arbeit zu begutachten und zu benoten. Die Besonderheit: Der Doktorvater dürfte nicht dem Kreis der Prüfer angehören – das soll persönliche Befangenheiten verhindern.
Mit all dem wird die Welt freilich nicht neu erfunden. FH-Studierende können auch heute schon unter bestimmten Umständen promovieren. Dazu müssen sie sich allerdings einen Doktorvater an einer Universität ins Boot holen, wozu es in der Regel guter Kontakte und einiger Netzwerkerei bedarf. Einen anderen Weg zu Doktorwürden eröffnen sogenannte Graduiertenkollegs, in denen Professoren beider Hochschultypen die Doktoranden gemeinsam betreuen. Der Bund fördert gegenwärtig sieben dieser "kooperativen Promotionskollegs". Herr des Verfahrens bleibt aber stets die beteiligte Uni.
Ausnahme FH-Doktor
Wie sehr die Unis das Sagen beim Promovieren haben, unterstreicht die Statistik. Von den rund 60000 Dissertationen, die zwischen 2009 und 2011 an deutschen Hochschulen abgenommen wurden, stammen gerade einmal 836 von FH-Absolventen. Immerhin bleibt die neue Kooperationskultur nicht ohne Wirkung. Zwischen 2006 und 2008 waren es nur gut 400 FH-Doktoranden. Weil die Zusammenarbeit aber mitnichten auf Augenhöhe stattfindet und laut Wende ein "permanentes Abhängigkeitsverhältnis" besteht, hält sie es für angezeigt, die Rolle der FHs zu stärken. Während es bisher so läuft, dass die FHs bei den Unis auf der Matte stehen müssen, will das Kieler Ministerium die Unis gewissermaßen an die FHs holen. So richtig ans Eingemachte geht aber eigentlich einzig ihre Absicht, dass die FHs am Ende den akademischen Titel verleihen und die Urkunde ausstellen sollen, was bisher ausnahmslos den Unis vorbehalten ist.
"Existenzielle Frage"
Für die Unilobby markiert das einen veritablen Angriff auf ihre Ehre und ihr Selbstverständnis als vornehmste Wissenschaftsanstalt. Abseits inhaltlicher Fragen geht es bei der Auseinandersetzung zu einem wohl nicht geringen Teil um Eitelkeiten und die Sorge, liebgewonnene Privilegien einzubüßen. Die Christian-Albrechts-Universität Kiel (CAU) wähnt sich sogar vor eine "existenzielle Frage" gestellt, wie Unipräsident Gerhard Fouquet per Pressemitteilung verbreiten ließ. "Wir protestieren daher entschieden gegen eine Änderung des Promotionsrechts, die die zentrale Rolle der Universitäten im deutschen Wissenschaftssystem unterlaufen und entstandenes Vertrauen zwischen Universitäten und Fachhochschulen im Lande zerstören würde."
Selbst der Deutsche Hochschulverband (DHV), der sich als Berufsvertretung aller Hochschullehrer in Deutschland versteht, hat nichts übrig für Wendes Vorstoß. Die Promotion sei ein Alleinstellungsmerkmal der Universität und solle es auch bleiben, insistierte DHV-Sprecher Matthias Jaroch. "Wenn man den Fachhochschulen die Verleihung von Doktortiteln erlaubt, dann verwässern die Profile der beiden Hochschultypen." Die Promotion passe einfach nicht in das Profil einer FH und könne dies "von ihrem Auftrag her auch gar nicht leisten".
"Keine Revolution"
Ist das wirklich so? Gerade im Zuge der Bologna-Studienstrukturreform sind sich Unis und FHs in vielem deutlich nähergekommen. Der Satz, dass die Uni Forscher ausbildet und die FH Praktiker, ist von der Zeit lange überholt. Seit Einführung des Bachelor wird mittlerweile auch an den Unis sehr viel berufsbezogener studiert, und umgekehrt machen immer mehr FHs mit anwendungsorientierter Forschung von sich reden. Wende will die Unterschiede zwischen beiden Hochschultypen auch nicht völlig einebnen, sondern ein Stück weit mehr Gleichberechtigung herstellen, um der besagten Entwicklung Rechnung zu tragen. Und ganz neu ist ihre Idee auch nicht. Selbst Ex-Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) ließ sich mit Blick auf den weiteren Ausbau der Uni-FH-Kooperationen im Vorjahr mit den Worten zitieren: "Es soll künftig auch möglich sein, den Doktortitel tatsächlich dann auch an einer Fachhochschule zu erwerben." Das sei "keine Revolution, eher eine Evolution".
Dennoch: Ob es wirklich bald zu einem "FH-Doktor" kommt, ist offen. Schließlich geht es um ein bisheriges Privileg der Universitäten – und Privilegien möchte kaum jemand kampflos aufgeben. (rw)